Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Jahr: 2016 Seite 3 von 16

OnAir, Illuminate - Collage (Michael Petersohn)

Erleuchtet auf Sendung: “Illuminate” von OnAir

OnAir, Illuminate (Cover)

Schade: Nach nicht ein­mal ein­er hal­ben Stunde ist das Vergnü­gen schon wieder vor­bei. Oder es begin­nt von vorne. Denn Illu­mi­nate von OnAir, die dritte CD der jun­gen Berlin­er Gruppe, möchte man eigentlich gerne sofort noch ein­mal hören.
In den sechs Songs dreht es sich immer wieder um das Licht, das physis­che Licht der Sterne und das metapho­rische der Erleuch­tung. Schon der Beginn – eine der bei­den Orig­i­nalkom­po­si­tio­nen neben vier Cov­er­songs – set­zt die Erleuch­tung leicht und unbeschw­ert in ein­er eingängi­gen Hymne in Töne. Klar, das ist keine große Kun­st — aber her­rlich-per­fek­te Gute-Laune-Musik mit gut durch­dachtem Arrange­ment und genau aus­bal­anciertem Klang.

Auch der Rest bleibt auf aller­höch­stem Niveau. Denn so viel wird ganz schnell klar (viel Zeit ist ja auch nicht): die Präzi­sion, mit der OnAir durch die Pop- und A‑cap­pel­la-Geschichte hüpfen, ist großar­tig. Noch bess­er ist aber, wie sie die kom­plex­en und aus­ge­feil­ten Arrange­ments sin­gen kön­nen: Das klingt stets lock­er, oft unbeschw­ert und vor allem immer musikalisch zwin­gend.

So kann man in „Sonne“, dem Ramm­stein-Cov­er, den schwachen Text leicht vergessen und stattdessen lieber den feinen Arrange­ment-Ideen nach­hören. Wie OnAir die Sonne zwis­chen dumpf-dröh­nen­dem Bass und Vocal Per­cus­sion im instru­men­tal klin­gen­den Satz und den darüber schweben­den melodis­chen Ele­menten, vor­wiegend der bei­den Frauen, auf­scheinen lässt — das ist klasse.

„Stair­way to Heav­en“ begin­nt dage­gen sehr oldiemäßig, mit zeit­gemäßem Rauschen und leichter Verz­er­rung — wun­der­bar, wie OnAir das in sein Arrange­ment ein­baut und in eine großar­tige Steigerung zu einem ener­getisch pulsieren­den Finale über­führt. Über­haupt ist auf „Illu­mi­nate“ sehr bemerkenswert, wie sie jeden Song entwick­eln, ihm ein eigenes Pro­fil und einen neuen Klang geben. Da klingt wirk­lich jed­er Song anders — anders als der vor­ange­hende, aber auch anders als die Vor­lage. Her­bert Gröne­mey­ers “Der Weg” zeigt das mit seinem zurückgenomme­nen, zer­brech­lichem Arrange­ment ganz typ­isch: Hier klin­gen OnAir wohl am klas­sis­chsten, sehr offen und ver­let­zlich. Und immer wieder hört man neue Details, die jede Stro­phe und jeden Refrain anders klin­gen lassen.

Dem Sex­tett gelingt es über­haupt schein­bar müh­e­los, auf knappem Raum sechs ganz ver­schiedene Klang­bilder zu schaf­fen. Das ver­dankt OnAir nicht nur ihren Stimmkehlen, son­dern auch dem gefüh­lvollen Ein­satz der Ton­tech­nik — auf der sehr abwech­slungsre­ich klin­gen­den CD macht sich wohl auch die Erfahrung von Bill Hare bemerk­bar. Illu­mi­nate ist von der ersten bis zur let­zten per­fek­ten Note schim­mern­der und funkel­nder Vocal-Pop, weil OnAir sowohl den druck­vollen Bre­it­wand­sound (wie im abschließen­den “Illu­mi­nat­ed”) als auch den zarten Klang der kam­mer­musikalisch geset­zten Bal­lade vol­len­det beherrscht. Nach den 25 Minuten kann man nur sagen: Das hat wirk­lich etwas von Erleuch­tung.

OnAir: Illu­mi­nate. Heart of Berlin 2016. Spielzeit: 24:56.

(Zuerst erschienen in »Chorzeit – Das Vokalmagazin« No. 32, Novem­ber 2016.)

Ins Netz gegangen (5.11.)

Ins Netz gegan­gen am 5.11.:

  • Are you man enough for birth con­trol? | New­States­man → lau­rie pen­ny stellt in diesem inter­es­san­ten text die nachricht über den abbruch der test von hor­moneller geburtenkon­trolle an män­nern in den größeren zusam­men­hang:

    The sto­ry of a male con­tra­cep­tive jab halt­ed because men were too dis­tressed by the side effects to stay the course is as dis­ap­point­ing as it is famil­iar. It fits the cul­tur­al nar­ra­tive where­by men can’t pos­si­bly be trust­ed with tra­di­tion­al­ly female respon­si­bil­i­ties — from wash­ing up to chang­ing nap­pies, if you leave it to the guys, they’ll either flake out, fuck it up or both. We should sim­ply let them off the hook, and let the women get on with it, grit their teeth though they may. That’s nature’s way, or God’s, depend­ing on who you ask. But that’s not what hap­pened here. The real sto­ry is more inter­est­ing. The real sto­ry — of research halt­ed despite most of the men involved being enthu­si­as­tic, and a great many peo­ple all over the world won­der­ing why the hell male hor­mon­al con­tra­cep­tion isn’t a thing yet — is a sto­ry of col­lec­tive cul­tur­al resis­tance to sci­en­tif­ic progress. Once again, tech­no­log­i­cal advances that could improve people’s lives are on hold because we’re too social­ly back­ward to tell a dif­fer­ent sto­ry about sex, love and gen­der.

