Es dient nicht der Entschuldigung der derzeit im Namen Allahs ausgeübten Verbrechen, mögliche historische Parallelen sichtbar und auf die Gewaltpotentiale in allen Religionen aufmerksam zu machen. Aber es verhindert eine falsche, essentialistische Sicht auf den Islam, den es so wenig wie das Christentum gibt. Die muslimischen Religionskulturen in Europa sind in sich höchst vielfältig und durch ganz unterschiedliche kollektive Erfahrungen geprägt. Muslime in Kreuzberg, deren Eltern oder Großeltern einst aus der Türkei kamen, teilen nicht die traumatisierenden Erinnerungen an koloniale Fremdherrschaft, die für viele französische, noch vom Algerien-Krieg geprägte Muslime kennzeichnend sind.
Nach den Anschlägen von Paris und nun auch Brüssel ließ sich im politischen Betrieb eine Reaktion beobachten, die nur als falsches semantisches Investment bezeichnet werden kann: Staatspräsidenten, Regierungschefs und Parteivorsitzende beschworen einhellig „die Werte Europas“ oder „des Westens“, die man gegen alle terroristischen Angriffe verteidigen werde. […]
Aber mit Werte-Rhetorik ist niemandem geholfen.
„Wert“ war ursprünglich ein Begriff der ökonomischen Sprache, und seine Einwanderung in ethische Debatten und juristische Diskurse hat nur dazu geführt, die freiheitsdienliche Unterscheidung von gesetzlich kodifizierten Rechtsnormen und moralischen Verbindlichkeiten zu unterlaufen. Deshalb ist es fatal, wenn Vertreter des Rechtsstaates diesen im Kampf gegen den Terrorismus nun als eine „Wertegemeinschaft“ deuten.
für einen theologen auch fast überraschend, aber natürlich absolut richtig und ein punkt, der immer wieder gestärkt und verdeutlicht werden muss (weil er so gerne vergessen wird):
Für wirklich alle gilt allein das Recht, und deshalb sind Rechtsbrecher zu verfolgen und zu bestrafen.
My Heroic and Lazy Stand Against IFTTT | Pinboard Blog — der pinboard-gründer/betreiber maciej cegłowski erklärt, warum es seinen (übrigens sehr empfehlenswerten) service nicht mehr bei ifttt gibt. die kurzfassung: deren unverschämten, erpresserischen bedingungen für entwickler
Das Thema der „Vogue“ ist: „Langeweile“. Sowohl in den Anzeigen als auch in der Fotostrecke. „Komm Baby, stell Dich mal so hin und schau so pikiert, als würdest Du an einen völlig verkochten Grünkohl denken.“ Die Mädchen sind dünn, die Gesichter leer, die Klamotten teuer. In den Sechzigern gab es einen Dr. Oetker-Spot, in dem eine Frau am Herd steht, ein Fertiggericht zaubert und ein Sprecher sagt: „Eine Frau hat zwei Lebensfragen: Was soll ich anziehen? Und was soll ich kochen?“ Die Frauen der „Vogue“ haben sogar nur eine Lebensfrage, und selbst die macht ihnen offensichtlich keinen Spaß.
Ingeborg Bachmann: “In mir ist die Hölle los” | ZEIT ONLINE — der germanist Joseph McVeigh durfte frühe briefe von ingeborg bachmann benutzen und zitieren und ist nun sicher, dass man das werk der autorin nur biographisch verstehen kann. zum glück ist die “zeit” gegenüber solchem methodischen unsinn etwas skeptischer …
“Ich habe keine Matratzenschnüffelei betreiben wollen”, sagt Biograf McVeigh, “aber wenn man die zerstörerische Wirkung der beiden katastrophal gescheiterten Beziehungen auf das Leben von Ingeborg Bachmann nicht berücksichtigt, kann man ihr späteres Werk kaum verstehen.”
The experience was like having your forebrain slowly and laboriously beaten to death by a wilting erection wrapped in a copy of the Patriot Act: savage and silly and just a little bit pathetic.
sie bleibt aber nicht bei der persönlichen abscheu, sondern zeigt meines erachtens (aber ich bin ja auch kein bond-kenner) sehr gut, warum die bond-figur (heute) problematisch ist:
The problem with Bond is that he is supposed to be the good guy. He is a borderline rapist who is employed by the government to murder people – and yet he is not an anti-hero. He is just a hero. … Bond is a hero for no other reason than that he is on our side, which is how most western nations and particularly the British come to terms with their particular legacy of horror – with a quiet embarrassment that nonetheless knows how to defend itself by force. […]
James Bond, more than anything, is a tragic figure and his tragedy is the tragedy of white, imperialist masculinity in the 21st century. It is a tragedy of irrelevance that becomes all the more poignant and painful in the retelling.
