Nun also auch Masaaki Suzuki: Der Dirigent hat mit seinem Bach Collegium Japan jetzt auch den namensgebenden Bach und sein direktes Umfeld verlassen. Die großen Dirigenten der historisch informierten Aufführungspraxis machen das ja schon einige Zeit vor und sind inzwischen bereits im 20. Jahrhundert angelangt. Ganz so weit reist Suzuki in der Zeit nicht — aber bis Mozart hat er es inzwischen auch geschafft. Und sogar bis ganz an dessen Ende: Da steht das Requiem — so dicht am Tod, dass es unvollendet blieb.
Fertigstellungen des Fragments gibt es ohne Zahl, nur übertroffen von den Mythen, die sich um das Requiem und den Tod seines Schöpfers ranken. Masaaki Suzuki fügt dem für seine jetzt erschiene Aufnahme des Requiems eine eigene Vervollständigung hinzu — die aber wiederum sehr stark auf den bekannten Ergänzungen Franz Xaver Süßmayers beruht, sie hauptsächlich um kleine Änderungen in der Instrumentation fortschreibt sowie mit Joseph Eyblers Arbeiten ergänzt. Neu ist hier vor allem eine kurze Amen-Fuge am Ende der Sequenz, die Suzuki selbst auf der Basis einer Mozart-Skizze (die dem Requiem nicht eindeutig zugeordnet werden kann) gesetzt hat.
Und neu ist bei dieser Aufnahme vor allem der herrliche Klang des Bach Collegiums Japan, der Mozart bisher versagt blieb. Und da sie all ihre Vorzüge, zu denen an erster Stelle ihr disziplinierter, klarer und heller Klang mit deutlichster Artikulation gehört, auch bei Mozart einsetzen, wird das Requiem zu einem sehr reinen Vergnügen. Zumal Suzuki auch hier emotional sehr kontrolliert bleibt — es gibt zweifellos überschäumendere Aufnahmen — und auf pathetische Gesten oder aufsehen erregende Effekte ganz verzichtet. Die stringent leuchtende Klarheit, die er – und vor allem die Sänger des Bach Collegiums – dem Lacrimosa mitgeben: Das ist großartig. Denn die Hauptqualität seiner Aufnahme ist unbestreitbar: Man hört einfach alles, was in der Partitur passiert. Suzuki musiziert das Requiem mit einer schlanken Lebendigkeit und pointierter Platizität: Nichts scheint seiner Aufmerksamkeit zu entgehen, alle Teile erklingen in einer vibrierenden Ausgeglichenheit. Die Präzision der Artikulation und Phrasierung lassen auch die durchaus sehr zügigen Tempi ganz unproblematisch und natürlich erscheinen: Die Spannung bleibt über das gesamte Requiem hinweg hoch, ein Nachlassen kennt Suzuki kaum. Der feine, detailreiche Klang — an dem auch die um neutrale und genaue Abbildung bemühte Tontechnik von BIS großen Anteil hat — zeugt von akkurater Vorbereitung und präziser Ausführung, selbst in bewegten und turbulenten Sätzen wie dem Kyrie. Chor und Orchester — beides nicht sehr groß besetzt — befinden sich hier immer in wunderbarster Balance. In jedem Moment hat man den Eindruck, den ganzen, den reinen Mozart zu hören — und vergisst darüber gerne, dass hier gar nicht so viel vom Meister selbst erklingt. Auch die Solisten, allen voran die Sopranistin Carolyn Sampson, passen sich in dieses fein austarierte Klanggeschehen fugenlos ein, wie das fast opernhafte Recordare schon beim ersten Hören beweist. Ergänzt wird das formidable Requiem auf der vorliegenden SACD noch um eine energisch strahlende Aufnahme der “Vesperae solennes de confessore” (KV 339) aus Mozarts Salzburger Zeit.
Wolfgang Amadeus Mozart: Requiem d‑moll (KV 626), vervollständigt von Masaaki Suzuki; Vesperae solennes de confessore (KV 339). Carolyn Sampson, Marianne B. Kielland, Makoto Sakurada, Christian Immler, Bach Collegium Japan, Masaaki Suzuki. BIS 2091, 2014.
(zuerst erschienen in “Chorzeit — Das Vokalmagazin”, #13 Februar 2015)
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