  • 7 Rea­sons So Many Guys Don’t Under­stand Sex­u­al Con­sent | cracked → David Wong über die rolle der durch kinofilme ver­mit­tel­ten män­ner­bilder und dort pos­i­tiv geze­ich­neten über­grif­fi­gen paarungssi­t­u­a­tio­nen für die aktuelle diskus­sion um zus­tim­mung zum sex

Radwege in Mainz — ein Dauer-Ärgernis

Auch wenn die lokale CDU das Gegen­teil meint: Die Förderung des Rad­verkehrs in Mainz geht selb­st unter eine grü­nen Verkehrs­dez­er­nentin nur in mikroskopisch kleinen Schrit­ten voran. Immer wieder passiert so etwas:

baustelle große bleiche, 1

An der Klaras­traße ist die Baustelle bere­its erkennbar — der Rad­weg geht aber unver­drossen weit­er …

Der Rad­weg an der Großen Ble­iche dürfte nach den ein­schlägi­gen Geset­zen und Ver­wal­tungsvorschriften sowieso nicht benutzungspflichtig sein (was das Verkehrs­dez­er­nat auch seit Jahren weiß, aber trotz­dem nicht ändert — doch das ist eine andere Geschichte). Aber Baustellen wie diese sind eine Katas­tro­phe — übri­gens nicht nur für Rad­fahrerin­nen, son­dern auch für diejeni­gen, die das zu Fuß unter­wegs sind. Die Benutzungspflicht an der Ein­mün­dung Klaras­traße — keine hun­dert Meter von der Baustelle, die den Rad­weg vol­lends und den Fußweg teil­weise versper­rt, ent­fer­nt — wurde nicht aufge­hoben. Schlim­mer noch: Nicht ein­mal an der Baustelle selb­st wird der Rad­weg been­det. Nur in der Gegen­rich­tung (!), in der dieser Rad­weg nicht befahren wer­den darf, hängt ein Alibi-“Schild”, das wed­er ein ordentlich­es Schild ist noch irgen­deine geset­zliche Wirkung für Fahrräder hat.

Ich frage mich ja immer, wie so etwas wieder und wieder passieren kann. Immer­hin hat Mainz eine Rad­verkehrs­beauf­tragte. Die hat aber offen­sichtlich kein­er­lei Inter­esse daran, so etwas zu ver­mei­den — und das wäre ja ein­fach, weil es so schreck­lich abse­hbar und erwart­bar ist: Sie müsste ja nur mal vor­beiradeln und der Bau­fir­ma erk­lären, wie das richtig geht …

Nach­trag: Nach meinem Hinweis/Beschwerde und ein paar Tagen Wartezeit ist die (momen­tan ruhende) Baustelle nun sowohl für Fußgänger als auch für Rad­fahrerin­nen vernün­ftig passier­bar — es geht also …

web (unsplash.com)

Ins Netz gegangen (2.11.)

Ins Netz gegan­gen am 2.11.:

  • Jens Balz­er zu Musikvideos: Youtube kills the Youtube-Star Justin Bieber | Berlin­er Zeitung → jens balz­er über den aktuellen zusam­men­hang von pop, stars, youtube, konz­erten und fans

    Der Ver­such, als real musizieren­der Men­sch auf ein­er Bühne wenig­stens kurz zu reinkarnieren, scheit­ert an der Indif­ferenz eines Pub­likums, dem es reicht, in virtuellen Räu­men und bei sich sel­ber zu sein. Der erste Star der Youtube-Epoche wird als deren tragis­ch­er Held von der Bühne gekreis­cht.

  • Was a serv­er reg­is­tered to the Trump Orga­ni­za­tion com­mu­ni­cat­ing with Russia’s Alfa Bank? | slate → eine total ver­rück­te geschichte: trump hat(te) einen serv­er, der (fast) nur mit einem serv­er der rus­sis­chen alfa-bank kom­mu­nizierte. und kein­er weiß, wieso, was, warum — bei­de seit­en behaupten, das könne nicht sein …

    What the sci­en­tists amassed wasn’t a smok­ing gun. It’s a sug­ges­tive body of evi­dence that doesn’t absolute­ly pre­clude alter­na­tive expla­na­tions. But this evi­dence arrives in the broad­er con­text of the cam­paign and every­thing else that has come to light: The efforts of Don­ald Trump’s for­mer cam­paign man­ag­er to bring Ukraine into Vladimir Putin’s orbit; the oth­er Trump advis­er whose com­mu­ni­ca­tions with senior Russ­ian offi­cials have wor­ried intel­li­gence offi­cials; the Russ­ian hack­ing of the DNC and John Podesta’s email.

