Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: marc degens

Aus-Lese #40

Klaus Wagen­bach (Hrsg.): Störung im Betrieb­sablauf. 77 kurze Geschicht­en für den öffen­lichen Nahverkehr. Berlin: Wagen­bach 2014. 143 Seit­en.

wagenbach, störung im betriebsablaufEine lustige Edi­tion ist das, die mir zufäl­lig im Buch­laden in die Augen und Hände gefall­en ist: Klaus Wagen­bach hat kleine Texte gesam­melt, für die Lek­türe unter­wegs im ÖPNV. Der Zweck bes­timmt auch die Ord­nung der Texte nach Anlass und Länge: Kurzstreck­en, Bahn­hof, Zwei Sta­tio­nen etc. sind die Kapi­tel über­schrieben. Hin­ter der witzi­gen und sym­pa­this­chen Idee steckt aber vor allem eine schöne und vielfältige Samm­lung größ­ten­teils großar­tiger Kurzprosa: Kurzgeschicht­en, Para­beln, Anek­doten, Fabeln und vieles mehr. Wagen­bachs Auswahl beweist ein sehr hohes Qual­ität­sniveau ohne Aus­reißer: Das ist ein­fach gut aus­ge­sucht. Und vieles Bekan­ntes ist dabei, natür­lich — aber auch einiges Über­raschen­des, Uner­wartetes. Und auch beim Wieder­lesen entwick­elt so manch­es in diesem Zusam­men­hang neue Aspek­te. Das kleine Bänd­chen ist wirk­lich eine vortr­e­f­fliche Lek­türe für die Zeit des Bewegt-Wer­dens — da wün­scht man sich manch­mal beina­he eine tat­säch­liche “Störung im Betrieb­sablauf” …

Ulrike Almut Sandig: Buch gegen das Ver­schwinden. Geschicht­en. Frank­furt am Main: Schöf­fling 2015. 207 Seit­en.

sandig, verschwinden “Es ist so leicht zu ver­schwinden.” (35) Das ist das ganze Prob­lem. Denn wir Men­schen sind tat­säch­lich kaum mehr als ein Gras im Wind — ein­mal hier, bald wieder weg. Und darum geht es in diesem Geschicht­en-Band (aus­drück­lich nicht Erzäh­lun­gen!): Um das Ver­schwinden, um das Vergessen. Und darum, wie sich das (vielle­icht) doch ver­hin­dern oder auf­schieben lässt — mit dem Erzählen zum Beispiel. Aber wer sagt dann, dass das Erzählte was mit der vergangenen/verschwundenen Real­ität zu tun hat? Doch: Das ist keine philosophis­che Abhand­lung, kein Essay — und will es auch gar nicht sein. Son­dern eine Feier des Erzäh­lens. Denn Sandig ist eine großar­tige Erzäh­lerin, deren bre­ites stilis­tis­ches Reper­toire und deren Sprache ich sehr mag (das war auch schon bei den Flamin­gos so!). Ich zitiere aus Faul­heit mal die Ver­lagsweb­seite:

Ein junger Jour­nal­ist ver­sucht inmit­ten der Unruhen um den Istan­buler Gezi-Park die Erwartun­gen sein­er Mut­ter abzuschüt­teln, die nach dem Mauer­fall 1989 das Reise­fieber gepackt hat. Ein Wan­der­er geht während eines Schneesturms in den ural­ten ver­wun­sch­enen Wäldern des Engadin ver­loren. Ein kleines Mäd­chen wird zum näch­sten Venus­durch­gang von der Groß­mut­ter ans Ende der Welt geflo­gen. Wohin ihre Spuren führen, ist eines der vie­len Rät­sel dieser Geschicht­en.

Rät­sel weisen Sandigs Geschicht­en immer wieder auf. Aber keine Span­nungs- oder Kri­mi-Rät­sel, son­dern Rät­sel, die auf die Frage nach der Wahrheit, der Wirk­lichkeit der Ver­gan­gen­heit und der Erin­nerung ver­weisen. Mir ist dann die eigentlich Geschichte oft gar nicht so wichtig — ob es nun um einen Witwer geht, der sich und seine Ein­samkeit sowie seine fortschre­i­t­ende Demenz beobachtet, um einen jun­gen Jour­nal­is­ten, die Wan­der­er im Engadin, die den mythisch-verk­lärten Taman­gur-Wald ent­deck­en wollen — die Haupt­sache ist immer wieder das Erzählen selb­st.

