sammelbände zu besprechen ist meist keine besonders dankbare aufgabe — das editieren allerdings oft auch nicht. die regelmäßig übergroße zahl der beiträge, ihre methodische und thematische vielfalt und oft auch noch ihre stark divergierende qualität machen ein einheitliches urteil fast unmöglich. das gilt auch für den band “richard strauss und das musiktheater”, der die vorträge der gleichnamigen internationalen fachkonferenz in bochum 2001 versammelt. schon der titel zeigt ja an, wie umfassend das spektrum sein wird. zwei dutzend beiträge unterschiedlichsten umfangs und erkenntnisdichte füllen dann auch gut vierhundert seiten. und die herausgeberin julia liebscher betont auch ausdrücklich, das richard strauss aus allen möglichen blickwinkeln betrachtet werden soll, im verein mit theater- und filmwissenschaft, mit der librettoforschung und der dramaturgie. den angestrebten “methodologischen pluralismus” hebt sie zudem besonders hervor.
ein zweiter leitgedanke, der die meisten arbeiten prägt, ist die überzeugung von der modernität und fortschrittlichkeit sowie der “universalität” des strauss’schen oeuvre: “zweifellos ist strauss als letzter musiker der europäischen muikgeschichte zu würdigen, der jene universalität der musikalischen kultur repräsentierte, die in den pluralen kunstströmungen und spezialisierungen des 20. jahrhunderts endgültig zerbrochen ist” heißt es in der einführung von liebscher. den anhaltenden ruhm strauss’ auf diese faktoren zurückzuführen, hat sich ja in den letzten jahren — gegen etwa adornos frühes verdikt — zunehmend durchgesetzt.
der erste teil des bandes ist “musikalische dramaturgie” überschrieben und widmet sich vor allem den verschiedenen formen der überführung des (theater-)textes in musiktheater. und obwohl er damit auf eine lange forschungstradition aufbauen kann, ist er doch insgesamt der schwächste teil des bandes. die meisten aufsätze kauen nämlich bloß — teilweise sehr minutiös — die entstehungsgeschichten, die prozesse der zusammenarbeit zwischen librettist und komponist, also die transformationen von theater in oper bzw. musiktheater, durch. besondere erkenntnisse erwachsen daraus nicht oder zumindest arg selten. eine deutliche ausnahme ist allerdings jürgen maehders gekonnte studie zur “klangfarbenkomposition und dramatischen instrumentationskunst in den opern von richard strauss”. diese grundlegende arbeit, eine instrumentationsanalyse in der nachfolge von egon wellesz, macht sich die “interdependenz von klangfarbe und orchestersatz” mit der dramaturgischen aktion zu ihrem thema. und genau in dieser schnittmenge begibt er sich auf die suche nach der werkintention — eine mühsame aufgabe. vor allem die einführung neuer instrumente, die erweiterung und verdichtung des apparates lassen maehder dann strauss als nachfolger und fortsetzer der bemühungen richard wagners erkennen — ein nachfolger, der allerdings weit über seinen vorgänger hinausreicht. das vordringen in und ausloten von grenzbereichen orchestraler klangfarben wie dem tonhöhenlosen akkord und dem übergang zum geräusch, dem umschwung des verschmelzungsklanges in die verschleierung betonen die fortschrittlichkeit des opernkomponisten: “durch wechselseitige denaturierung der einzelnen töne erzeugte der komponist das erste »synthetische geräusch« der musikgeschichte, den grenzfall extremen instrumentatorischen raffinements.” und mit der hilfe einer detaillierten situierung der strauss’schen techniken in der orchestrationstechnik des fin de siècle kann maehder zu dem schluss kommen, dass mit strauss der abschied von der epigonalen nachfolge des musikdramas aus der “einsicht in das innerste seiner musikalischen sprache” vollzogen worden sei.
der zweite teil, “inszenierung — darstellung — gesang” vesammelt einige überlegungen zur aufführungspraxis. joachim herz als praktiker propagiert den begriff der “werkgerechtigkeit” anstelle der für ihn unmöglichen “werktreue” und legt anhand der “frau ohne schatten” die beweggründe seiner inszenierung dar. dabei kreist er in erster linie um das problem der verständlichkeit — eine inszenierung solle, so herz, sich darum bemühen, text, musik und vor allem die bühne, d.h. letztlich die ganze inszenierung besonders zur “explikation der fabel” zu nutzen — im falle seiner “frau ohne schatten” wäre das für ihn ein “hohelied von der veränderbarkeit des menschen”.