    (und neben­bei ganz inter­es­sant: dass es spezial­is­ten gibt, die zugriff auf solche logs haben …)

  • The Dig­i­tal Tran­si­tion: How the Pres­i­den­tial Tran­si­tion Works in the Social Media Age | whitehouse.gov → die pläne der über­gabe der dig­i­tal­en massenkom­mu­nika­tion (und accounts) des us-präsi­den­ten. inter­es­sant: dass die inhalte zwar erhal­ten bleiben, aber als archiv unter neuen account-namen. und die “offiziellen” accounts geleert übergeben wer­den.
  • Refor­ma­tion­sju­biläum: Lasst uns froh und Luther sein | FAZ → sehr selt­samer text von jür­gen kaube. am refor­ma­tion­sju­biläum gäbe es einiges zu kri­tis­eren. aber das ist der falsche weg — zum einen ist die evan­ge­lis­che kirche deutsch­lands keine luther-kirche (und käß­mann sich­er nicht ihre wesentlich­ste the­olo­gin). zum anderen scheint mir kaubes kri­tikpunkt vor allem zu sein, dass evan­ge­lis­che the­olo­gie sich in den 500 jahren gewan­delt hat und nicht gle­icher­maßen kon­ser­v­a­tiv-fun­da­men­tal­is­tisch-autoritär ist wie bei luther selb­st. was soll das aber?
  • Siri Hustvedt und Paul Auster | Das Mag­a­zin → langes gespräch mit hustvedt und auster, dass sich aber nahezu auss­chließlich um die poli­tis­che lage dreht — immer­hin eine halbe frage gilt auch dem, was sie tun — näm­lich schreiben
  • Das Para­dox der Demokratie: Judith But­ler über Hillary Clin­ton | FAZ → langes, gutes inter­view mit judith but­ler über demokratie, ver­samm­lun­gen, frei­heit­en, kör­p­er und iden­titäten
  • Aids in Ameri­ka: HIV kam um 1970 in New York an | Tagesspiegel → forsch­er haben mit genetis­chen analy­sen von blutkon­ser­ven die geschichte von aids in den usa neu geschrieben — nicht patient O war der erste, der virus kam schon jahre vorher nach new york. span­nend, was heute so alles geht …
  • Frank­furter Buchmesse „Schwierige Lyrik zu einem sehr hohen Preis“ | Berlin­er Zeitung → mal wieder ein inter­view mit ulf stolter­fo­ht zum funk­tion­ieren von brue­terich press. dem ver­lag würde es wahrschein­lich mehr helfen, wenn seine büch­er besprochen wür­den und nicht nur der ver­lag ;-) …

    Ich ver­di­ene nicht nur mit dem Schreiben kein Geld, ich ver­di­ene auch mit dem Über­set­zen kein Geld. Da möchte man dann mit dem Ver­legen natür­lich auch nichts ver­di­enen. Das berühmte dritte unrentable Stand­bein. Das Para­doxe an der Sache ist nun aber, dass ich trotz­dem irgend­wie davon leben kann, und das schon ziem­lich lange. Diese ganzen nicht oder schlecht bezahlten Tätigkeit­en haben, zumin­d­est in meinem Fall, dazu geführt, dass eine indi­rek­te Form der Vergü­tung stat­tfind­et, also etwa in Form von Preisen, Stipen­di­en, Lehrtätigkeit­en, Lesun­gen und Mod­er­a­tio­nen. Und ich glaube, dass durch die Ver­legerei das Spielfeld noch ein biss­chen größer gewor­den ist. Das hat jedoch bei der Grün­dung des Ver­lags keine Rolle gespielt. Den Ver­lag gibt es, weil ich das schon sehr lange machen wollte. Schreiben tue ich ja auch, weil ich das schon immer wollte. Das reicht mir völ­lig aus als Begrün­dung. Mehr braucht es nicht.

  • “Die Ökonomisierung der Natur ist ein Fehler” | der Fre­itag → bar­bara unmüßig, im vor­stand der hein­rich-böll-stiftung, über “grüne ökonomie”, notwendi­ge umdenkprozesse und warum kom­pen­sa­tion nicht reicht

    Wir bräucht­en vielmehr Mit­tel für den ökol­o­gis­chen Land­bau oder um her­auszufind­en, wie eine wach­s­tums­be­friedete Gesellschaft und Wirtschaft ausse­hen kann. Es liegt ein­deutig zu viel Gewicht auf tech­nol­o­gis­chen denn auf sozialen und kul­turellen Verän­derun­gen.

    Das ist der wohl größte Fehler der Grü­nen Ökonomie: Dinge, die nie ökonomisiert waren, zu messen, zu berech­nen, zu ökonomisieren. Die Mon­e­tarisierung der Natur.

Twitterlieblinge Oktober 2016

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Aus-Lese #49

Carl Amery: Der Unter­gang der Stadt Pas­sau. Sci­ence Fic­tion-Roman. München: Heyne 1982. 128 Seit­en. ISBN 978–3‑453–30332‑4.

