Michael Wildt: Geschichte des Nation­al­sozial­is­mus. Göt­tin­gen: Van­den­hoeck & Ruprecht 2008 (UTB Grund­kurs Neue Geschichte). 219 Seit­en.

Auf zwei­hun­dert Seit­en den Nation­al­sozial­is­mus abhan­deln: Das trauen sich wenige, und von denen gelingt es auch nur weni­gen. Wildt schafft das dur­chaus in ein­er sehr konzen­tri­erte, auf­fäl­lig konzisen und klaren Darstel­lung, die sich stark auf das Konzept oder Forschungspar­a­dig­ma der “Volks­ge­mein­schaft” stützt.

Zwei ide­ol­o­gis­che Momente des Nation­al­sozial­is­mus hebt er beson­ders her­vor: Leben­sraum und Anti­semitismus. Schwach bleibt er bei allem, was Organ­i­sa­tion und poli­tis­che, parteiliche wie staatliche Struk­turen ange­ht — die kom­men fast nicht vor. Lei­der fehlen auch ein Reg­is­ter und eine Zeittafel — wegen der Vielzahl hier angeris­sener the­ma­tis­ch­er Foki und Miniaturgeschicht­en, die sich chro­nol­o­gisch immer wieder über­lap­pen, wäre ger­ade das let­ztere eine hil­fre­ich Ergänzung. Gut gelun­gen ist in dieser gedrängten Form sicher­lich die Darstel­lung der nation­al­sozial­is­tis­chen Ide­olo­gie in der Verbindung von Rev­o­lu­tion und All­t­ag, Poli­tik und Wirtschaft. Wildt schildert dies unter dem Par­a­dig­ma der „Volks­ge­mein­schaft“, mit dem er ger­ade die Gle­ichzeit­igkeit von Inklu­sion und Exk­lu­sion gut deuten und schildern kann.

Dieses Par­a­dig­ma hil­ft sicher­lich viel beim Ver­ständ­nis des Nation­al­sozial­is­mus, macht an anderen Stellen die Darstel­lung aber zumin­d­est schwierig, wenn nicht unmöglich. Deut­lich wird das vor allem im drit­ten Kapi­tel, das dem Krieg, Ter­ror und Ver­nich­tung gewid­met ist, aber auch schon vorher: Wo es um das “Innere” des Deutschen Reichs geht, ist Wildt sehr konzise. In den außen­poli­tis­chen Teilen (oder bess­er: Abschnit­ten) und vor allem der Darstel­lung des/r Kriegs/e fehlt ihm teil­weise der innere Zusam­men­hang, die argu­men­ta­tive Logik und Strin­genz des zweit­en Kapi­tels.

Außer­dem sehr uner­freulich: Dass ein solch­es Buch, dass in einem renom­mierten Ver­lag wie Van­den­hoeck & Ruprecht erscheint, so viele auf­fäl­lige sprach­liche Fehler hat: Von manchen harten, ungeschick­ten For­mulieren abge­se­hen gibt es min­destens eine Hand­voll Sätze, deren Kon­struk­tion ungram­ma­tisch ist — in der Regel liegt das wohl an Über­ar­beitun­gen, die die Reste ein­er früheren Ver­sion nicht voll­ständig tilgte (da bleiben dann z.B. mal zwei Ver­ben im Satz ste­hen …). Doch davon darf man sich eben nicht stören lassen …

Nico Bleutge: fall­streifen. 2. Auflage. München: Beck 2009. 79 Seit­en.

Erkun­dung der Rän­der und Gren­zen, der Natur und der Erin­nerung: Wun­der­schöne kleine Gedichte sind im zweit­en Gedichte­band von Nico Bleutge zu find­en, viele — auswe­ich­lich der Anmerkung — inter­textuell zumin­d­est angeregt. Beobach­tun­gen des Moments zwichen Erin­nern und Vergessen, zwis­chen Erleben und Vergessen: Daraus schlägt Bleutge schöne, ein­drück­liche Bilder:

bewegte land­schaft. heute sind es die wolken, die
eine sichtlin­ie ziehen, quer über den him­mel (67)

Beson­ders ange­tan haben es ihm hier eben die Rän­der und Gren­zen, die vor allem als Ufer, Übergänge und Lin­ien immer wieder auf­tauchen.

… nah an den bruchkan­ten
der beschot­terungsrinne streck­en sich lärchen ent­lang
die das tal entzwei schnei­den, für den blick. und dahin­ter begin­nt
eine neue land­schaft
, wet­ter­zone von bräun­lichen feldern
mit fall­streifen … (57)

Und diese Linen wer­den begleit­et von den unsicht­baren Lin­ien, den Lin­ien der Erin­nerung, diesen haar­feinen Zeitlin­ien: “die rän­der ver­schieben sich täglich” (70)

das mis­cht sich, manch­mal, noch ins schauen
während die bilder, nachtschicht im genick
nur langsam ineinan­der­fließen
und von den fen­stern kommt das licht
verän­dert in den raum, und sinkt schon, sinkt
zurück. (mis­cht sich, 8)

Schön und inspiri­erend.

Balthasar Gra­cian: Han­do­rakel und Kun­st der Weltk­lugheit. Über­tra­gen von Arthur Schopen­hauer. Her­aus­gegeben und mit einem Nach­wort versehn von Otto Frei­her­rn von Taube. Frank­furt am Main: Insel 2009 [1653/]. 136 Seit­en.

Ein Buch voller Sen­ten­zen, eigentlich: Wie wird man ein geachteter, würdi­ger, ehren­voller und erfol­gre­ich­er Mann des 17. Jahrhun­derts? Durch Glück und Tal­ent, durch geschick­tes Tak­tieren und soziale Klugheit — am Stück kann man diese Überzahl der Maxi­men mit ihren kurzen Erk­lärun­gen kaum lesen, sie sind dann nicht (mehr) zu ertra­gen … Aber ken­nen muss man sie natür­lich schon.

Volk­er Braun: Die vier Werkzeug­mach­er. Frank­furt am Main: Suhrkamp 1996. 51 Seit­en.

Ich bin ja ein großer Bewun­der­er Volk­er Brauns. Auch diese kleine Erzäh­lung aus der Umbruch­szeit 1989/1990 über den Zusam­men­hang von Men­schheit, Arbeit und Geschichte ist ein kleines Juwel. Schon der Anfang, der erste, zweite, dritte Satz, ist ein­fach großar­tig:

Im Osten Deutsch­lands lebten vor der Wende nicht eben vergnügte und im ganzen geist­lose Leute, alle mit irgend­was bschäftigt, das sie nicht fro­her machte — Arbeit, die, obwohl alle an ihr beteiligt waren, wenig bewirk­te; und das war ihr Unglück; über das aber nicht gesprochen wurde in den Zeitun­gen und son­sti­gen Ver­all­ge­meinerun­gen der Regierung, die immer­fort Arbeit­skräfte suchte, Massen, um sie zu begeis­tern. […] So geschah es, daß sie aus Verzwei­flung oder son­steinem Humor, den sie behal­ten hat­ten, von selb­st auf die Straße gin­gen, wo sie am bre­itesten war, und bald einige, bald ihrer mehr durch die Innen­städte zogen, um sich über­haupt bemerk­bar zu machen. (9)