Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

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Da Capo – Effektvolle Zugaben für Chöre

carsten gerlitz, da capo
Zuga­ben­stü­cke sind offen­bar gefähr­lich: Wenn der Ton­set­zer selbst schon vor ihrem über­mä­ßi­gem Genuss warnt, dann soll­te man wohl wirk­lich mit Vor­sicht genie­ßen. Dabei gibt es kaum einen Grund, den Band „Da Capo!“ von Cars­ten Ger­litz mit spit­zen Fin­gern anzu­fas­sen. Im Gegen­teil, man soll­te den unbe­dingt auf­schla­gen und (ein)studieren. Auch wenn der Titel nicht so ganz passt. Denn nicht die Wie­der­ho­lung ist das Ziel von Ger­litz, son­dern neu­es Mate­ri­al für die Zuga­be bei Chor­kon­zer­ten zu lie­fern. Ech­te „Knal­ler“ sol­len es also sein, pep­pi­ge Arran­ge­ments ver­spricht der Unter­ti­tel. Und das fin­det man in den sechs Sät­zen von über­schau­ba­rer Schwie­rig­keit dann durch­aus – wenn auch nicht in jedem ein­zel­nen.

Denn einen Schluss­punkt für ein Kon­zert set­zen sie alle auf ganz ver­schie­de­ne Wei­se: „Auf uns“ als groovig-​poppige Soul­bal­la­de, die Ger­litz‘ Fähig­keit als Arran­geur effekt­vol­ler Chor­mu­sik beson­ders deut­lich zeigt, „Das Publi­kum war heu­te wie­der wun­der­voll“ als schnell ein­stu­dier­te und schnell gesun­ge­ne, unkom­pli­zier­te Minia­tur, die schon als Abspann­mu­sik bei Bugs Bun­ny gut funk­tio­niert hat. Es geht aber auch roman­ti­scher, mit dem von Brahms ent­lehn­ten „Guten Abend, gute Nacht“, dem sanft und sehr fein aus­ge­ar­bei­te­ten „Der Mond ist auf­ge­gan­gen“ oder auch mit dem Abschieds­lied der Come­di­an Har­mo­nists, „Auf Wie­der­sehn, my Dear“, das Ger­litz sehr nah an deren Klang und Arran­ge­ment setzt. Und damit auch wirk­lich jeder gemisch­ter Chor hier etwas fin­det, gibt es noch eine unkom­pli­ziert swin­gen­de, ja, fast harm­lo­se „Sen­ti­men­tal Jour­ney“ dazu. Und wenn man den schma­len Band so durch­blät­tert, trifft die War­nung des Vor­worts viel­leicht doch zu: Zu viel Feu­er­werk ermü­det. Dafür rei­chen die­se sechs Sät­ze aber nicht aus – schon allein des­halb nicht, weil sie so ganz und gar unter­schied­lich sind.

carsten gerlitz, in my life (beatles)
Und wer noch nicht weiß, wie er sein Publi­kum dazu bringt, Zuga­ben zu for­dern, kann sich zwei­er ande­rer kürz­lich erschie­ner Arran­ge­ments von Cars­ten Ger­litz bedie­nen – die sind jetzt aber nicht mehr für jeden Chor und jeden Geschmack geeig­net. Denn mit ABBAs „Dancing Queen“ und „In My Life“ von den Beat­les legt der ver­sier­te Arran­geur zwei Sät­ze vor, die sehr genau und gut in die neue Rei­he Pop-​Choir-​Classics passen.Nah am Ori­gi­nal emp­feh­len sie sich vor allem für im Pop schon ver­trau­te und geüb­te Chö­re – bei­de set­zen auch ein fünf­stim­mi­ges, rhyth­misch siche­res Ensem­ble vor­aus. Mit weni­gen, oft nur punk­tu­el­len Ände­run­gen, geschick­ter Stimm­ver­tei­lung und dra­ma­tur­gi­schem Gespür wird aus blo­ßen a-​cappella-​Coverversionen bei Ger­litz ein Hit fürs nächs­te Kon­zert. Dabei arbei­tet er sehr öko­no­misch mit Ein­fäl­len: Sei­ne Arran­ge­ments sprü­hen nicht vor Ideen, sind aber stets wir­kungs­voll gear­bei­tet. Nicht zuletzt liegt das auch an den Ori­gi­na­len: Das sind eben ech­te Klas­si­ker, die Kraft und Inspi­ra­ti­on genug haben – die Rei­he trägt den Titel „Pop-​Choir-​Classics“ schließ­lich nicht umsonst.

Cars­ten Ger­litz: Da Capo! Zuga­be­stü­cke in pep­pi­gen Arran­ge­ments für gemisch­ten Chor. Mainz: Schott 2015 (ED 20577).
Cars­ten Ger­litz: Beat­les, In My Life. (Pop-​Choir-​Classics) Ber­lin: Bos­worth 2015 (BOE7741).
Cars­ten Ger­litz: ABBA, Dancing Queen. (Pop-​Choir-​Classics) Ber­lin: Bos­worth 2015 (BOE7742).

(Zuerst erschie­nen in „Chor­zeit – Das Vokal­ma­ga­zin“)

Ins Netz gegangen (9.5.)