amery, untergang der stadt passau (cover)Eigentlich bin ich ja kein Sci­ence-Fic­tion-Leser und schon gar kein Fan — auf den schmalen Roman von Carl Amery hat mich die “Phantastik”-Ausgabe der Krachkul­tur gebracht. Der Unter­gang der Stadt Pas­sau ist ein Text, der ganz klar die Vor­gaben des Gen­res erfüllt: Nach dem nicht ganz voll­ständi­gen Unter­gang der Zivil­i­sa­tion in Europa sam­meln sich die Reste der Bevölkerung langsam wieder in Grup­pen. In Pas­sau etabliert sich eine Art Dik­tatur, die die Tech­nik der Ver­gan­gen­heit — unter anderem Stromerzeu­gung — noch nutzbar macht und dafür/dabei die Land­bevölkerung unter­drückt und aus­raubt. Es gibt eine Art Show­down mit ein­er kleinen Gruppe Jäger und Sammler/Landwirten, der in Gewalt und Ver­fol­gung endet. Und einige Gen­er­a­tio­nen später kom­men die Nach­fahren dieser bei­den Abge­sandten, um die Stadt Pas­sau — den baby­lonis­chen Sün­denpfuhl (die Par­al­le­len zur bib­lis­chen Geschichte sind kein Zufall) dem Erd­bo­den gle­ich zu machen. Das ist alles einiger­maßen kon­ven­tionell, aber den­noch ganz geschickt und ein­fall­sre­ich geschrieben. Inter­es­sant auch: Was bei Clemens Setz Jahrzehnte später als großar­tiger Kun­st­griff gilt — das Spiel mit ver­schiede­nen Typogra­phien, die ver­schiede­nen Erzäh­lebe­nen bzw. ‑for­men entsprechen (siehe unten) -, passiert hier bei Amery qua­si neben­bei. Aber halt in einem nicht ernst zu nehmenden Genre, der Sci­ence-Fic­tion. Übri­gens zeigt das meines Eracht­ens wieder mal, wie wenig die Lit­er­aturkri­tik mit den Schöp­fun­gen der deutschen Lit­er­aturgeschichte wirk­lich ver­traut ist — oder, um es pos­i­tiv­er zu sagen: Wie wenig sie diese Ken­nt­nis in ihren Kri­tiken, die es ja nur in Aus­nah­me­fällen ver­mag, wirk­lich his­torische (d.h. mehr als zwei, drei Jahre in die Ver­gan­gen­heit zeigende) Einord­nung oder Tra­di­tion­slin­ien aufzuzeigen, zeigt und ver­mit­telt …

Es ist eigentlich alles gut­ge­gan­gen, über­legte er. Trotz der Poli­tik. Oder wegen der Poli­tik? (112)

Wolf­gang Müller: Kos­mas. Mit Zeich­nun­gen von Max Müller. Berlin: Ver­brech­er 2011. 187 Seit­en. ISBN 978–3‑940426–70‑3.

müller, kosmas (cover)Kos­mas ist eigentlich nicht viel mehr als eine nette Kun­st­be­trieb-Satire, in der Wolf­gang Müller die ver­rück­ten Kapri­olen der Samm­ler und Speku­lanten und Kün­stler der Gegen­wart­skun­st der Post-Post-Mod­erne um die Jahrtausendwende gekon­nt auf­spießt (unüberse­hbar ist die Ref­erenz an Damien Hirst), die sich ganz und gar von der ästhetis­chen Seite der Kun­st ent­fer­nt haben und nur noch ihre mon­etären und Aufmerk­samkeit bzw. Gel­tung pro­duzieren­den Aspek­te — v.a. die Exk­lu­siv­ität und die entsprechende Ver­mark­tung — berück­sichti­gen und wertschätzen. Deshalb läuft sich der Text auch etwas schnell tot: Die Angriff­sziele und Waf­fen dieser Satire sind schnell klar — und dann passiert eigentlich nicht mehr viel: Das wird noch ein wenig vari­iert und weit­erge­spon­nen, vor allem aber immer noch eine, hat aber Umdrehung mehr über­steigert. Lei­der hat Müller aber kaum neue Ideen im Ver­lauf des Textes. Immer­hin bleibt der aber auch dann noch amüsant, so dass man die Lek­türe nicht total bereut …

Wu Ming: Altai. Berlin: Assozi­a­tion A 2016. 352 Seit­en. ISBN ISBN 978–3‑86241–452‑9.

