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Der Weltuntergang findet nicht statt — Ligetis “Macabre” in Mainz

Györ­gy Ligetis “Le Grand Macabre” habe ich bis gestern noch nie live gese­hen, son­dern bish­er nur als Musik bzw. Text gekan­nt. Und die Mainz­er Insze­nierung (auch für Mainz übri­gens das erste Mal, das auf die Bühne des Staat­sthe­aters zu brin­gen) ist nicht dazu ange­tan, das wesentlich zu ändern. Zumin­d­est im Moment nicht. Denn das, was Regis­seur Loren­zo Fioroni auf die Bühne von Paul Zoller gebracht hat, ließ mich ziem­lich rat­los zurück. Rat­los insofern, als mir über­haupt nicht klar wurde, was die Idee dieser Insze­nierung war.

Die musikalis­che Seite, die der Gen­eral­musikdi­rek­tor Her­mann Bäumer zu ver­ant­wortet, hat es mir sehr ange­tan. Bäumer lässt Ligetis nicht ganz ein­fache Par­ti­tur mit klar­er Kraft spie­len, die Organ­i­sa­tion der Klänge, die ein aus­ge­sprochen weites Spek­trum vom fein­sten Wis­chen bis zum mas­sivsten Dröh­nen umfassen, gelingt ihm aus­geze­ich­net. Erstaunt und über­rascht hat mich, das muss ich sagen, wie deut­lich und klar, wie sauber und durch­hör­bar das Mainz­er Orch­ester die Par­ti­tur ausleuchtet. Bäumer schafft es auch ziem­lich gut, die for­male Vielfalt von Ligetis Oper aufzuzeigen, ohne ins rein akademis­che Musizieren zu ver­fall­en. Zudem auch die Sänger des Ensem­bles sich bei der Pre­miere sehr gut präsen­tieren, vor allem der Piet von Alexan­der Spe­mann war sehr überzeu­gend, aber auch der gewichtige Nek­trotzar von Ste­fan Stoll ver­mochte zu gefall­en. Vor allem aber war das eine schöne Ensem­bleleis­tung, bei der das Niveau durch­weg sehr ansprechend war.

Klamauk statt Groteske

Ligetis Oper ist sich­er schwierig, ich bin mir auch über­haupt nicht sich­er, ob ich sie irgend­wie ver­ste­he. Aber, wie gesagt, diese Insze­nierung hil­ft mir dabei über­haupt nicht. Denn eine Inter­pre­ta­tion kann ich daraus kaum erken­nen. Das, was bei Ligeti im großen und ganzen als grotesk erscheint, zeigt sich hier vor allem als Kla­mauk. Und wenn es das nicht ist, ist es lang­weilige Leere — so die erste Szene, völ­lig belan­glos­es Herum­ste­hen und Herumgestikulieren auf der Bühne. Der Anfang war noch “nor­mal”, schlicht­es real­is­tis­ches Spiel ein­er Hochzeits­ge­sellschaft. Aber zunehmend driftet das immer mehr in den Kla­mauk ab, regressiert zum Blödeln — und das war nicht gemeint, da bin ich mir halb­wegs sich­er.

Die Bühne ist auch wieder so ein Fall. Riesige Kacheln prä­gen das Bild — oder auch nicht: Das ist irgend­wie ganz neu­tral, ohne Bedeu­tung. Dafür hat Zoller eine schön vari­able Bühne gebaut, mit der Drehbühne und vie­len einzel­nen Ele­mente, die de Büh­ne­nar­beit­er fleißig hin und her schieben dür­fen und kom­binieren (und die sich dafür auch ver­beu­gen dür­fen am Schluss). Teil­weise gibt das real­is­tis­che Räume (das Schlafz­im­mer und das Bad, sog­ar mit ganz detail­ge­treu mit den typ­is­chen Req­ui­siten eines Badez­im­mers), teil­weise aber ein­fach abstrak­te Flächen, die ein­fahc den Raum irgend­wie aufteilen. Auch eine riesige Spiegel­wand darf ab und an mit­spie­len. Und über allem schwebt eine orangene Lichtscheibe (die Sonne?) und eine kleinere weiße (der Mond?), die zum Schluss gemein­sam leucht­en. Und selt­samer­weise ist sie oben offen, die nicht sehr hoch gebaute Bühne, so dass der Schnür­bo­den und die Beleuch­tung zu sehen ist (nicht nur, wenn sie als Komet in den Zuschauer­raum strahlt). Das ist jet­zt irgend­wie nicht verkehrt, sagt mir alles aber über­haupt nichts. Ger­ade in der Mis­chung aus abstrak­ter Bühne und Real­is­mus (der in den Req­ui­siten udn  Kostü­men noch deut­lich­er ist)