Ins Netz gegan­gen am 9.5.:

  • re:publica 2016 – Richard Sen­nett: The City as an Open Sys­tem → richard sen­nett sprach bei der re:publica sehr gut über open & smart cities, stadt­ent­wick­lung, gren­zen und begeg­nun­gen
  • Last Week Tonight with John Oli­ver: Sci­en­ti­fic Stu­dies (HBO) → John Oli­ver erklärt wis­sen­schaft­li­che Stu­di­en und (Wissenschafts-)Journalismus
  • Rad­we­ge: Jetzt geht es rund | ZEIT ONLINE → sehr schö­ner text über die absur­di­tät und gewollt fak­ten-igno­rie­ren­de und ‑ver­dre­hen­de dis­kus­si­on um die för­de­rung von rad­ver­kehr in ham­burg

    Kaum eine Debat­te wird so emo­tio­nal geführt wie die um Rad­we­ge. In einer Stra­ße in Wands­bek zeigt sich nun die gesam­te Absur­di­tät des Kon­flikts.

  • The Absurd Pri­ma­cy of the Auto­mo­bi­le in Ame­ri­can Life | The Atlan­tic → auch wenn’s (v.a. bei den zah­len) pri­mär um die usa geht, gilt das im wesent­li­chen natür­lich für alle ent­wi­ckel­ten län­der

    But con­ve­ni­ence, along with Ame­ri­can histo­ry, cul­tu­re, ritu­als, and man-machi­ne affec­tion, hide the true cost and natu­re of cars. And what is that natu­re? Sim­ply this: In almost every way ima­gi­nable, the car, as it is deploy­ed and used today, is ins­a­ne.

  • Lite­ra­tur und Kapi­ta­lis­mus­kri­tik: Das Geld ver­schlingt uns | NZZ → björn hay­er in der nzz über die lite­ra­tur (d.h. über vier tex­te) und den kapi­ta­lis­mus bzw. des­sen kri­tik – er sieht da vor allem abs­trak­te schuld und schwarz­ma­le­rei, ihm fehlt sozu­sa­gen das posi­ti­ve …

    Die Schrift­stel­ler neh­men also ihre klas­si­sche Posi­ti­on als Mah­ner und Wäch­ter der Moral ein. Doch wo sind die Akteu­re, die sie zu adres­sie­ren sich bemü­hen, in einem nebu­lö­sen Sys­tem noch auf­zu­spü­ren?
    […] Sie ver­har­ren aber allein in Dia­gno­sen, die Schuld­fra­gen ins Nir­gend­wo ver­la­gern und das Sub­jekt zur macht­lo­sen Mario­net­te degra­die­ren.

    Ihre Lite­ra­tur arran­giert sich mit einem gemüt­li­chen Feind­bild, das sie wei­ter auf­bläst.

  • Sel­ec­ted Stock­hausen Scores → Bei­spiel­sei­ten/-aus­schnit­te aus Stock­hausens Par­ti­tu­ren

Klingender Adventskalender

singer pur, adventskalenderAm Schluss wir­belt Weih­nach­ten dann doch her­ein. Bis dahin hält „Der Sin­ger Pur Advents­ka­len­der“ genau, was er ver­spricht: Chor­mu­sik für den Advent. Wenn man in die­sem Advents­ka­len­der bis zum Hei­li­gen Abend gekom­men ist, hat man eini­ges hin­ter sich. Denn die 23 bekann­ten, tra­di­tio­nel­len Advents­lie­der von „Nun komm, der Hei­den Hei­land“ bis „Wir sagen euch an den lie­ben Advent“ in über drei­ßig Sät­zen, die Sin­ger Pur hier für sech­stim­mi­ge Chö­re vor­le­gen, bie­ten viel aus­ge­zeich­ne­te Musik. Am Ende steht dann ein furio­ses, begeis­tert-freu­di­ges Arran­ge­ment von Sören Sieg: So fröh­lich ist selbst die „Fröh­li­che Weih­nacht“ bei­lei­be nicht immer.

Alt und neu sind glei­cher­ma­ßen ver­tre­ten – 10 Lie­der in Sät­zen von Alten Meis­tern (bis ins 16. Jahr­hun­dert), 14 von leben­den Arran­geu­ren. Für den Druck wur­den die Sin­ger-Pur-Sät­ze etwas über­ar­bei­tet, damit sie für nor­ma­le sech­stim­mi­ge Beset­zun­gen gut sing­bar sind. Gut sing­bar ist aller­dings nicht unbe­dingt ein­fach: Kom­ple­xe Sät­ze, die etwas Hin­wen­dung und Pro­ben­aus­dau­er erfor­dern, sind hier reich­lich ver­tre­ten. Die har­mo­ni­schen und rhyth­mi­schen Mög­lich­kei­ten der (fast) durch­ge­hen­den Sechs­stim­mig­keit nut­zen die Arran­geu­re ger­ne aus und las­sen sich viel ein­fal­len – Bern­hard Hof­mann benö­tigt für “Lasst uns froh und mun­ter sein“ immer­hin 14 Sei­ten. Und die haben es auch in sich, da ist fast durch­gän­gig min­des­tens eine Stim­me mit dem „tra­la­la“ beschäf­tigt, wäh­rend der Rest durch diver­se Takt- und Ton­ar­ten wan­dert.
Über­haupt: So arg besinn­lich ist die­se Advents­zeit nicht. Sicher, es gibt ruhi­ge Momen­te: Hei­ke Beck­mann hat etwa eine sehr schö­ne, ver­hal­te­ne Swing-Ver­si­on von „Lei­se rie­selt der Schnee“ bei­gesteu­ert, die ganz fein glit­zert. Und Rei­ko Füting lässt den Chor in „O Hei­land, reiß die Him­mel auf“ vom ver­hau­chen­den Tenor­so­lo bis zum mas­si­ven Tut­tik­lang die Him­mels­be­we­gung im Wech­sel von Bei­na­he-Still­stand und beweg­ter Rhyth­mik dyna­misch nach­zeich­nen. Die Band­brei­te ist über­haupt sehr groß, denn die Sät­ze sind durch­weg sehr indi­vi­du­ell gear­bei­tet. Der Advents­ka­len­der bie­tet in einer anre­gen­den Mischung mit Niveau viel Pep, manch­mal auch etwas Show – aber wer braucht schon den 87. vier­stim­mi­gen homo­pho­nen Chor­satz von „Macht hoch die Tür“? Dann doch lie­ber Wil­liam Haw­leys wil­de Jagd zum tri­um­phie­ren­den Lob­preis Got­tes.