Es gibt das Bedürfnis der Literaturkritik und der Öffentlichkeit nach Welterklärung beziehungsweise nach Auffächerung von Erfahrungen, die man sonst nur aus den Medien kennt. An die Literatur wird eine Aufgabe delegiert, die möglicherweise nicht unbedingt eine genuin literarische Funktion ist. […]
Das Moment von Utopie ist mit einem philosophischen Begriff von Geschichte verbunden, und der ist uns verloren gegangen. Wir sehen uns nur noch mit der Empirie der Probleme konfrontiert und versuchen, sie praktisch zu lösen, aber wir haben keinen Entwurf von Zukunft mehr, der die Erfahrungen der Vergangenheit aufnehmen und verwandeln würde, um zu einem anderen Begriff der Zukunft zu kommen als dem, dass die Häuser gedämmt werden.
sehr schön deutlich werden auch die verschiedenen arten, “politisch” zu denken als literatin — bei peltzer z.b. immer ins philosophisch-historische gehend oder bei erpenbeck vom persönlich-individuellen erlebnis aus
Es war ein Bankraub von innen. sehr schöne reportage von marc brost & andreas veiel über macht und verantwortung, ethik, gier und konkurrenz auf den höchsten ebenen der wirtschaft — hier am beispiel der deutschen bank (sehr schön auch, dass sie zeigen, dass das alles selbst auf betriebswirtschaftlicher ebene (von der volkswirtschaftlichen ganz zu schweigen) unsinnig war/ist)
Gestern wettern, heute bejubeln ‒ einer immerhin, Michael Angele vom „Freitag“, hat den pünktlichen Kurswechsel vermerkt, auf Facebook. Soll man es damit bewenden lassen? Ungern. Das Problem ist, wie Weidermann die Kurve kriegen will. Gebetsmühlenartig von Intensität und Kraft schwärmen, aber den Aggressionspegel von „Johann Holtrop“ ein bisschen bekritteln, als sei er ein Ausreißer ‒ das ist wie Willy Brandt hervorragend finden, bis auf Emigration und Ostpolitik. Absurd, weil Intensität und Polemik bei Goetz natürlich stets zusammengehören.
Der Reihungskünstler — konkret — joseph wälzholz zeigt die rhetorischen kniffe volker weidermanns (bei ein paar begriffen musste ich wirklich überlegen …)
Ein genialer Rhetoriker: Niemand setzt hochkomplizierte Stilmittel so virtuos ein wie der Feuilletonist Volker Weidermann. Eine Collage in 19 Motiven und 79 Fußnoten.
Vom Fehlen des Widerständigen. Weitere Gedanken über Ferneyhough. — moritz eggert über ferneyhoughs musik und den unterschiede zwischen partitur (aufregend, komplex) und klang (nicht immer überwältigend …) — zu den partituren hat er kürzlich schon etwas gebloggt: http://blogs.nmz.de/badblog/2015/10/19/die-quadratur-der-linie-ein-neuer-blick-auf-das-werk-von-brian-ferneyhough/
Neonazis: Heidi und die Brandstifter | ZEIT ONLINE — interessante, gute, packende reportage von daniel müller & christian fuchs über eine im neonazi-familien-milieu sozialisierte junge frau, die sich von dieser ideologie inzwischen abgewandt hat
Sie stammt aus einer Familie von treuen Nazis, als Kind wurde sie in geheimen Lagern gedrillt. Ihre früheren Kameraden zündeln heute bei NPD und Pegida. Heidi Benneckenstein hat sich anders entschieden.
Stadt Wien veröffentlicht positive Sharrow-Studie | It started with a fight… — die stadt wien hat an drei wichtigen, verkehrsstarken straßen untersucht, wie aufgemalte fahrradpiktogramme (mit pfeil), die sogenannten “sharrows”, sich auch ohne weitere veränderungen des verkehrsraums ausgesprochen günstig für radfahrerinnen auswirken:
Diese Studie „Wirkung von Fahrrad-Piktogrammen im Straßenverkehr“ […] zeigt sehr positive Ergebnisse: Gesteigerte Sicherheit des Rad- und Autoverkehrs durch verbesserte Interaktion, Abnahme der Überholvorgänge und größeren Sicherheitsabstand der Autos beim Überholen.
1001 Dinge | Schmalenstroer.net — eine liste von listen, die man lebendig abarbeiten “muss”, von einem listenhasser …
Erstens: Die Gründe, warum solche Personen kurzzeitig oder für immer von der Bühne verschwinden, sind meist triviales NS-Wording. Zweitens: Es trifft in aller Regel die Richtigen. Drittens: Indem man es sich aber so einfach macht, gibt man ihnen und ihren Unterstützern die Rolle, die sie so gerne einnehmen, nämlich die des unterdrückten Querdenkers. Was sie, viertens, niemals sind.
Beim Klicken auf das und beim Abspielen des von YouTube eingebetteten Videos werden (u. U. personenbezogene) Daten wie die IP-Adresse an YouTube übertragen.
Die Hintermänner dieses Blatts voller Selbstmörder- und Raubersgeschichten — von dem allerdings kein Exemplar erhalten ist — blieben bislang im Verborgenen; dank eines Zufallstreffers im Niederösterreichischen Landesarchiv kann ich nun ein Mosaiksteinchen zu ihrer Geschichte hinzufügen
Es ist natürlich richtig, zum 25. Jahrestag des Mauerfalls die schlimmen Seiten der DDR noch einmal in Erinnerung zu rufen. Aber gleich Wolf Biermann?
Vor Donaueschingen: Ein Gespräch mit Armin Köhler | nmz — neue musikzeitung — Was denkt der Macher der Donaueschinger Musiktage über sein Programm, über Vorheriges. die Gegenwart und über die Zukunft: Das Wort “und” war dieses Jahr ein Verbindendes — und ein Klärendes: Armin Köhler im Gespräch mit nmz-Herausgeber Theo Geißler.
Ein Journalist darf nicht nur parteiisch, sondern sogar Aktivist sein. Letzteres darf nur nicht dazu führen, dass er Qualitätsgrundsätze über Bord wirft oder gar die „eigenen“ Leute schont. Dann wird aus Parteilichkeit dumpfer „Parteijournalismus“.
