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Strahlende Lichter: Das erste Album von Voxid

voxid, shades of light (cover)Das ist keine Musik für sparsame Haushal­ter. Denn Vox­id hält sich nicht zurück. Im Gegen­teil: Das Quin­tett singt, als gäbe es ein­fach kein Mor­gen mehr. Auf Shades of light gibt es näm­lich alles im Über­fluss: Klang, Sound und Ideen. Nichts wird zurück­ge­hal­ten, immer geht es in die vollen. Vox­id muss sich ja auch nicht ein­schränken, sie haben ein­fach ein schi­er uner­schöpflich­es Reper­toire an Möglichkeit­en. Und das nutzen sie für die zwölf Songs auch vol­lkom­men unge­niert aus. Es begin­nt schon beze­ich­nend mit Imo­gen Heaps „Head­lock“: Der Sound ist fett und luftig zugle­ich, die Musik klingt leicht und ernst, solide und spaßig gle­icher­maßen. Auch wenn das Quin­tett behauptet, „Music ain‘t my thing“, merkt man in jedem Moment: Hier nimmt jemand Pop sehr ernst – mit grandiosem Ergeb­nis. Vor allem, weil sich Vox­id als unge­heuer eng gefügtes Ensem­ble hören lässt: Da ist jede Stimme in jedem Moment an ihrem Platz.

MUSIC AIN’T MY THING by VOXID [offi­cial video clip]

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Eine andere Marke, die gle­ich geset­zt wird, ist das Niveau der Arrange­ments: Vox­id (früher schon einige Jahre unter dem Namen “tonal­rausch” unter­wegs) gibt sich nicht mit Dutzend­ware zufrieden. Deshalb kom­ponieren und arrang­ieren sie auch (fast) alles selb­st. Und das hört man, die genaue Pas­sung auf die Stim­men und das Ensem­ble funk­tion­iert wun­der­bar. Denn die Arrange­ments – und wirk­lich alle – sind ganz ein­fach großar­tig vielfältig, sprühen vor Ideen und stellen sich doch atmo­sphärisch ganz genau in den Dienst der Songs. Bei „Save your soul“ von Jamie Cul­lum zum Beispiel verbinden sich Flächen und Lin­ien mit dicht ver­wobe­nen Tex­turen und klan­glichen Reliefs. Und Vox­id singt das auch immer so, dass man nur zus­tim­mend nick­en kann: Jed­er Klang, jede Lin­ie, jed­er Akko­rd strotzt vor Energie, alles ertönt unge­heuer kraftvoll (man muss nur kurz in „Musi­cal Trea­sure“ hinein­hören!), aber mit ganz entspan­ntem Druck. Denn das Quin­tett erre­icht sein musikalis­ches und emo­tionales Durch­set­zungsver­mö­gen ganz ohne hör­bare Anstren­gung.

Das Beste – wenn man das aus einem Album von so gle­ich­bleibend hoher Qual­ität über­haupt her­ausheben kann – ste­ht am Ende: Zunächst „Edge“, das noch ein­mal mit voller Pow­er auf die Ziel­ger­ade ein­biegt und in dem vortr­e­f­flich gestaffel­ten Arrange­ment zwis­chen leichter Beat­box und inten­siv­er Melodie all die feinen Qual­itäten ihrer Ensem­blekun­st präsen­tiert. Aber dann fol­gt noch, als Bonus­track, eine beza­ubernde Ver­sion von „I fade away“, das sowieso die schön­ste Melodie der CD aufweist und hier im Remix mit Syn­the­siz­er-Ein­satz noch klan­glich aufgepeppt wird. Ger­ade das hätte Vox­id aber über­haupt nicht nötig, nach­dem es in den 50 Minuten davor so eine bril­lante Leis­tungss­chau des Vocal Pop präsen­tierte.

Vox­id: Shades of light. RUM Records 2018. 51:13 Spielzeit.

(Zuerst erschienen in “Chorzeit — Das Vokalmagazin”, #50, Juni 2018)

MUSICAL TREASURE by VOXID [offi­cial Video Clip]

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The King's Singers, Bandfoto

