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Musik, Alkohol — und Bonn: “Fuckin Sushi” von Marc Degens

degens, sushi
Das ist — man muss es so direkt sagen — ein grandios­es Buch. Vielle­icht liegt das ger­ade an sein­er Unschein­barkeit. Denn eigentlich erzählt Marc Degens etwas, das man so ähn­lich schon tausend­mal (und in let­zter Zeit auch gehäuft) lesen kon­nte: Das Erwach­sen­wer­den in der Prov­inz. Nun gut, Prov­inz ist für Bonn vielle­icht zu bösar­tig, aber es trifft das Gefühl des Pro­tag­o­nis­ten Niels. Der ist 17 Jahre alt, ger­ade mit seinen Eltern (von denen wir sehr wenig erfahren) von Gelsenkirchen nach Bonn umge­siedelt und wid­met sich zunehmend der Musik. Zunächst vor allem hörend — und zwar nur lange Lieder, keine kurzen (Hit-)Songs -, bald aber auch, zusam­men mit seinem Fre­und René bzw. R@ selb­st musizierend. Die starten, das wird nicht so ganz klar, entwed­er als Genies oder als eine Art “Geniale Dil­letan­ten” mit ein­er Mis­chung aus Konz­ert, Per­for­mance und Hap­pen­ing vor dem Café, das Heino gehört. Daraus entwick­elt sich dann schnell großes, näm­lich “Fuckin Sushi”, zunächst als Trio, dann als Quar­tett, und am Schluss wieder als Trio — dann aber ohne Niels. Dazwis­chen ste­ht ein mehrmonatiger Rausch an und mit der Musik (und jede Menge Alko­hol und Zigaret­ten …). “Fuckin Sushi” lan­det mehr oder weniger zufäl­lig einen You-Tube-Hit, tin­gelt kurz durch Deutsch­land, zer­stre­it­et sich, zer­fällt an Quere­len und der Uneinigkeit über die Aus­rich­tung der Band. Niels verkraftet den Auss­chluss nicht so gut, untern­immt auch einen Pseu­do-Selb­st­mord­ver­such im Hochwass­er des Rheins, gam­melt lange vor sich hin und find­et sich schließlich — wiederum mit Hil­fe ein­er Frau — in New York, wo er sich als Schrift­steller neu erfind­et, der Fuckin Sushi nieder­schreibt.

Das klingt, so erzählt, banal und lang­weilig. Das Entschei­dende am Roman von Marc Degens ist aber das Wie des Erzäh­lens, vor allem seine Sprache: Die ist direkt und unver­fälscht — sie lässt den Leser in den Rausch und die Glück­seligkeit des Musik­machens sehr unmit­tel­bar ein­tauchen. Und sie lässt ihn auch die Schwierigkeit­en des Älter- oder Erwach­sen­wer­dens von Niels sozusagen haut­nah miter­leben. Dass Fuckin Sushi neben­bei auch noch eine ziem­lich real­is­tis­che Schilderung der BRD am Anfang des 21. Jahrhun­derts, ins­beson­dere Bonns und Umge­bung, ist, kann man als nette Zugabe ver­buchen. Wichtiger ist aber das Tem­po, der Dri­ve und der Witz, mit dem Degens erzählt. Der Kri­tik­er der “taz”, Jens Uthoff, hat das sehr gut auf den Punkt gebracht: “Über weite Streck­en ist Fuckin Sushi eine span­nend geschriebene Hom­mage an das Unre­gle­men­tierte, das Unre­flek­tierte, das Jungfräuliche der Jugend — wobei auch dies­bezüglich die Zwis­chen­töne, ein heute anders erlebtes „No future“, stim­men.”