Auf den offiziellen Linuxrechnern werden derzeit Funktionalitäten aus Sicherheitsgründen beschnitten, zum Beispiel sind USB-Ports und CD-Laufwerke deaktiviert. Das bringt Frustration, laut unseren Informationen führt das unter anderem dazu, dass man auf den Wachen nicht ohne Weiteres Überwachungsvideos auswerten kann. Die Lösung lag aber keineswegs darin, die Prozesse umzugestalten, nein: Es wurden Windows-PCs aufgestellt, die derartige Sicherheitsbeschränkungen nicht aufweisen. Es scheint gekonnt ignoriert zu werden, dass man hier ein Problem nicht löst, sondern auf fahrlässige Weise wegignoriert. Und das bequeme Anschauen von Überwachungsvideos wird offensichtlich über den verantwortungsvollen Umgang mit den Systemen gestellt.
… und die sind dann für “cyberkriminalität” zuständig …
They don’t look to stressed with their part of long held-out droning notes, so I guess they have time to smile. Sometimes the camera zooms on the left hand of Max Richter when it is about to play a new bass note. Fascinated we see how he lifts one finger – and presses down another one. This seems to be a tiring process because afterwards the fingers don’t move anymore for a while. […]
Max Richter smiles at him, it could be that he’s happy that he’s back. But then he looks stressed again, because now he lifts his finger to play a new pedal note. I ask myself if left hands can feel shame. Probably not.
Bernhard konnte hier seiner liebsten Sucht nachgehen: der Melancholie. Er liebte es, die Menschen zu beobachten, und zwar über Jahrzehnte. Er sah dann, wie die einst junge Serviererin, die einmal so behende, flink und lustig gewesen war, dieselben Bewegungen, etwa das Zählen des Geldes, nun mit ganz anderen, ebenfalls schönen Bewegungen ausführte – und zerfloss dabei vor Melancholie. Er sagte es selbst: Das Melancholischsein war seine Droge, waren seine Tabletten, und er brauchte jeden Tag eine oder zwei davon. Es machte ihn glücklich, melancholisch zu sein.
Das ist nicht dasselbe. Das hat nicht dieselbe Qualität. Objektiv nicht.
(wenn es so aussieht, als würde ich (fast) jeden Blogartikel von Niggemeier empfehlen, dann liegt das einfach daran, dass er so oft Recht hat und die Sachen — nüchtern und sachlich — auf den Punkt bringt)
Deutschland Schwarz Weiß ist ein wichtiges Buch. Wichtig, um die vorherrschenden Strukturen des Rassismus in Deutschland zu erkennen und so versuchen, sie zu bekämpfen, und zu überwinden. Sow zeigt an einer Fülle von Beispielen, wie tief verankert rassistisches Denken und Verhalten in der deutschen Gesellschaft ist, wie Rassismus in Deutschland zum Alltag gehört — weil er strukturell-gesellschaftlich be“gründet“ und quasi vererbt wird.
Ich bin zwar nicht in jedem Detail mit ihren Wertungen einverstanden — aber darum geht es auch gar nicht. Sondern darum, zu erkennen, wie sehr rassistische Vorstellung unser Denken und eben auch unser Handeln immer wieder immer noch prägen. Dafür ist Sow’s Buch hervorragend geeignet und sollte fast so etwas wie Pflichtlektüre für bewusste Teilnehmer der deutschen Gesellschaft sein . Ich hätte es zwar gerne etwas stringenter und klarer in Struktur und Sprache, aber das ist meine persönliche Präferenz. Sow bemüht sich um Umittelbarkeit und Wirkmächtigkeit — da hat sie wahrscheinlich die bessere und wirksamere Strategie und Sprache gefunden.
Letztlich läuft das ganze auf diesen einen Satz hinaus: „Rassismus ist kein Schwarzes, sondern ein weißes Problem.“ (272) — das ist der zentrale Punkt. Und den muss man erkennen, bevor man etwas ändern kann.
Thomas Meinecke: Analog. Mit Zeichnungen von Michaela Melián. Berlin: Verbrecher 2013. 111 Seiten.
Das neuese (schmale) schöne Bändchen (vor allem dank der Zeichnungen Meliáns) von Thomas Meinecke bringt den Buchlesern seine gesammelte Kolumnen aus dem „Groove“ von 2007–2013. Ganz symbolisch aufgeladen sind das natürlich 33 — denn es geht vorwiegend um Platten bzw. die Musik darauf (und auch hin und wieder um die Ungewissheit, ob eine Platte mit 33 oder 45 Umdrehungen abzuspielen sei): Das sind kurze (oder eigentlich sehr kurze) Text zur Musik überhaupt, zum DJ-Sein im Radio und im Club, und den Implikationen der Profession und der Musik. Faszinierend ist dabei immer wieder, wie genau Meinecke beobachten und erkennen kann (so weit ich das zu verfolgen und beurteilen vermag, nicht alles ist mir bekannt von dem Vielen (ist nicht immer meine Musik …), über das er schreibt) — und wie präzise er diese Erkenntnisse in wenige Worte fasst. Zum Beispiel so:
„Respekt, dachte ich, da macht die Nacht dann gar nicht, was sie will, sondern was Westbam will.“ (26)
„Sie geraten ins Fachsimpeln, und ich würde am liebsten mitreden, aber ich habe ja die Liner-Notes geschrieben.“ (38)
„Ich konnte vor allem von Theolonious Monk meine Augen nicht lassen: Seine minimalistische Unruhe schien mir von utopischen Ausmaßen zu sein.“ (43)
„Ich habe (spätestens seit Hoyerswerda) herausgefunden, dass ich eine nationale Identität allein über den Holocaust entwickeln kann. (Eigentlich bräuchte ich gar keine.)“ (85f.)
