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Schlagwort: wien

felix austria mit beata olanda (und deutschen zuhörern)

Nein, viel Spaß ver­ste­hen diese vier nicht. Dafür ist ihnen die Sache viel zu ernst. Schließlich geht es um große Musik. Und das erfordert nicht nur Ernst, son­dern auch volle Hingabe. Eines wird näm­lich schnell klar in der St. Anto­niuskapelle: Für „La Bea­ta Olan­da“ gibt es keine hal­ben Wege. Alles oder Nichts heißt die Devise für das Spezial­is­te­nensem­ble – trotz des Namens übri­gens eine ziem­lich deutsche Sache. Und das heißt wiederum: Sie geben alles. Denn Scheit­ern ste­ht nicht auf dem Pro­gramm. Dafür aber eine kleine Run­dreise durch den deutschen und öster­re­ichis­chen Barock – mit deut­lichem Schw­er­punkt auf dem Alpen­land. Sowohl Bach als auch Hän­del, bei­de mit ein­er Vio­lin­sonate vertreten, wer­den da eher zur Neben­sache. Viel span­nen­der und viel vitaler auch gelingt dem Quar­tett die Auswahl aus den Sonat­en von Johann Hein­rich Schmelz­er und Hein­rich Ignaz Franz von Biber. Die kön­nen bei­de ein reich­es Oeu­vre vor­weisen – nicht nur quan­ti­ta­tiv. Und vor allem für Vio­lin­is­ten. Schmelz­er, Hofkapellmeis­ter im Wien Kaiser Leopolds, war als Kom­pon­ist genau­so ange­se­hen wie als Vio­lin­ist. Und für den Salzburg­er Hof­musikus Biber gilt nur zwanzig Jahre später das gle­iche: Gefeiert­er Ton­set­zer und europaweit berühmter Vir­tu­ose auf der Geige. Entsprechend anspruchsvoll sind viele sein­er Sonat­en.
Für Clau­dia Hoff­mann scheint die tech­nis­che Her­aus­forderung aber nicht beson­ders hoch zu sein. Fast gelassen und ohne Furcht wählen sie und ihre Mit­stre­it­er forsche Tem­pi, forcieren die Kon­traste zwis­chen ruhi­gen Abschnit­ten und wild-brausenden Pas­sagen noch zusät­zlich.
Ihre tech­nis­chen Fähigkeit­en stellen sie dabei genau­so wenig her­aus wie sich selb­st. Egal ob in Schmelz­er Duosonat­en für Diskantgambe und Vio­line (aus der Samm­lung „Duo­de­na selec­tarum sonatarum“) oder sein­er drit­ten Sonate aus den großen „Sonatae unarum fid­i­um“, ganz gle­ich ob in Tanzsätzen oder Osti­nati – immer macht „La Bea­ta Olan­da“ das Mate­r­i­al zu absoluter, ganz und gar rein­er Musik. Da wird dann auch nichts mehr his­torisiert – das Wis­sen um die zeit­genös­sis­che Auf­führung­sprax­is ist auch nur noch ein Mit­tel, dieser Musik zu ihrer voll­ständi­gen, unpartei­is­chen Mate­ri­al­isierung zu ver­helfen. Und das funk­tion­iert blendend. Vielle­icht auch deshalb, weil der kleine Raum der St. Anto­niuskapelle das gut unter­stützt: Mit­ten im musikalis­chen Geschehen wäh­nt man sich als Pub­likum, so direkt und unmit­tel­bar umfan­gen einen die reich­halti­gen Klänge.
Und direkt ist schließlich auch der Zugriff des Ensem­bles: Mit voller Kraft wer­fen sie sich etwa in die Kon­traste und Span­nun­gen der Sonat­en. Da gibt es keine Beschöni­gun­gen, aber auch keine über­triebe­nen Drama­tisierun­gen, son­dern ein­fach nur Musik – mal entspan­nend, mal span­nungs­ge­laden­er als jed­er Kri­mi. Und wenn sie dann das Konz­ert mit Bibers c‑Moll-Sonate enden lassen, zeigen sie nicht nur großen Mut, son­dern auch unbarmherzige Härte: So ein Cliffhang­er ist ziem­lich gemein. Aber auch ganz schön gut.