Leere Gesten

So leer im Sinne von bedeu­tungs­los, wie sich die Bühne mir zeigt, wirk­te auch vieles von dem, was auf der Bühne geschah. Man kön­nte ja dur­chaus auf die Idee kom­men, dass die Geschichte eines von Astronomen vorherge­sagten Wel­tun­ter­gangs mit­samt des Wel­tenver­nichters Nekrotzar, der in Per­son auftritt und ein­greift, nicht nur auf der Ebene der The­ater­hand­lung eine — dort, im “schö­nen Breughel­land”, auch eine poli­tis­che — Bedeu­tung hat. Davon kann ich aber ein­fach nichts erken­nen. Daran krankt in meinen Augen ein­fach die ganze Insze­nierung: Sie sagt mir nichts. Nehmen wir etwa die Videokam­era und ‑pro­jek­tion. Am Anfang ist das aus der Hand­lung motiviert, als Kam­era­mann bei ein­er Hochzeits­ge­sellschaft. Das funk­tion­iert aber halt nur in der ersten Szene. Bei den weit­eren Auftrit­ten der Kam­era und ihrer Pro­jek­tion ist mir die Moti­va­tion — und der Sinn — dann völ­lig schleier­haft geblieben. Vor allem, wenn wir die Hand­lung auf der Bühne in einem kleinen, teil­weise ver­schobe­nen, Auss­chnitt aus der Vogelper­spek­tive mehrere Meter über den Fig­uren noch ein­mal sehen dür­fen. Was soll das?

Beze­ich­nend für die Leere der Inszierung sind aber auch andere Idee, z. B. auch die Idee, den Chor als Volk im Zuschauer­raum protestieren zu lassen: Das ist natür­lich sehr nahe­liegend, aber dann ein­fach nicht sehr span­nend und nicht sehr auf­schlussre­ich umge­set­zt. Die Trans­par­ente sind Platzhal­ter, das ste­ht “Neid” und “Geiz” drauf — was das wohl wieder soll? Dafür wer­fen sie mit zusam­mengeknäul­tem Papi­er, fuchteln mit den Armen nd verteilen Zettel — aber davon habe ich lei­der keinen bekom­men — ich ver­mute aber, dass da nichts wesentlich­es drauf­s­tand … Und natür­lich darf heute auch eine Anony­mous-/Guy-Fawkes-Maske nicht fehlen. Aber was sagt die uns hier? Was will die? Völ­lig schleier­haft …

Das klingt jet­zt vielle­icht alles neg­a­tiv­er als es eigentlich gemeint ist: Wirk­lich schlecht im Sinne von abstoßend, falsch oder unsin­nig war das gar nicht so sehr. Mir schien nur die Insze­nierung ein­fach leer und belan­g­los zu sein. Und das war mir ein biss­chen wenig, da ret­tet es die Musik alleine auch nicht mehr. Vielle­icht sind meine Erwartun­gen aber auch etwas hoch gewe­sen — wenn man eine Oper, ein Musik­the­ater­w­erk schon als Musik (und his­torischen Moment der Musikgeschichte) einiger­maßen gut ken­nt und oft gehört hat, hat es nach so langer Zeit eine Insze­nierung natür­lich schw­er, die aufge­baut­en Erwartun­gen zu erfüllen.

Györ­gy Ligeti: Le Grand Macabre. Oper in vier Bildern. Staat­sthe­ater Mainz, Pre­miere: 17.3.2012. Insze­nierung. Lorne­zo Fioroni. Musikalis­che Leitung: Her­mann Bäumer.

 

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Taglied 18.3.2012

  1. matthias koch

    Lieber Namensvet­ter, ich habe ger­ade Ihre Zeilen gele­sen und möchte ver­suchen, vielle­icht etwas Licht ins Dunkel zu brin­gen. Es gibt, wie so oft, natür­lich ver­schiedene Möglichkeit­en dieses Werk anzuge­hen. Mit Kla­mauk alleine ist es sicher­lich nicht getan. Vielle­icht sind viele Zuschauer mit­tler­weile ein­fach zu intellek­tuelles Regi­ethe­ater gewohnt. Manch­mal darf man sich auch ein­fach unter­hal­ten lassen. Als etwas anderes habe i c h diesen Abend nicht ver­standen. Sich­er, ich hätte mir etwas mehr Bit­terkeit und Bedeu­tung gewün­scht, dafür hätte man aber ein­fach ein paar Ideen weglassen müssen, wie z.B. die, zusät­zlich einge­fügten, Chorauftritte; nicht alle ste­hen so im Stück. Dadurch ging der Fokus auf die Bühne manch­mal ver­loren. Auf den Zetteln stand übri­gens a) das Wel­tun­ter­gangs­da­tum der Mayas und b) wur­den die 7 Tod­sün­den dargestellt. Nicht immer muss alles inter­pretiert oder gar ü b e r inter­pretiert wer­den.
    Das Ensem­ble war sehr gut, mich hat allerd­ings die Umwand­lung der Fig­ur “GoGo” in ein Revue­girl sehr gestört, zumal die Geschlechtlichkeit des Textes nicht verän­dert wurde. Die Fig­ur bekam für mich eine falsche Dimen­sion.
    Trotz­dem fand ich, es war ein Abend bei dem man sich dur­chaus sehr amüsieren kon­nte.

  2. d’ac­cord, amüsieren kon­nte man sich auf jeden Fall. Vielle­icht waren meine Erwartun­gen auch ein­fach zu hoch — das ist ja manch­mal so, wenn man eine Oper nur aus Par­ti­tur und Auf­nah­men ken­nt, aber noch nicht auf der Bühne gese­hen hat.

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