„Ich hatte das Gefühl, dass lauter SchauspielerInnen (in brandneuen Lederjacken) um mich herum standen, und irgendwo stand sicher auch Manfred Eicher, der den sonisch anrüchigen Muzak Jazz-Katalog seines ECM Labels jüngst durch Villalobos (dem ich hier mal die Ahnungslosigkeit des Spätgeboreren attestiere) veredeln ließ.“ (87)
„Logisch bildet das Mysterium der Musik für Schriftsteller (wie mich) einen Sehnsuchtsraum: Wo die Sprache nur schwer hinkommt, tut sich ein Gefühl von Freiheit auf. (Sprache ist ja ein Knast.) Andererseit meine (von dekonstruktivistischen Feministinnen erlernte) Erkenntnis: Vor der Sprache gibt es nichts. Auch Disko ist diskursiv.“ (93)
Ernst Wünsch: Sprizz bitter. Erzählung. Wien: Sisyphus 2009. 156 Seiten.
Das ist überhaupt nicht bitter, aber dafür ganz besonder spritzig: Eine kaum zu beschreibende Erzählung voller Humor (weniger dagegen witzig). Wild und ausufernd ist der Text, der dien Lebensabschnitt eines Langzeitarbeitslosen, der einen 97jährigen Theaterkünstler als Mädchen für alles dient. Unwahrscheinlich und den Leser auch schon mal bedrängend stapel sich da die Verrücktheiten. Der Rezensent von literaturkritik.de weist darauf hin, dass das zumindest teilweise trotz seiner geradezu phantastischen Gestalt durchaus reale Begebenheiten der Theaterszene der 1970er Jahre beschreibt. Davon aber mal abgesehen, ist das einfach grandios unterhaltend: Wild und ungezähmt ist dieser Text wie sein Sujet, frei vagabundierend zwischen Exkursen und Fußnoten, vielschichtig zwischen realen, irrealen und surrealen Abschnitten wie in einem Traum hin und her springend. Faszinierend und sympathisch…
Mauert Luther nicht ein! — DIE WELT — Der Historik Heinz Schilling ist mit den bisherigen Vorbereitungen des Reformations-Jubiläums 2017 nicht so ganz zufrieden …
Die Kluft zwischen gegenwartsorientiertem Verkündigungsbegehren und Verlangen nach historischer wie biografischer Tiefenbohrung ist zu überbrücken, will das Reformationsjubiläum nicht unter das hohe Niveau der auf das 20. Jahrhundert bezogenen Gedenkkultur unseres Landes zurückfallen. Es geht um die ebenso simple wie folgenreiche Frage, wie viel Wissenschaft das Reformationsjubiläum braucht und wie viel Wissenschaft es verträgt. Denn nur auf einer soliden historischen Basis ist eine nachhaltige Auseinandersetzung mit dem “protestantischen Erbe” in der europäischen Neuzeit und globalen Moderne möglich.
“Es muss ja nicht alles von mir sein” — DIE WELT — Literatur — Frank Kaspar besucht Monika Rinck und lässt sich von ihr erklären und zeigen, wie man heute Gedichte schreibt, ohne peinlich und nervend zu sein (was ihn anscheinend ziemlich überrascht, dass das geht …):
Wer in Monika Rincks Texte eintaucht, dem schwirrt bald der Kopf vor lauter Stimmen und Sprachen, die dort frei zusammenschießen. Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und Pfälzisch, innere treffen auf äußere Stimmen, rhythmisch Ausgefeiltes auf bewusst gesetzte Brüche, Sprünge, Ausrufe: Ha! Ach so! Hohoho! Die “Gischt der wirklichen gesprochenen Sprache”, die Walter Benjamin an Alfred Döblins Montage-Roman “Berlin Alexanderplatz” so begeistert hat, gurgelt zwischen den Zeilen und macht das Gewebe lebendig und beweglich.
Emmerich Joseph von Breidbach zu Bürresheim, auch bekannt unter dem Spitznamen „Breitfass von Schüttesheim“ — angeblich trank er zu jeder Mahlzeit sechs Maß Rheinwein. Emmerich galt als offenherzig und volksnah, obwohl seine Ansichten so gar nicht in Einklang mit dem wundergläubigen Barock-Katholizismus der konservativen Landbevölkerung standen. Er las Voltaire und Diderot, wurde schließlich zum bedeutendsten Herrscher der katholischen Aufklärung. Besonders seine Schulreform wirkte nachhaltig. Letztlich schuf die Rationalisierung des Kurmainzer Ausbildungssystems die Grundlage für die Revolution in der Domstadt.
Dass die Mainzer den Wein lieben, ist also nichts Neues …
Die Preissteigerungen waren jedoch nicht nur auf Wetterkapriolen zurückzuführen, auch das Verhalten der weltlichen und kirchlichen Grundherren trug maßgeblich zum Anstieg der Getreidepreise bei.
Darin liegt auch die Leistung des Bearbeiters. Er steht ja ständig vor großen Fragen: Wie teile ich das auf? Wie kann ich möglichst viel vom Original unterbringen, sodass es plastisch ist, aber nicht überladen? Aber auch pianistisch realisierbar? Und es hat sich herausgestellt, dass Alfred Pringsheim, der eigentlich Autodidakt war, mit die interessantesten und auch pianistischsten Lösungen gefunden hat.
