Eine schöne Idee: Rund um einen klassischen Text — bei der ersten Nummer ist es Franz Kafkas “Die Verwandlung” — sammeln die Magazinmacher Texte, Interviews, Grafiken und Fotos. Die hängen an einzelnen Aspekten der “Verwandlung”, an Assoziationen oder Interpretationsansätzen. Schöne Lektüren, auch ein schön gemachtes Magazin.
Das Gedicht erscheint
Sobald es erschienen ist,
ist es verschwunden. (90)
Schon der Untertitel verweist auf die typische Erb-Form: Gedichte als Tagebuch. Mensch sein, nicht versammelt unheimlich viel davon — so viel, dass es mir manches Mal zu viel war, dieser ungeheure Materialberg oder ‑wust. Einfälle und Gedanken in den verschiedensten Formen — als knappes „Gedicht“, als kleiner Essay, als Erinnerungsprotokoll, als … reihen sich hier aneinander und aneinander. Hin und wieder fiel es mir schwer, in den Textfluss hineinzukommen: Manches fängt mein Auge, trifft eine Stimmung in mir — vieles bleibt mir zunächst — d.h. beim ersten Lesen — fremd, lässt mich ratlos oder (fast noch unangenehmer …) unbeteiligt, so dass der Eindruck erst einmal zwiespältig bleibt. Aber vielleicht ist das ja auch das Ziel:
Das Gefühl des Gewinns
bei der Überlegung, Gedichte seien Erkenntnisträger:
nämlich hast-du-nicht-gesehen schwimmt schulterhoch
und umgebend teichgleich ein allgemeines Interesse
so, als habe es im Sinn, zu erkunden, was ist,
und existiere gewiß (19)
Ich bin eine in einem Tagebuch aufbewahrte Erinnerung. (117)
Umsonst und draußen ist ein schönes Buch. Auch wenn nicht ganz klar ist, was das eigentlich ist. Nicht ohne Grund steht da nichts anderes auf der Titelseite, nicht “Roman”, nicht “Notizen”, nicht “Tagebuch” — obwohl all das seine Berechtigung hätte. Kuhlbrodt lebt und wandelt in Berlin. Oder besser gesagt: Der Erzähler tut dies. Denn das Ich ist nicht das Ich selbst, es blitzt immer wieder der Spalt der Differenz zwischen Erzähler-Ich und Autor-Ich, zwischen “Ich” und Detlef Kuhlbrodt, auf. Distanziert, aber beteiligt sind diese Berlin-Notizen, das Berlin-Tagebuch mit großen Lücken, aber in Tagesform: Beobachtungen und Empfindungen mischen sich, sind aber immer knapp und lakonisch, ja unsentimental geschildert. Melancholie ist die Grundstimmung: Verlust und Trauer prägen die Zeit und das Erleben, aber eine ARt positive Trauer: Das Erkennen der Realität als gegebene, als fast unausweichliche hängt damit zusammen. Und das Nicht-vollkommen-einverstanden-Sein damit, aber ohne Druck/Wille zur Revolte: Abseits statt mittendrin oder (aktiv) dagegen bewegt sich der Erzähler im Leben. Stephan Wackwitz hat das in der taz recht gut auf den Punkt gebracht, nämlich als “entspanntes Geltenlassen”.
Um authentisch schreiben zu können, war es oft notwendig, Dinge zu tun, von denen ich nicht genau wusste, ob ich sie tat oder ob ich eine Rolle übte. (148)
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