wu ming, altai (cover)Als Fort­set­zung von Q (das noch unter dem älteren Namen des Schreibkollek­tivs, Luther Blis­set, erschien) ange­priesen, erzählt Altai die Vorgeschichte der Schlacht von Lep­an­to: Manuel Car­doso, ein Spi­on, muss aus Venedig fliehen, weil er der Sab­o­tage verdächtigt wird und lan­det in Kon­stan­tinopel. Damit ist der große, welth­is­torische Gel­tung beanspruchende Rah­mung des Romans schon beina­he abgesteckt: Alle drei monothe­is­tis­chen Reli­gio­nen wer­den hier mehr oder weniger kon­fronta­tiv zusam­menge­bracht — und Car­doso ste­ht als katholis­ch­er Kon­ver­tit im Dien­ste eines Judens, der für/mit den mus­lim­is­chen Herrsch­ern des Osman­is­chen Reich­es arbeit­et, immer im Zen­trum. Beziehungsweise fast im Zen­trum: Denn er ist zwar nahe dran, etwa an der Eroberung Zyper­ns und dann eben — als Reak­tion darauf — in der Schlacht von Lep­an­to. Doch ein­greifen kann er nicht oder nur so, dass seine Ohn­macht erst recht sicht­bar wird. Das ist also ein his­torisch­er Kri­mi — aber ein Kri­mi, den ich über­haupt nicht span­nend fand. Und zwar wed­er als his­torischen Roman noch als Krim­i­nal- oder Ver­schwörungs­geschichte. Der ganze Text ist let­ztlich nicht im gle­ichen Maße überzeu­gend und faszinierend wie Q — auch wenn er sich der gle­ichen Mit­tel bedi­ent: Bericht aus “zweit­er Rei­he”, Erleben des Entste­hens und Geschehens von (Welt-)Geschichte aus ander­er Per­spek­tive etc… Aber: Zum einen ist Car­doso und damit der Erzäh­ler viel näher dran an der Macht, zum anderen schien mir das alles viel kon­stru­iert­er. Und viele Beschrei­bun­gen und Erzäh­lungsstränge bleiben für mich schema­tisch, blass und leb­los. Das gilt vor allem für unge­fähr die ersten bei­den Drit­tel — das ist total zer­fasert und unhar­monisch. Danach wird es bess­er, weil konzen­tri­ert­er und span­nen­der. Die Grausamkeit der Belagerung von Fam­a­gus­ta auf Zypern durch die Türken (und auch die Schlacht von Lep­an­to) wird dann dur­chaus fes­sel­nd geschildert. Aber ein Prob­lem bleibt: Die Fig­uren wirken alle wie am Reißbrett ent­wor­fen: eindi­men­sion­al, flach und leb­los. Und deshalb bleibt Altai dann ein zwar flott les­bar­er, aber eher lang­weiliger Roman. Fort­set­zun­gen von Erfol­gs­büch­ern sind eben nicht ein­fach …

Seine ver­gan­genen Leben verblassen, er weiß nicht, was ihn noch erwartet, und die Gegen­wart zeigt sich nur in ver­schwomme­nen Umris­sen. Deshalb nimmt er alles mit, was er im Laufe der Jahre aufgeschrieben hat.
Aber das genügt nicht.
Er steckt eine Spiegelscherbe ein. Er will sicherge­hen, dass er sich am Ende der Reise wieder­erken­nt. (90)

Jean Genet: Querelle. Rein­bek: Rowohlt 1974 [1955]. 221 Seit­en. ISBN 3499116847.

Der Gang der Ereignisse in diesem Buch muß sich beschle­u­ni­gen. Es wäre wichtig, der Erzäh­lung das Fleisch so abzulösen, daß allein ihr Knochengerüst übrig­bliebe. Indessen, die bloße Wieder­gabe der Tat­sachen kann nicht genü­gen. Hier einige Erk­lärun­gen: Wer darüber erstaunt ist (wir sagen lieber erstaunt als erregt oder entrüstet, um deut­lich­er zu zeigen, daß dieser Roman demon­stra­tiv sein will), daß Querelle bei Gils Ver­haf­tung, die er den Abend zuvor ver­an­laßt hat­te, Schmerz emp­fand, der möge den Ablauf sein­er Aben­teuer überblick­en. Er tötet, um zu rauben. Wenn der Mord voll­bracht ist, ist der Dieb­stahl zwar nicht gerecht­fer­tigt — eher möchte man die Mei­n­ung wagen, daß der Mord durch den Dieb­stahl gerecht­fer­tigt sein kön­nte -, aber er ist geheiligt. Offen­bar ließ der Zufall Querelle die moralis­che Kraft des Dieb­stahls, der vom Mord gekrönt und zunichte gemacht wird, erfahren. (192)

genet, querelle (cover)Der Querelle — benan­nt nach seinem (Anti-)Helden — von Jean Genet ist ein soge­nan­nter “berühmt-berüchtigter” Text (Was wohl auch heißt, dass er heute zwar gerne mal anz­i­tiert, aber wohl sel­tener gele­sen wird). Er begleit­et den Matrosen und Mörder Querelle, einen vielfachen Außen­seit­er (Bisex­ueller, Dieb, Serien­mörder, Matrose …), dessen Leben und Lieben außer­halb der Gesellschaft und der Kom­mu­nika­tion und der gesellschaftlich akzep­tieren Form der Liebe immer wieder gezeigt wird. Und zwar in aller Schwärze und Verzwei­flung gezeigt und beschrieben, aber auch in allen Verästelun­gen und Verir­run­gen. Das ist ein aus­ge­sprochen grandios­er Text, der auch heute noch mit sein­er Genauigkeit und sein­er Drastik gle­icher­maßen aufrüt­teln kann. Wie der direkt nach dem Zweit­en Weltkrieg — das franzö­sis­che Orig­i­nal erschien schon 1947 — gewirkt haben muss, kann man sich kaum mehr vorstellen. Die unbarmherzige Darstel­lung der physis­chen und emo­tionalen Gewalt, die Gemen­ge­lage aus Liebe, Begehren, Hass, Ver­rat und Gewalt “erzählt” Genet mit ein­er unge­heuren Detail­ge­nauigkeit ger­ade im psy­chol­o­gis­chen: Das ist immer wieder faszinierend.
Aber es ist nicht nur the­ma­tisch, son­dern auch for­mal dur­chaus inter­es­sant, weil Genet alles andere als tra­di­tionell erzählt: mit der Inko­r­po­ra­tion des Tage­buchs des Leu­tenant Sel­bon schafft Genet zum Beispiel eine Außen­per­spek­tive aus unmit­tel­bar­er Nähe auf Querelle, die sein eigentlich­er Erzäh­ler nicht hergibt. Dazu gehört aber auch die etwas durcheinan­dergewürftelte Chronolo­gie, die harten Schnit­ten und Mon­ta­gen des Textes. Und — auch etwas, was ich gerne lese — ein Erzäh­ler, der sich selb­st the­ma­tisiert. Mir scheint, die nimmt im Lauf des Textes deut­lich zu: Es scheint dem Erzäh­ler zunehmend wichtiger zu wer­den, sich selb­st und sein Tun — also das Erzählen dieses “selt­samen” Stoffes — zu recht­fer­ti­gen und zu erk­lären.