Schön auch der Schlusssatz: “Und was Wagner angeht, sind wir jetzt wieder für eine Weile bedient.” — ich glaube, das gilt nach diesem Jahr für alle …
Grillparzer, wo bin ich überall hingerathen, um Dich zu finden! — erster Hof, zweite Stiege, dritter Stock, vierte Thür! Es wirbeln mir noch die Beschreibungen im Kopfe. Nach einer vormittäglichen Suchjagd stand ich endlich in einer schmalen, öden Gasse vor einem großen schweigsamen Hause
Grillparzers überraschend bescheidene Wohnung kann man übrigens im städtischen Wien-Museum besichtigen.
So viel gleich: Ein gutes Büchlein ist dem Schubert-Forscher Hinrichsen gelungen. Natürlich ist das auf 126 Seiten alles nur sehr knapp möglich. Aber man merkt dem Text an, dass er aus einer Position des Wissens und der andauernden Reflexion nicht nur Schuberts und seiner Kompositionen, sondern auch und besonders deren Erforschung geschrieben wurde. Hinrichsen ist nämlich immer bemüht, allzu einfache Erklärungsmuster kritisch zu hinterfragen — platte biographische “Erklärungen” des Werkes findet man hier nicht. Aber auch anderes wird relativiert, z.B. die “Schaffenskrise” Schubert, die keine ist — die Zeit um 182x, in der — so die gängige Lehrmeinung — Schuberts Kompositionen in Fragmenten stecken bleiben. Hinrichsen weist nun aber darauf hin, dass die Idee einer “Krise” hier einerseits viel zu monokausal (und zu “romantisch”) gedacht ist, andererseits sich aber auch an den (überlieferten) Quellen gar nicht belegen lässt, weil für die fragmentarisch überlieferten Werke etwa ganz verschiedene Erklärungen zur Unvollständigkeit herangezogen werden müssen — zum Beispiel die Idee des Labors, aber auch der Umstand, dass Aufführungsmöglichkeiten wegfielen oder dass die Fragmente kompositionstechnisch eigentlich (fast) vollendet sind und nur noch der Abschrift harrten. Das alles ist meines Erachtens, der ich nun kein Schubertspezialist bin, durchaus einleuchtend argumentiert.
Genauso einleuchtend wie die gesamte Darstellung Schuberts und seines Komponistenleben. Wie gesagt, das ist weniger eine Biographie als eine Werkgeschichte. Und die zeigt Schubert, da legt Hinrichsen wiederholt Wert darauf, vor allem als Universalkomponist, als Universalist und als einer der ersten freischaffenden Komponisten, wie er zurückhaltend formuliert. Hinrichsen weist aber auch verschiedentlich darauf hin, dass Schubert mit dem Komponieren schon früh und immer wieder erhebliche Einnahmen erzielen konnte — nur eben auf sehr unregelmäßiger und unzuverlässiger Basis, da es ihm nicht gelang, eine Stellung zu erhalten (was er aber offenbar auch nicht mit vollem Eifer anstrebte …). Universalkomponist also: Ein Künstler, der gezielt alle Gattungen und Formen bearbeitet, vom Lied und den eher unterhaltenden Tänzen etc. für Klavier(e) über Kammermusik und Symphonien und Kirchenmusik bis zum Musiktheater:
Von Anfang an also zielt der junge Komponist auf ein Profil, das man seinem reifen OEuvre denn auch bedenkenlos zuerkennen mag: Schubert war einer der großen Universalisten der Musikgeschichte, in deren Lebenswerk praktische alle Gattungen zahlreich und mit bedeutenden Werken vertreten sind. (29)
Dabei sind für Hinrichsens Darstellungen Entwicklungen und Kontexte besonders bedeutsam: Zunächst einmal die Situation in Wien zu Beginn des 19. Jahrhunderts, insbesondere natürlich die kulturellen Gegebenheiten. Dann das Freundes-Netzwerk Schuberts, das einerseits “innerlich” über ästhetisch/philosophische Einflüsse wirkt, andererseits eben auch “äußerlich” über Kontakte, Aufführungen etc. Dann — natürlich — die Beziehung zu Beethoven als Fixstern instrumentalen bzw. symphonischen Komponierens. Denn Hinrichsten betont den Instrumentalkomponisten Schubert sehr: als Sinfoniker und Kammermusiker, auch erfolgreicher Kirchenmusiker. Beethoven als Komponist, an dem sich Schubert “abarbeitet”, erfährt dann allerdings eine gewisse Relativierung — zum Beispiel durch die Situierung des berühmten Schubert-Zitates, das es gleich wesentlich weniger verzweifelt klingen lässt. Und die Betonung der Beobachtung, dass Schubert nicht eigentlich Symphonien “nach” Beethoven komponiert, sondern einen Weg “neben” dem großen Meister entwickelt — vorsichtig tastend, experimentierend und ausprobierend (und damit die Grundlage für die spätere Symphonik des 19. Jahrhunderts wesentlich beeinflusst):
Die großen Instrumentalwerke aus Schuberts Spätzeit stellen — als einzige ihrer Epoche — planvoll angelegte Alternativen zu Beethovens Konzept instrumentalmusikalischer Zusammenhangbildung dar; sie verdanken sich ausnahmslos einer reflektierten Phase des Komponierens “neben”, nicht “nach” Beethoven und sind von späteren Komponisten, die das zu erkennen vermochten, bei ihrer eigenen produktiven Beethoven-Rezeption dankbar als Modellkonzeptionen von nicht geringerer Bedeutung angenommen worden. (51)
Ebenfalls große Bedeutung legt Hinrichsen auf das ja ungeheuer reichhaltige musiktheatralische Schaffen, das heute zwar nicht mehr ganz vergessen ist, aber doch sehr an den Rand gedrängt und nur marginal wahrgenommen wird. Er zeigt, wie Schubert versucht, in die speziellen Kreise der Wiener Oper einzudringen — dabei geht es ja nicht nur um “das Werk”, sondern um Beziehungen (zu den Intendanten, Sängern, Förderen und so weiter) — und Hinrichsen weist darauf hin, dass Schubert da ziemlich weit vordringt: mit Hilfe seiner Freunde. Und erst in dem Moment, in dem diese Unterstützung aus anderen Gründen wegfällt, zerschlagen sich auch seine Chancen, an der Oper wirklich zu reüssieren. Was bei Hinrichsen dann insgesamt leider doch etwas kurz kommt, sind die Lieder — da setzt er eine gewisse Kenntnis viel mehr voraus als bei den anderen Gattungen, die Schubert bearbeitet hat.
