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Ins Netz gegangen (30.3.)

Ins Netz gegan­gen am 30.3.:

  • Welche Ursachen das Töten im Namen Gottes hat | FAZ — ein sehr guter gast­beitrag von friedrich wil­helm graf (der ja meis­tens sehr kluge dinge sagt …) in der “faz” über ursachen des religiösen ter­rors

    Es dient nicht der Entschuldigung der derzeit im Namen Allahs aus­geübten Ver­brechen, mögliche his­torische Par­al­le­len sicht­bar und auf die Gewalt­po­ten­tiale in allen Reli­gio­nen aufmerk­sam zu machen. Aber es ver­hin­dert eine falsche, essen­tial­is­tis­che Sicht auf den Islam, den es so wenig wie das Chris­ten­tum gibt. Die mus­lim­is­chen Reli­gion­skul­turen in Europa sind in sich höchst vielfältig und durch ganz unter­schiedliche kollek­tive Erfahrun­gen geprägt. Mus­lime in Kreuzberg, deren Eltern oder Großel­tern einst aus der Türkei kamen, teilen nicht die trau­ma­tisieren­den Erin­nerun­gen an kolo­niale Fremd­herrschaft, die für viele franzö­sis­che, noch vom Alge­rien-Krieg geprägte Mus­lime kennze­ich­nend sind.

    Nach den Anschlä­gen von Paris und nun auch Brüs­sel ließ sich im poli­tis­chen Betrieb eine Reak­tion beobacht­en, die nur als falsches seman­tis­ches Invest­ment beze­ich­net wer­den kann: Staat­spräsi­den­ten, Regierungschefs und Parteivor­sitzende beschworen ein­hel­lig „die Werte Europas“ oder „des West­ens“, die man gegen alle ter­ror­is­tis­chen Angriffe vertei­di­gen werde.
    […] Aber mit Werte-Rhetorik ist nie­man­dem geholfen.

    „Wert“ war ursprünglich ein Begriff der ökonomis­chen Sprache, und seine Ein­wan­derung in ethis­che Debat­ten und juris­tis­che Diskurse hat nur dazu geführt, die frei­heits­di­en­liche Unter­schei­dung von geset­zlich kod­i­fizierten Recht­snor­men und moralis­chen Verbindlichkeit­en zu unter­laufen. Deshalb ist es fatal, wenn Vertreter des Rechtsstaates diesen im Kampf gegen den Ter­ror­is­mus nun als eine „Wertege­mein­schaft“ deuten.

    für einen the­olo­gen auch fast über­raschend, aber natür­lich abso­lut richtig und ein punkt, der immer wieder gestärkt und verdeut­licht wer­den muss (weil er so gerne vergessen wird):

    Für wirk­lich alle gilt allein das Recht, und deshalb sind Rechts­brech­er zu ver­fol­gen und zu bestrafen.

  • Aus dem Tage­buch eines Benedik­tin­er­pa­ters: Wie man 1684 im Dom in Mainz den Oster­son­ntags­gottes­di­enst feierte | All­ge­meine Zeitung — die mainz­er “all­ge­meine zeitung” bringt eine mod­ernisierte fas­sung eines tage­buch­berichts über die oster­feier 1684 in mainz, ver­fasst von einem reisenden benedik­tin­er­pa­ter joseph diet­rich aus dem kloster ein­siedeln in der schweiz
  • My Hero­ic and Lazy Stand Against IFTTT | Pin­board Blog — der pin­board-grün­der/­be­treiber maciej cegłows­ki erk­lärt, warum es seinen (übri­gens sehr empfehlenswerten) ser­vice nicht mehr bei ifttt gibt. die kurz­fas­sung: deren unver­schämten, erpresserischen bedin­gun­gen für entwick­ler
  • Wer­bung – für 6 Euro | Über­me­di­en — peter breuer blät­tert sich auf “über­me­di­en” durch die vogue — und ist wenig ange­tan

    Das The­ma der „Vogue“ ist: „Langeweile“. Sowohl in den Anzeigen als auch in der Foto­strecke. „Komm Baby, stell Dich mal so hin und schau so pikiert, als würdest Du an einen völ­lig verkocht­en Grünkohl denken.“ Die Mäd­chen sind dünn, die Gesichter leer, die Klam­ot­ten teuer. In den Sechzigern gab es einen Dr. Oetk­er-Spot, in dem eine Frau am Herd ste­ht, ein Fer­tig­gericht zaubert und ein Sprech­er sagt: „Eine Frau hat zwei Lebens­fra­gen: Was soll ich anziehen? Und was soll ich kochen?“ Die Frauen der „Vogue“ haben sog­ar nur eine Lebens­frage, und selb­st die macht ihnen offen­sichtlich keinen Spaß.

  • Inge­borg Bach­mann: “In mir ist die Hölle los” | ZEIT ONLINE — der ger­man­ist Joseph McVeigh durfte frühe briefe von inge­borg bach­mann benutzen und zitieren und ist nun sich­er, dass man das werk der autorin nur biographisch ver­ste­hen kann. zum glück ist die “zeit” gegenüber solchem method­is­chen unsinn etwas skep­tis­ch­er …

    “Ich habe keine Matratzen­schnüf­felei betreiben wollen”, sagt Biograf McVeigh, “aber wenn man die zer­störerische Wirkung der bei­den katas­trophal gescheit­erten Beziehun­gen auf das Leben von Inge­borg Bach­mann nicht berück­sichtigt, kann man ihr späteres Werk kaum ver­ste­hen.”

  • Pressemit­teilun­gen als Genre: Ein-Blick in die uni­ver­sitäre Aktenkunde der Neuzeit | UniBlog­gT — was eine sehr knappe und schnöde pressemit­teilung ein­er uni­ver­sität dem aktenkundlich ver­sierten his­torik­er alles ver­rat­en kann …

Ins Netz gegangen (4.11.)

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  • The tragedy of James Bond — lau­rie pen­ny hat sich alte james-bond-filme angeschaut:

    The expe­ri­ence was like hav­ing your fore­brain slow­ly and labo­ri­ous­ly beat­en to death by a wilt­ing erec­tion wrapped in a copy of the Patri­ot Act: sav­age and sil­ly and just a lit­tle bit pathet­ic.

    sie bleibt aber nicht bei der per­sön­lichen abscheu, son­dern zeigt meines eracht­ens (aber ich bin ja auch kein bond-ken­ner) sehr gut, warum die bond-fig­ur (heute) prob­lema­tisch ist:

    The prob­lem with Bond is that he is sup­posed to be the good guy. He is a bor­der­line rapist who is employed by the gov­ern­ment to mur­der peo­ple – and yet he is not an anti-hero. He is just a hero. … Bond is a hero for no oth­er rea­son than that he is on our side, which is how most west­ern nations and par­tic­u­lar­ly the British come to terms with their par­tic­u­lar lega­cy of hor­ror – with a qui­et embar­rass­ment that nonethe­less knows how to defend itself by force.
    […] James Bond, more than any­thing, is a trag­ic fig­ure and his tragedy is the tragedy of white, impe­ri­al­ist mas­culin­i­ty in the 21st cen­tu­ry. It is a tragedy of irrel­e­vance that becomes all the more poignant and painful in the retelling.