Indem wir die psy­chol­o­gis­che Bewe­gung unser­er Helden beschreiben, wollen wir unsere Seele zutage fördern. Dieses freimütige Beken­nt­nis der Hal­tung, die wir wählen wür­den — vielle­icht angesichts oder vielmehr in Voraus­sicht eines ersehn­ten Endes -, führt uns zur Ent­deck­ung jen­er gegebe­nen Welt der Psy­cholo­gie, auf die sich die Frei­heit der Wahl stützt, aber wenn es im Inter­esse der Han­dlich erforder­lich ist, daß ein­er der Helden eine Entschei­dung trifft und über­legt, sind wir plöt­zlich der Willkür preis­gegeben: Das Geschöpf löst sich von seinem Autor. Es son­dert sich ab. Wir müßten also zugeben, daß ein­er der Fak­toren, aus denen sich unser Held zusam­menset­zt, nachträglich vom Autor ent­deckt wer­den wird. (201)

Clemens J. Setz: Indi­go. Berlin: Suhrkamp 2013. 479 Seit­en. ISBN 978–3‑518–46477‑9.

Die Gedanken laufen in merk­würdi­gen Bah­nen. Dadurch enste­ht sehr viel Kun­st. Ja, auch sub­ver­sive, natür­lich. (403)

clemens j. setz, indigo (cover)Gele­sen habe ich das vor allem, weil Indi­go als eine Art Exem­plum für eine Buchgestal­tung gilt, die die inhaltlichen und for­malen Aspek­te des Textes sehr genau aufn­immt. Oder umgekehrt: Weil der Text gestal­ter­ische Ele­mente — Schrif­tarten zum Beispiel, auch (Pseudo-)Zitate und hand­schriftliche Fak­sim­i­les — zum Teil sein­er selb­st macht, also eine solche buchgestal­ter­ische Arbeit (die sich bis zum Umschlag erstreckt) ger­adezu voraus­set­zt. Judith Scha­lan­sky hat das sehr schön umge­set­zt. Indi­go erzählt von ein­er Art Krankheit oder Gen­de­fekt, der dazu führt, dass Kinder ihre Umge­bung krank machen — so krank, dass Nähe nicht möglich ist. Er tut das eben auf sehr ver­schiedene Weise: Als Bericht, als Samm­lung von Medi­en­bericht­en, Augen­zeu­gen etc., von his­torischen Bericht­en ähn­lich­er Phänomene in ver­schiede­nen Map­pen. Das wird im Buch (das trotz der diver­gen­ten Mate­ri­alien, die es schein­bar (!) inko­r­pori­ert, aber doch ein Buch bleibt, das in einem klas­sis­chen Buch­block gedruckt und gebun­den ist (anders als etwa in Doug Dorsts S.) dann geschickt und vielfältig kom­biniert. Handw­erk­lich ist das, auch erzähltech­nisch, dur­chaus inter­es­sant. Mir ist nur nicht ganz klar gewor­den, was Setz hier eigentlich erzählen will …

Wie schön das aus­sah, wenn Papi­er ver­bran­nte. Man sollte jeden Tag etwas ver­bren­nen, so wie man sich jeden Tag die Zähne putzt. (473)

Michael Angele: Der let­zte Zeitungsleser. Berlin: Galiani 2016. ebook. ISBN 978–3‑86971–128‑7.