Die alten Sät­ze aller­dings – Crü­gers „Wie soll ich dich emp­fan­gen“ etwa, „Nun komm der Hei­den Hei­land“ von Prae­to­ri­us, Eccard, Schein und Vul­pi­us oder Bachs „Wachet auf“ und sein „Wie schön leuch­tet der Mor­gen­stern“ – wer­den die meis­ten Chö­re schon im Archiv haben. „Es kommt ein Schiff“ ist dafür zum Glück zwei Mal ver­tre­ten: Neben der bekann­ten Ver­si­on von Max Reger hat Sin­ger-Pur-Bass Mar­cus Schmidl ein geheim­nis­voll rau­nen­des, das Mys­te­ri­um des Glau­bens beschwö­ren­de Arran­ge­ment geschrie­ben. Auch sei­ne Ver­si­on von „Toch­ter Zion“ geht, so harm­los sie anfängt, eige­ne Wege: klei­ne rhyth­mi­sche Wider­ha­ken und eine behut­sa­me har­mo­ni­sche Moder­ni­sie­rung geben Hän­dels Klas­si­ker fri­schen Glanz.

Sin­ger Pur (Hrsg.): Der Sin­ger Pur Advents­ka­len­der. 24 Lie­der zum Advent für SAATBB. Mainz: Schott 2015. ED 22344.

(Zuerst erschie­nen in „Chor­zeit – Das Vokal­ma­ga­zin“, Novem­ber 2015)

Flashdance, Easy Lover & Fix You: Moderne Pop-Chor-Arrangements von Martin Seiler

„I am music now!“ heißt es im Refrain von „What a fee­ling“. Und tref­fen­der lässt sich das Arran­ge­ment aus der Feder von Mar­tin Sei­ler kaum beschrei­ben: Hier kann man als Sänger/​Sängerin – und auch als Zuhö­rer – voll­kom­men in die Musik ein­tau­chen. Dabei ist das nur eines von drei Arrag­ne­ments, die Sei­ler im Helb­ling-Ver­lag vor­legt: neben „What a fee­ling“, bekannt vor allem als Film­mu­sik aus „Flash­dance“, noch Phil Coll­ins‘ „Easy Lover“ und „Fix You“ von Cold­play. Drei eher gefüh­li­ge Songs also – eigent­lich alles Moder­ne Ever­greens – für die Pop.Voxx-Reihe im Helb­ling-Ver­lag.

Sei­ler weiß, was er macht, wenn er so bekann­te Vor­la­gen arran­giert. Denn sei­ne Sät­ze beru­hen auf sei­ner Arbeit für und mit „Greg is back“, sei­nem eige­nen A‑Cap­pel­la-Pop­chor. Das zeigt sich sofort, wenn man die Par­ti­tu­ren auf­schlägt: Die sind näm­lich für SMATB mit zusätz­li­cher Solo­stim­me (für die Melo­die) bzw. im Fal­le von Phil Coll­ins „Easy Lover“ sogar für SSMATB gesetzt, wozu immer noch eine (optio­na­le), aber emp­feh­lens­wer­te Beat­box kommt. Das heißt aber nicht, dass die alle durch­ge­hend sechs- bis sie­ben­stim­mig klin­gen. Aber ande­rer­seits wer­den ein­zel­ne Stim­men auch ab und an noch bis zu drei­fach auf­ge­teilt. Also: Für Anfän­ger oder popun­ge­üb­te Chö­re ist das nicht die ers­te Wahl, die ein­zel­nen Stim­men müs­sen in sich sta­bil und rhyth­misch ver­siert sein, sind aber – man merkt die Pra­xis­er­fah­rung – immer gut sing­bar.

Bei Sei­ler heißt das aber auch: Alle Stim­men wer­den wirk­lich gefor­dert, auch die Begleit­stim­men haben’s näm­lich nicht immer ein­fach. Dabei, das gilt für alle Sät­ze drei glei­cher­ma­ßen, bekom­men sie sehr ein­falls- und ideen­rei­che Kost: Lee­re Flos­keln fin­det man hier nicht. Das hängt viel­leicht auch damit zusam­men, dass Sei­ler sei­ne Arran­ge­ments dra­ma­tur­gisch sehr geschickt auf­baut. Gera­de „What a fee­ling“ und „Fix You“ pro­fi­tie­ren sehr von der gro­ßen Brei­te an Aus­drucks­mit­teln, die er ein­setzt. Ener­gie und Empa­thie wer­den den Chö­ren nicht über­las­sen, son­dern sind in den Noten­text ein­ge­baut. Der ist dann auch ent­spre­chend detail­liert aus­ge­ar­bei­tet und bis in Klei­nig­kei­ten aus­ge­feilt – für „Easy Lover“ braucht Sei­ler des­halb gan­ze 20 Sei­ten, weil er sel­ten ein­fach etwas wie­der­holt, son­dern immer wie­der vari­iert und neue Begleit­mus­ter ein­führt.

