ja genau, so heißt näm­lich der neueste lyrik­band von ger­hard falkn­er. genauer gesagt: gegen­sprech­stadt — ground zero. und im grunde ist es auch gar kein lyrik­band, son­dern nur ein gedicht, ein langes eben — so ca. 70 seit­en. und es kommt nicht nur in der kook­books-typ­is­chen ausstat­tung daher, son­dern auch noch mit cd. dadrauf hat falkn­er große teile (lei­der nicht alles) seines gedicht­es gele­sen, und david moss macht ein wenig musik dazu. allerd­ings sehr wenig — das ist ziem­lich ent­täuschend: ein mitschnitt ein­er live-lesung, zu der moss nicht beson­ders viel einge­fall­en ist — ein eher ungewöhn­lich­er zus­tand für diesen kün­stler.

egal, eigentlich geht es ja vor allem um das gedicht. nach­dem mich falkn­ers alte meis­ter nicht so sehr begeis­tern kon­nte, schafft gegen­sprech­stadt das vom ersten bis zum let­zten vers. das ist nicht nur das beste (und in dem umfang auch erste) berlin-gedicht, das ich kenne. das ist auch eine sehr zeit­gemäße form des dicht­ens: mit geschichte gesät­tigt, ohne deshalb so bedeu­tung­shu­berisch-bil­dungss­chw­er daherzukom­men wie die let­zten durs-grün­bein-bände. falkn­er treibt das spiel mit den allu­sio­nen, den zitat­en und den querver­weisen ziem­lich kun­stvoll — und ziem­lich weit. es ist öfters kurz davor, wirk­lich zu ner­ven, die ständi­gen halb-bedeu­ten­den pop­kul­turellen anspielun­gen. aber sie tun es dann meis­tens eben doch nicht. denn “motive bekan­nter gedichte” “sind humus. mon­tageteil. zitat. anlei­he. link. ref­erenz. ver­beu­gung.” (74) — ein klein­er hieb auf die “poplit­er­at­en” darf in einem solchen fall nicht fehlen: “eine zeit, in der man bei kün­stlern / wenn man sie auszieht / auf ck- oder joop!-unterwäsche stößt / (als let­zte schicht sozusagen / vor der eigentlichen inspi­ra­tion) / ist reif für eine revi­sion / sie sollte bei tsche­chow / wieder in die lehre gehen, / oder mit pyn­chon her­auszufind­en ver­suchen / wo die wirk­lichen ver­fol­ger steck­en / damit sie zurück­find­et / (um im bild der sprache zu bleiben) / zum ehrlichen baum­woll­ripp mit ein­griff / denn große poe­sie / auch wo sie glück­lich ver­wirrt / ist marken und mod­en abhold” (36)

das ganze chang­iert dann ziem­lich unregelmäßig (nach dem ersten lek­türeein­druck) zwis­chen his­torisch vorge­formten langgedicht und der vor­liebe für einze­limpres­sio­nen, aneinan­derg­erei­ht und sequen­ziert. die üergänge — und das macht gegen­sprech­stadt wahrschein­lich so geschmei­dig — bleiben aber immer fließend. denn falkn­er schafft es eben, dem alltäglichen nachzublick­en, das musikalis­che detail der stadt berlin über­all zu find­en und in worte zu fassen — aber auch, die großen momente, die rev­o­lu­tio­nen und katas­tro­phen, den 11. sep­tem­ber, den 3. okto­ber und den 15. märz (falkn­ers geburt­stag, iden des märz) mit einzubeziehen.

rhyth­misch erscheint das aufs erste, ohne genauere analyse, sehr leicht und unbeschw­ert: ein ungezwun­gener umgang mit vers­for­men macht das gedicht — und davon legt ger­ade falkn­ers lesung beson­ders deut­lich zeug­nis ab — sehr fließend. diese “poly­mere poe­sie”, wie der autor das nen­nt, kreist immer wieder um phänomene der zeit, ihrer sub­jek­tiv total zer­split­terten wahrnehmung, um das zählen. sprache scheint da als medi­um und bewe­gung gle­icher­maßen ret­tung zu bieten — als flucht­punkt und als ver­ar­beitungsmöglichkeit: “auch dieses gedicht ist ein gedicht ohne einen / helden ist natür­lich ein gedicht / ohne einen helden ist natür­lich / ein gedicht” (56). und ein gedicht ist das hier auf jeden fall — ein wirkl­cih beein­druck­endes — schon lange nicht mehr so begeis­tert lyrik ver­schlun­gen.

ger­hard falkn­er: gegen­sprech­stadt — ground zero. gedicht & cd mit music by david moss. idstein: kook­books 2005.