Ja, an diesem Tag und in dieser Minute find­et sie plöt­zlich, dass sie sich diese Geschichte immer wieder anhören kön­nte und immer wieder in der jew­eils aktuellen Ver­sion, und jed­er Ver­sion würde sie Glauben schenken, wohl wis­send, dass wir, jede Einzelne von uns, die Erzäh­lerin­nen unser­er eige­nen Geschicht­en sind und dass es nicht darauf ankommt, was in Wirk­lichkeit passiert ist, solange wir eine Ver­sion haben, die uns das Leben und alle, die darin ver­schwinden, erträglich­er macht. (36f.)

Es gibt auch ein nett gemacht­es “Video zum Buch” von Har­ald Opel:

Ulrike Almut Sandig — Buch gegen das Ver­schwinden

Beim Klick­en auf das und beim Abspie­len des von YouTube einge­bet­teten Videos wer­den (u. U. per­so­n­en­be­zo­gene) Dat­en wie die IP-Adresse an YouTube über­tra­gen.
Joachim Zel­ter: Wieder­se­hen. Tübin­gen: Klöpfer und Mey­er 2015. 126 Seit­en.

zelter, wiedersehenOffiziell als “Nov­el­le” betitelt — und das haut auch hin. Ein kurz­er Text für zwis­chen­durch (die 126 Seit­en sind recht großzügig geset­zt), mit hohem Spaß­fak­tor: Der Lieblingss­chüler Arnold Lit­ten trifft nach zwanzig Jahren wieder auf seinen immer schon etwas kauzi­gen Lieblingslehrer Thorsten Korthausen, der ihn, der mit­tler­weile zum Ger­man­is­tik-Pro­fes­sor (ver­mut­lich …) gewor­den ist, damals im Fach Deutsch unter­richtet und für die Lit­er­atur begeis­tert hat. Im Rück­blick tauchen die sehr ungewöhn­lichen Lehrmeth­o­d­en Korthausens noch ein­mal auf (die jed­er Ord­nung, Ver­gle­ich­barkeit oder Plan­mäßigkeit spot­ten, aber natür­lich höchst genial waren und alle Schü­lerin­nen und Schüler enorm begeis­terten …). Jet­zt also das Wieder­se­hen, auf ein­er von Korthausen extra dafür aus­gerichteten Par­ty, bei der Lit­ten auch noch ohne Vor­war­nung einen Vor­trag hal­ten soll. Das alles geht, fast erwartungs­gemäß, fürchter­lich schief und gibt allen, vor allem aber Lit­ten selb­st, gründlich Gele­gen­heit, sich selb­st, ihre Stel­lung und ihrer (Lebens-)Ziele, aber auch die gemein­same Ver­gan­gen­heit, noch ein­mal gründlich zu über­denken. Das ist alles sehr liebevoll geschildert, mit wun­der­baren Typen (ger­ade die Neben­fig­uren sind her­rlich). Die kon­fronta­tive Sit­u­a­tion steigert sich immer mehr, bis das Ganze schließlich in eine ziem­lich wilde Groteske umkippt. Kurz vor dem Schluss (der noch ein­mal eine abso­lut unnötige “über­raschende Wen­dung” bietet) heißt es dann:

Er hätte niemals hier­herkom­men dür­fen. […] Dass es ein Fehler sei, einen Men­schen wie Korthausen nach über zwanzig Jahren ein­fach wiederzuse­hen. Dass man dabei nur ver­lieren kann, zuer­ste einen geliebten Lehrer udn dann sich selb­st. Dass man sich dadurch sein­er grundle­gen­sten Ebe­nen beraubt. Und sein­er schön­sten Bilder. (125)

Paulus Böh­mer: Werich­bin. Gedichte. Frank­furt am Main: Edi­tion Faust 2014. 56 Seit­en.

boehmer, wer ich bin“Gedichte” stimmt hier ger­ade so — es sind näm­lich genau zwei Langgedichte, die in diesem kleinen Bänchen zu find­en sind: “Werich­bin” (das scheint die bevorzugte Schreib­weise des Titels zu sein) und “Über das Zusam­men­fü­gen von Teilen”. Bei­de sind wieder typ­is­che Böh­mer-Schöp­fun­gen: Auf Mit­telachse ste­hen diese Text­türme, ohne Reim oder festes Metrum, sind sie fort­laufende Ket­ten von Ein­fällen und Assozi­a­tio­nen. For­mgebend ist beim Titelgedicht “Wer ich bin” zum Beispiel das “Wie” — “So” und “Daß” am Beginn der einzel­nen Vers­grup­pen in den drei Teilen des Titelgedichts.