(konz­ert des mainz­er musik­som­mers, geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung)

hofmannsthal gemalt

ulrich weinzierl behauptet, „skizzen” zum „bild” hugo von hof­mannsthal geschrieben zu haben. meine überzeu­gung nach der lek­türe: das sind nur stu­di­en zum hin­ter­grund des porträts. und ein bild ohne seinen gegen­stand ist ziem­lich lang­weilig. dazu passt, dass er aus hof­mannsthal einen schrift­steller ohne werk macht. lit­er­arisches kommt in diesem rundgang durch hof­mannsthals epis­tolo­graphis­ches werk näm­lich so gut wie gar nicht vor.

dafür hat weinzierl alles an briefen und zeug­nis­sen gele­sen, was es zu hof­mannsthal gibt, und auch ganz fleißig exz­er­piert. und dann hat er seinen zettelka­s­ten abgeschrieben. beze­ich­nend für diese arbeitsweise ist das fre­unde-kapi­tel, zugle­ich der haupt­teil der nicht ger­ade umfan­gre­ichen studie: dort erfährt man im end­ef­fekt mehr über die fre­unde als über den eigentlichen gegen­stand, hugo von hof­mannsthal. so entste­hen knapp 230 seit­en, dafür aber fast 1000 fußnoten, die auss­chließlich zitat­nach­weise bieten (mit aus­nahme ein­er quelle hat der autor näm­lich alles in die end­noten gepackt).

das wesentliche fehlt aber. hof­mannsthal bleibt blass: kein men­sch wird hier beschrieben, keine per­son — nur äußerun­gen wer­den referiert. noch nicht ein­mal einen min­i­malen biographis­chen abriss leis­tet sich weinzierl — für wen ist das buch denn dann eigentlich gedacht? denn sein­er ansicht nach gibt es ja über­haupt gar keine taugliche biogra­phie des autors. auch wed­er die epoche wird einge­hend charak­ter­isiert noch der men­sch. gut, in bezug auf die epoche gibt es immer­hin ansätze — was das gesellschaftliche leben ange­ht vor allem, in hin­blick auf poli­tis­che oder gar kul­turelle zusam­men­hänge gibt sich weinzierl bedeckt.

die forschung bleibt immer anonym, mit for­mulierun­gen wie „neueste forschun­gen” mogelt sich weinzierl da durch. andere biogra­phien oder deren ver­suche hat er kaum zur ken­nt­nis genom­men bzw. kaum ver­w­ertet. zumin­d­est spiegelt der text kein­er­lei auseinan­der­set­zung wider. seine eige­nen urteile erscheinen mir — der ich kein experte auf diesem gebi­et bin — dann immer etwas freis­chwebend, sozusagen feuil­leton­is­tisch: pointiert bis ins extrem, aber ohne wirk­lich sach­haltige nach­weise oder belege. dafür mok­iert sich weinzierl aus­ge­sprochen gern über jeden einzel­nen schreibfehler in den briefen, beson­ders wenn er den absender in seinem ver­hält­nis zu hof­mannsthal sowieso neg­a­tiv zeich­nen will.

selt­sam und befremdlich fand ich auch seine marotte, zwis­chen homophilie, homo­erotik und homo­sex­u­al­ität beliebig hin- und herzuwech­seln — je nach bedarf. eigentlich erscheint mir ja schon die gern gebrauchte wen­dung der homo­erotik als halbe korinthenkack­erei und augen­wis­cherei, wird sie doch in der regel — ins­beson­dere bei thomas mann — gebraucht, um eine nicht prak­tizierte, nicht offen und umfassend aus­gelebte homo­sex­u­al­ität zu beschreiben. das mag ja noch ange­hen, aber dann noch eine homophilie — die, wenn ich das richtig sehe, vor allem eine jugendliche schwärmerei sein soll — zu kon­stru­ieren, ist doch irgend­wie lächer­lich: entwed­er geht es um eine (sex­uelle) ori­en­tierung oder um fre­und­schaft.

ins­ge­samt hin­ter­lässt mich weinzierl zutief­st unbe­friedigt: die rät­sel­haftigkeit, das sprung­hafte wesen hof­mannsthal, wie es sich ger­ade in der Pflege (oder Zer­störung) sein­er Fre­und­schaft zeigt, den zahlre­ichen brüskierun­gen eben­so wie den fle­hen­den bit­ten um verge­bung, lassen weinzierl (und damit seine leser auch) aus­ge­sprochen rat­los zurück. viel mehr als bloßes referieren leis­tet er da, wo es um das eigentlich der biogra­phie, die erforschung des charak­ters, gehen sollte, nicht. dafür zieht er sich, je weit­er er im text fortschre­it­et, immer mehr auf ein äußerst sim­plizis­tis­ches erk­lärungsmod­ell zurück: hof­mannsthal war halt ein genie und hat entsprechend unerk­lär­lich gehan­delt. das gipfelt dann in solch absur­den und idi­o­tis­chen sätzen wie diesem: „hat hugo von hof­mannsthal seine frau seel­isch mißhan­delt? keineswegs mehr, als jedes andere genie das eben tut.” (210) mehr braucht man dazu wirk­lich nicht sagen.

ulrich weinzierl: hof­mannsthal. skizzen zu seinem bild. darm­stadt: wis­senschaftliche buchge­sellschaft 2006 (wien: zsol­nay 2005).

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