peter-michael fischer liefert eine sehr grundlegende und technisch solide arbeit zu den “anforderungen an die professionelle sängerstimme” und reflektiert dabei vor allem das problem des “opernmuseums”: jede zeitepoche hat nicht nur ein anderes stimmideal, sondern auch andere stimmtechnischen fähigkeiten und möglichkeiten, die es heute sowohl bei der besetzung als auch bei der interpretation entsprechend zu berücksichtigen gilt. im falle strauss sieht er das besondere in der etablierung eines neuen, aus dem natürlichen sprachduktus entwickelten gesangsstil durch den komponisten, der den belcanto um neue anforderungen — bedingt durch die erweiterte vertonung von sprache — ergänzt. thomas seedorf vervollständigt diese ausführungen mit seinem beitrag “kompositorische rollenkonzeption und sängerische realisierung” im wesentlich details. seedorf kann nämlich anhand der vorbereitung der uraufführungen zeigen, dass strauss, immer der theaterrealität verpflichtet, “im pragmatischen umgang mit dem eigenen werk” zu großen konzessionen hinsichtlich der details der stimmführung bereit war, um aus darstellerisch und musikalischen gründen gewünschten sängerinnen die entsprechenden partien zu ermöglichen und folgert daraus: “strauss hat auf seinem ursprünglichen ideal nicht bestanden, sondern andere interpretationen zugelassen.” eine solche, nämlich die ariadne-inszenierung von jossi wieler und sergio morabito, nimmt sich robert braunmüller zum gegenstand. er liefert eine ausführliche aufführungsanalyse und vergleicht dabei die konkrete inszenierungspraxis mit den vorgaben von strauss — mit ernüchterndem ergebnis. “seit jahren erschöpfen sich die meisten inszenierungen in der kontinuierlichen fortführung einer tradition.”
von dort aus ist der weg nicht weit zur untersuchung der rezeption(sgeschichte): die im dritten teil versammelten beiträge betonen durchweg die flexibilität des komponisten hinsichtlich der werktreue — solange die “intention” gewahrt blieb oder ihr damit gar gedient wurde, war strauss zu kürzungen und umstellungen, in guten augenblicken sogar zur umarbeitung fähig.
während roswitha schlötterer-traimer bei ihrer untersuchung der “musteraufführungen” unter clemens krauss in münchen immerhin noch so etwas wie eine grundtendenz der inszenierenden interpretation, nämlich das “streben nach größtmöglicher deutlichkeit” findet, begnügt sich günther lesnig gleich mit einer reinen datensammlung zu den salome-aufführungen in wien, mailand und new york. sonst glänzt der dritte, mit “rezeption” überschriebene teil vor allem durch seine glanzlosigkeit. hans-ulrich fuss kann in seiner untersuchung verschiedner aufnahmen der salome immerhin zeigen, dass es bei strauss nicht immer sinnvoll ist, möglichst exakt zu spielen: bestimmte texturen fordern die undeutlichkeit als eigenständiges ästhetisches attribut überhaupt erst heraus. und martin elste macht sich einige gedanken über den unterschied einer oper als tonaufnahme oder als theater: grundverschiedene tempi-notwendigkeiten für entsprechende dramaturgische effekte fordert er etwa. vor allem aber: “das bloße hören einer oper kommt dem eintauchen in eine traum‑, in eine scheinwelt gleich” — und konstantiert dann noch wenig überraschend: “oper von schallplatte wird primär als absolute musik gehört.” das verbindet er — ein wenig paradox — mit der quasi-natürlichen bevorzugung der sprache, d.h. der gesangsstimmen bei tonaufnahmen. er sieht dann darin auch eine nahezu ideale rezeptionsweise der oper — befreit von allen nebensächlichkeiten, als purer akustischer traum. das scheint mir aber dann doch ein arger fehlschluss, der viel zu stark von der persönlichen faszination des autors durch opernaufnahmen ausgeht — es gibt ja durchaus auch rezipienten, die opern mehr oder weniger ausschließlich in der kombination aus akustischen und visuellen reizen genießen können.
anderes schließlich sammelt sich unter der rubrik “trivia”: richard strauss’ leben und werke sind ja nicht ganz unerforscht. da kann man sich also auch durchaus mal auf nebenschauplätzen tummeln und dort nach interessantem material suchen. der ertrag lässt freilich wiederum meist zu wünschen übrig. und dennoch, schließlich ist strauss’ werk auch noch nicht wirklich umfassend und detailliert untersucht — da böten sich durchaus noch möglichkeiten für interessante analysen — die allerdings auch zeitgemäße methoden erforderten. aber damit hat, und das zeigt dieser band in seiner gesamtheit eben auch, die musikwissenschaft nicht immer die glücklichste hand: das meiste hier vesammelte ist in dieser hinsicht vor allem hochgradig unspektakulär, unbedarft bis unreflektiert und arbeitet mit altmodischer, teilweise auch einfach unzureichender methodik. dass etwa die musik strauss “an der lebendigen aufführung orientiert” und “auf unmittelbar sinnliche gegenwart” ausgerichtet ist (hans-ulrich fuss), wird zwar wiederholt angemerkt, schlägt sich in den analysen aber erstaunlich wenig nieder. vermutlich ist genau das einer gründe, warum die erforschung der musiktheaterproduktion richard strauss’, wie sie dieser band präsentiert, oft so bieder und altbacken wirkt.
julia liebscher (hrsg.): richard strauss und das musiktheater. bericht über die internationale fachkonferenze bochum, 14. bis 17. november 2001. berlin: henschel 2005.