Goldene Klänge: King’s Singers feiern

the king's singers, gold (cover)Zum 50. Geburt­stag darf man sich als Ensem­ble schon mal etwas gön­nen. Zum Beispiel drei CDs, aufwendig und geschmack­voll ver­packt und ganz schlicht „Gold“ betitelt. Dann haben auch die anderen – das Pub­likum – etwas vom Jubiläum. Und wenn alles gut läuft, ist das Pro­dukt dann nicht nur ein Zeug­nis der lan­gen Geschichte, son­dern auch musikalisch überzeu­gend. Bei den King’s Singers hat offen­sichtlich alles geklappt. Denn ihr „Gold“-Album, die mehr als drei Stun­den neuen Auf­nah­men, die sie sich und uns zum Fün­fzig­sten gön­nen, ist ein wun­der­bares Juwel – und zeigt auch sehr schön, auf welchem hohen Niveau die aktuelle Beset­zung der King’s Singers heute singt. Denn obwohl „Gold“ weit­ge­hend ohne vir­tu­ose Schnitte im Stu­dio aufgenom­men wurde, ist die vokale und musikalis­che Per­fek­tion der sechs Englän­der erneut atem­ber­aubend. Und, das ist auch nicht neu, aber den­noch immer wieder verblüf­fend: Es ist ziem­lich egal, ob sie Renais­sance-Motet­ten oder raf­finierte Arrange­ments von Pop-Songs sin­gen. Alles, was sie sich vornehmen, machen sie sich unab­d­ing­bar zu eigen. Und so klin­gen dann fünf Jahrhun­derte Musik doch ziem­lich gle­ich – wie fünf Jahrzehnte King’s Singers eben.

Denn die drei CDs von Gold umspan­nen nicht nur das weite Reper­toire der King’s Singers, son­dern auch große Teile der Musikgeschichte: 80 kurze und kürzere Stücke habe sie aus­gewählt, einiges davon speziell für diesen Anlass arrang­ieren oder kom­ponieren lassen. Die erste CD, „Close Har­mo­ny“, verza­ubert schon mit den ersten Tak­ten von „We are“ von Bob Chilcott, dem lan­gen Wegge­fährten des Ensem­bles, der als einziger auch Musik zum zweit­en Teil von „Gold“, der geistlichen Musik, und dem drit­ten Teil, der weltlichen A‑Cap­pel­la-Musik beiges­teuert hat.

Jed­er wird naturgemäß andere Lieblinge haben, aber Lieblinge sollte hier jed­er find­en. Denn in den über drei Stun­den Musik dürfte jed­er Geschmack mehr als ein­mal getrof­fen wer­den. Zumal die King’s Singers John Leg­end genau­so liebevoll und überzeu­gend sin­gen wie Orlan­do Las­sus. Hein­rich Schütz kommt eben­so zu Ehren wie Rhein­berg­ers „Abend­lied“, das hier tat­säch­lich auch ohne Chor sehr emo­tion­al wirkt, auch wenn die deutsche Aussprache nicht unbe­d­ingt die Spezial­ität der Briten ist. John Rut­ter hat für sie ein paar Shake­speare-Zeilen mit sehr inten­siv­er Musik verse­hen, Bob Chilcotts „Thou, my love, art fair“ ste­ht völ­lig richtig zwis­chen Wil­iam Byrd und Palest­ri­na. So ließe sich die Rei­he der Höhep­unk­te noch lange fort­set­zen. Denn die King’s Singers sin­gen all das so wun­der­bar geschmei­dig und per­fekt abges­timmt, jew­eils so charak­ter­is­tisch zart oder druck­voll, ätherisch schwebend oder solide grundiert, dass man bei allen drei CDs von deren Ende immer wieder über­rascht wird.

The King’s Singers: Gold. 3 CDs. Signum Records 2017. 67:37 + 61:15 + 65:37 Minuten Spielzeit.

(Zuerst erschienen in “Chorzeit — Das Vokalmagazin”, #45, Jan­u­ar 2018)

Mit Aquabella um die Welt

aquabella, jubilee (cover)Aqua­bel­la hat schon immer ein ziem­lich unver­wech­sel­bares Pro­fil: Vier Frauen sin­gen Welt­musik a cap­pel­la – das gibt es nicht so häu­fig. Und sie tun es mit Erfolg und Durch­hal­tev­er­mö­gen. Sein zwanzigjährige Jubiläum feiert das Quar­tett jet­zt mit der siebten CD: Jubilee heißt die ganz passend. Es wird aber bei weit­em nicht nur jubiliert, auch nach­den­klichere Töne und sehr stim­mungsvolle Bal­laden fan­den ihren Weg auf die Plat­te, die neben Stu­dio-Auf­nah­men auch einige Live-Mitschnitte enthält. Und einiges kön­nte dem treuen Fans schon von früheren Veröf­fentlichun­gen bekan­nt sein.