  • Lau­da­tio auf Rainald Goetz von Jür­gen Kaube — FAZ — der voll­ständigkeit hal­ber noch die recht gute lau­da­tio von jür­gen kaube auf rainald goetz für den büch­n­er­preis
  • My Top 30 Fonts with the Sex­i­est Amper­sands — sehr schöne samm­lung sehr schön­er amper­sand-umset­zun­gen
  • Poli­tis­che Lit­er­atur: Gegen die herrschende Klasse | ZEIT ONLINE — ein dur­chaus inter­es­santes gespräch hat ijo­ma man­gold mit ulrich peltzer, ili­ja tro­janow & jen­ny erpen­beck über lit­er­atur und poli­tik, ver­gan­gen­heit, gegen­wart und zukun­ft geführt:

    Es gibt das Bedürf­nis der Lit­er­aturkri­tik und der Öffentlichkeit nach Wel­terk­lärung beziehungsweise nach Auf­fächerung von Erfahrun­gen, die man son­st nur aus den Medi­en ken­nt. An die Lit­er­atur wird eine Auf­gabe delegiert, die möglicher­weise nicht unbe­d­ingt eine gen­uin lit­er­arische Funk­tion ist.
    […] Das Moment von Utopie ist mit einem philosophis­chen Begriff von Geschichte ver­bun­den, und der ist uns ver­loren gegan­gen. Wir sehen uns nur noch mit der Empirie der Prob­leme kon­fron­tiert und ver­suchen, sie prak­tisch zu lösen, aber wir haben keinen Entwurf von Zukun­ft mehr, der die Erfahrun­gen der Ver­gan­gen­heit aufnehmen und ver­wan­deln würde, um zu einem anderen Begriff der Zukun­ft zu kom­men als dem, dass die Häuser gedämmt wer­den.

    sehr schön deut­lich wer­den auch die ver­schiede­nen arten, “poli­tisch” zu denken als lit­er­atin — bei peltzer z.b. immer ins philosophisch-his­torische gehend oder bei erpen­beck vom per­sön­lich-indi­vidu­ellen erleb­nis aus

  • Max Wal­len­horst: Das Darm­städter Nebeneinan­der-Sitzen – Merkur — sehr schön­er text im merku-blog von max wal­len­horst über rainald goetz & die büch­n­er­preisver­lei­hung in darm­stadt
  • Deutsche Bank: Sie nen­nen es Ster­be­haus | ZEIT ONLINE -

    Es war ein Bankraub von innen. sehr schöne reportage von marc brost & andreas veiel über macht und ver­ant­wor­tung, ethik, gier und konkur­renz auf den höch­sten ebe­nen der wirtschaft — hier am beispiel der deutschen bank (sehr schön auch, dass sie zeigen, dass das alles selb­st auf betrieb­swirtschaftlich­er ebene (von der volk­swirtschaftlichen ganz zu schweigen) unsin­nig war/ist)

  • Hin­lan­gen — Schön an Rainald Goetz’ Tex­ten ist, was Volk­er Wei­der­mann entset­zt : literaturkritik.de — markus joch über volk­er wei­der­manns selt­same volte, plöt­zlich rainald goetz abso­lut gut zu find­en — und das prob­lem dabei, vor allem bei der rel­a­tivierung in bezug auf “Johann Holtrop”, die wohl auf einem missver­ständ­nis der goet­zschen poet­ik beruht

    Gestern wet­tern, heute bejubeln ‒ ein­er immer­hin, Michael Angele vom „Fre­itag“, hat den pünk­tlichen Kur­swech­sel ver­merkt, auf Face­book. Soll man es damit bewen­den lassen? Ungern. Das Prob­lem ist, wie Wei­der­mann die Kurve kriegen will. Gebetsmüh­le­nar­tig von Inten­sität und Kraft schwär­men, aber den Aggres­sion­spegel von „Johann Holtrop“ ein biss­chen bekrit­teln, als sei er ein Aus­reißer ‒ das ist wie Willy Brandt her­vor­ra­gend find­en, bis auf Emi­gra­tion und Ost­poli­tik. Absurd, weil Inten­sität und Polemik bei Goetz natür­lich stets zusam­menge­hören.

  • Der Rei­hungskün­stler — konkret — joseph wälzholz zeigt die rhetorischen kniffe volk­er wei­der­manns (bei ein paar begrif­f­en musste ich wirk­lich über­legen …)

    Ein genialer Rhetorik­er: Nie­mand set­zt hochkom­plizierte Stilmit­tel so vir­tu­os ein wie der Feuil­leton­ist Volk­er Wei­der­mann. Eine Col­lage in 19 Motiv­en und 79 Fußnoten.

  • Vom Fehlen des Wider­ständi­gen. Weit­ere Gedanken über Fer­ney­hough. — moritz eggert über fer­ney­houghs musik und den unter­schiede zwis­chen par­ti­tur (aufre­gend, kom­plex) und klang (nicht immer über­wälti­gend …) — zu den par­ti­turen hat er kür­zlich schon etwas geblog­gt: http://blogs.nmz.de/badblog/2015/10/19/die-quadratur-der-linie-ein-neuer-blick-auf-das-werk-von-brian-ferneyhough/
  • Neon­azis: Hei­di und die Brand­s­tifter | ZEIT ONLINE — inter­es­sante, gute, pack­ende reportage von daniel müller & chris­t­ian fuchs über eine im neon­azi-fam­i­lien-milieu sozial­isierte junge frau, die sich von dieser ide­olo­gie inzwis­chen abge­wandt hat

    Sie stammt aus ein­er Fam­i­lie von treuen Nazis, als Kind wurde sie in geheimen Lagern gedrillt. Ihre früheren Kam­er­aden zün­deln heute bei NPD und Pegi­da. Hei­di Ben­neck­en­stein hat sich anders entsch­ieden.

  • Stadt Wien veröf­fentlicht pos­i­tive Shar­row-Studie | It start­ed with a fight… — die stadt wien hat an drei wichti­gen, verkehrsstarken straßen unter­sucht, wie aufge­malte fahrrad­pik­togramme (mit pfeil), die soge­nan­nten “shar­rows”, sich auch ohne weit­ere verän­derun­gen des verkehrsraums aus­ge­sprochen gün­stig für rad­fahrerin­nen auswirken:

    Diese Studie „Wirkung von Fahrrad-Pik­togram­men im Straßen­verkehr“ […] zeigt sehr pos­i­tive Ergeb­nisse: Gesteigerte Sicher­heit des Rad- und Autoverkehrs durch verbesserte Inter­ak­tion, Abnahme der Über­holvorgänge und größeren Sicher­heitsab­stand der Autos beim Über­holen.