Obwohl alle Songs sofort als Cover­ver­sio­nen gro­ßer Hits erkenn­bar sind, begnügt sich Sei­ler nicht mit einer rei­nen voka­len Kopie. Klar, wesent­li­che Momen­te – wie etwa das instru­men­ta­le Zwi­schen­spiel bei „Fix You“ – tau­chen natür­lich hier auch auf, sehr geschickt und mit viel Gespür für effekt­vol­le Klän­ge für „sei­ne“ Beset­zung adap­tiert. Aber sie haben, vor allem durch die viel­schich­ti­ge Beglei­tung, auch einen eige­nen Klang. Und damit bekom­men die­se Arran­ge­ments sozu­sa­gen ein dop­pel­tes Hit­po­ten­zi­al.

Mar­tin Sei­ler (Arran­ge­ment): Flashdance…What a Fee­ling (SMATB), ISBN 978−3−99035−374−5 – Easy Lover (SSMATB), ISBN 978−3−99035−373−8 – Fix You (SMATB), ISBN 978−3−99035−372−1. Alle im Helb­ling-Ver­lag, Rei­he Pop.Voxx, 2015.

(Zuerst erschie­nen in „Chor­zeit – Das Vokal­ma­ga­zin“)

Immer noch kein schöner Land

wilfried fischer, kein schöner landVon Loth­rin­gen bis nach Ost­preu­ßen, vom Shan­ty im nie­der­deut­schen Platt bis zum mozärt­li­chen Wien der Zau­ber­flö­te reicht das Ein­zugs­ge­biet von „Kein schö­ner Land“. Noch eine Volks­lied-Samm­lung für Chö­re also? Gibt es davon nicht längst genug? Sicher, aber nicht so eine. Denn die übli­chen Edi­tio­nen set­zen immer noch einen klas­si­schen vier­stim­mi­gen Chor vor­aus – und sind des­halb für Ensem­bles mit knap­per Män­ner­be­set­zung oft kaum geeig­net.

Wil­fried Fischer ist nun schon seit eini­ger Zeit unter dem Titel „Chor zu dritt“ dabei, ein Reper­toire für drei­stim­mi­gen Chor auf­zu­bau­en, genau­er: für Chö­re mit eben nur einer Män­ner­stim­me. Auch der vier­te Band setzt sich die­ses Ziel, bleibt dafür aber nicht bei purer Drei­stim­mig­keit ste­hen: Stimm­tei­lun­gen, haupt­säch­lich im Sopran, gehö­ren auch hier natür­lich zum Hand­werks­zeug der Arran­geu­re. Aber für Män­ner wird eben nie mehr als eine Stim­me gesetzt – die aller­dings hin und wie­der für Bäs­se recht hoch liegt.
Die Idee des Volks­lie­des hat Fischer dabei recht breit gefasst: Unter den hier vesam­mel­ten 93 Sät­zen sind nicht weni­ge geist­li­che Lie­der und Cho­rä­le. Über­haupt ist die Aus­wahl nicht immer ganz nach­voll­zieh­bar: Eini­ges sehr bekann­tes fehlt, dafür ist ande­res nicht so weit ver­brei­te­tes ent­hal­ten – aber bei knapp 100 Lie­dern bleibt das nicht aus. Mate­ri­al bie­tet der Band auf sei­nen gut 200 Sei­ten aber mehr als genug. Ger­ne greift Fischer dabei auch auf vor­han­de­ne Sät­ze nam­haf­ter Kom­po­nis­ten zurück, die den neu­en Anfor­de­run­gen behut­sam ange­passt wer­den: Von Hein­rich Isaac bis Ernst Pep­ping, von Felix Men­dels­sohn Bar­thol­dy und Johan­nes Brahms bis Her­mann Schroe­der reicht der Griff ins Archiv.

Neben Fischer selbst, der ein Groß­teil der Arran­ge­ments und Bear­bei­tun­gen bei­steu­ert, sind u.a. Pas­cal Mar­ti­né, Cars­ten Ger­litz und Burk­hard Kinz­ler mit diver­sen neu­en Sät­zen ver­tre­ten. Die Arran­ge­ments selbst sind immer min­des­tens soli­de, aber oft für drei­stim­mi­ge Sät­ze auhc über­ra­schend klang­voll und wir­kungs­voll. Den meis­ten merkt man posi­tiv an, dass die Drei­stim­mig­keit hier nicht nur als Man­gel gedacht wird, son­dern als Her­aus­for­de­rung und Chan­ce. Aus der genaue­ren Beschäf­ti­gung mit den Mög­lich­kei­ten der Beset­zung ent­wi­ckeln die Arran­geu­re dabei immer wie­der sehr kla­re und fili­gra­ne, sehr leben­di­ge und beweg­te Sät­ze, die im vier­stim­mi­gen Chor so kaum funk­tio­nier­ten.
Dabei sind die Sät­ze dem Sujet ent­spre­chend ins­ge­samt – selbst noch in den aus­ge­feil­te­ren Bear­bei­tun­gen – eher zurück­hal­tend und schlicht in dem Sin­ne, dass Sät­ze ger­ne hin­ter Melo­die und Text zurück­ste­hen. Stil­si­cher und ver­nünf­tig spricht aus den Arran­ge­ments weni­ger Expe­ri­men­tier­freu­de, dafür viel Erfah­rung und Ein­füh­lungs­ver­mö­gen – und nicht zuletzt der Ver­such, ein mög­lichst brei­tes Publi­kum – sin­gend und hörend – zu errei­chen.

Wil­fried Fischer (Hrsg.): Kein schö­ner Land. Deut­sche Volks­lie­der aus 4 Jahr­hun­der­ten (Chor zu dritt, Band 4). Mainz: Schott 2015. 214 Sei­ten. 19,50 Euro.

— Zuerst erschie­nen in Chor­zeit—Das Vokal­ma­ga­zin, Aus­gabe #18, Juli/​August 2015.