Ganz wie man es von Aqua­bel­la schon ken­nt, ist es auch zum Jubiläum wieder eine Wel­treise zum Hören gewor­den. Die ist fast durch­weg bess­er für den beque­men Ses­sel im heimis­chen Wohnz­im­mer als für die Tanzfläche geeignet: Zum genussvollen Hören lädt Aqua­bel­la mehr ein als zum Mit­machen. Denn Jubilee ist zwar eine abwech­slungsre­ich, aber auch eine unge­fährliche und bequeme imag­inäre audi­tive Expe­di­tion auf alle Kon­ti­nente.
Nach dem strahlen­den Beginn mit dem hebräis­chen „Lo Yisa goy“ gehts in großen Schrit­ten über Schwe­den und Deutsch­land (melodisch sehr schön, die Eigenkom­po­si­tion „Jerusalem“ von Aqua­bel­la-Mit­glied Gisela Knorr) schnell nach Alge­rien, zu ein­er run­dum gelun­genen Arrange­ment von „Aicha“, das ja auch schon Ever­green-Charak­ter hat. Hier bekommt es von Nass­er Kila­da – der die Frauen auch beim andalu­sis­chen „Lam­ma bada yatathanna“ unter­stützt – noch ein wenig Lokalkolorit und Authen­tiz­ität – nicht, das Aqua­bel­la das unbe­d­ingt nötig hat. Vor allem fügt er eine neue Klang­farbe hinzu – und das schadet nicht, denn Aqua­bel­la-Sän­gerin­nen und vor allem ihre Arrange­ments sprudeln nicht ger­ade über vor musikalis­ch­er Exper­i­men­tier­freudigkeit. Das ist alles sehr solide gear­beit­et und ordentlich gesun­gen, aber oft fehlt – wie etwa beim Klas­sik­er „Mas que nada“ – etwas Pep: Zwin­gend ist das nicht immer, mitreißend nur in weni­gen Augen­blick­en. Die oft etwas flächi­gen und sta­tis­chen Arrange­ments lassen immer etwas Rest-Dis­tanz. Aqua­bel­la klingt eben immer nach sich selb­st, egal was auf dem Noten­stän­der liegt und in welch­er Sprache sie ger­ade sin­gen.

Die Live-Auf­nah­men auf„Jubilee atmen bei gle­ich­bleiben­der Qual­ität mehr ansteck­ende Singfreude: Das gilt schon für das „Adiemus“ von Karl Jenk­ins (das sich naht­los in die Welt­musik-Reigen ein­passt), ganz beson­ders aber für das finale „Dortn iz mayn rue­platz“, das mit seinem wun­der­bar weichen Orgelpunkt und dem schlicht­en Arrange­ment ganz verza­ubernd und verzück­end wirkt.

Aqua­bel­la: Jubilee live. Jaro 2017. 52:25 Spielzeit

(Zuerst erschienen in “Chorzeit — Das Vokalmagazin”, #42, Okto­ber 2017)

Immer noch kein schöner Land

wilfried fischer, kein schöner landVon Lothrin­gen bis nach Ost­preußen, vom Shan­ty im niederdeutschen Platt bis zum mozärtlichen Wien der Zauber­flöte reicht das Einzugs­ge­bi­et von “Kein schön­er Land”. Noch eine Volk­slied-Samm­lung für Chöre also? Gibt es davon nicht längst genug? Sich­er, aber nicht so eine. Denn die üblichen Edi­tio­nen set­zen immer noch einen klas­sis­chen vier­stim­mi­gen Chor voraus — und sind deshalb für Ensem­bles mit knap­per Män­nerbe­set­zung oft kaum geeignet.

Wil­fried Fis­ch­er ist nun schon seit einiger Zeit unter dem Titel “Chor zu dritt” dabei, ein Reper­toire für dreis­tim­mi­gen Chor aufzubauen, genauer: für Chöre mit eben nur ein­er Män­ner­stimme. Auch der vierte Band set­zt sich dieses Ziel, bleibt dafür aber nicht bei pur­er Dreis­tim­migkeit ste­hen: Stimmteilun­gen, haupt­säch­lich im Sopran, gehören auch hier natür­lich zum Handw­erk­szeug der Arrangeure. Aber für Män­ner wird eben nie mehr als eine Stimme geset­zt — die allerd­ings hin und wieder für Bässe recht hoch liegt.
Die Idee des Volk­sliedes hat Fis­ch­er dabei recht bre­it gefasst: Unter den hier vesam­melten 93 Sätzen sind nicht wenige geistliche Lieder und Choräle. Über­haupt ist die Auswahl nicht immer ganz nachvol­lziehbar: Einiges sehr bekan­ntes fehlt, dafür ist anderes nicht so weit ver­bre­it­etes enthal­ten — aber bei knapp 100 Liedern bleibt das nicht aus. Mate­r­i­al bietet der Band auf seinen gut 200 Seit­en aber mehr als genug. Gerne greift Fis­ch­er dabei auch auf vorhan­dene Sätze namhafter Kom­pon­is­ten zurück, die den neuen Anforderun­gen behut­sam angepasst wer­den: Von Hein­rich Isaac bis Ernst Pep­ping, von Felix Mendelssohn Bartholdy und Johannes Brahms bis Her­mann Schroed­er reicht der Griff ins Archiv.