  • 1001 Dinge | Schmalenstroer.net — eine liste von lis­ten, die man lebendig abar­beit­en “muss”, von einem lis­ten­has­s­er …
  • Warum Akif Pir­incçi aus falschen Grün­den das Richtige passierte und warum das nicht gut ist | Thomas Trappe — kluge beobach­tun­gen von thomas trappe zur wahrnehmung von und dem umgang mit rechtsextremen/rassisten etc., bei “pegi­da” und ander­swo

    Erstens: Die Gründe, warum solche Per­so­n­en kurzzeit­ig oder für immer von der Bühne ver­schwinden, sind meist triv­iales NS-Word­ing. Zweit­ens: Es trifft in aller Regel die Richti­gen. Drit­tens: Indem man es sich aber so ein­fach macht, gibt man ihnen und ihren Unter­stützern die Rolle, die sie so gerne ein­nehmen, näm­lich die des unter­drück­ten Quer­denkers. Was sie, viertens, niemals sind.

Taglied 20.3.2015

Attwenger, Japan­er:

Attwenger JAPANER (offi­cial)

Beim Klick­en auf das und beim Abspie­len des von YouTube einge­bet­teten Videos wer­den (u. U. per­so­n­en­be­zo­gene) Dat­en wie die IP-Adresse an YouTube über­tra­gen.

Ins Netz gegangen (13.11.)

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  • Recom­posed. | Bad Blog Of Musick — Ha! Der Moritz Eggert mal wieder …

    They don’t look to stressed with their part of long held-out dron­ing notes, so I guess they have time to smile. Some­times the cam­era zooms on the left hand of Max Richter when it is about to play a new bass note. Fas­ci­nat­ed we see how he lifts one fin­ger – and press­es down anoth­er one. This seems to be a tir­ing process because after­wards the fin­gers don’t move any­more for a while.
    […] Max Richter smiles at him, it could be that he’s hap­py that he’s back. But then he looks stressed again, because now he lifts his fin­ger to play a new ped­al note. I ask myself if left hands can feel shame. Prob­a­bly not.

  • 25. Todestag : Wo Thomas Bern­hard run­dum glück­lich war — DIE WELT — Joachim Lottmann besucht zur Erin­nerung an den vor 25 Jahren gestor­be­nen Thomas Bern­hard dessen Liebling­sorte in Wien auf (inklu­sive seinem Grab):

    Bern­hard kon­nte hier sein­er lieb­sten Sucht nachge­hen: der Melan­cholie. Er liebte es, die Men­schen zu beobacht­en, und zwar über Jahrzehnte. Er sah dann, wie die einst junge Serviererin, die ein­mal so behende, flink und lustig gewe­sen war, diesel­ben Bewe­gun­gen, etwa das Zählen des Geldes, nun mit ganz anderen, eben­falls schö­nen Bewe­gun­gen aus­führte – und zer­floss dabei vor Melan­cholie. Er sagte es selb­st: Das Melan­cholis­ch­sein war seine Droge, waren seine Tablet­ten, und er brauchte jeden Tag eine oder zwei davon. Es machte ihn glück­lich, melan­cholisch zu sein.

  • Der Unter­schied zwis­chen Schwulen-Geg­n­ern und Schwulen-Geg­n­er-Geg­n­ern « Ste­fan Nigge­meier — Ste­fan Nigge­meier über die Argu­mente von Schwulen-Geg­n­ern und Schwulen-Geg­n­er-Geg­n­ern, wie sie von Mais­chberg­er vorge­le­sen wur­den:

    Das ist nicht das­selbe. Das hat nicht dieselbe Qual­ität. Objek­tiv nicht.

    (wenn es so aussieht, als würde ich (fast) jeden Blog­a­r­tikel von Nigge­meier empfehlen, dann liegt das ein­fach daran, dass er so oft Recht hat und die Sachen — nüchtern und sach­lich — auf den Punkt bringt)

Maderstraße (Wien, 4. Bezirk)

Maderstraße (Wien, 4. Bezirk)

Mader­straße (Wien, 4. Bezirk)

Aus-Lese #14

Noah Sow: Deutsch­land Schwarz Weiß. Der alltägliche Ras­sis­mus. München: Gold­mann 2009. 320 Seit­en.

Deutsch­land Schwarz Weiß ist ein wichtiges Buch. Wichtig, um die vorherrschen­den Struk­turen des Ras­sis­mus in Deutsch­land zu erken­nen und so ver­suchen, sie zu bekämpfen, und zu über­winden. Sow zeigt an ein­er Fülle von Beispie­len, wie tief ver­ankert ras­sis­tis­ches Denken und Ver­hal­ten in der deutschen Gesellschaft ist, wie Ras­sis­mus in Deutsch­land zum All­t­ag gehört — weil er struk­turell-gesellschaftlich be“gründet“ und qua­si vererbt wird.

Ich bin zwar nicht in jedem Detail mit ihren Wer­tun­gen ein­ver­standen — aber darum geht es auch gar nicht. Son­dern darum, zu erken­nen, wie sehr ras­sis­tis­che Vorstel­lung unser Denken und eben auch unser Han­deln immer wieder immer noch prä­gen. Dafür ist Sow’s Buch her­vor­ra­gend geeignet und sollte fast so etwas wie Pflichtlek­türe für bewusste Teil­nehmer der deutschen Gesellschaft sein . Ich hätte es zwar gerne etwas strin­gen­ter und klar­er in Struk­tur und Sprache, aber das ist meine per­sön­liche Präferenz. Sow bemüht sich um Umit­tel­barkeit und Wirk­mächtigkeit — da hat sie wahrschein­lich die bessere und wirk­samere Strate­gie und Sprache gefun­den.

Let­ztlich läuft das ganze auf diesen einen Satz hin­aus: „Ras­sis­mus ist kein Schwarzes, son­dern ein weißes Prob­lem.“ (272) — das ist der zen­trale Punkt. Und den muss man erken­nen, bevor man etwas ändern kann.

Thomas Mei­necke: Ana­log. Mit Zeich­nun­gen von Michaela Melián. Berlin: Ver­brech­er 2013. 111 Seit­en.