Wer diesen (Vor-)Namen trägt, muss vielle­icht so schreiben: voller Bildge­walt, voller Wis­sen, immer alles wol­lend und auch alles sagen wol­lend, Texte voller Welthaltigkeit (oder vielle­icht auch Weltall­haltigkeit?) und Sprach­be­herrschung pro­duzierend. Auch “Werich­bin” über­wältigt mit dieser Vielfalt, wie immer bei Böh­mer ist das alles kaum fass­bar. Seine Gedichte hin­ter­lassen bei mir den Ein­druck von Größe und auch Erhaben­heit (das mag mit dem hym­nis­chen Ton sein­er Lyrik zusam­men­hän­gen), von Sprachge­walt und wis­sender Klugheit, die den Leser emporzuheben scheint (auch wenn ich nicht unbe­d­ingt sagen kön­nte, wohin — oder was ich daraus “gel­ernt” hätte): Man kann — und das behaupte ich ja gerne von guten Kunst­werken — das nicht lesen (bzw. sehen oder hören), ohne danach ein ander­er Men­sch zu sein. Und hat immer etwas von per­ma­nen­ter Über­forderung: Ich habe beim Lesen immer das Gefühl, dass mir viel ent­ge­ht — zugle­ich aber auch den Ein­druck, dass ich ganz viel davon habe, das jet­zt zu lesen. Michael Braun hat in sein­er Rezen­sion wohl nicht ganz zu Unrecht darauf hingewiesen, dass Böh­mers Lyrik als “Über­fluss-Pro­duk­tion” funk­tion­iere. Das macht sie aber eben schwierig und faszinierend zugle­ich …
Das kleine Bänd­chen — sozusagen Böh­mer für Ein­steiger (Kad­dish ist da allein wegen seines Umfangs ja schon abschreck­ender …) — enthält außer den bei­den Gedicht­en noch ein kurzes Nach­wort (das mir wenig brachte) und drei Col­la­gen — eine bunte vom Autor auf dem Umschlag, eine schwarz-weiße von ihm im Vor­satz und eine weit­ere von Lydia Böh­mer zu Beginn von “Über das Zusam­men­fü­gen von Teilen”.

Marc Degens: Fuckin Sushi. Köln: DuMont 2014. 320 Seit­en.

degens, sushiEin tolles Buch übers Erwach­sen­wer­den in Bonn, die Musik (und den Alko­hol), das Leben und den ganzen Rest: intel­li­gent aus­gedacht, schnell und flott geschrieben und auch zügig gele­sen — und zudem gibt es eine reich­haltige cross­me­di­ale Begleitung für die, die so etwas mögen — die fängt übri­gens mit Playlists des Pro­tag­o­nis­ten (u.a. sein erster Ipod mit “langer” Musik) schon im Buch selb­st an. Mehr zu dieser Leseempfehlung gibt es in einem eige­nen Text, näm­lich hier.

Ulrich Lap­penküper & Ulf Mor­gen­stern (Hrsg.): Dem Otto sein Leben von Bis­mar­ck. Die besten Anek­doten über den Eis­er­nen Kan­zler. München: Beck 2015. 128 Seit­en.

lappenküper, bismarckDer Titel ist natür­lich sel­ten däm­lich. Wieso sich der Beck-Ver­lag zu so einem Unsinn hin­reißen lassen hat, ver­ste­he ich nicht. Denn das Büch­lein hat ja dur­chaus einen hohen Anspruch. Sich­er, es geht um Anek­doten. Aber die sollen viel leis­ten, wie die bei­den Her­aus­ge­ber in der Ein­leitung beto­nen:

[…] hegen die Her­aus­ge­ber die Hoff­nung, mitels der hier ver­sam­melten Äußerun­gen von und über Bis­mar­ck sein­er Per­sön­lichkeit näher zu kom­men, als es manch tief­gründi­ge his­torische Darstel­lung ver­mag. (8)

Ich halte das prinzip­iell für gewagt und im Falle dieser kleinen Samm­lung auch für nicht erfüllt. So viel also zum Neg­a­tiv­en. Was bleibt dann? Eine kuriose Samm­lung von mehr oder min­der amüsan­ten Begeg­nun­gen, Begeben­heit­en und Erin­nerun­gen Bis­mar­cks und seines Umfeldes. Die ersten Jahre sind naturgemäß schwach vertreten und ger­ade dort bleibt der Pro­tag­o­nist auch blass, wenn auch seine Genial­ität natür­lich (schließlich wur­den die Anek­doten alle Jahrzehnte später niedergeschrieben) schon allen Ver­ständi­gen sicht­bar war. Über­haupt entste­ht hier das Bild eines Bis­mar­ck, der nicht so sehr “Eis­ern­er Kan­zler” war, son­dern vor allem ein gewitzter Draufgänger. Das liegt natür­lich (auch) in der Natur der hier ver­sam­melten Quellen begrün­det — wie wahr das ist, kann ich nicht wirk­lich beurteilen. Fest­stellen lässt sich aber auch ohne detail­lierte Bis­mar­ck-Ken­nt­nisse die Nei­gung zur frühen und ziem­lich voll­ständi­gen (Selbst-)Stilisierung.

Daneben wer­den aber dur­chaus auch schöne Begeben­heit­en hier berichtet. Zum Beispiel über die Rolle des Rauchens im Frank­futer Bun­destag, das schnell als Rang­merk­mal, als Sta­tussym­bol ent­deckt wird (wer darf in den Sitzun­gen rauchen?) und das fast genau­so schnell seine Untauglichkeit dafür erweist, weil schließlich (nahezu) alle rauchen, selb­st wenn sie, d.h. die Gesandten, es nur unter größtem per­sön­lichem Wider­willen tun. Auch schön: Bis­mar­cks etwas däm­lich­er Feldzug gegen die Anti­qua-Drucke und sein Beste­hen auf Frak­tur-Schriften für den Dien­st­ge­brauch. Und hier darf natür­lich nicht fehlen: Sein Wider­stand gegen die Ein­führung ein­er neuen Rechtschrei­bung (1876). Dazu heißt es in diesem Bänd­chen, das alles in allem doch eine nette Lek­türe für zwis­chen­durch ist:

Er sprach mit wahrem Ingrimm über die Ver­suche, eine neue Orthogra­phie einzuführen. Er werde jeden Diplo­mat­en in eine Ord­nungsstrafe nehmen, welch­er sich der­sel­ben bedi­ene. Man mute dem Men­schen zu, sich an neue Maße, Gewichte, Münzen zu gewöh­nen, ver­wirre alle gewohn­ten Begriffe, und nun wolle man auch noch eine Sprachkon­fu­sion ein­führen. Das sei unerträglich. Beim Lesen auch noch Zeit zu ver­lieren, um sich zu besin­nen, welchen Begriff das Zeichen aus­drücke, sei eine uner­hörte Zumu­tung. Eben­so sei es Unsinn, Deutsch mit lateinis­chen Let­tern zu schreiben und zu druck­en, was er sich in seinen dien­stlichen Beziehun­gen ver­bit­ten werde, solange er noch etwas zu sagen habe. (79)

außer­dem gele­sen:

  • Mar­cel Bey­er: XX. Licht­en­berg-Poet­ikvor­lesun­gen. Göt­tin­gen: Wall­stein 2015 (Göt­tinger Sudel­blät­ter). 80 Seit­en.
  • Bertolt Brecht: Der gute Men­sch von Sezuan. Para­bel­stück. Frank­furt am Main: Suhrkamp 1964. 144. Seit­en.
  • Got­tfried Immanuel Wen­zel: Ver­brechen aus Infamie. Eine the­atralis­che Men­schen­schilderung für Richter und Psi­cholo­gen in drei Akten. Mit einem Nach­wort her­aus­gegeben von Alexan­der Kos­en­i­na. Han­nover: Wehrhahn 2014 [1788] (The­ater­texte, Bd. 43). 64 Seit­en.