Neben Fis­ch­er selb­st, der ein Großteil der Arrange­ments und Bear­beitun­gen beis­teuert, sind u.a. Pas­cal Mar­t­iné, Carsten Ger­litz und Burkhard Kin­zler mit diversen neuen Sätzen vertreten. Die Arrange­ments selb­st sind immer min­destens solide, aber oft für dreis­tim­mige Sätze auhc über­raschend klangvoll und wirkungsvoll. Den meis­ten merkt man pos­i­tiv an, dass die Dreis­tim­migkeit hier nicht nur als Man­gel gedacht wird, son­dern als Her­aus­forderung und Chance. Aus der genaueren Beschäf­ti­gung mit den Möglichkeit­en der Beset­zung entwick­eln die Arrangeure dabei immer wieder sehr klare und fil­igrane, sehr lebendi­ge und bewegte Sätze, die im vier­stim­mi­gen Chor so kaum funk­tion­ierten.
Dabei sind die Sätze dem Sujet entsprechend ins­ge­samt — selb­st noch in den aus­ge­feil­teren Bear­beitun­gen — eher zurück­hal­tend und schlicht in dem Sinne, dass Sätze gerne hin­ter Melodie und Text zurück­ste­hen. Stil­sich­er und vernün­ftig spricht aus den Arrange­ments weniger Exper­i­men­tier­freude, dafür viel Erfahrung und Ein­füh­lungsver­mö­gen — und nicht zulet­zt der Ver­such, ein möglichst bre­ites Pub­likum — sin­gend und hörend — zu erre­ichen.

Wil­fried Fis­ch­er (Hrsg.): Kein schön­er Land. Deutsche Volk­slieder aus 4 Jahrhun­derten (Chor zu dritt, Band 4). Mainz: Schott 2015. 214 Seit­en. 19,50 Euro.

— Zuerst erschie­nen in Chor­zeit — Das Vokal­ma­ga­zin, Aus­gabe #18, Juli/August 2015.

Liebe ist scheiße und andere wichtige Lebensweisheiten

basta, dominoBas­ta ist selb­st­be­wusst: “Oh, wir haben so viel Niveau” sin­gen sie, auch wenn’s “nur a‑cappella ist”, wie es an ander­er Stelle heißt. Und sie kön­nen sich das dur­chaus erlauben. Ihre Texte sind zwar nicht immer ganz geschmackssich­er, aber die Musik bringts garantiert auf den Punkt: “Bas­ta” macht ein­fach gute Laune — bas­ta.

Die fünf Män­ner aus Köln haben ihre Vor­bilder oder Konkur­renz jeden­falls hör­bar gut studiert — nicht zufäl­lig greift Oliv­er Gies von May­be­bop dem Bas­ta-Tenor William Wahl, der son­st haupt­säch­lich für Musik und Arrange­ments ver­ant­wortlich ist, bei eini­gen Songs unter die Arme.

Egal von wem, allen Stück­en des „Domi­no“ betitel­ten Albums sind die lebendi­gen, durch­weg sehr bewegt und gezielt abwech­slungsre­ich gebaut­en Arrange­ments eigen, die ein Ohr und Gespür für die Details des Hin­ter­grunds ver­rat­en. Dass „Bas­ta“ aber ger­ade einen der schwäch­sten Songs zum Titel der CD befördert hat, ist schade. Denn das mit­tler­weile siebte Album der seit 2000 aktiv­en Band hat viel mehr und vor allem viel besseres zu bieten als eben die kitschige, hal­blustige Spiel­erei mit Wort und Klang litur­gis­ch­er Gesänge, die „Bas­ta“ im Song „Domi­no“ betreibt.