Das neuese (schmale) schöne Bänd­chen (vor allem dank der Zeich­nun­gen Meliáns) von Thomas Mei­necke bringt den Buch­le­sern seine gesam­melte Kolum­nen aus dem „Groove“ von 2007–2013. Ganz sym­bol­isch aufge­laden sind das natür­lich 33 — denn es geht vor­wiegend um Plat­ten bzw. die Musik darauf (und auch hin und wieder um die Ungewis­sheit, ob eine Plat­te mit 33 oder 45 Umdrehun­gen abzus­pie­len sei): Das sind kurze (oder eigentlich sehr kurze) Text zur Musik über­haupt, zum DJ-Sein im Radio und im Club, und den Imp­lika­tio­nen der Pro­fes­sion und der Musik. Faszinierend ist dabei immer wieder, wie genau Mei­necke beobacht­en und erken­nen kann (so weit ich das zu ver­fol­gen und beurteilen ver­mag, nicht alles ist mir bekan­nt von dem Vie­len (ist nicht immer meine Musik …), über das er schreibt) — und wie präzise er diese Erken­nt­nisse in wenige Worte fasst. Zum Beispiel so:

  • „Respekt, dachte ich, da macht die Nacht dann gar nicht, was sie will, son­dern was West­bam will.“ (26)
  • „Sie ger­at­en ins Fach­sim­peln, und ich würde am lieb­sten mitre­den, aber ich habe ja die Lin­er-Notes geschrieben.“ (38)
  • „Ich kon­nte vor allem von The­olo­nious Monk meine Augen nicht lassen: Seine min­i­mal­is­tis­che Unruhe schien mir von utopis­chen Aus­maßen zu sein.“ (43)
  • „Ich habe (spätestens seit Hoy­er­swer­da) her­aus­ge­fun­den, dass ich eine nationale Iden­tität allein über den Holo­caust entwick­eln kann. (Eigentlich bräuchte ich gar keine.)“ (85f.)
  • „Ich hat­te das Gefühl, dass lauter Schaus­pielerIn­nen (in brand­neuen Led­er­jack­en) um mich herum standen, und irgend­wo stand sich­er auch Man­fred Eich­er, der den sonisch anrüchi­gen Muzak Jazz-Kat­a­log seines ECM Labels jüngst durch Vil­lalo­bos (dem ich hier mal die Ahnungslosigkeit des Spät­ge­bor­eren attestiere) vere­deln ließ.“ (87)
  • „Logisch bildet das Mys­teri­um der Musik für Schrift­steller (wie mich) einen Sehn­sucht­sraum: Wo die Sprache nur schw­er hinkommt, tut sich ein Gefühl von Frei­heit auf. (Sprache ist ja ein Knast.) Ander­er­seit meine (von dekon­struk­tivis­tis­chen Fem­i­nistin­nen erlernte) Erken­nt­nis: Vor der Sprache gibt es nichts. Auch Disko ist diskur­siv.“ (93)
Ernst Wün­sch: Sprizz bit­ter. Erzäh­lung. Wien: Sisy­phus 2009. 156 Seit­en.

Das ist über­haupt nicht bit­ter, aber dafür ganz beson­der spritzig: Eine kaum zu beschreibende Erzäh­lung voller Humor (weniger dage­gen witzig). Wild und ausufer­nd ist der Text, der dien Lebens­ab­schnitt eines Langzeitar­beit­slosen, der einen 97jährigen The­aterkün­stler als Mäd­chen für alles dient. Unwahrschein­lich und den Leser auch schon mal bedrän­gend stapel sich da die Ver­rück­theit­en. Der Rezensent von literaturkritik.de weist darauf hin, dass das zumin­d­est teil­weise trotz sein­er ger­adezu phan­tastis­chen Gestalt dur­chaus reale Begeben­heit­en der The­ater­szene der 1970er Jahre beschreibt. Davon aber mal abge­se­hen, ist das ein­fach grandios unter­hal­tend: Wild und ungezähmt ist dieser Text wie sein Sujet, frei vagabundierend zwis­chen Exkursen und Fußnoten, vielschichtig zwis­chen realen, irrealen und sur­realen Abschnit­ten wie in einem Traum hin und her sprin­gend. Faszinierend und sym­pa­thisch…

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Ins Netz gegan­gen (29.5.–1.6.):

  • Mauert Luther nicht ein! — DIE WELT — Der His­torik Heinz Schilling ist mit den bish­eri­gen Vor­bere­itun­gen des Refor­ma­tions-Jubiläums 2017 nicht so ganz zufrieden …

    Die Kluft zwis­chen gegen­wart­sori­en­tiertem Verkündi­gungs­begehren und Ver­lan­gen nach his­torisch­er wie biografis­ch­er Tiefen­bohrung ist zu über­brück­en, will das Refor­ma­tion­sju­biläum nicht unter das hohe Niveau der auf das 20. Jahrhun­dert bezo­ge­nen Gedenkkul­tur unseres Lan­des zurück­fall­en. Es geht um die eben­so sim­ple wie fol­gen­re­iche Frage, wie viel Wis­senschaft das Refor­ma­tion­sju­biläum braucht und wie viel Wis­senschaft es verträgt. Denn nur auf ein­er soli­den his­torischen Basis ist eine nach­haltige Auseinan­der­set­zung mit dem “protes­tantis­chen Erbe” in der europäis­chen Neuzeit und glob­alen Mod­erne möglich.

  • “Es muss ja nicht alles von mir sein” — DIE WELT — Lit­er­atur — Frank Kas­par besucht Moni­ka Rinck und lässt sich von ihr erk­lären und zeigen, wie man heute Gedichte schreibt, ohne pein­lich und ner­vend zu sein (was ihn anscheinend ziem­lich über­rascht, dass das geht …):

    Wer in Moni­ka Rincks Texte ein­taucht, dem schwirrt bald der Kopf vor lauter Stim­men und Sprachen, die dort frei zusam­men­schießen. Deutsch, Englisch, Franzö­sisch, Ital­ienisch und Pfälzisch, innere tre­f­fen auf äußere Stim­men, rhyth­misch Aus­ge­feiltes auf bewusst geset­zte Brüche, Sprünge, Aus­rufe: Ha! Ach so! Hoho­ho! Die “Gis­cht der wirk­lichen gesproch­enen Sprache”, die Wal­ter Ben­jamin an Alfred Döblins Mon­tage-Roman “Berlin Alexan­der­platz” so begeis­tert hat, gurgelt zwis­chen den Zeilen und macht das Gewebe lebendig und beweglich.

  • Emmerich Joseph von Brei­d­bach zu Bür­resheim: Vorkämpfer der katholis­chen Aufk­lärung — FAZ -

    Emmerich Joseph von Brei­d­bach zu Bür­resheim, auch bekan­nt unter dem Spitz­na­men „Bre­it­fass von Schüttesheim“ — ange­blich trank er zu jed­er Mahlzeit sechs Maß Rhein­wein. Emmerich galt als offen­herzig und volk­snah, obwohl seine Ansicht­en so gar nicht in Ein­klang mit dem wun­der­gläu­bi­gen Barock-Katholizis­mus der kon­ser­v­a­tiv­en Land­bevölkerung standen. Er las Voltaire und Diderot, wurde schließlich zum bedeu­tend­sten Herrsch­er der katholis­chen Aufk­lärung. Beson­ders seine Schul­re­form wirk­te nach­haltig. Let­ztlich schuf die Ratio­nal­isierung des Kur­mainz­er Aus­bil­dungssys­tems die Grund­lage für die Rev­o­lu­tion in der Dom­stadt.