So laut die Band “Fuckin Sushi” ist, so leise kommt — und doch ziem­lich erwart­bar — das Ende: Es kommt, wie es kom­men muss, die Band zer­stre­it­et sich, Niels wird raus­ge­wor­fen, weil, das klang vorher schon immer wieder an, die Band sich stärk­er an Hits und Rezip­i­en­ten ori­en­tiert und die Begeis­terung und das empathis­che Aufge­hen im Akt des Musizierens in den Hin­ter­grund gerät. Damit — und mit den Depres­sio­nen Niels’ — gerät allerd­ings auch das zen­trale Prinzip von “Fuckin Sushi” in Bedräng­nis: Mit dem “Abrent­nern” ist es sowohl bei der Band als auch bei Niels nicht mehr so weit her. Dabei klang das vorher doch noch nach so ein­er tollen Idee: “Welt­frieden und Abrent­nern sofort” ist nicht nur der Slo­gan der Band, son­dern auch ein Ide­al ihrer Pro­tag­o­nis­ten, zumin­d­est von Niels. Der for­muliert ein­mal sehr tre­f­fend:

»Abrentern ist gut«, sagte ich war­nend. »Aber man darf auf keinen Fall ver­ade­nauern.« (269)

Nach der begeis­terten Begleitschreiben-Rezen­sion musste ich das auch lesen. Und ich kann Gre­gor Keuschnig ziem­lich vol­lkom­men zus­tim­men, deswe­gen brauche ich das hier nicht noch mal alles auszubre­it­en: Das ist ein guter Roman. Sich­er, Degens fokussiert das sehr stark auf seinen Pro­tag­o­nis­ten Niels. Das hat etwas vom Tun­nel­blick: alles, was nicht mit ihm, R@ und vor allem eben der Musik, also in erster Lin­ie “Fuckin Sushi”, zu tun hat, wird ziem­lich radikal aus­ge­blendet oder zumin­d­est an den Rand gedrängt. Es geht dem Rest der Fig­uren (und auch des Lebens Niels) dabei ein biss­chen so wie den Band-Mit­gliedern im Müll-Tow­er, ihrem ziem­lich abge­fuck­ten Prober­aum: Nur sie sind zu erken­nen, die Decke — das heißt die Umwelt — bleibt im undurch­dringlichen Dunkel ver­bor­gen. Und im Müll-Tow­er wird es ja, ganz furcht­bar sym­bol­isch, auch immer dun­kler und käl­ter, je weit­er sich Niels und der Rest der Band von einan­der ent­fer­nen (diese etwas plat­te Sym­bo­l­ik ist nicht das stärk­ste Moment, aber ander­er­seits auch nicht über­mäßig auf­dringlich) … Warum es aber diese selt­samen, halb­herzi­gen Ver­suche gibt, dieses Dunkel zu durch­brechen, mit ziem­lich aufwendi­gen Vor­bere­itun­gen und Einkäufen von extrastarken Taschen­lam­p­en (aber eben immer nur Taschen­lam­p­en, nie Schein­wer­fern, obwohl Strom ja da wäre und für die Band-Instru­mente ja auch nötig ist …) und so weit­er, und zwar sowohl von Niels als auch von Lloyd, die aber bei­de damit irgend­wie sehr vorherse­hbar scheit­ern und diese Ausleuch­tungsver­suche dann auch nicht weit­er ver­fol­gen, bleibt mir recht unklar. Doch das nur neben­bei … Denn der Witz von Fuckin Sushi ist ja eher, dass es sich gar nicht über­mäßig um tief­ere Bedeu­tung, große Zusam­men­hänge, hohen Sinn bemüht, son­dern genau die Suche eines jun­gen Erwach­se­nen, eines erwach­sen wer­den­den Jugendlichen, nach diesen Zusam­men­hän­gen, nach einem Stand­punkt, ein­er Deu­tung des Lebens, der Welt und des ganzen Rests genau und mit­füh­lend beschreibt, ohne sen­ti­men­tal oder flach zu wer­den. Darin liegt die große Stärke und nicht zulet­zt das große Vergnü­gen von Degens’ Roman.

Bonn war eine schöne, alte Frau, in deren Gesicht an manchen Stellen der Schädel durch­schien. Nicht durch die Pracht­baut­en wurde die Stadt vere­delt, son­dern durch den Schmutz und den Dreck. Die Fix­er und Strich­er am Haupt­bahn­hof waren das Geil­ste an Bonn. Sie schürten die Angst und die Angst war der Motor unser­er Musik. Ohne Musik aber gab es nur noch Angst. (292)

Marc Degens: Fuckin Sushi. Köln: DuMont 2015. 320 Seit­en. ISBN 9783832197476.[/su_box]

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