Son­st geht es ihnen viel um das Sin­gen selb­st, die Exis­tenz des Quin­tetts als Boy­group und vor allem als A‑Cap­pel­la-Ensem­ble. Die wird vor allem in dem dur­chaus als Wer­bung für diese Musik geeigneten “Es ist nur a cap­pel­la, doch ich mag es” besun­gen. Aber auch ganz wun­der­bar tragisch kann die Musik beteiligt sein, wie “Der Mann, der keine Beat­box kon­nte” zeigt — so eine erbärm­lich schlechte, grausige Beat­box-Imi­ta­tion muss man erst ein­mal hin­bekom­men! Über­haupt die Imi­ta­tio­nen: Auch Rein­hard Mey wird von “Bas­ta” geschickt nachgeahmt. Dabei – und das ist ein wenig das Hand­i­cap von „Domi­no“ — ist nicht alles gle­icher­maßen niveau­voll: Inspiri­erte und intel­li­gente Unter­hal­tung ste­ht hier immer wieder neben schwachem Abklatsch.
Eines der besseren Lieder ist etwa ihre Ver­sion der „Schöp­fung“. Nein, das hat nichts mit Haydn zu tun und auch nur ein biss­chen mit der Bibel. Denn ihre „Schöp­fung” erzählt musikalisch sehr geschickt und, nun­ja, the­ol­o­gisch etwas eigen­willig, von Gottes erstem Ver­such mit der Welt, den er längst als Fehler sich selb­st – und der FDP – über­lassen hat. Nicht nur hier bricht sich immer wieder ihre Ten­denz zur großen (musikalis­chen) Geste Bahn: Immer wieder set­zt „Bas­ta“ auf große Steigerun­gen, immer wieder kul­minieren ihre Songs im großen Finale, immer wieder loten sie die Gren­zen des Quin­tetts klan­glich aus. Manch­mal gelingt das so schön wie beim “Wellen­re­it­er”, manch­mal bleibt es aber auch etwas aufge­set­zt wie etwa bei “Bevor ich bei dir war”. Ein gemis­chter Ein­druck also — jed­er darf und soll hier etwas find­en, jed­er wird andere Lieblinge haben.

Bas­ta: Domi­no. Eat The Beat Music ETB 001, 2014.

(zuerst erschienen in “Chorzeit — Das Vokalmagazin”, Aus­gabe 2/2015)

Ins Netz gegangen (10.3.)

Ins Netz gegan­gen am 10.3.:

Mozart mit japanischer Disziplin: Masaaki Suzukis “Requiem”

mozart, requiemNun also auch Masaa­ki Suzu­ki: Der Diri­gent hat mit seinem Bach Col­legium Japan jet­zt auch den namensgeben­den Bach und sein direk­tes Umfeld ver­lassen. Die großen Diri­gen­ten der his­torisch informierten Auf­führung­sprax­is machen das ja schon einige Zeit vor und sind inzwis­chen bere­its im 20. Jahrhun­dert ange­langt. Ganz so weit reist Suzu­ki in der Zeit nicht — aber bis Mozart hat er es inzwis­chen auch geschafft. Und sog­ar bis ganz an dessen Ende: Da ste­ht das Requiem — so dicht am Tod, dass es unvol­len­det blieb.

Fer­tig­stel­lun­gen des Frag­ments gibt es ohne Zahl, nur übertrof­fen von den Mythen, die sich um das Requiem und den Tod seines Schöpfers ranken. Masaa­ki Suzu­ki fügt dem für seine jet­zt erschiene Auf­nahme des Requiems eine eigene Ver­voll­ständi­gung hinzu — die aber wiederum sehr stark auf den bekan­nten Ergänzun­gen Franz Xaver Süß­may­ers beruht, sie haupt­säch­lich um kleine Änderun­gen in der Instru­men­ta­tion fortschreibt sowie mit Joseph Eyblers Arbeit­en ergänzt. Neu ist hier vor allem eine kurze Amen-Fuge am Ende der Sequenz, die Suzu­ki selb­st auf der Basis ein­er Mozart-Skizze (die dem Requiem nicht ein­deutig zuge­ord­net wer­den kann) geset­zt hat.

