Nils Minkmar: Der Zirkus. Ein Jahr im Inner­sten der Poli­tik. Zwis­chen­bericht. Frank­furt am Main: Fis­ch­er 2013. 220 Seit­en.

Das vorzügliche Buch von Nils Minkmar ist — da darf man sich vom Unter­ti­tel nicht irreführen lassen — keine Reportage im eigentlich Sinne, und schon gar keine, die uns über Poli­tik und Macht wirk­lich aufk­lärt. Minkmar ist näm­lich zuallererst ein Meis­ter der Wahrnehmung, Beschrei­bung und Deu­tung von (poli­tis­chem) Han­deln als sym­bol­is­chen Han­deln: Er kann Zeichen lesen — da ist er guter Kul­tur­wis­senschaftler. Und er kann es präzise (be-)schreiben. Dabei beschränkt er sich im Zirkus aber nicht auf den Zeichen­charak­ter des von ihm beobachteten Wahlkampf von Peer Stein­brück und seinen Hand­lun­gen, son­dern verbindet das mit poli­tis­ch­er Erdung. So tauchen immer wieder die Fra­gen nach der tat­säch­lichen und medi­alen Macht der ver­schiede­nen Akteure auf. Sehr gut gefall­en hat mir, wie er seinen konkreten Gegen­stand — Peer Stein­brück und seinen Wahlkampf — in größere Kom­plexe ein­bet­tet, etwa in Über­legun­gen zum Ver­trauen in die/der Poli­tik, zur psy­chol­o­gis­chen Sit­u­a­tion der deutschen Bevölkerung 2013, zu Post­demokratie und den Medi­en.

Aber immer wieder ist auch Verzwei­flung zu spüren: Verzwei­flung, dass der Kan­di­dat, der so richtig und gut ist, an so vie­len eigentlich banalen und neben­säch­lichen Din­gen scheit­ert, dass so vieles ein­fach nicht funk­tion­iert (bei ihm selb­st, im Appa­rat, in der SPD, in den Medi­en …). Das wird manch­mal für meinen Geschmack etwas sug­ges­tiv. Deshalb fall­en vor allem die gantz konkreten Analy­sen beson­ders pos­i­tiv auf: Wie Minkmar das Wahl­pro­gramm und vor allem den Slo­gan der SPD (“Das Wir entschei­det”) auseinan­dern­immt und deutet, das hat große Klasse.

Immer wieder treibt ihn bei sein­er Beobach­tung des Wahlkampfs vor allem das Ver­hält­nis von Kan­di­dat und Partei um: Stein­brück schildert er als klu­gen, sach­lich und nuanciert denk­enden und argu­men­tieren­den Überzeu­gungstäter, die Partei vor allem als unfähig, chao­tisch und unwillig. Unwilligkeit kommt beim Kan­di­dat­en in Minkmars Beschrei­bung vor allem in einem Punkt auf: In der Weigerung, die Medi­en­mas­chine bzw. ihr Sys­tem wirk­lich zu bedi­enen und zu benutzen — was im Vere­in mit der unfähi­gen PR der Partei zu den entsprechen­den Katas­tro­phen führt.

Aber dann ist das Buch für sich auch ein biss­chen hil­f­los: Das ganze ist, wenn man es so beschreibt, halt ein Zirkus, da kann man nichts machen. Und wenn man, wie Stein­brück, nach eige­nen Regeln zu spie­len ver­sucht oder auf seinen bewährten Stan­dards behar­rt, scheit­ert man eben und ver­liert …

Wolf­gang Schlenker: Dok­tor Zeit. Solothurn: rough­books 2012 (rough­book 020) 54 Seit­en.

Ein kleines Erin­nerungs­buch an den 2011 ver­stor­be­nen Schlenker mit zwei Zyklen sein­er Gedichte. Auf­fäl­lig ist bei diesen schnell ihre sug­ges­tive Sprach-/Versmelodie mit den kurzen Versen. Die Sprache wird hier präg­nant durch Glasklarheit und efährt dadurch auch eine gewisse Härte. Immer wieder greift Schlenker auf kurze Paar­verse zurück: Knap­pheit und Dichte, starke Konzen­tra­tion auf Zustände und Ergeb­nisse sind vielle­icht wesentliche Merk­male sein­er Lyrik. Nicht so sehr inter­essieren ihn dage­gen Prozesse und Abläufe: Ver­ben sind deshalb gar nicht so bedeut­sam in diesen Texte:

genauigkeit
als gäbe es
keine gren­zen (sankt nun, 49)

Schlenkers Lyrik, die hier immer wieder um das Prob­lem der Frei­heit kreist (“gut wäre auch freier wille” (15)), entwick­elt dabei so etwas wie eine Topogra­phie des Denkens mit Orten der Reflek­tion und der Selb­stvergewis­serung. Wege, Pfade etc. spie­len hier eine beson­dere Rolle. Vor allem aber schafft sie es, durch ihre pointierten Erken­nt­nisse dabei sehr “schlau” zu wirken:

die zeit ist nun lin­ear
wie ein fadenkreuz

ich weiß du bist da
bevor ich glaube wer ich bin. (4)

Deut­lich wird das auch in dem wun­der­baren “Lich­tung” (8), für mich wohl das beste dieser Gedichte:

als ich einige glaubenssätze
zum ersten mal
laut nach­sprechen kon­nte
hörte ich den don­ner
in der leitung
legte auf
und wählte neu

Moni­ka Rinck: Hasen­hass. Eine Fibel in 47 Bildern. Ostheim/Rhön: Peter Engstler 2013. 40 Seit­en.
Hasenhass - der Umschlag

Hasen­hass — der Umschlag

Ein befremdlich­es und erheit­ern­des Buch: Moni­ka Rinck treibt sich schreibend und zeich­nend in ein­er Phan­tasiewelt herum, in der Hasen­hass ein geweisse Rolle spielt, in der Haydn zwis­chen Disko-Kugel und Scheiben­qualle disku­tiert wird und ähn­lich Unge­heuer­lichkeit­en geheuer sind. Das sind kurze Ver­suche in & mit Sprach- und Denkbe­we­gun­gen, dazu noch skurile Zeich­nun­gen in und um die Witze herum — vielle­icht kann man das auch als dozierende Sprach­spiele lesen, die assozia­tiv ver­ket­tet und mäan­dernd über das Nichts, die Leere und andere Abwe­sen­heit­en nach­denken (“unschöne Über­legun­gen zur Prax­is des Nicht­ens” (9)) und als eine “Reform der See­len­gram­matik” (14) erheit­ern. “Die Dinge ver­wan­deln sich, die Beziehun­gen bleiben beste­hen.” (37) heißt es im kurzen “Nach­trag”. Und so ver­wan­deln sich auch Text und Zeich­nung, Wort und Bild in dieser Fibel:

Der Wind der Apoka­lypse weht durch das kaputte Gedächt­nis. Und wieder tre­f­fen wir auf ein Ver­hält­nis von taumel­nder Äquiv­alenz. (7)

Der geme­in­ste Witz ver­steckt sich übri­gens auf der let­zten Seite, im Impres­sum — und ich bin mir immer noch nicht sich­er, ob das ein Witz sein soll oder nur ein banaler Fehler ist — nach der Lek­türe solch­er Texte sucht (und find­et) man eben über­all Sinn ;-):

Hinrichtung

Hin­rich­tung