    Dass die Mainz­er den Wein lieben, ist also nichts Neues …

  • Lebens­mit­tel­speku­la­tion in der Frühen Neuzeit – Wie Wet­ter, Grund­herrschaft und Getrei­de­preise zusam­men­hin­gen | Die Welt der Hab­s­burg­er — Nahrungsmit­tel­speku­la­tion ist keine Erfind­ung und auch nicht nur ein Prob­lem des 21. Jahrhun­derts — wer hätte es gedacht .…:

    Die Preis­steigerun­gen waren jedoch nicht nur auf Wet­terkapri­olen zurück­zuführen, auch das Ver­hal­ten der weltlichen und kirch­lichen Grund­her­ren trug maßge­blich zum Anstieg der Getrei­de­preise bei.

  • »Wie ein Rausch« | Jüdis­che All­ge­meine — Ein Inter­view mit dem Klavier­duo Tal & Groethuy­sen über Wag­n­er, Alfred Pring­sheim und Israel:

    Darin liegt auch die Leis­tung des Bear­beit­ers. Er ste­ht ja ständig vor großen Fra­gen: Wie teile ich das auf? Wie kann ich möglichst viel vom Orig­i­nal unter­brin­gen, sodass es plas­tisch ist, aber nicht über­laden? Aber auch pianis­tisch real­isier­bar? Und es hat sich her­aus­gestellt, dass Alfred Pring­sheim, der eigentlich Auto­di­dakt war, mit die inter­es­san­testen und auch pianis­tis­chsten Lösun­gen gefun­den hat.

    Schön auch der Schlusssatz: “Und was Wag­n­er ange­ht, sind wir jet­zt wieder für eine Weile bedi­ent.” — ich glaube, das gilt nach diesem Jahr für alle …

  • Adress­comp­toir: Auf der Suche nach Grill­parz­er — Hein­rich Laube irrt durch Wien:

    Grill­parz­er, wo bin ich über­all hingera­then, um Dich zu find­en! — erster Hof, zweite Stiege, drit­ter Stock, vierte Thür! Es wirbeln mir noch die Beschrei­bun­gen im Kopfe. Nach ein­er vor­mit­täglichen Such­jagd stand ich endlich in ein­er schmalen, öden Gasse vor einem großen schweigsamen Hause

    Grill­parz­ers über­raschend beschei­dene Woh­nung kann man übri­gens im städtis­chen Wien-Muse­um besichti­gen.

Schubert im Werkkontext

So viel gle­ich: Ein gutes Büch­lein ist dem Schu­bert-Forsch­er Hin­rich­sen gelun­gen. Natür­lich ist das auf 126 Seit­en alles nur sehr knapp möglich. Aber man merkt dem Text an, dass er aus ein­er Posi­tion des Wis­sens und der andauern­den Reflex­ion nicht nur Schu­berts und sein­er Kom­po­si­tio­nen, son­dern auch und beson­ders deren Erforschung geschrieben wurde. Hin­rich­sen ist näm­lich immer bemüht, allzu ein­fache Erk­lärungsmuster kri­tisch zu hin­ter­fra­gen — plat­te biographis­che “Erk­lärun­gen” des Werkes find­et man hier nicht. Aber auch anderes wird rel­a­tiviert, z.B. die “Schaf­fen­skrise” Schu­bert, die keine ist — die Zeit um 182x, in der — so die gängige Lehrmei­n­ung — Schu­berts Kom­po­si­tio­nen in Frag­menten steck­en bleiben. Hin­rich­sen weist nun aber darauf hin, dass die Idee ein­er “Krise” hier ein­er­seits viel zu monokausal (und zu “roman­tisch”) gedacht ist, ander­er­seits sich aber auch an den (über­liefer­ten) Quellen gar nicht bele­gen lässt, weil für die frag­men­tarisch über­liefer­ten Werke etwa ganz ver­schiedene Erk­lärun­gen zur Unvoll­ständigkeit herange­zo­gen wer­den müssen — zum Beispiel die Idee des Labors, aber auch der Umstand, dass Auf­führungsmöglichkeit­en weg­fie­len oder dass die Frag­mente kom­po­si­tion­stech­nisch eigentlich (fast) vol­len­det sind und nur noch der Abschrift har­rten. Das alles ist meines Eracht­ens, der ich nun kein Schu­bert­spezial­ist bin, dur­chaus ein­leuch­t­end argu­men­tiert.

Genau­so ein­leuch­t­end wie die gesamte Darstel­lung Schu­berts und seines Kom­pon­is­ten­leben. Wie gesagt, das ist weniger eine Biogra­phie als eine Werkgeschichte. Und die zeigt Schu­bert, da legt Hin­rich­sen wieder­holt Wert darauf, vor allem als Uni­ver­salkom­pon­ist, als Uni­ver­sal­ist und als ein­er der ersten freis­chaf­fend­en Kom­pon­is­ten, wie er zurück­hal­tend for­muliert. Hin­rich­sen weist aber auch ver­schiedentlich darauf hin, dass Schu­bert mit dem Kom­ponieren schon früh und immer wieder erhe­bliche Ein­nah­men erzie­len kon­nte — nur eben auf sehr unregelmäßiger und unzu­ver­läs­siger Basis, da es ihm nicht gelang, eine Stel­lung zu erhal­ten (was er aber offen­bar auch nicht mit vollem Eifer anstrebte …). Uni­ver­salkom­pon­ist also: Ein Kün­stler, der gezielt alle Gat­tun­gen und For­men bear­beit­et, vom Lied und den eher unter­hal­tenden Tänzen etc. für Klavier(e) über Kam­mer­musik und Sym­phonien und Kirchen­musik bis zum Musik­the­ater:

Von Anfang an also zielt der junge Kom­pon­ist auf ein Pro­fil, das man seinem reifen OEu­vre denn auch bedenken­los zuerken­nen mag: Schu­bert war ein­er der großen Uni­ver­sal­is­ten der Musikgeschichte, in deren Lebenswerk prak­tis­che alle Gat­tun­gen zahlre­ich und mit bedeu­ten­den Werken vertreten sind. (29)