Ins Netz gegangen (9.12.)

Ins Netz gegan­gen am 9.12.:

  • 30. Neo­hi­sto­flo­xi­kon oder Neue Flos­keln braucht das Land | Geschich­te wird gemacht – achim land­wehr wird grund­sätz­lich:

    Es ist eigent­lich immer an der Zeit, das eige­ne Den­ken über Ver­gan­gen­heit und Geschich­te mal etwas durch­zu­schüt­teln und auf den grund­sätz­li­chen Prüf­stand zu stel­len.

  • Who is afraid of jazz? | Jazz­Zei­tung – „Wer hät­te gedacht, dass ich sogar Bruck­ner ein­mal span­nen­der und fre­ne­ti­scher fin­den wür­de als neu­en Jazz!“
  • Essay: Schläf­rig gewor­den – DIE WELT – er ost­eu­ro­pa-his­to­ri­ker karl schlö­gel wider­spricht in der „welt“ den ver­fas­sern & unter­zeich­nern des auf­ru­fes „wie­der krieg in euro­pa?“ – mei­nes erach­tens mit wich­ti­gen argu­men­ten:

    Denn in dem Auf­ruf ist neben vie­len All­ge­mein­plät­zen, die die Eigen­schaft haben, wahr zu sein, von erstaun­li­chen Din­gen die Rede. So lau­tet der ers­te Satz: „Nie­mand will Krieg“ – so als gäbe es noch gar kei­nen Krieg. Den gibt es aber. Rus­si­sche Trup­pen haben die Krim besetzt
    […] Aber­mals ist vom „Nach­barn Russ­land“ die Rede: Wie muss die Kar­te Euro­pas im Kopf derer aus­se­hen, die so etwas von sich geben oder mit ihrer Unter­schrift in Kauf neh­men! Pein­lich – und wahr­schein­lich in der Eile von den viel beschäf­tig­ten, ernst­haf­ten Unter­zeich­nern nicht zur Kennt­nis genom­men – die Behaup­tung, Russ­land sei seit dem Wie­ner Kon­gress Mit­ge­stal­ter der euro­päi­schen Staa­ten­welt. Das geht viel wei­ter zurück, wie auch Lai­en wis­sen, die schon von Peter dem Gro­ßen gehört haben. Und aus­ge­rech­net die Hei­li­ge Alli­anz zu zitie­ren, mit der die Tei­lung Polens zemen­tiert, die pol­ni­schen Auf­stän­de nie­der­ge­wor­fen und die 1848er-Revo­lu­ti­on bekämpft wor­den ist – das passt nicht gut zur Ernst­haf­tig­keit eines um den Dia­log bemüh­ten Unter­neh­mens. Vom Molo­tow-Rib­ben­trop-Pakt – eine zen­tra­le Erfah­rung aller Völ­ker „dazwi­schen“ und im 75. Jahr der Wie­der­kehr des Ver­tra­ges, der den Zwei­ten Welt­krieg mög­lich gemacht hat – ist im Text gar nicht die Rede, ein­fach zur Sei­te gescho­ben, „ver­drängt“.

  • Was bewegt Yvan Sagnet?: Hoff­nung der Skla­ven | ZEIT ONLINE -

    Arbei­ter aus dem Sudan, aus Bur­ki­na Faso, aus Mali, aus fast jedem Land Afri­kas. In dre­cki­gen Män­teln suchen sie vor den Müll­hau­fen nach Ver­wert­ba­rem. Es ist, als wür­de man durch einen düs­te­ren, apo­ka­lyp­ti­schen Roman von Cor­mac McCar­thy fah­ren. An den Feld­we­gen, die von den Land­stra­ßen abge­hen, ste­hen Pro­sti­tu­ier­te. Rumä­nin­nen und Bul­ga­rin­nen. So sieht es aus, das Herz der ita­lie­ni­schen Toma­ten­pro­duk­ti­on.

    – fritz schaap in der zeit über den ver­such des gewerk­schaf­ters yvan sagnet, die mise­ra­blen bedin­gun­gen der arbei­ter in ita­li­en, v.a. der ern­te­hel­fer, zu ver­bes­sern. der sagt u.a.

    „Der Käu­fer muss wis­sen: Wenn er in den Super­markt geht und ein Kilo­gramm ita­lie­ni­sche Toma­ten für acht­zig Cent kauft, dann wur­den die­se Toma­ten von mise­ra­bel ent­lohn­ten Arbei­tern geern­tet, die man ohne Wei­te­res als moder­ne Skla­ven bezeich­nen kann.“

  • Eine wich­ti­ge Infor­ma­ti­on der Ver­ei­nig­ten Geheim­diens­te – You­Tube – Bet­ter no Let­ter: Eine wich­ti­ge Infor­ma­ti­on der Ver­ei­nig­ten Geheim­diens­te (sie­he auch: The U.S.S.A. says: BETTER NO LETTER!)
  • Uni­on kri­ti­siert Rame­low-Wahl in Thü­rin­gen: Ver­lo­ge­ne Heul­su­sen | tagesschau.de – wow, bei der ARD & der Tages­schau ist jemand genau­so ange­wi­dert vom Ver­hal­ten der CDU in Thü­rin­gen wie ich
  • For­schung: So will doch kei­ner arbei­ten! | ZEIT ONLINE – For­schung: So will doch kei­ner an Unis arbei­ten! – Die­ses Mal mit einer His­to­ri­ke­rin
  • Zer­schla­gen, aber im Samm­lungs­kon­text erschließ­bar: In der Baye­ri­schen Staats­bi­blio­thek wur­de über den Ankauf des Schott-Archivs infor­miert | nmz – neue musik­zei­tung – Zer­schla­gen, aber im Samm­lungs­kon­text erschließ­bar: Die Bestän­de des Archivs des Schott-Ver­la­ges tei­len sich künf­tig auf die Staats­bi­blio­the­ken Mün­chen und Ber­lin sowie sechs For­schungs­ein­rich­tun­gen auf. Über den Kauf­preis wur­de Still­schwei­gen ver­ein­bart.
  • So ent­stand der Mythos der „Trüm­mer­frau­en“ – Poli­tik – Süddeutsche.de – die sz lässt sich von der his­to­ri­ke­rin leo­nie tre­ber noch ein­mal erklä­ren, woher die „trüm­mer­frau­en“ kom­men:

    Es wur­de ein äußerst posi­ti­ves Bild die­ser Frau­en ver­mit­telt: Dass sie sich frei­wil­lig und mit Freu­de in die har­te Arbeit stür­zen und den Schutt weg­räu­men, um den Wie­der­auf­bau vor­an­zu­trei­ben. Die PR war auch enorm wich­tig, weil die Trüm­mer­räu­mer – wie zuvor erwähnt – stig­ma­ti­siert waren und sol­che schwe­ren Jobs bis dahin eigent­lich nicht von Frau­en erle­digt wer­den soll­ten. Des­halb wur­de das Bild der „Trüm­mer­frau“ posi­tiv auf­ge­la­den mit den Ste­reo­ty­pen, die wir noch heu­te mit dem Begriff ver­bin­den.

  • Main­zer Schott-Musik­ver­lag: His­to­ri­sches Archiv wird öffent­lich zugäng­lich – Rhein­land-Pfalz | SWR.de – „opti­ma­le Erschlie­ßung“ = Zer­stö­rung des Zusam­men­hangs. Schott-Musik­ver­lag: Archiv wird öffent­lich zugäng­lich
  • Hat die Jugend kei­nen Ehr­geiz mehr? | Blog Maga­zin – phil­ipp tin­gler über die gegen­wart, die kul­tur und den ehr­geiz zum glück:

    Gegen­wär­tig leben wir in einer Gesell­schaft, die Selbst­per­fek­tio­nie­rung, die Arbeit am Ich, als Selbst­ge­nuss pos­tu­liert; einer der letz­ten Leit­wer­te in der irre­du­zi­blen Viel­falt der uns allent­hal­ten umge­be­nen Kon­tin­genz­kul­tur ist: Authen­ti­zi­tät. Dafür steht auch Dia­ne von Fürs­ten­berg. Die Bio­gra­fie als Pro­jekt. Wenn jetzt also plötz­lich alle aus ihrem Leben ein Kunst­werk machen wol­len, dann ist das nicht nur ein ethi­scher, son­dern auch ein sehr ehr­gei­zi­ger Impe­ra­tiv: Lebens­wel­ten und ‑for­men wer­den ambi­tio­niert durch­äs­the­ti­siert, und das Pathos der Selbst­er­schaf­fung rich­tet sich auf die bei­den gros­sen Zie­le der Post­wachs­tums­ge­sell­schaft: Spass und Glück.
    […] Wir sehen also, dass Ehr­geiz durch­aus nicht ver­schwun­den ist, son­dern sich nur ver­irrt hat.

    sei­ne the­ra­pie ist übri­gens ziem­lich ein­fach (und wahr­schein­lich gar nicht so ver­kehrt): selbst­iro­nie als die „schöns­te Form der Eigen­lie­be“

  • Duden | Kon­rad-Duden-Preis 2014 geht an Dama­ris Nüb­ling | – Der Kon­rad-Duden-Preis 2014 geht an @DFDmainz-Projektleiterin Dama­ris Nüb­ling
  • E‑Books: Wir sind die Fähr­ten­le­ser der neu­en Lite­ra­tur – Bücher – FAZ – elke hei­ne­mann über die viel­falt der neu­en (klei­ne) e‑book-ver­la­ge:

    Dich­tung ist längst auch digi­tal: Auf der Suche nach E‑Books abseits des Main­streams führt der Weg in Deutsch­land vor allem nach Ber­lin. Doch die enga­gier­ten Spe­zi­al­ver­la­ge haben auch spe­zi­el­le Pro­ble­me.

  • Gen­der-Debat­te: Anschwel­len­der Ekel­fak­tor | ZEIT ONLINE – wun­der­bar: robin det­je rech­net gna­den­los mit den kolum­nen­het­zern #ulfha­rald­jan­mat­thi­as aber (scha­de nur, dass das bei der @Zeit wie­der nie­mand lesen wird und harald des­halb wei­ter die leser­schaft ver­gif­ten darf):

    Heu­te tobt die Schluss­strich­de­bat­te Femi­nis­mus. Ende: nicht abzu­se­hen. Altern­de Män­ner an vor­ders­ter Front. Hoher Unter­hal­tungs­wert, aber auch anschwel­len­der Ekel­fak­tor. Die Argu­men­ta­ti­on wie­der fas­zi­nie­rend: Femi­nis­mus gibt es inzwi­schen doch schon so lan­ge, das nervt, Frau­en ner­ven ja immer, und die Frau­en wol­len offen­bar tat­säch­lich, dass wir Män­ner unser Ver­hal­ten ändern, wes­halb jetzt wir die eigent­li­chen Opfer sind.
    […] Und des­halb husch, husch, ihr all­män­ner­mäch­ti­gen Dis­kurs­be­herr­scher, zurück in eure Eck­knei­pe. Die jetzt lei­der von einem Gen­der-Stu­dies-Les­ben‑, Tran­sen- und X‑trupp über­nom­men wird, und ihr schiebt für eine Wei­le in der Küche Abwasch­dienst.