Und neu ist bei dieser Auf­nahme vor allem der her­rliche Klang des Bach Col­legiums Japan, der Mozart bish­er ver­sagt blieb. Und da sie all ihre Vorzüge, zu denen an erster Stelle ihr diszi­plin­iert­er, klar­er und heller Klang mit deut­lich­ster Artiku­la­tion gehört, auch bei Mozart ein­set­zen, wird das Requiem zu einem sehr reinen Vergnü­gen. Zumal Suzu­ki auch hier emo­tion­al sehr kon­trol­liert bleibt — es gibt zweifel­los über­schäu­mendere Auf­nah­men — und auf pathetis­che Gesten oder auf­se­hen erre­gende Effek­te ganz verzichtet. Die strin­gent leuch­t­ende Klarheit, die er – und vor allem die Sänger des Bach Col­legiums – dem Lac­rimosa mit­geben: Das ist großar­tig. Denn die Haup­tqual­ität sein­er Auf­nahme ist unbe­stre­it­bar: Man hört ein­fach alles, was in der Par­ti­tur passiert. Suzu­ki musiziert das Requiem mit ein­er schlanken Lebendigkeit und pointiert­er Pla­tiz­ität: Nichts scheint sein­er Aufmerk­samkeit zu ent­ge­hen, alle Teile erklin­gen in ein­er vib­ri­eren­den Aus­geglichen­heit. Die Präzi­sion der Artiku­la­tion und Phrasierung lassen auch die dur­chaus sehr zügi­gen Tem­pi ganz unprob­lema­tisch und natür­lich erscheinen: Die Span­nung bleibt über das gesamte Requiem hin­weg hoch, ein Nach­lassen ken­nt Suzu­ki kaum. Der feine, detail­re­iche Klang — an dem auch die um neu­trale und genaue Abbil­dung bemühte Ton­tech­nik von BIS großen Anteil hat — zeugt von akku­rater Vor­bere­itung und präzis­er Aus­führung, selb­st in bewegten und tur­bu­len­ten Sätzen wie dem Kyrie. Chor und Orch­ester — bei­des nicht sehr groß beset­zt — befind­en sich hier immer in wun­der­barster Bal­ance. In jedem Moment hat man den Ein­druck, den ganzen, den reinen Mozart zu hören — und ver­gisst darüber gerne, dass hier gar nicht so viel vom Meis­ter selb­st erklingt. Auch die Solis­ten, allen voran die Sopranistin Car­olyn Samp­son, passen sich in dieses fein aus­tari­erte Klanggeschehen fugen­los ein, wie das fast opern­hafte Recor­dare schon beim ersten Hören beweist. Ergänzt wird das for­mi­da­ble Requiem auf der vor­liegen­den SACD noch um eine ener­gisch strahlende Auf­nahme der “Ves­per­ae solennes de con­fes­sore” (KV 339) aus Mozarts Salzburg­er Zeit.

Wolf­gang Amadeus Mozart: Requiem d‑moll (KV 626), ver­voll­ständigt von Masaa­ki Suzu­ki; Ves­per­ae solennes de con­fes­sore (KV 339). Car­olyn Samp­son, Mar­i­anne B. Kiel­land, Mako­to Saku­ra­da, Chris­t­ian Imm­ler, Bach Col­legium Japan, Masaa­ki Suzu­ki. BIS 2091, 2014.

(zuerst erschienen in “Chorzeit — Das Vokalmagazin”, #13 Feb­ru­ar 2015)

Wunschzettel zum Singen

gies, wunschzettelWenn Oliv­er Gies seinen Wun­schzettel selb­st abar­beit­et, dann dür­fen sich die Chöre und ihre Chor­lei­t­erin­nen freuen: Denn dann gibt es feine neue Musik. Das gilt natür­lich auch für das Chorheft “Wun­schzettel. Neue Wei­h­nacht­slieder für gemis­cht­en Chor”, in dem Gies das aufgeschrieben hat, was er an Wein­hancht­en selb­st gerne hören (und sin­gen) würde. Trotz des Unter­ti­tels haben sich dann doch drei tra­di­tionelle Wei­h­nacht­slieder in das neun Songs starke Heft eingeschlichen. Die sind allerd­ings von Oliv­er Gies ein­er Gen­er­alüber­hol­ung unter­zo­gen wor­den, so dass sie dur­chaus wieder (oder noch) als neu durchge­hen kön­nen: “Es kommt ein Schiff geladen”, “Hört der Engel helle Lieder” und “Josef, lieber Josef mein”, das neben dem vier­stim­mi­gen Chor auch noch zwei Solis­ten benötigt, mussten ihren Staub und zumin­d­est teil­weise auch ihre Tra­di­tion aufgeben und sich ein neues Klangge­wand über­stülpen lassen. Eine Frischzel­lenkur nen­nt der Arrangeur das — und frisch klin­gen sie tat­säch­lich, die alten Lieder. Am deut­lich­sten wird das bei “Es kommt ein Schiff geladen”, das viel von sein­er altertüm­lichen Fremd­heit ver­loren hat: Die Melodie wurde rhyth­misch über­holt und die Har­monik radikal mod­ernisiert. Vor allem aber hat Gies in seinem Arrange­ment mit etwas Klang­malerei jed­er Stro­phe und den kurzen Zwis­chen­stück­en einen jew­eils eige­nen Charak­ter ver­passt, der dem Text — den wogen­den Wellen, dem sicheren Hafen und dem Erlös­er (der natür­lich im reinen Dur erscheint) — ganz treu entspricht.