Dabei sind für Hin­rich­sens Darstel­lun­gen Entwick­lun­gen und Kon­texte beson­ders bedeut­sam: Zunächst ein­mal die Sit­u­a­tion in Wien zu Beginn des 19. Jahrhun­derts, ins­beson­dere natür­lich die kul­turellen Gegeben­heit­en. Dann das Fre­un­des-Net­zw­erk Schu­berts, das ein­er­seits “inner­lich” über ästhetisch/philosophische Ein­flüsse wirkt, ander­er­seits eben auch “äußer­lich” über Kon­tak­te, Auf­führun­gen etc. Dann — natür­lich — die Beziehung zu Beethoven als Fixstern instru­men­tal­en bzw. sym­phonis­chen Kom­ponierens. Denn Hin­rich­sten betont den Instru­mentalkom­pon­is­ten Schu­bert sehr: als Sin­foniker und Kam­mer­musik­er, auch erfol­gre­ich­er Kirchen­musik­er. Beethoven als Kom­pon­ist, an dem sich Schu­bert “abar­beit­et”, erfährt dann allerd­ings eine gewisse Rel­a­tivierung — zum Beispiel durch die Situ­ierung des berühmten Schu­bert-Zitates, das es gle­ich wesentlich weniger verzweifelt klin­gen lässt. Und die Beto­nung der Beobach­tung, dass Schu­bert nicht eigentlich Sym­phonien “nach” Beethoven kom­poniert, son­dern einen Weg “neben” dem großen Meis­ter entwick­elt — vor­sichtig tas­tend, exper­i­men­tierend und aus­pro­bierend (und damit die Grund­lage für die spätere Sym­phonik des 19. Jahrhun­derts wesentlich bee­in­flusst):

Die großen Instru­men­tal­w­erke aus Schu­berts Spätzeit stellen — als einzige ihrer Epoche — plan­voll angelegte Alter­na­tiv­en zu Beethovens Konzept instru­men­tal­musikalis­ch­er Zusam­men­hang­bil­dung dar; sie ver­danken sich aus­nahm­s­los ein­er reflek­tierten Phase des Kom­ponierens “neben”, nicht “nach” Beethoven und sind von späteren Kom­pon­is­ten, die das zu erken­nen ver­mocht­en, bei ihrer eige­nen pro­duk­tiv­en Beethoven-Rezep­tion dankbar als Mod­el­lkonzep­tio­nen von nicht gerin­ger­er Bedeu­tung angenom­men wor­den. (51)

Eben­falls große Bedeu­tung legt Hin­rich­sen auf das ja unge­heuer reich­haltige musik­the­atralis­che Schaf­fen, das heute zwar nicht mehr ganz vergessen ist, aber doch sehr an den Rand gedrängt und nur mar­gin­al wahrgenom­men wird. Er zeigt, wie Schu­bert ver­sucht, in die speziellen Kreise der Wiener Oper einzu­drin­gen — dabei geht es ja nicht nur um “das Werk”, son­dern um Beziehun­gen (zu den Inten­dan­ten, Sängern, Förderen und so weit­er) — und Hin­rich­sen weist darauf hin, dass Schu­bert da ziem­lich weit vor­dringt: mit Hil­fe sein­er Fre­unde. Und erst in dem Moment, in dem diese Unter­stützung aus anderen Grün­den wegfällt, zer­schla­gen sich auch seine Chan­cen, an der Oper wirk­lich zu reüssieren. Was bei Hin­rich­sen dann ins­ge­samt lei­der doch etwas kurz kommt, sind die Lieder — da set­zt er eine gewisse Ken­nt­nis viel mehr voraus als bei den anderen Gat­tun­gen, die Schu­bert bear­beit­et hat.

Aber es bleibt auf diesem knap­pen Raum eine beein­druck­end detail­lierte, tiefge­hende Analyse und ver­ständliche, konzise Darstel­lung — so wün­scht man/ich sich das!

Hans-Joachim Hin­rich­sen: Franz Schu­bert. München: Beck 2011. 128 Seit­en. 8,95 Euro ISBN 978–3‑406–62135‑2.

Again and Again and Again and Again

Wien also mal wieder. Dieses Mal aber unter ganz beson­deren Gesicht­spunk­ten: “Wien — die kaiser­liche Res­i­den­zs­tadt” hieß die Exkur­sion des His­torischen Sem­i­nars, an der ich — auf­grund einiger glück­lich­er Umstände — trotz ver­späteter Anmel­dung noch teil­nehmen durfte/konnte. So machte ich mich am Fre­itag also wieder ein­mal auf nach Wien, eine mein­er Lieblingsstädte.

Das war aber auch schon gle­ich die erste Her­aus­forderung: Tre­ff­punkt zur Abfahrt war 7:30 Uhr am Mainz­er Haupt­bahn­hof. Das hieß für mich: Der Weck­er klin­gelte um 5:30 Uhr, damit ich noch ohne größere Zeit­not eine Runde laufen gehen kon­nte. Trotz der unbarmherzi­gen Zeit hat das gut geklappt, ich war dann sog­ar noch fast zu früh am Bahn­hof, wo so langsam alle anderen der 15 Teil­nehmer ein­trudel­ten. Der Region­alzug braucht uns dann unprob­lema­tisch zum Frank­furter FLughafen, von dort ging’s mit Air Berlin — bzw. mit dem Air­bus 320 der Niki Air — ohne Prob­lem nach Wien Schwechat. Und dort erst mal wieder in den Zug, der uns zu Wien Mitte brachte, von wo aus die Straßen­bahn weit­er­half. Und nach ein paar hun­dert Metern Fuß­marsch standen wir dann in der Baustelle, d.h. direkt vor dem Hotel Acad­e­mia in der Pfeil­gasse. Das liegt zwar recht prak­tisch, nicht weit vom Bur­gring, ist aber auch recht spar­tanisch und fast schon ein Denkmal. Seit der Eröff­nung in den 1960ern hat sich an der Innenein­rich­tung näm­lich offen­bar gar nichts getan — nur etwas abgenutzt wurde sie im Laufe der Zeit. Aber immer­hin war’s sauber — und viel Zeit ver­bracht­en wir da ja eh nicht.

Schon am ersten Tag ging es gle­ich mit­tags los — mit einem großen Rundgang durch den 1. Bezirk und entsprechen­den Aus­führun­gen zur “Stadt­to­pogra­phie” — Par­la­ment, Rathaus (Alt und Neu), Burgth­e­ater, Uni­ver­sität, Votivkirche, Juden­platz, St. Ruprecht, St. Stephan, Alberti­na, Staat­sop­er — und schließlich noch die Hof­burg in all ihren Teilen (vor der neuen Burg, auf dem Helden­platz, wurde allerd­ings ger­ade noch das Erntedank­fest des Bauern­ver­ban­des aufge­baut). Mit dem Extra-Refer­at zur Baugeschichte waren wir dann erst fer­tig, als die Sonne schon längst ver­schwun­den war und das Licht nur noch vom Mond und aus den Straßen­later­nen schien.