    Ent­schul­di­gung, aber das wird man sich als auf­ge­klär­ter, älte­rer deut­scher Mann doch noch wün­schen dür­fen.

  • “Femi­nis­mus kann nie­mals Life­style sein” • Denk­werk­statt – gabrie­le mich­alit­sch im inter­view mit eini­gen sehr rich­ti­gen beob­ach­tun­gen:

    Femi­nis­mus kann nie­mals Life­style sein, Femi­nis­mus ist immer poli­tisch. Wenn die Medi­en eine sol­che Dis­kus­si­on befeu­ern, ist das eine Form von Anti­fe­mi­nis­mus und der Ver­such, den Begriff Femi­nis­mus zu ver­ein­nah­men, ihm sei­ne poli­ti­sche Rele­vanz abzu­spre­chen. Femi­nis­mus war zudem nie män­ner­feind­lich, er wur­de immer auch von Män­nern mit­ge­tra­gen. Wenn, dann wen­det er sich gegen bestimm­te Kon­zep­tio­nen von Männ­lich­keit – wie auch Weib­lich­keit. Wäre die­ser angeb­lich neue Femi­nis­mus nicht Gegen­stand öffent­li­cher Debat­ten, müss­ten wir uns erst gar nicht damit aus­ein­an­der­set­zen – in mei­nen Augen ist das eine anti­fe­mi­nis­ti­sche Stra­te­gie.

    und spä­ter auf den punkt gebracht:

    Wenn Femi­nis­mus auf Kar­rie­re mit Kin­dern redu­ziert wird, ist das das Ende des Femi­nis­mus.

Wunschzettel zum Singen

gies, wunschzettelWenn Oli­ver Gies sei­nen Wunsch­zet­tel selbst abar­bei­tet, dann dür­fen sich die Chö­re und ihre Chor­lei­te­rin­nen freu­en: Denn dann gibt es fei­ne neue Musik. Das gilt natür­lich auch für das Chor­heft „Wunsch­zet­tel. Neue Weih­nachts­lie­der für gemisch­ten Chor“, in dem Gies das auf­ge­schrie­ben hat, was er an Weinhan­ch­ten selbst ger­ne hören (und sin­gen) wür­de. Trotz des Unter­ti­tels haben sich dann doch drei tra­di­tio­nel­le Weih­nachts­lie­der in das neun Songs star­ke Heft ein­ge­schli­chen. Die sind aller­dings von Oli­ver Gies einer Gene­ral­über­ho­lung unter­zo­gen wor­den, so dass sie durch­aus wie­der (oder noch) als neu durch­ge­hen kön­nen: „Es kommt ein Schiff gela­den“, „Hört der Engel hel­le Lie­der“ und „Josef, lie­ber Josef mein“, das neben dem vier­stim­mi­gen Chor auch noch zwei Solis­ten benö­tigt, muss­ten ihren Staub und zumin­dest teil­wei­se auch ihre Tra­di­ti­on auf­ge­ben und sich ein neu­es Klang­ge­wand über­stül­pen las­sen. Eine Frisch­zel­len­kur nennt der Arran­geur das – und frisch klin­gen sie tat­säch­lich, die alten Lie­der. Am deut­lichs­ten wird das bei „Es kommt ein Schiff gela­den“, das viel von sei­ner alter­tüm­li­chen Fremd­heit ver­lo­ren hat: Die Melo­die wur­de rhyth­misch über­holt und die Har­mo­nik radi­kal moder­ni­siert. Vor allem aber hat Gies in sei­nem Arran­ge­ment mit etwas Klang­ma­le­rei jeder Stro­phe und den kur­zen Zwi­schen­stü­cken einen jeweils eige­nen Cha­rak­ter ver­passt, der dem Text – den wogen­den Wel­len, dem siche­ren Hafen und dem Erlö­ser (der natür­lich im rei­nen Dur erscheint) – ganz treu ent­spricht.

Frisch klin­gen aber auch die neu­en Lie­der von Oli­ver Gies eigent­lich durch­weg. Am wenigs­ten viel­leicht „Der alte Mann“, in dem Gies recht aus­führ­lich Glo­cken­klän­ge ver­ar­bei­tet und den alten Mann und die Zuhö­rer eine har­mo­nisch Fest­mes­se erle­ben lässt. Schick ist auch die „Wei­se aus dem Mor­gen­land“, deren Titel nicht ganz unab­sicht­lich dop­pel­deu­tig zu lesen ist, denn hier geht es um die Hei­li­gen Drei Köni­ge. Die prä­sen­tie­ren sich hier nicht nur mit einer ori­en­ta­lisch klin­gen­den Melo­die, son­dern vor allem als aus­ge­spro­chen rei­se­mü­de Köni­ge, mür­risch und gereizt – und müs­sen ohne ein Hap­py End aus­kom­men. Das ist in die­sem Heft aber sel­ten, denn Freu­de und Fröh­lich­keit herr­schen natür­lich auch dann vor, wenn Aus­wüch­se des Weih­nachts­fests the­ma­ti­siert wer­den wie die Hek­tik des Geschen­ke­kau­fens in „Weih­nachts­lie­der sin­gen“ oder die kuli­na­ri­sche Völ­le­rei bei „Hap­py Meal“. Das ist trotz sei­nes Titels ein gut-deut­sche Ange­le­gen­heit, mit Wild­schwein­bra­ten, Schnit­zel und natür­lich der unver­meid­li­chen Weih­nachts­gans – kein Wun­der, dass der gan­ze Chor da stöhnt: „heu­te gibt es alles und von allem zu viel“. Für den „Wunsch­zet­tel“ gilt das frei­lich nicht: Zu viel gibt es hier bestimmt nicht. Im Gegen­teil, das Kon­zept schreit gera­de­zu nach einer Fort­set­zung. Denn die Kom­po­si­tio­nen und Arran­ge­ments von Oli­ver Gies bie­ten nicht nur dem Publi­kum Unter­hal­tung, son­dern auch Abwechs­lung für alle vier Stim­men – die sich übri­gens, da war der Arran­geur prag­ma­tisch, mit gerin­gen (jeweils ver­merk­ten) Ände­run­gen auch auf SSAB ver­tei­len dür­fen. Das Rad wird dafür nicht neu erfun­den, aber auch mit blo­ßer akus­ti­schen Haus­manns­kost gibt sich Gies auch nicht zufrie­den: Alle Sät­ze zeich­nen sich durch ihr Ein­füh­lungs­ver­mö­gen in die jeweils eige­ne klang­li­che Gestalt aus, sind aber nie über­frach­tet mit „Ein­fäl­len“. Zumal den „Wunsch­zet­tel“ zwar sicher nicht jeder Chor vom Blatt sin­gen kön­nen wird, die tech­ni­schen Her­aus­for­de­run­gen im Gegen­teil zum klang­li­chen Ergeb­nis aber trotz­dem mäßig sind.