Aber es bleibt auf diesem knappen Raum eine beeindruckend detaillierte, tiefgehende Analyse und verständliche, konzise Darstellung — so wünscht man/ich sich das!
Hans-Joachim Hinrichsen: Franz Schubert. München: Beck 2011. 128 Seiten. 8,95 Euro ISBN 978–3‑406–62135‑2.
Wien also mal wieder. Dieses Mal aber unter ganz besonderen Gesichtspunkten: “Wien — die kaiserliche Residenzstadt” hieß die Exkursion des Historischen Seminars, an der ich — aufgrund einiger glücklicher Umstände — trotz verspäteter Anmeldung noch teilnehmen durfte/konnte. So machte ich mich am Freitag also wieder einmal auf nach Wien, eine meiner Lieblingsstädte.
Das war aber auch schon gleich die erste Herausforderung: Treffpunkt zur Abfahrt war 7:30 Uhr am Mainzer Hauptbahnhof. Das hieß für mich: Der Wecker klingelte um 5:30 Uhr, damit ich noch ohne größere Zeitnot eine Runde laufen gehen konnte. Trotz der unbarmherzigen Zeit hat das gut geklappt, ich war dann sogar noch fast zu früh am Bahnhof, wo so langsam alle anderen der 15 Teilnehmer eintrudelten. Der Regionalzug braucht uns dann unproblematisch zum Frankfurter FLughafen, von dort ging’s mit Air Berlin — bzw. mit dem Airbus 320 der Niki Air — ohne Problem nach Wien Schwechat. Und dort erst mal wieder in den Zug, der uns zu Wien Mitte brachte, von wo aus die Straßenbahn weiterhalf. Und nach ein paar hundert Metern Fußmarsch standen wir dann in der Baustelle, d.h. direkt vor dem Hotel Academia in der Pfeilgasse. Das liegt zwar recht praktisch, nicht weit vom Burgring, ist aber auch recht spartanisch und fast schon ein Denkmal. Seit der Eröffnung in den 1960ern hat sich an der Inneneinrichtung nämlich offenbar gar nichts getan — nur etwas abgenutzt wurde sie im Laufe der Zeit. Aber immerhin war’s sauber — und viel Zeit verbrachten wir da ja eh nicht.
Schon am ersten Tag ging es gleich mittags los — mit einem großen Rundgang durch den 1. Bezirk und entsprechenden Ausführungen zur “Stadttopographie” — Parlament, Rathaus (Alt und Neu), Burgtheater, Universität, Votivkirche, Judenplatz, St. Ruprecht, St. Stephan, Albertina, Staatsoper — und schließlich noch die Hofburg in all ihren Teilen (vor der neuen Burg, auf dem Heldenplatz, wurde allerdings gerade noch das Erntedankfest des Bauernverbandes aufgebaut). Mit dem Extra-Referat zur Baugeschichte waren wir dann erst fertig, als die Sonne schon längst verschwunden war und das Licht nur noch vom Mond und aus den Straßenlaternen schien.