Sam­stags klin­gelte mein Handy­weck­er wieder aus­ge­sprochen früh, näm­lich bere­its um 6:30. Wieder eine Mor­gen­laufrunde, die mich über den Ring und Karl­splatz zum Belle­vue führte, wo um diese Zeit noch (fast) nichts los war. Über Naschmarkt und Karl­splatz fand ich deann den Weg zurück — auch wenn ich zwis­chen­durch an meinem Ori­en­tierungssinn etwas zweifelte. Und angesichts der Alko­holle­ichen, die beim Naschmarkt aus dem Club in die Tax­en fie­len, einen anderen Rück­weg bevorzugt hätte. Nach dem eher kar­gen Früh­stück (lei­der ohne Müs­li) war es auch schon Zeit für dem gemein­samen Abmarsch: Zurück zum Belvedere. Dieses Mal aber mit der Straßen­bahn. Und dort dann aus­führliche Erkun­dung: Erst mit dem biographis­chen Refer­at zu Prinz Eugen, dem Erbauer dieser Som­mer­res­i­denz (das auch gle­ich den Hin­ter­grund für mein eigenes Refer­at am Mit­tag lieferte). Und dann ein super aus­führlich­er Vor­trag zur barock­en Garten­baukun­st, mit dem großar­tig­sten Hand­out, das ich je gese­hen habe — vollgestopft mit (far­bigen!) Abbil­dun­gen und Hin­weisen … Der Garten beschäftigte uns noch den Rest des Vor­mit­tags — bei dem strahlen­den Son­nen­schein und Tem­per­ar­turen um 30 °C hat­ten wir allerd­ings die Ten­denz, Schat­ten­zu suchen. Danach führte uns unser Weg zum Arse­nal, wo sich das Her­res­geschichtliche Muse­um befind­et. Davor, im Schweiz­er­park, durfte ich noch zu “Prinz Eugen als öster­re­ichis­chem Erin­nerung­sort” referieren — trotz mein­er etwas knap­pen Vor­bere­itung und mein­er eher kon­fusen Notatate hat das ganz gut geklappt. Das Heeres­geschichtliche Muse­um war ein sehr selt­sames Erlebe­nis: Ein großar­tiger Bau (vor allem wenn man den ursprünglichen Zweck als Arse­nal bedenkt), der ganz unbeschei­den auf das Arse­nal von Venedig (vor allem in der äußeren Gestal­tung) und den dor­ti­gen Markus­dom (ins­beson­dere im Inneren, den Deck­en und der Benutzung von Gold(-farbe), Die Ausstel­lung in diesem Meis­ter­w­erk des His­tor­izis­mus war allerd­ings so ziem­lich die schreck­lich­ste, die ich ich erin­nere — nicht nur wegen der Exponate, son­dern auch wegen der Präsen­ta­tion: Ohne Zusam­men­hang, ohne Erk­lärung, ohne Ord­nung und Einord­nung wer­den hier ein­fach man­nig­faltige Waf­fen, Schlacht­en­bilder, Heer­führer etc … hingestellt. Der Prinz-Eugen-Raum ist dann auch ein ziem­lich­er Witz: Ein unbeleuchtetes, stark nachge­dunkeltes Porträt, die Bahrtüch­er und kaum mehr, das ganze unauf­fäl­lig in der Ecke unterge­bracht. Etwas bess­er war die Ausstel­lung im Teil zum Zweit­en Weltkrieg — aber auch hier noch total über­laden. Ntür­lich inter­essiert mich Mil­itärgeschichte auch aller­höch­stens periph­er — aber das ist ja sozusagen mein Prob­lem. Hier zeigte sie sich aber auch von ihrer unansehn­lich­sten Seite. Eine kleine spezielle Freude bere­it­ete allerd­ings die Probe ein­er kleinen Schaus­piel­truppe, die an Hein­er Müllers “Woloko­lamsker Chaussee “arbeit­ete und auf dem Balkon des Arse­nals einiges aus­pro­bierte — ich habe lange keinen Müller-Text (in diesem unver­wech­sel­baren Sound!) mehr live gehört …

Nach der Mit­tagspause in der “kleinen Steier­mark” im Schweiz­er­park trafen wir uns am  Karl­splatz wieder zur Abfahrt zum von Touris­ten natür­lich total über­laufe­nen Schloss Schön­brunn, wo wir uns an der Ecke des Gartens zunächst Maria There­sia wid­me­ten, bevor wir den Garten spazierend erschlossen — inklu­sive einem Abstech­er zur Glo­ri­ette mit ihrem schö­nen Aus­blick über Garten, Schloss und Stadt.  Nach der Rück­kehr in die Stadt ver­schlug es uns in die “Kan­tine” im Muse­um­squarti­er, wo man nicht nur gut speisen kon­nte, son­dern auch sehr schön am Sam­stag Abend ein­fach noch entspan­nt den Tag ausklin­gen lassen kon­nte.

Der Son­ntag begann — natür­lich — wieder mit einem Mor­gen­lauf. Dieses Mal führten meine Füße mich über die West­bahn auf die Heili­gen­städter Straße, ein­fach ger­ade stad­tauswärts. Zum GLück fand ich auf dieser Strecke eine McDon­alds-Fil­iale, son­st wäre es zu einem Not­fall gekom­men — mor­gens laufen ist ein­fach nicht mein Ding …Vor­mit­tags standen zunächst zwei weit­ere Som­mer­res­i­den­zen auf der Stadt, die im 18. Jahrhun­dert noch vor der Stadt lagen, heute aber schon zum Kern gehören. Wir began­nen mit dem Palais Schön­born: Davon ist aber nur sehr wenig übrig, vor allem vorm Garten gar nichts — und auch noch dazu mit ein­er falsch beschriftete Beschilderung, wie wir fest­stellen mussten. Dann wid­me­ten wir uns dem Palais Liecht­en­stein, das nicht nur von Anfang an wesentlich repräsen­ta­tiv­er, größer und ästhetis­che beein­druck­ern­der angelegt war, son­dern auch schön restau­ri­ert wurde und vor allem über einen schö­nen Garten ver­fügt. Das ist allerd­ings auch nicht mehr die ori­gian­le barocke Anlage, son­dern eine Umgestal­tung des 19. Jahrhun­derts zum Englis­chen Garten. Natür­lich wurde der “reine” Besuch der Orte auch hier jew­eils mit den entsprech­enen Fachrefer­at­en zur Fam­i­liengeschichte ergänzt. Das Ende des Vor­mit­tagspro­gramms bildete — nach einem Überblick über Wien als “Stadt, in der der Kaiser resi­dierte” — der Besuch des Wien-Muse­ums neben der Karl­skirche. Und das lohnt sich wirk­lich. Nicht nur wegen der vie­len Stad­tan­sicht­en, auch die Exponate sind hier bunt gemis­cht aus Stadtleben und Kun­st und mit kurzen, aber aus­re­ichen­den Tex­ten schön zusam­mengestellt. High­lights sind — neben den Fen­stern und Stat­uen von St. Stephan (den Orig­i­nalen, die dort schon im 19. Jahrhun­dert durch Kopi­en erset­zt wur­den) —  vor allem die drei auf-/nachge­baut­en Räume: Das Wohnz­im­mer Alfred Loos’, die Wohnugn von Grill­parz­er und ein großbürg­er­lich­er-adliger Jugend­stil-Salon. Eine lebendi­ge, umfassende Austel­lung zur Geschichte Wiens in Schlaglichtern.