Frisch klin­gen aber auch die neuen Lieder von Oliv­er Gies eigentlich durch­weg. Am wenig­sten vielle­icht “Der alte Mann”, in dem Gies recht aus­führlich Glock­en­klänge ver­ar­beit­et und den alten Mann und die Zuhör­er eine har­monisch Festmesse erleben lässt. Schick ist auch die “Weise aus dem Mor­gen­land”, deren Titel nicht ganz unab­sichtlich dop­peldeutig zu lesen ist, denn hier geht es um die Heili­gen Drei Könige. Die präsen­tieren sich hier nicht nur mit ein­er ori­en­tal­isch klin­gen­den Melodie, son­dern vor allem als aus­ge­sprochen reisemüde Könige, mür­risch und gereizt — und müssen ohne ein Hap­py End auskom­men. Das ist in diesem Heft aber sel­ten, denn Freude und Fröh­lichkeit herrschen natür­lich auch dann vor, wenn Auswüchse des Wei­h­nachts­fests the­ma­tisiert wer­den wie die Hek­tik des Geschenkekaufens in “Wei­h­nacht­slieder sin­gen” oder die kuli­nar­ische Völlerei bei “Hap­py Meal”. Das ist trotz seines Titels ein gut-deutsche Angele­gen­heit, mit Wild­schwein­brat­en, Schnitzel und natür­lich der unver­mei­dlichen Wei­h­nachts­gans — kein Wun­der, dass der ganze Chor da stöh­nt: “heute gibt es alles und von allem zu viel”. Für den “Wun­schzettel” gilt das freilich nicht: Zu viel gibt es hier bes­timmt nicht. Im Gegen­teil, das Konzept schre­it ger­adezu nach ein­er Fort­set­zung. Denn die Kom­po­si­tio­nen und Arrange­ments von Oliv­er Gies bieten nicht nur dem Pub­likum Unter­hal­tung, son­dern auch Abwech­slung für alle vier Stim­men — die sich übri­gens, da war der Arrangeur prag­ma­tisch, mit gerin­gen (jew­eils ver­merk­ten) Änderun­gen auch auf SSAB verteilen dür­fen. Das Rad wird dafür nicht neu erfun­den, aber auch mit bloßer akustis­chen Haus­man­nskost gibt sich Gies auch nicht zufrieden: Alle Sätze zeich­nen sich durch ihr Ein­füh­lungsver­mö­gen in die jew­eils eigene klan­gliche Gestalt aus, sind aber nie über­frachtet mit “Ein­fällen”. Zumal den “Wun­schzettel” zwar sich­er nicht jed­er Chor vom Blatt sin­gen kön­nen wird, die tech­nis­chen Her­aus­forderun­gen im Gegen­teil zum klan­glichen Ergeb­nis aber trotz­dem mäßig sind.

Oliv­er Gies: Wun­schzettel. Neue Wei­h­nacht­slieder für gemis­cht­en Chor. Bosse 2014. BE 495.
(zuerst erschienen in “Chorzeit — Das Vokalmagazin”, Aus­gabe 11/2014)

Jörn Rüsen: Historik

Für die siebte Aus­gabe der stu­den­tis­chen geschichtswis­senschaftlichen Zeitschrift “Skrip­tum” habe ich Jörn Rüsens His­torik. The­o­rie der Geschichtswis­senschaft mit eini­gen weni­gen Ein­schränkun­gen dur­chaus pos­i­tiv besprochen:

Trotz der hier dargelegten Ein­schränkun­gen legt Rüsen ein dur­chaus zeit­gemäßes sys­tem­a­tis­ches Ver­ständ­nis der Geschichtswis­senschaften mit ihren Möglichkeit­en und Leis­tun­gen vor. Dass vieles davon in den let­zten Jahren und Jahrzehn­ten an anderen Orten – oft aus­führlich­er – schon ein­mal aus­ge­führt wurde, schadet kaum und ist wohl bei einem der­ar­ti­gen opus mag­num unver­mei­dlich. Denn als umfassende „The­o­rie der Geschichtswis­senschaft“ bietet die ‚His­torik‘ eben eine über die Einzel­studie hin­aus­ge­hende sys­tem­a­tisch-syn­op­tis­che Verknüp­fung bekan­nter Konzepte und The­o­riebausteine aus Rüsen’scher Fed­er. Und dazu gehört eben auch, und dies ist ein­er der unbe­d­ingten großen Vorzüge von Rüsens ‚His­torik‘, dass auch die Geschichts­di­dak­tik und das Prob­lem­feld Geschichts­be­wusst­sein im gesamten Raum des kul­turellen Lebens ele­mentar­er Teil sein­er vield­imen­sion­alen His­torik sind – wie es sich für die The­o­rie ein­er Geschichtswis­senschaft, die sich als unmit­tel­bar und unbe­d­ingt leben­sprak­tis­che Wis­senschaft begreift, ja fast von selb­st ver­ste­ht.

