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Feine Klangkunst: Yulianna Avdeeva in Mainz

Robert Schu­mann war begeis­tert von ihnen: Fré­de­rich Cho­pins 24 Pré­ludes op. 28, die er als „Skiz­zen, Etu­den­an­fän­ge, oder will man, Rui­nen, ein­zel­ne Adler­fit­ti­ge, alles bunt und wild durch­ein­an­der“ cha­rak­te­ri­sier­te. Vor allem waren sie ihm ein Zei­chen der Kün­heit und Genia­li­tät des Kom­po­nis­ten­kol­le­gen. Und wenn man sich anhört, wie Yuli­an­na Avdeeva den Zyklus im Frank­fur­ter Hof spiel­te, möch­te man Schu­mann unbe­dingt zustim­men.

Das liegt nicht dar­an, dass Avdeeva bei ihrem Main­zer Gast­spiel im Rah­men der Rei­he „Inter­na­tio­na­le Pia­nis­ten“ die Vir­tuo­si­tät der 24 kur­zen Stü­cke beson­ders beton­te. Son­dern dar­an, dass sie den gan­zen Zyklus beseel­te. Und das heißt vor allem, dass sie aus­ge­spro­chen viel­fäl­tig spiel­te. Manch­mal ist das pure Ver­füh­run­gen, dann wie­der rei­ne Vir­tuo­si­tät, mal sind es hei­ter per­len­de schein­ba­re Leich­tig­kei­ten, mal düs­te­re Visio­nen. Aber alles lebt, immer atmet der Kla­vier­ton. Und stets ist die Poe­sie der Pré­ludes zu hören – nicht nur der Noten, son­dern auch des Klangs. Denn vor allem im lei­se­ren, gedämpf­ten Regis­ter kann Avdeeva aus dem Flü­gel im Frank­fur­ter Hof viel her­aus­ho­len. Ohne Schwulst spielt sie, aber mit einem fei­nen Ohr für die Zwi­schen­rei­che der Stim­mun­gen, die leich­ten Ein­trü­bun­gen, aber auch die vor­sich­ti­gen opti­mis­ti­schen Anwand­lun­gen – und den fähi­gen Fin­gern, das genau umzu­set­zen. So zei­gen sich die Pré­ludes bei ihr in der Ver­bin­dung von Vir­tuo­si­tät und Innig­keit als wirk­lich roman­ti­sche Musik.

Das liegt auch dar­an, dass ihr war­mer, sanft gerun­de­ter Ton mit der nöti­gen Sta­bi­li­tät für die­se Viel­falt nur in sehr geschwin­den und lau­ten Pas­sa­gen etwas hart und grell wird. Dafür ist ihre Klang­fül­le im pia­nis­si­mo gran­di­os. Aber sowie­so ist es gar nicht so sehr das auf­brau­sen­de Moment, das in ihrer Inter­pre­ta­ti­on begeis­tert, son­dern das zurück­ge­nom­me­ne, melan­cho­li­sche: Da sind die Töne ein­fach viel far­bi­ger, selbst in der Schwarz-Weiß-Welt noch viel­fäl­ti­ger dif­fe­ren­ziert als in den stür­me­ri­schen Pré­ludes, die bei Avdeeva oft etwas grell und fast geschwät­zig wir­ken.

Fast magisch klan­gen unter ihren Hän­den auch die eher sel­ten zu hören­den „Drei Kla­vier­stü­cke“ von Franz Schu­bert. Spä­te Wer­ke sind das, geschrie­ben im Todes­jahr des Kom­po­nis­ten, deren nach­denk­li­chen Töne man heu­te fast schon die Ahnung des Todes unter­stel­len möch­te. Vol­ler Sub­ti­li­tät und mit einem sehr fra­gen­den, immer suchen­den Ton spielt Avdeeva sie als Musik, die nicht alles weiß und ihre Lücken kennt – eine Musik der Ver­ge­wis­se­rung und Suche, die hier in star­ker emo­tio­na­ler Span­nung mit sou­ve­rä­ner Zart­heit fast die Zeit auf­zu­he­ben ver­mag.
Ser­gej Pro­kof­jews sieb­te Kla­vier­so­na­te wirk­te zwi­schen die­sen bei­den Roman­ti­kern fast wie ein Fremd­kör­per – nicht wegen sei­ner Moder­ni­tät, son­dern wegen sei­ner leben­di­gen Schroff­heit, die bei Avdeeva frei­lich nur in einer etwas glatt­ge­bü­gel­ten Ver­sio­nen erschei­nen: Gera­de die Ner­vo­si­tät der Musik spielt hier kei­ne beson­de­re Rol­le. Das liegt auch dran, dass gro­ße Ges­ten bei ihr immer blo­ße Ges­ten blei­ben und nie so zwin­gend sind wie der inten­si­ve Aus­druck, den sie gera­de den unschein­ba­ren Momen­ten der Sona­te mit auf den Weg gibt. Die wirk­li­che Emo­ti­on steckt eben immer im Detail – und die Inten­si­tät eben­so.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung.)

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  1. matthias mader (@matthias_mader)

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