Musik, Alkohol — und Bonn: “Fuckin Sushi” von Marc Degens

degens, sushi
Das ist — man muss es so direkt sagen — ein grandios­es Buch. Vielle­icht liegt das ger­ade an sein­er Unschein­barkeit. Denn eigentlich erzählt Marc Degens etwas, das man so ähn­lich schon tausend­mal (und in let­zter Zeit auch gehäuft) lesen kon­nte: Das Erwach­sen­wer­den in der Prov­inz. Nun gut, Prov­inz ist für Bonn vielle­icht zu bösar­tig, aber es trifft das Gefühl des Pro­tag­o­nis­ten Niels. Der ist 17 Jahre alt, ger­ade mit seinen Eltern (von denen wir sehr wenig erfahren) von Gelsenkirchen nach Bonn umge­siedelt und wid­met sich zunehmend der Musik. Zunächst vor allem hörend — und zwar nur lange Lieder, keine kurzen (Hit-)Songs -, bald aber auch, zusam­men mit seinem Fre­und René bzw. R@ selb­st musizierend. Die starten, das wird nicht so ganz klar, entwed­er als Genies oder als eine Art “Geniale Dil­letan­ten” mit ein­er Mis­chung aus Konz­ert, Per­for­mance und Hap­pen­ing vor dem Café, das Heino gehört. Daraus entwick­elt sich dann schnell großes, näm­lich “Fuckin Sushi”, zunächst als Trio, dann als Quar­tett, und am Schluss wieder als Trio — dann aber ohne Niels. Dazwis­chen ste­ht ein mehrmonatiger Rausch an und mit der Musik (und jede Menge Alko­hol und Zigaret­ten …). “Fuckin Sushi” lan­det mehr oder weniger zufäl­lig einen You-Tube-Hit, tin­gelt kurz durch Deutsch­land, zer­stre­it­et sich, zer­fällt an Quere­len und der Uneinigkeit über die Aus­rich­tung der Band. Niels verkraftet den Auss­chluss nicht so gut, untern­immt auch einen Pseu­do-Selb­st­mord­ver­such im Hochwass­er des Rheins, gam­melt lange vor sich hin und find­et sich schließlich — wiederum mit Hil­fe ein­er Frau — in New York, wo er sich als Schrift­steller neu erfind­et, der Fuckin Sushi nieder­schreibt.

Das klingt, so erzählt, banal und lang­weilig. Das Entschei­dende am Roman von Marc Degens ist aber das Wie des Erzäh­lens, vor allem seine Sprache: Die ist direkt und unver­fälscht — sie lässt den Leser in den Rausch und die Glück­seligkeit des Musik­machens sehr unmit­tel­bar ein­tauchen. Und sie lässt ihn auch die Schwierigkeit­en des Älter- oder Erwach­sen­wer­dens von Niels sozusagen haut­nah miter­leben. Dass Fuckin Sushi neben­bei auch noch eine ziem­lich real­is­tis­che Schilderung der BRD am Anfang des 21. Jahrhun­derts, ins­beson­dere Bonns und Umge­bung, ist, kann man als nette Zugabe ver­buchen. Wichtiger ist aber das Tem­po, der Dri­ve und der Witz, mit dem Degens erzählt. Der Kri­tik­er der “taz”, Jens Uthoff, hat das sehr gut auf den Punkt gebracht: “Über weite Streck­en ist Fuckin Sushi eine span­nend geschriebene Hom­mage an das Unre­gle­men­tierte, das Unre­flek­tierte, das Jungfräuliche der Jugend — wobei auch dies­bezüglich die Zwis­chen­töne, ein heute anders erlebtes „No future“, stim­men.”