angele, zeitungsleser (cover)Nun ja, das ist doch arg mager: Der let­zte Zeitungsleser ist eine Verk­lärung von Zeitungsle­sern wie Thomas Bern­hard (der taucht immer wieder auf) oder Claus Pey­mann, die täglich reich­haltiges Zeitungs­menu zu sich nehmen und daraus viel und wesentlich­es schöpfen. Mit der Real­ität scheint mir das nur sehr auszugsweise übere­inzus­tim­men: Ja, solche emphatis­chen Zeitungslek­türen gab und gibt es. Aber sie sind Aus­nah­men. Die Wirk­lichkeit der Masse — und die braucht die Zeitung als solche ja ger­ade! — ist schon immer viel, viel pro­sais­ch­er und lang­weiliger, aber auch weniger kul­tur- und staat­stra­gend (freilich, sowohl Boule­vardzeitungsleser als solche als auch Poli­tik kom­men bein Angele nicht wirk­lich vor).
Schön zeigt sich seine Verk­lärung des “tra­di­tionellen” Zeitungsle­sens bei sein­er Gegenüber­stel­lung von Kos­mopolitismus und Glob­al­isierung: Ersteres ist Zeitungsle­sen — weil ein Zeitungsleser (bei Angele geht es eh’ nur um Män­ner) Zeitun­gen aus aller Welt, am besten im Café oder Kaf­fee­haus, liest. Schon das ist meines Eracht­ens eine maßlose Übertrei­bung und Über­schätzung — weil ja auch so viele Zeitun­gen aus aller Welt lesen/lasen … Let­zteres, also Glob­al­isierung, ist ange­blich dig­i­tales Informieren. Denn dann wird ange­blich noch Spiegel online über­all auf der Welt gele­sen. Unter­schlägt das aber nicht vol­lkom­men die Vielzahl der (genutzten!) Möglichkeit­en der Lek­türen, die das Inter­net erst ermöglicht: Gut, oft mögen das (wie bei mir z.B.) nur zwei Sprachen, etwa Deutsch und Englisch, sein. Aber ohne Inter­net würde ich von englis­chsprachi­gen Pub­lika­tio­nen aus UK und USA ziem­lich sich­er genau nichts wahrnehmen. Gut, Angele würde jet­zt ein­wen­den: Das ist keine Zeitungslek­türe, weil die Bün­delung etc. fehlt, die das inter­es­selose Lesen (das er offen­bar sehr schätzt), das allerd­ings eher ein flüchtiges Anschauen und Durch­blät­tern ist, und die damit ein­herge­hen­den Ent­deck­un­gen von Skuril­itäten und Kuriosa ermöglicht. Dafür gibt es im Netz eben andere Zufallsmo­mente, andere Serendip­itäten, um diesen schö­nen Aus­druck zu ver­wen­den …
Mir stellt sich Ange­les Essay deshalb eher als ein Abge­sang auf eine gute, alte Zeit dar, die nie so gut war, wie er sie verk­lärend darstellt. Das hat wahrschein­lich einen genau­so großen (kul­tur­sozi­ol­o­gis­chen) Wert wie Adornos Typolo­gie der Musikhör­er …

außerdem gelesen:

  • Ger­ty Spies: Des Unschuldigen Schuld. Eine Auswahl aus dem Werk. Mainz: Lan­deszen­trale für poli­tis­che Bil­dung 2016. 52 Seit­en. ISBN 9783892890379.
  • Micha Brum­lik: Wann, wenn nicht jet­zt? Ver­such über die Gegen­wart des Juden­tums. 2. Auflage. Berlin: Neo­fe­lis 2016 (Rela­tio­nen — Essays zur Gegen­wart 3). 130 Seit­en. ISBN 978–3‑95808–032‑4.
  • Oswald Egger: Was nicht gesagt ist. Göt­tin­gen: Wall­stein 2016 (Berlin­er Rede zur Poe­sie 1). 42 Seit­en. ISBN 9783835319820.
  • Didi­er Eri­bon: Rück­kehr nach Reims. Berlin: Suhrkamp 2016. ebook. ISBN 978–3‑518–74439‑0.
  • Jan Volk­er Röh­n­ert, Romi­na Nikolić (Hrsg.): Dem Meis­ter des lan­gen Atems. Paulus Böh­mer zu Ehren. Frank­furt am Main: Edi­tion Faust 2016. 211 Seit­en. ISBN 978–3‑945400–36‑4.
  • Klaus Hof­fer: Bei den Bieresch. Halb­wegs / Der große Pot­latsch. 2. Auflage. Wien, Graz: Droschl 2007. 272 Seit­en. ISBN 978–3‑85420–718‑4. (dritte Lek­türe — immer noch großar­tig …)
  • Edit #69 (wun­der­bare Aus­gabe, mit sehr guten Tex­ten von u. a. Ann Cot­ten, Ger­hard Falkn­er und Ulrike Almut Sandig
  • Poet #21
  • Rand­num­mer #6

Unver­schämtheit ist Ver­trauen auf unseren Geist, auf unser Aus­drucksver­mö­gen. Jean Genet, Querelle, 168

john cage, complete song books (cover)

Taglied 18.10.2016

John Cage, Solo for Voice #70 (Song Books), inter­pretiert von Rein­hold Friedl:
https://soundcloud.com/karlrecords/john-cage-solo-for-voice-70

Ins Netz gegangen (18.10.)

Ins Netz gegan­gen am 18.10.:

  • „Stend­hal hätte es mit einem Agen­ten ver­mut­lich leichter gehabt“ | Voll­text → aus­führlich­es inter­view mit dem ehe­ma­li­gen lek­tor und piper-ver­leger mar­cel hart­ges, der jet­zt lit­er­at­ura­gent ist, über ver­lage und markt, lit­er­atur und autoren (ja, in erster lin­ie die männlichen …)
  • How Did Wal­mart Get Clean­er Stores and High­er Sales? It Paid Its Peo­ple More | New York Times → lange reportage über wal­mart und seine ver­suche, umsätze zu steigern — durch die bessere behand­lung & bezahlung sein­er mitar­beit­er (wer kön­nte auch darauf kom­men …)

    But in ear­ly 2015, Wal­mart announced it would actu­al­ly pay its work­ers more.