Samstags klingelte mein Handywecker wieder ausgesprochen früh, nämlich bereits um 6:30. Wieder eine Morgenlaufrunde, die mich über den Ring und Karlsplatz zum Bellevue führte, wo um diese Zeit noch (fast) nichts los war. Über Naschmarkt und Karlsplatz fand ich deann den Weg zurück — auch wenn ich zwischendurch an meinem Orientierungssinn etwas zweifelte. Und angesichts der Alkoholleichen, die beim Naschmarkt aus dem Club in die Taxen fielen, einen anderen Rückweg bevorzugt hätte. Nach dem eher kargen Frühstück (leider ohne Müsli) war es auch schon Zeit für dem gemeinsamen Abmarsch: Zurück zum Belvedere. Dieses Mal aber mit der Straßenbahn. Und dort dann ausführliche Erkundung: Erst mit dem biographischen Referat zu Prinz Eugen, dem Erbauer dieser Sommerresidenz (das auch gleich den Hintergrund für mein eigenes Referat am Mittag lieferte). Und dann ein super ausführlicher Vortrag zur barocken Gartenbaukunst, mit dem großartigsten Handout, das ich je gesehen habe — vollgestopft mit (farbigen!) Abbildungen und Hinweisen … Der Garten beschäftigte uns noch den Rest des Vormittags — bei dem strahlenden Sonnenschein und Temperarturen um 30 °C hatten wir allerdings die Tendenz, Schattenzu suchen. Danach führte uns unser Weg zum Arsenal, wo sich das Herresgeschichtliche Museum befindet. Davor, im Schweizerpark, durfte ich noch zu “Prinz Eugen als österreichischem Erinnerungsort” referieren — trotz meiner etwas knappen Vorbereitung und meiner eher konfusen Notatate hat das ganz gut geklappt. Das Heeresgeschichtliche Museum war ein sehr seltsames Erlebenis: Ein großartiger Bau (vor allem wenn man den ursprünglichen Zweck als Arsenal bedenkt), der ganz unbescheiden auf das Arsenal von Venedig (vor allem in der äußeren Gestaltung) und den dortigen Markusdom (insbesondere im Inneren, den Decken und der Benutzung von Gold(-farbe), Die Ausstellung in diesem Meisterwerk des Historizismus war allerdings so ziemlich die schrecklichste, die ich ich erinnere — nicht nur wegen der Exponate, sondern auch wegen der Präsentation: Ohne Zusammenhang, ohne Erklärung, ohne Ordnung und Einordnung werden hier einfach mannigfaltige Waffen, Schlachtenbilder, Heerführer etc … hingestellt. Der Prinz-Eugen-Raum ist dann auch ein ziemlicher Witz: Ein unbeleuchtetes, stark nachgedunkeltes Porträt, die Bahrtücher und kaum mehr, das ganze unauffällig in der Ecke untergebracht. Etwas besser war die Ausstellung im Teil zum Zweiten Weltkrieg — aber auch hier noch total überladen. Ntürlich interessiert mich Militärgeschichte auch allerhöchstens peripher — aber das ist ja sozusagen mein Problem. Hier zeigte sie sich aber auch von ihrer unansehnlichsten Seite. Eine kleine spezielle Freude bereitete allerdings die Probe einer kleinen Schauspieltruppe, die an Heiner Müllers “Wolokolamsker Chaussee “arbeitete und auf dem Balkon des Arsenals einiges ausprobierte — ich habe lange keinen Müller-Text (in diesem unverwechselbaren Sound!) mehr live gehört …
Nach der Mittagspause in der “kleinen Steiermark” im Schweizerpark trafen wir uns am Karlsplatz wieder zur Abfahrt zum von Touristen natürlich total überlaufenen Schloss Schönbrunn, wo wir uns an der Ecke des Gartens zunächst Maria Theresia widmeten, bevor wir den Garten spazierend erschlossen — inklusive einem Abstecher zur Gloriette mit ihrem schönen Ausblick über Garten, Schloss und Stadt. Nach der Rückkehr in die Stadt verschlug es uns in die “Kantine” im Museumsquartier, wo man nicht nur gut speisen konnte, sondern auch sehr schön am Samstag Abend einfach noch entspannt den Tag ausklingen lassen konnte.
Der Sonntag begann — natürlich — wieder mit einem Morgenlauf. Dieses Mal führten meine Füße mich über die Westbahn auf die Heiligenstädter Straße, einfach gerade stadtauswärts. Zum GLück fand ich auf dieser Strecke eine McDonalds-Filiale, sonst wäre es zu einem Notfall gekommen — morgens laufen ist einfach nicht mein Ding …Vormittags standen zunächst zwei weitere Sommerresidenzen auf der Stadt, die im 18. Jahrhundert noch vor der Stadt lagen, heute aber schon zum Kern gehören. Wir begannen mit dem Palais Schönborn: Davon ist aber nur sehr wenig übrig, vor allem vorm Garten gar nichts — und auch noch dazu mit einer falsch beschriftete Beschilderung, wie wir feststellen mussten. Dann widmeten wir uns dem Palais Liechtenstein, das nicht nur von Anfang an wesentlich repräsentativer, größer und ästhetische beeindruckernder angelegt war, sondern auch schön restauriert wurde und vor allem über einen schönen Garten verfügt. Das ist allerdings auch nicht mehr die origianle barocke Anlage, sondern eine Umgestaltung des 19. Jahrhunderts zum Englischen Garten. Natürlich wurde der “reine” Besuch der Orte auch hier jeweils mit den entsprechenen Fachreferaten zur Familiengeschichte ergänzt. Das Ende des Vormittagsprogramms bildete — nach einem Überblick über Wien als “Stadt, in der der Kaiser residierte” — der Besuch des Wien-Museums neben der Karlskirche. Und das lohnt sich wirklich. Nicht nur wegen der vielen Stadtansichten, auch die Exponate sind hier bunt gemischt aus Stadtleben und Kunst und mit kurzen, aber ausreichenden Texten schön zusammengestellt. Highlights sind — neben den Fenstern und Statuen von St. Stephan (den Originalen, die dort schon im 19. Jahrhundert durch Kopien ersetzt wurden) — vor allem die drei auf-/nachgebauten Räume: Das Wohnzimmer Alfred Loos’, die Wohnugn von Grillparzer und ein großbürgerlicher-adliger Jugendstil-Salon. Eine lebendige, umfassende Austellung zur Geschichte Wiens in Schlaglichtern.