So laut die Band “Fuckin Sushi” ist, so leise kommt — und doch ziem­lich erwart­bar — das Ende: Es kommt, wie es kom­men muss, die Band zer­stre­it­et sich, Niels wird raus­ge­wor­fen, weil, das klang vorher schon immer wieder an, die Band sich stärk­er an Hits und Rezip­i­en­ten ori­en­tiert und die Begeis­terung und das empathis­che Aufge­hen im Akt des Musizierens in den Hin­ter­grund gerät. Damit — und mit den Depres­sio­nen Niels’ — gerät allerd­ings auch das zen­trale Prinzip von “Fuckin Sushi” in Bedräng­nis: Mit dem “Abrent­nern” ist es sowohl bei der Band als auch bei Niels nicht mehr so weit her. Dabei klang das vorher doch noch nach so ein­er tollen Idee: “Welt­frieden und Abrent­nern sofort” ist nicht nur der Slo­gan der Band, son­dern auch ein Ide­al ihrer Pro­tag­o­nis­ten, zumin­d­est von Niels. Der for­muliert ein­mal sehr tre­f­fend:

»Abrentern ist gut«, sagte ich war­nend. »Aber man darf auf keinen Fall ver­ade­nauern.« (269)

Nach der begeis­terten Begleitschreiben-Rezen­sion musste ich das auch lesen. Und ich kann Gre­gor Keuschnig ziem­lich vol­lkom­men zus­tim­men, deswe­gen brauche ich das hier nicht noch mal alles auszubre­it­en: Das ist ein guter Roman. Sich­er, Degens fokussiert das sehr stark auf seinen Pro­tag­o­nis­ten Niels. Das hat etwas vom Tun­nel­blick: alles, was nicht mit ihm, R@ und vor allem eben der Musik, also in erster Lin­ie “Fuckin Sushi”, zu tun hat, wird ziem­lich radikal aus­ge­blendet oder zumin­d­est an den Rand gedrängt. Es geht dem Rest der Fig­uren (und auch des Lebens Niels) dabei ein biss­chen so wie den Band-Mit­gliedern im Müll-Tow­er, ihrem ziem­lich abge­fuck­ten Prober­aum: Nur sie sind zu erken­nen, die Decke — das heißt die Umwelt — bleibt im undurch­dringlichen Dunkel ver­bor­gen. Und im Müll-Tow­er wird es ja, ganz furcht­bar sym­bol­isch, auch immer dun­kler und käl­ter, je weit­er sich Niels und der Rest der Band von einan­der ent­fer­nen (diese etwas plat­te Sym­bo­l­ik ist nicht das stärk­ste Moment, aber ander­er­seits auch nicht über­mäßig auf­dringlich) … Warum es aber diese selt­samen, halb­herzi­gen Ver­suche gibt, dieses Dunkel zu durch­brechen, mit ziem­lich aufwendi­gen Vor­bere­itun­gen und Einkäufen von extrastarken Taschen­lam­p­en (aber eben immer nur Taschen­lam­p­en, nie Schein­wer­fern, obwohl Strom ja da wäre und für die Band-Instru­mente ja auch nötig ist …) und so weit­er, und zwar sowohl von Niels als auch von Lloyd, die aber bei­de damit irgend­wie sehr vorherse­hbar scheit­ern und diese Ausleuch­tungsver­suche dann auch nicht weit­er ver­fol­gen, bleibt mir recht unklar. Doch das nur neben­bei … Denn der Witz von Fuckin Sushi ist ja eher, dass es sich gar nicht über­mäßig um tief­ere Bedeu­tung, große Zusam­men­hänge, hohen Sinn bemüht, son­dern genau die Suche eines jun­gen Erwach­se­nen, eines erwach­sen wer­den­den Jugendlichen, nach diesen Zusam­men­hän­gen, nach einem Stand­punkt, ein­er Deu­tung des Lebens, der Welt und des ganzen Rests genau und mit­füh­lend beschreibt, ohne sen­ti­men­tal oder flach zu wer­den. Darin liegt die große Stärke und nicht zulet­zt das große Vergnü­gen von Degens’ Roman.

Bonn war eine schöne, alte Frau, in deren Gesicht an manchen Stellen der Schädel durch­schien. Nicht durch die Pracht­baut­en wurde die Stadt vere­delt, son­dern durch den Schmutz und den Dreck. Die Fix­er und Strich­er am Haupt­bahn­hof waren das Geil­ste an Bonn. Sie schürten die Angst und die Angst war der Motor unser­er Musik. Ohne Musik aber gab es nur noch Angst. (292)

Marc Degens: Fuckin Sushi. Köln: DuMont 2015. 320 Seit­en. ISBN 9783832197476.[/su_box]

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