- Da hat er sich wieder etwas ausgedacht, der Michelstädter Kirchenmusiker Hans-Joachim Dumeier: „Eine große Nachtmusik“. Und groß ist die Musik in vielerlei Hinsicht. Auch wenn er sich die (fast) kürzeste Nacht des Jahres für sein neuestes Experiment ausgesucht hat. Ein Versuch ist es, die ganze Nacht hindurch zu musizieren und dabei „den Verlauf der Nacht auch musikalisch zu erleben“, wie Dumeier seine Idee erläutert. Doch die Michelstädter sind das nächtliche Zuhören inzwischen offenbar gewöhnt – die Stadtkirche war jedenfalls gut gefüllt.
- Zunächst musste aber der Tag verabschiedet werden – noch war es draußen ja auch recht hell, die Dämmerung hatte ja gerade erst eingesetzt. Hans-Joachim Dumeier und Wolfgang Körber taten das zusammen, an der Orgel, mit Andreas Willschers „Sterbender Tag in Mähren“. Dieser Tag in Mähren ist aber recht hartnäckig, er stirbt nur zögerlich und mit einem kräftigen Aufbäumen. Mit dieser kurzen, minimalistisch beeinflussten Musik war das Publikum dann bestens eingestimmt auf das, was da noch alles kommen sollte.
- Stück für Stück ging es in der folgenden Stunde dann tiefer ins Dunkel der Nacht. Noch war unter dem Motto „Nachklänge des Tages“ allerdings einiges zu verarbeiten an Erlebnissen und Gedanken. Florian und Elke Vogelsang taten das etwa mit der vielschichtigen „Arpeggione-Sonate“ von Franz Schubert. Bevor nun aber an Nachtruhe zu denken war, ließen Katharina Gerbig und Daniel Heck mit ihren Blockflöten-Duos erst noch die Szenerie einer abendlichen Gesellschaft aufscheinen. Und ihre vorzüglich musizierte Auswahl vom Barock bis zur Jetztzeit stellte nebenbei auch die Familie der Blockflöten vor.
- Doch damit war das Tagwerk vorerst zu Ende, nun zog der musikalische Mondschein in die Kirche ein – optisch vertreten durch die Kerzenbeleuchtung. Die Klassiker dazu spielte Sungma Schäffter: Den Anfang von Beethovens Mondscheinsonate und natürlich ein gefühlvolles, zum Glück aber jeden Anflug von Sentimentalität vermeidendes „Claire de Lune“ von Claude Debussy.
- Kurz vor Mitternacht wurd es dann wieder spannender und nervenaufreibender: Das lag zunächst Martin Engel, der vor allem mit Chopins erstem Scherzo eine hochdramatische, wild-rasende Fahrt in dunkle und komplex verwinkelte Traumwelten anbot. Zu Beginn der Geisterstunde zeigten Wolfgan Körber und Ernst Ruppert mit Camille Saint-Saens „Danse macabre“ die finstren, moribunden Gestalten, die nun aus ihren Löchern kriechen. Während anständige Bürger solche Schauergeschichten tiefschlafend ignorieren, sind unterdessen noch ganz andere Figuren unterwegs: Denn um diese Zeit der Nacht kommt so mancher erst richtig in Fahrt. Die Jazz-Fans zum Beispiel. Die porträtierte Christoph Schöpsdau vor allem mit seiner Version des Theolonius-Monk-Stanards „‘round midnight“. Aber auch die Mitte der Nacht blieb in der Stadtkirche nicht den Amüsierwilligen überlassen: Peter Martin stellte mit George Crumbs „Around midnight“, das Monks Klassiker in vielfältiger Weise verabeitet und varriert, avantgardistiche Hochkultur ans Ende dieser Stunde.
- Danach freilich musst die E‑Musik doch das Feld räumen. Die Big-Band der Musikschule Odenwald gab unter der Leitung von Jakob März eine Menge Klassiker des Swing zum Besten. Aber auch die Tanzwütigsten müssen irgendwann einmal schlafen und träumen. Und nach einem schlafwandlerischen Ausflug in fremde, vorwiegend südländische Länder, graute dann auch schon der Morgen – und die ersten Vögel fangen an zu lärmen und singen. Dafür musste natürlich Olivier Messiaen herhalten, bevor mit der sanften „Morgenstimmung“ des Edvard Grieg die Nacht ganz friedlich und behutsam ausklang. Und wer sich das alles angehört hat, der hat mit Sicherheit mehr als genug Musik für die ganze Woche getankt – und er darf dann auch mal den Tag verschlafen.
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