Den Nachmittag widmeten wir ausführlich der Karlskirche, dem äußeren und inneren Bildprogramm, ihrer Planung, Entstehung und Ausführung. Und natürlich besodners den Fresken der inneren Kuppeln, weil noch die Möglichkeit bestand, das ehemal szu Restaurierungsarbeiten aufgestellte Gerüst mit dem Lift (und einigen abschließenden Treppen) zu nutzen, die Fresken aus wirklich unmittelbarer Nähe zu bestaunen — erstaunlich, wie detailreich die ausgeführt wurden, obwohl sie doch eigentlich für die Betrachtung vom Boden aus angelegt waren. Aus der Laterne ganz oben konnte man sogar einen schönen, weiten Blick über die Wiener City werfen — nur schade, dass man nicht hinaus konnte: Das wäre spannend gewesen … Den Rest des Nachmittags verbrachten wir dann mit einem Spaziergang über den Graben und auf dem angenehm entspannten Erntedankfest, wo es auch leckeren Saft gab — bei gut 30 °C und weiterhin purem Sonnenschein ein wahre Genuss. Abends landeten wir dann zu Speis und Trank im “Bettelstudenten”, der uns mit einem großzügigen Gutschein über die Hälfte des Rechnungswertes überraschte — damit war der Plan für Montag auch klar …
Aber noch war es nicht so weit. Der Montag begann nämlich noch etwas früher — wegen des Aufbruchs um 8:30 Uhr fiel mein Morgenlauf allerdings auch etwas kürzer aus. Unser Programm führte uns zunächst zum Haus‑, Hof- und Staatsarchiv, mit interessanter, weit ausgreifender Führung. Interessant nicht nur die Geschichte des Archives, sondern auch die des Archivsbaus, einer Stahlträgerkonstruktions mit Gitterböden (für die bessere Luftzirkulation) in den Depots, die auch über erstaunlich kunstvoll gearbeitete Metallregale (die zugleich Teil der tragenden Konstruktion sind) aus dem 19. Jahrhundert verfügt. Und in denen natürlich wahnsinnige Schätze lagern … Sehen durften wir — neben einigen Faksimiles — davon einige der privaten Tagebücher Karl VI. Interessant, wie sich so eine Schrift im Laufe der Jahre verändert. Und wie auf manchen Seiten mehr Ziffern als Buchstaben zu finden sind, weil Karl gerade in späteren Jahren doch einiges nur chiffriert notierte. Dem Besuch der “archivalischen Sätze” schloss sich ein Besuch der weltlichen an: In der Schatzkammer der Burg bestaunten wir vor allem die Reichsinsignien (mit Referat, natürlich), die alte Kaiserkrone, Szepter, Schwert, Reichsapfel und den ganzen wertvollen Krempel, nicht zuletzt die Krönungsgewänder. Und natürlich auch den Schatz des Ordens vom Goldenen Vlies, den uns ein anderes Referat schon vorgestellt hatte.
Nach unserer kleinen Pause im Cafe Central — ein Kaffeehausbesuch pro Wienbesuch ist ja sozusagen obligatorisch — fuhren wir mit U‑Bahn und Bus nach Klosterneuburg, bestaunten unterwegs schon den Karl-Marx-Hof, eines der größten Projekte des Sozialwohnungsbaus und widmeten dann viel Aufmerksamkeit dem Stift Klosterneuburg, seiner barocken Kirche mit ihrer fast pronographischen Pracht und vor allem dem Residenzteil, den mageren Resten des Escorial-Plans Karls VI. (allein die Reichskrone auf der Mittelkuppel hat jagigantische Ausmaße auch wenn sie nur aus Kupfer ist …) und sahen auch, wie solche Prachtbauten im Rohbau aussahen … Auf dem Rückweg kehrten wir noch beim Heurigen ein und genossen ausreichende Mengen des “Sturms”, wie die Österreicher den Federweißen nennen. Abschließen mussten wir den Abend natürlich mit einer Rückkehr zum Bettelstudenten — schließlich brannte der Gutschein ein Loch in unsere Tasche (überlebte aber naturgemäß den Abend nicht …).
Am Dienstag schließlich ging es noch einmal früher los, jetzt klingelte mein Wecker um 6:15 Uhr — so langsam wurde es hart. Und die Lust, überhaupt zu laufen, schwand auch merklich … Nach dem Frühstück zogen wir um 8 Uhr los, die Koffer schon einmal in Wien Mitte für den Flug aufgeben und widmeten uns dann noch, ganz zum Schluss, der habsburgischen Memorialkultur: Zunächst in der schönen Augustinerkirche, wo vor allem die Herzgruft Beachtung fand, dann in der Kapuzinergruft mit den irrsinnigen Sakrophagen der Habsburger, vor allem den Prachtexemplaren von etwa Karl VI. oder dem gemeinsamen Sakrophag von Maria Theresia und ihrem Gemahl Franz Stephan. Und das war’s auch schon fast: In der verbleibendne Freizeit gingen wir zu dritt noch ins Mumok, in die großartige, gerade erst eröffnete Ausstellung “Museum der Wünsche” — so etwas wie eine Retrospektive des Museums, aus der eigenen Sammlung v.a., die grandiose Klassiker der Moderne mit zeitgenössischen Verrücktheiten kombiniert und versucht, da so etwas wie Ordnung hineinzubringen: Ungemein faszinierend wirklich in fast jedem Raum, nur halt wahnsinnig viel …
Nach dem abschließenden leckeren Käsekrainer düsten wir mit dem CAT zum Flughafen — und dann auch schon Up & Away nach Deutschland, mit der S‑Bahn von Frankfurt zurück nach Mainz, wo mein Bett mich sozusagen schon erwartete …
Eine spannende Exkursion war das, sicher, auch ziemlich anstrengend — aber schön. Und lehrreich. Und interessant. Nicht zuletzt wegen der angenehmen Gruppe ;-)
PS: Der Titel ist natürlich eine popkulturelle Referenz [die mit Wien nix weiter zu tun hat …] — wer findet’s heraus?