Zu der — recht umfan­gre­ichen — Rezen­sion geht es bitte hier ent­lang: klick.

Ins Netz gegangen (18.9.)

Ins Netz gegan­gen am 18.9.:

  • Hans Well zur Land­tagswahl Bay­ern — Süddeutsche.de — Hans Well ste­ht der Süd­deutschen zur Bay­ern-Wahl Rede und Antwort — zum Beispiel auf die Frage: “War See­hofer über­haupt der geeignete Spitzenkan­di­dat?”

    Ich möchte diesen Ingol­städter Wankel­mo­tor in Schutz nehmen: Anders als Stoiber geht See­hofer sparsam mit “Ähs” um und zwängt sich nicht in Gebirgss­chützenuni­form. See­hofer ist endlich mal ein Poli­tik­er, der sich nie fes­tlegt — außer auf zwei Kilo­me­ter Abstand zu Wind­parks, um somit ohne Win­dräder den Atom­ausstieg durchzu­peitschen. Das nenne ich klare Kante. Kommt beim Som­mer­wäh­ler­schlussverkauf super an. Der braucht von der Kan­z­lerin nix zu ler­nen. Der hat schon alles selb­st drauf.

  • Auch Anti-Eurozen­tris­mus kann zur Ide­olo­gie wer­den – Inter­view mit Jür­gen Oster­ham­mel | Das 19. Jahrhun­dert in Per­spek­tive — Mareike König hat sich mir Jür­gen Oster­ham­mel über Welt­geschichte unter­hal­ten, und natür­lich vor allem über sein riesiges Buch “Die Ver­wand­lung der Welt. Eine Geschichte des 19. jahrhun­derts”. Jet­zt habe ich noch mehr Lust, den Wälz­er anzuge­hen (aber vor der zeit­fressenden Lek­türe schrecke ich irgend­wie immer noch zurück …)
  • Peter Gabriel : “Im Alter ist man immer noch ein Kind” — DIE WELT — Peter Gabriel meint (in einem selt­sam hölz­er­nen Inter­view), es wäre Zeit für einen Regierungswech­sel in Deutsch­land …
  • NDR löscht nach Protest von CDU-Poli­tik­er Doku­men­ta­tion über SPD-Poli­tik­er « Ste­fan Nigge­meier — NDR löscht nach Protest von CDU-Poli­tik­er Doku­men­ta­tion über SPD-Poli­tik­er (via Pub­lished arti­cles)
  • Roman “Tabu”: Der Mord, der kein­er war | ZEIT ONLINE — Wow, Ulrich Grein­er hat Fer­di­nand von Schirachs Roman “Tabu” gele­sen. Und ist über­haupt nicht zufrieden gewe­sen:

    Der Roman jedoch ist schlecht. Schirach liebt das philosophis­che Faseln, den bedeu­tungss­chwan­geren Psy­chol­o­gis­mus. Und er hantiert mit ein­er ästhetis­chen The­o­rie, die das Ineinan­der und das Gegeneinan­der ver­schieden­er Ebe­nen von Wirk­lichkeit anschaulich machen soll. Es geht auch um die Frage, was Wahrheit in der Kun­st bedeutet und was im Leben. Solch schw­eren The­men ist Schirachs Sprache nicht gewach­sen, und gründlich durch­dacht wirkt das Ganze eben­falls nicht. Wenn ich recht sehe, han­delt es sich alles in allem um einen großen Bluff.

    Später weit­et er sein ver­nich­t­en­des Urteil — so einen deut­lichen, krassen und kom­plet­ten Ver­riss habe ich schon lange nicht mehr gele­sen — noch aus:

    Um es deut­lich zu sagen: Fer­di­nand von Schirach kann nicht schreiben. Natür­lich kann er Texte ver­fassen, sach­di­en­liche, scharf­sin­nige, kluge, schließlich ist er ein erfol­gre­ich­er Anwalt. Aber es fehlt ihm die Gabe der Imag­i­na­tion, des Her­beiza­uberns ein­er neuen Welt, der lit­er­arischen Sub­til­ität. Bloß aus Haupt­sätzen baut man keinen Palast, allen­falls eine Hütte.

    Das/Der ist erledigt.

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