    That set in motion the biggest test imag­in­able of a basic argu­ment that has con­sumed ivory-tow­er econ­o­mists, union-hall orga­niz­ers and cor­po­rate exec­u­tives for years on end: What if pay­ing work­ers more, train­ing them bet­ter and offer­ing bet­ter oppor­tu­ni­ties for advance­ment can actu­al­ly make a com­pa­ny more prof­itable, rather than less?

    und auch wenn das, was wal­mart macht, sich­er nicht das best­mögliche (für die arbei­t­en­den) ist, so scheint es doch in die richtige rich­tung zu gehen. und sich auch für das unternehmen zu lohnen …

  • SPIEGEL-Gespräch: “Mit der Sorge kommt die Blind­heit” | Spiegel → car­olin emcke im gespräch mit dem spiegel:

    Die Aggres­siv­ität und Mis­sach­tung betr­e­f­fen nicht nur diejeni­gen, auf die Bran­dan­schläge verübt wer­den, vor deren Moscheen oder Syn­a­gogen Schwein­sköpfe abgelegt wer­den. Sie betr­e­f­fen nicht nur Homo­sex­uelle oder Transper­so­n­en, die sich fürcht­en müssen, auf der Straße ange­grif­f­en zu wer­den. Alle, die in ein­er lib­eralen, zivilen Gesellschaft leben wollen, sind betrof­fen.

    Ich sehe nicht ein, warum ich mich intellek­tuell und emo­tion­al ver­stüm­meln lassen sollte durch diesen Hass. Ich denke, es braucht Ein­spruch, Wider­spruch, aber einen, der all das mobil­isiert, was den Fanatik­ern der “Rein­heit”, den Dog­matik­ern des Homo­ge­nen und ange­blich Ursprünglichen abge­ht: näm­lich die nicht nach­lassende Bere­itschaft zu dif­feren­zieren und das, was Han­nah Arendt ein­mal “lachen­den Mut” nan­nte. Eine gewisse heit­ere, mutige Freude daran, auch mal Ambivalen­zen auszuhal­ten, Selb­stzweifel zuzu­lassen, auch ein Zutrauen in die Fähigkeit, gemein­sam zu han­deln.

    Wir dür­fen uns als Gesellschaft doch nicht zurückziehen, nur weil wir die Aggres­siv­en auf der Straße nicht erre­ichen. Für die gewalt­bere­it­en Fanatik­er sind die Polizei und die Staat­san­waltschaften zuständig. Aber für all die kleinen, schäbi­gen Gesten und Gewohn­heit­en des Aus­gren­zens sind alle zuständig. Es würde auch schon helfen, wenn manche Parteien sich nicht darin über­bi­eten wür­den, ein­er poli­tisch radikalen Min­der­heit die Arbeit abzunehmen. Durch Anbiederung ver­schwindet Pop­ulis­mus nicht.

  • Und ich so: Was habt ihr gegen Oba­ma? | taz → der ganze gegen­wär­tige us-amerikanis­che irrsinn in einem satz:

    Im Bioun­ter­richt schreiben wir eine Arbeit über den Urk­nall. Als Ash­lie alle Fra­gen durch­stre­icht und dafür die Schöp­fungs­geschichte aus der Bibel hin­schreibt, bekommt sie die volle Punk­tzahl.

    auch der rest des textes ein­er schü­lerin über ihr aus­tausch­jahr in den usa, dass sie in die pam­pa von min­nesoat führte, ist sehr inter­es­sant & gut
    (via wirres.net)

spinnennetz mit tau (unsplash.com)

Ins Netz gegangen (13.10.)

Ins Netz gegan­gen am 13.10.:

  • Die These vom Sound der Revolte | per­len­tauch­er → der per­len­tauch­er übern­immt einen teil eines gespräch­es aus dem “mit­tel­weg”, das wolf­gang kraushaar mit mar­tin bauer und ste­fan mörchen geführt hat. hier geht es vor allem um poli­tik und pop, um demon­stra­tio­nen und open-air-konz­erte und den (ange­blichen) “sound der revolte” sowie die zeitliche dif­feren­zierung dieser zusam­men­hänge zwis­chen den späten sechzigern und den frühen siebzigern
  • Pech für Fußgänger: Selb­st­fahren­der Mer­cedes soll im Zweifel immer den Fahrer schützen | t3n → wenn das stimmt, was t3n berichtet, dass der sicher­heitsabteilungsleit­er bei daim­ler bei autonomen fahrzeu­gen den fahrer schützen und z.b. fußgänger opfern möchte, zeigt das (wieder ein­mal) ein­dringlich, wie schlecht ethis­che fra­gen bei inge­nieuren aufge­hoben sind …
  • Fußball-Berichter­stat­tung: “Nen­nen wir das bitte nicht Jour­nal­is­mus” | kress → inter­view mit ron­ny blaschke über die unfähigkeit des “sportjour­nal­is­mus”, sich seines gegen­standes, ins­beson­dere beim fußball, jour­nal­is­tisch und kri­tisch zu näh­ern …
  • Umwel­t­ex­perte über Elek­tro­mo­bil­ität: „Bis 2050 kom­plett emis­sions­frei“ | taz → gutes (wenn auch kurzes) inter­view mit mar­tin schmied vom umwelt­bun­de­samt:

    Ein emis­sions­freier Autoverkehr ist ein gesamt­ge­sellschaftlich­es Pro­jekt, das wir alle brauchen. Und ohne entsprechende staatliche Ein­griffe wird es nicht gelin­gen. Der öffentliche Nahverkehr, Rad­fahrer und Fußgänger, aber auch Car­shar­ing müssen über bessere Infra­struk­tur natür­lich auch gefördert wer­den. Denn Elek­troau­tos lösen zwar die Prob­leme von Schad­stoff­be­las­tung in den Städten, aber sie lösen nicht die Kon­flik­te um die begehrten und knap­pen Flächen.

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