Oli­ver Gies: Wunsch­zet­tel. Neue Weih­nachts­lie­der für gemisch­ten Chor. Bos­se 2014. BE 495.
(zuerst erschie­nen in „Chor­zeit – Das Vokal­ma­ga­zin“, Aus­ga­be 11/​2014)

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Kanonische Kanons

„Der Kanon fängt harm­los an“ – aber damit ist schnell Schluss. „33 neue Kanons“ haben Oli­ver Gies und Bert­rand Grö­ger, die man hier wohl nicht mehr vor­stel­len muss, ver­öf­fent­licht. 33 neue Kanons, das ist eine Men­ge Mate­ri­al: meist drei- oder vier­stim­mig gedacht, für Män­ner- und Frau­en­stim­men oder gemisch­te Chö­re und Sing­grup­pen glei­cher­ma­ßen geplant, sind die neu­en Kanons klei­ne Kunst­wer­ke , die alles ande­re als harm­los sind. Aber auch alles ande­re als lang­wei­lig. Denn die Samm­lung bie­tet viel mehr, als die Zahl ver­mu­ten lässt. Alle Kanons sind gewis­ser­ma­ßen mul­ti­funk­tio­nal: Natür­lich liegt das in der Sache, ein Kanon lässt sich immer auf vie­ler­lei Wei­se sin­gen und auf­füh­ren. Die bei­den Kom­po­nis­ten geben den Chor­lei­tern und Chor­lei­te­rin­nen aber gleich noch eine Men­ge Ideen, Hin­wei­se und Mate­ria­li­en an die Hand, wie selbst „ein­fa­che“ Kanons nicht zu gro­ßer Kunst, aber zu span­nen­der musi­ka­li­scher Unter­hal­tung oder unter­halt­sa­mer Musik wer­den kön­nen: Chor­spaß wird hier groß­ge­schrie­ben – auch wenn die Tex­te manch­mal etwas bemüht lus­tig sind.

Zu jedem Kanon fin­den sich – teil­wei­se mehr­fa­che – Kla­vier­be­glei­tun­gen, Vor‑, Zwi­schen- und Nach­spie­le, Body-Per­cus­sions, ergän­zen­de Begleit-Phra­sen und Neben­stim­men (ganz wun­der­bar mit Zita­ten zum Bei­spiel beim „Weg zur Oper“), aber auch zusätz­li­che Instru­men­te und vie­les mehr. Der eigent­li­che Wert die­ses Hef­tes liegt genau in die­sen rei­chen Arran­ge­ment-Ideen, die über das übli­che ver­setz­te Ein­set­zen und Sin­gen bis zum Abwin­ken weit hin­aus­ge­hen und das Kano­nie­ren zum fast sport­li­chen Akt wer­den las­sen.

Die Kanons selbst sind sti­lis­tisch eben­falls ange­nehm viel­fäl­tig, sie rei­chen vom eher simp­len Warm-up bis zur veri­ta­blen Cho­re­tü­de, von der Kon­zert­zu­ga­be bis zur Pobe­an­auf­lo­cke­rung und ‑hei­te­rung. Und die „Sal­sa-Susi“ steht hier nicht nur alpha­be­tisch neben dem „Schla­fe, mein Kind­lein“ (übri­gens ein wun­der­bar gemei­nes „Schlaf­lied“): Abwechs­lung ist Pro­gramm, Gegen­sät­ze bie­tet jede neue Dop­pel­sei­te. Von der schlich­ten Abwechs­lung für den Pro­ben­all­tag bis hin zu aus­ge­feil­ten Sca­te­tü­den, die selbst geprobt sein wol­len, span­nen sich die Kanons, vom „Bier“ über den „Chor der Müll­ab­fuhr“ bis zur gesun­gen Cho­reo­gra­fie. Die Kanons boh­ren sich als Ohr­wurm shcon mal tief ins Bewusst­sein. Ganz schlimm wird es dann, wenn nicht nur die Musik immer wei­ter geht, son­dern auch der Text sich im Zir­kel bewegt, wie es „Ein Tag wie die­ser“ vor­führt. Und ob man will oder nicht, ob man’s gera­de gut fin­det oder nicht, da kann man nur noch – sin­gend natür­lich – rufen: „Der Kanon hört nicht mehr auf!“.

(geschrie­ben für die Neue Chor­zeit.)

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