Auf zweihundert Seiten den Nationalsozialismus abhandeln: Das trauen sich wenige, und von denen gelingt es auch nur wenigen. Wildt schafft das durchaus in einer sehr konzentrierte, auffällig konzisen und klaren Darstellung, die sich stark auf das Konzept oder Forschungsparadigma der “Volksgemeinschaft” stützt.
Zwei ideologische Momente des Nationalsozialismus hebt er besonders hervor: Lebensraum und Antisemitismus. Schwach bleibt er bei allem, was Organisation und politische, parteiliche wie staatliche Strukturen angeht — die kommen fast nicht vor. Leider fehlen auch ein Register und eine Zeittafel — wegen der Vielzahl hier angerissener thematischer Foki und Miniaturgeschichten, die sich chronologisch immer wieder überlappen, wäre gerade das letztere eine hilfreich Ergänzung. Gut gelungen ist in dieser gedrängten Form sicherlich die Darstellung der nationalsozialistischen Ideologie in der Verbindung von Revolution und Alltag, Politik und Wirtschaft. Wildt schildert dies unter dem Paradigma der „Volksgemeinschaft“, mit dem er gerade die Gleichzeitigkeit von Inklusion und Exklusion gut deuten und schildern kann.
Dieses Paradigma hilft sicherlich viel beim Verständnis des Nationalsozialismus, macht an anderen Stellen die Darstellung aber zumindest schwierig, wenn nicht unmöglich. Deutlich wird das vor allem im dritten Kapitel, das dem Krieg, Terror und Vernichtung gewidmet ist, aber auch schon vorher: Wo es um das “Innere” des Deutschen Reichs geht, ist Wildt sehr konzise. In den außenpolitischen Teilen (oder besser: Abschnitten) und vor allem der Darstellung des/r Kriegs/e fehlt ihm teilweise der innere Zusammenhang, die argumentative Logik und Stringenz des zweiten Kapitels.
Außerdem sehr unerfreulich: Dass ein solches Buch, dass in einem renommierten Verlag wie Vandenhoeck & Ruprecht erscheint, so viele auffällige sprachliche Fehler hat: Von manchen harten, ungeschickten Formulieren abgesehen gibt es mindestens eine Handvoll Sätze, deren Konstruktion ungrammatisch ist — in der Regel liegt das wohl an Überarbeitungen, die die Reste einer früheren Version nicht vollständig tilgte (da bleiben dann z.B. mal zwei Verben im Satz stehen …). Doch davon darf man sich eben nicht stören lassen …
Erkundung der Ränder und Grenzen, der Natur und der Erinnerung: Wunderschöne kleine Gedichte sind im zweiten Gedichteband von Nico Bleutge zu finden, viele — ausweichlich der Anmerkung — intertextuell zumindest angeregt. Beobachtungen des Moments zwichen Erinnern und Vergessen, zwischen Erleben und Vergessen: Daraus schlägt Bleutge schöne, eindrückliche Bilder:
bewegte landschaft. heute sind es die wolken, die
eine sichtlinie ziehen, quer über den himmel (67)
Besonders angetan haben es ihm hier eben die Ränder und Grenzen, die vor allem als Ufer, Übergänge und Linien immer wieder auftauchen.
… nah an den bruchkanten
der beschotterungsrinne strecken sich lärchen entlang
die das tal entzwei schneiden, für den blick. und dahinter beginnt
eine neue landschaft, wetterzone von bräunlichen feldern
mit fallstreifen … (57)
Und diese Linen werden begleitet von den unsichtbaren Linien, den Linien der Erinnerung, diesen haarfeinen Zeitlinien: “die ränder verschieben sich täglich” (70)
das mischt sich, manchmal, noch ins schauen
während die bilder, nachtschicht im genick
nur langsam ineinanderfließen
und von den fenstern kommt das licht
verändert in den raum, und sinkt schon, sinkt
zurück. (mischt sich, 8)
Schön und inspirierend.
Ein Buch voller Sentenzen, eigentlich: Wie wird man ein geachteter, würdiger, ehrenvoller und erfolgreicher Mann des 17. Jahrhunderts? Durch Glück und Talent, durch geschicktes Taktieren und soziale Klugheit — am Stück kann man diese Überzahl der Maximen mit ihren kurzen Erklärungen kaum lesen, sie sind dann nicht (mehr) zu ertragen … Aber kennen muss man sie natürlich schon.
Ich bin ja ein großer Bewunderer Volker Brauns. Auch diese kleine Erzählung aus der Umbruchszeit 1989/1990 über den Zusammenhang von Menschheit, Arbeit und Geschichte ist ein kleines Juwel. Schon der Anfang, der erste, zweite, dritte Satz, ist einfach großartig:
Im Osten Deutschlands lebten vor der Wende nicht eben vergnügte und im ganzen geistlose Leute, alle mit irgendwas bschäftigt, das sie nicht froher machte — Arbeit, die, obwohl alle an ihr beteiligt waren, wenig bewirkte; und das war ihr Unglück; über das aber nicht gesprochen wurde in den Zeitungen und sonstigen Verallgemeinerungen der Regierung, die immerfort Arbeitskräfte suchte, Massen, um sie zu begeistern. […] So geschah es, daß sie aus Verzweiflung oder sonsteinem Humor, den sie behalten hatten, von selbst auf die Straße gingen, wo sie am breitesten war, und bald einige, bald ihrer mehr durch die Innenstädte zogen, um sich überhaupt bemerkbar zu machen. (9)
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