Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: franz kafka

Aus-Lese #19

Jan Kuhlbrodt: Geschichte. Kein Weg, nur Gehen. Berlin: J. Frank 2013. Edi­tion Poet­i­con #01. 47 Seit­en.

“Geschichte” enstammt der neuen Rei­he “Edi­tion Poet­i­con” im Berlin­er J.-Frank-Verlag mit dem schö­nen Mot­to “Poet­isiert euch”. Hier erscheinen ger­ade so etwas wie Poet­iken oder poet­is­che Schriften zeit­genös­sich­er Dichter aus dem Umfeld des Frank-Ver­lages. Bei Jan Kuhlbrodt geht es — der Titel ver­rät es — um Geschichte, Geschichts­bilder, Zeit und Rolle der Kun­st in der Geschichte. Vor allem aber beschäftigt ihn hier die Möglichkeit des Dichters, Geschichte zu begleit­en, wahrzunehmen, aufzunehmen in seine Dich­tung, sie (als gemachte/erzählte Geschichte) zu for­men und vielle­icht auch (als geschehene) mitzubes­tim­men — also die Frage, wie Dich­terin­nen und ihre Dich­tun­gen sich zur Geschichte ver­hal­ten können/müssen/sollen .… Er sucht das in erster Lin­ie an Beispie­len aus dem 20. Jahrhun­dert, vor allem in der rus­sis­chen Lyrik. Da will er, wenn ich ihn richtig ver­ste­he, die Möglichkeit zeigen, Geschichte in die Dich­tung aufzunehmen, also so etwas wie “Geschichts-Lyrik” zu schreiben — und zwar nicht (nur) auf inhaltlich­er Ebene, son­dern vor allem in for­maler Hin­sicht.

Mit eini­gen weni­gen Aus­nah­men spielt Geschichte in der deutschen Gegen­wart­slyrik kaum eine Rolle. Es mag daran liegen, dass der Begriff der Geschichte im zwanzig­sten Jahrhun­dert der­art zer­fasert und zer­fällt, dass ein lyrisch­er Bezut darauf ger­adezu unmöglich ist [dann einige Beispiele, wo es doch noch ver­sucht wird — dort] geht es um ein Bewahren indi­vidu­eller Erfahrun­gen im Kon­text wirrer und ver­wirren­der Abläufe (38f.)

Moa­cyr Sliar: Kafkas Leop­ar­den. Düs­sel­dorf: Lilien­feld 2013 (Lilien­fel­diana 18). 135 Seit­en.

Dieser kleine/kurze Roman hat über das schöne Pro­gramm von Tubuk-Deluxe seinen Weg zu mir gefun­den. Es ist ein run­dum schönes Buch, als Buchob­jekt schön gemacht, vor allem wieder mit einem schö­nen Ein­band. Und es ist auch ein net­ter Text. Stilis­tisch finde ich das in der Über­set­zung zwar ziem­lich blass, aber hin­ter Kafkas Leop­ar­den ver­birgt sich ein inter­es­san­ter Ein­fall: Was passiert, wenn man einen Apho­ris­mus Kafkas — näm­lich seine “Leop­ar­den im Tem­pel” — nicht als Lit­er­atur, son­dern als Gebrauch­s­text sozusagen liest? Im Roman Scliars passiert das zunächst in der Form, dass der Text als ver­schlüs­selte, rev­o­lu­tionäre Hand­lungsan­weisung im Mit­teleu­ropa 1916 gele­sen wird (oder zumin­d­est der Ver­such unter­nom­men wird, der ähn­lich wie viele ger­man­is­tis­che Lek­türen der “Leop­ar­den” scheit­ert. Das ganze wird dann sehr schön und unter­halt­sam aus­ge­bre­it­et und in ein­er Art Rah­men auch noch gedop­pelt, in der das Kaf­ka-Typoskript wieder eine Rolle spielt, dies­mals als ver­meintlich auf­ständisch codierte Nachricht im Brasilien der Dik­tatur. Und am Ende ver­schwindet der Text als Ding, das Typoskript, im Müll — bleibt aber im Gedächt­nis und im Traum vorhan­den und wirk­sam. Kafkas Leop­ar­den ist dur­chaus unter­hal­sam und liest sich flott weg .…

Wir dür­fen nichts erschaf­fen, was wir nicht zu beherrschen wisse. Und genau das ist Lit­er­atur, eine unkon­trol­lier­bare Angele­gen­heit. Man begin­nt zu schreiben, zu erfind­en, und wer weiß, wo es hin­führt? Und außer­dem, wozu noch mehr Büch­er? (41)

außer­dem gele­sen:

  • Sprache im tech­nis­chen Zeital­ter #201 (mit anre­gen­den Gedicht­en von Michael Fiedler)
  • und die let­zten Hefte der GWU, um damit endlich mal wieder aufzu­holen.

Aus-Lese #17

Buch als Mag­a­zin #1: Die Ver­wand­lung.

Eine schöne Idee: Rund um einen klas­sis­chen Text — bei der ersten Num­mer ist es Franz Kafkas “Die Ver­wand­lung” — sam­meln die Mag­a­z­in­mach­er Texte, Inter­views, Grafiken und Fotos. Die hän­gen an einzel­nen Aspek­ten der “Ver­wand­lung”, an Assozi­a­tio­nen oder Inter­pre­ta­tion­san­sätzen. Schöne Lek­türen, auch ein schön gemacht­es Mag­a­zin.

Elke Erb: Men­sch sein, nicht. Gedichte und andere Tage­buch­no­ti­zen. 2. Auflage. Basel, Weil am Rhein, Wien: Urs Engel­er Edi­tor 1999. 136 Seit­en.

Das Gedicht erscheint
Sobald es erschienen ist,
ist es ver­schwun­den. (90)

Schon der Unter­ti­tel ver­weist auf die typ­is­che Erb-Form: Gedichte als Tage­buch. Men­sch sein, nicht ver­sam­melt unheim­lich viel davon — so viel, dass es mir manch­es Mal zu viel war, dieser unge­heure Mate­ri­al­berg oder ‑wust. Ein­fälle und Gedanken in den ver­schieden­sten For­men — als knappes „Gedicht“, als klein­er Essay, als Erin­nerung­spro­tokoll, als … rei­hen sich hier aneinan­der und aneinan­der. Hin und wieder fiel es mir schw­er, in den Textfluss hineinzukom­men: Manch­es fängt mein Auge, trifft eine Stim­mung in mir — vieles bleibt mir zunächst — d.h. beim ersten Lesen — fremd, lässt mich rat­los oder (fast noch unan­genehmer …) unbeteiligt, so dass der Ein­druck erst ein­mal zwiespältig bleibt. Aber vielle­icht ist das ja auch das Ziel:

Das Gefühl des Gewinns
bei der Über­legung, Gedichte seien Erken­nt­nisträger:

näm­lich hast-du-nicht-gese­hen schwimmt schul­ter­hoch
und umgebend teich­gle­ich ein all­ge­meines Inter­esse
so, als habe es im Sinn, zu erkun­den, was ist,
und existiere gewiß (19)

Detlef Kuhlbrodt: Umson­st und draußen. Berlin: Suhrkamp 2013. 198 Seit­en.

Ich bin eine in einem Tage­buch auf­be­wahrte Erin­nerung. (117)

Umson­st und draußen ist ein schönes Buch. Auch wenn nicht ganz klar ist, was das eigentlich ist. Nicht ohne Grund ste­ht da nichts anderes auf der Titel­seite, nicht “Roman”, nicht “Noti­zen”, nicht “Tage­buch” — obwohl all das seine Berech­ti­gung hätte. Kuhlbrodt lebt und wan­delt in Berlin. Oder bess­er gesagt: Der Erzäh­ler tut dies. Denn das Ich ist nicht das Ich selb­st, es blitzt immer wieder der Spalt der Dif­ferenz zwis­chen Erzäh­ler-Ich und Autor-Ich, zwis­chen “Ich” und Detlef Kuhlbrodt, auf. Dis­tanziert, aber beteiligt sind diese Berlin-Noti­zen, das Berlin-Tage­buch mit großen Lück­en, aber in Tages­form: Beobach­tun­gen und Empfind­un­gen mis­chen sich, sind aber immer knapp und lakonisch, ja unsen­ti­men­tal geschildert. Melan­cholie ist die Grund­stim­mung: Ver­lust und Trauer prä­gen die Zeit und das Erleben, aber eine ARt pos­i­tive Trauer: Das Erken­nen der Real­ität als gegebene, als fast unauswe­ich­liche hängt damit zusam­men. Und das Nicht-vol­lkom­men-ein­ver­standen-Sein damit, aber ohne Druck/Wille zur Revolte: Abseits statt mit­ten­drin oder (aktiv) dage­gen bewegt sich der Erzäh­ler im Leben. Stephan Wack­witz hat das in der taz recht gut auf den Punkt gebracht, näm­lich als “entspan­ntes Gel­tenlassen”.

Um authen­tisch schreiben zu kön­nen, war es oft notwendig, Dinge zu tun, von denen ich nicht genau wusste, ob ich sie tat oder ob ich eine Rolle übte. (148)

Kafka, die Lektoren und eine Verwandlung

wun­der­bar:

(via Astro­d­icticum sim­plex.)

… der ursprüngliche Hipster

“Franz Kaf­ka, ein großer, wenn nicht sog­ar der ursprüngliche Hip­ster” (Christo­pher Glazek, South Side Sto­ry)

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