Den Nach­mit­tag wid­me­ten wir aus­führlich der Karl­skirche, dem äußeren und inneren Bild­pro­gramm, ihrer Pla­nung, Entste­hung und Aus­führung. Und natür­lich besod­ners den Fresken der inneren Kup­peln, weil noch die Möglichkeit bestand, das ehe­mal szu Restau­rierungsar­beit­en aufgestellte Gerüst mit dem Lift (und eini­gen abschließen­den Trep­pen) zu nutzen, die Fresken aus wirk­lich unmit­tel­bar­er Nähe zu bestaunen — erstaunlich, wie detail­re­ich die aus­ge­führt wur­den, obwohl sie doch eigentlich für die Betra­ch­tung vom Boden aus angelegt waren. Aus der Lat­er­ne ganz oben kon­nte man sog­ar einen schö­nen, weit­en Blick über die Wiener City wer­fen — nur schade, dass man nicht hin­aus kon­nte: Das wäre span­nend gewe­sen … Den Rest des Nach­mit­tags ver­bracht­en wir dann mit einem Spazier­gang über den Graben und auf dem angenehm entspan­nten Erntedank­fest, wo es auch leck­eren Saft gab — bei gut 30 °C und weit­er­hin purem Son­nen­schein ein wahre Genuss. Abends lan­de­ten wir dann zu Speis und Trank im “Bet­tel­stu­den­ten”, der uns mit einem großzügi­gen Gutschein über die Hälfte des Rech­nungswertes über­raschte — damit war der Plan für Mon­tag auch klar …

Aber noch war es nicht so weit. Der Mon­tag begann näm­lich noch etwas früher — wegen des Auf­bruchs um 8:30 Uhr fiel mein Mor­gen­lauf allerd­ings auch etwas kürz­er aus. Unser Pro­gramm führte uns zunächst zum Haus‑, Hof- und Staat­sarchiv, mit inter­es­san­ter, weit aus­greifend­er Führung. Inter­es­sant nicht nur die Geschichte des Archives, son­dern auch die des Archivs­baus, ein­er Stahlträgerkon­struk­tions mit Git­ter­bö­den (für die bessere Luftzirku­la­tion) in den Depots, die auch über erstaunlich kun­stvoll gear­beit­ete Met­all­re­gale (die zugle­ich Teil der tra­gen­den Kon­struk­tion sind) aus dem 19. Jahrhun­dert ver­fügt. Und in denen natür­lich wahnsin­nige Schätze lagern … Sehen durften wir — neben eini­gen Fak­sim­i­les — davon einige der pri­vat­en Tage­büch­er Karl VI. Inter­es­sant, wie sich so eine Schrift im Laufe der Jahre verän­dert. Und wie auf manchen Seit­en mehr Zif­fern als Buch­staben zu find­en sind, weil Karl ger­ade in späteren Jahren doch einiges nur chiffriert notierte. Dem Besuch der “archivalis­chen Sätze” schloss sich ein Besuch der weltlichen an: In der Schatzkam­mer der Burg bestaunten wir vor allem die Reichsin­signien (mit Refer­at, natür­lich), die alte Kaiserkro­ne, Szepter, Schw­ert, Reich­sapfel und den ganzen wertvollen Krem­pel, nicht zulet­zt die Krö­nungs­gewän­der. Und natür­lich auch den Schatz des Ordens vom Gold­e­nen Vlies, den uns ein anderes Refer­at schon vorgestellt hat­te.

Nach unser­er kleinen Pause im Cafe Cen­tral — ein Kaf­fee­haus­be­such pro Wienbe­such ist ja sozusagen oblig­a­torisch — fuhren wir mit U‑Bahn und Bus nach Klosterneuburg, bestaunten unter­wegs schon den Karl-Marx-Hof, eines der größten Pro­jek­te des Sozial­woh­nungs­baus und wid­me­ten dann viel Aufmerk­samkeit dem Stift Klosterneuburg, sein­er barock­en Kirche mit ihrer fast prono­graphis­chen Pracht und vor allem dem Res­i­den­zteil, den mageren Resten des Esco­r­i­al-Plans Karls VI. (allein die Reich­skro­ne auf der Mit­telkup­pel hat jagi­gan­tis­che Aus­maße  auch wenn sie nur aus Kupfer ist …) und sahen auch, wie solche Pracht­baut­en im Rohbau aus­sa­hen … Auf dem Rück­weg kehrten wir noch beim Heuri­gen ein und genossen aus­re­ichende Men­gen des “Sturms”, wie die Öster­re­ich­er den Fed­er­weißen nen­nen. Abschließen mussten wir den Abend natür­lich mit ein­er Rück­kehr zum Bet­tel­stu­den­ten — schließlich bran­nte der Gutschein ein Loch in unsere Tasche (über­lebte aber naturgemäß den Abend nicht …).

Am Dien­stag schließlich ging es noch ein­mal früher los, jet­zt klin­gelte mein Weck­er um 6:15 Uhr — so langsam wurde es hart. Und die Lust, über­haupt zu laufen, schwand auch merk­lich … Nach dem Früh­stück zogen wir um 8 Uhr los, die Kof­fer schon ein­mal in Wien Mitte für den Flug aufgeben und wid­me­ten uns dann noch, ganz zum Schluss, der hab­s­bur­gis­chen Memo­ri­alkul­tur: Zunächst in der schö­nen Augustin­erkirche, wo vor allem die Herz­gruft Beach­tung fand, dann in der Kapuzin­er­gruft mit den irrsin­ni­gen Sakropha­gen der Hab­s­burg­er, vor allem den Prach­tex­em­plaren von etwa Karl VI. oder dem gemein­samen Sakrophag von Maria There­sia und ihrem Gemahl Franz Stephan. Und das war’s auch schon fast: In der verbleibendne Freizeit gin­gen wir zu dritt noch ins Mumok, in die großar­tige, ger­ade erst eröffnete Ausstel­lung “Muse­um der Wün­sche” — so etwas wie eine Ret­ro­spek­tive des Muse­ums, aus der eige­nen Samm­lung v.a., die grandiose Klas­sik­er der Mod­erne mit zeit­genös­sis­chen Ver­rück­theit­en kom­biniert und ver­sucht, da so etwas wie Ord­nung hineinzubrin­gen: Unge­mein faszinierend wirk­lich in fast jedem Raum, nur halt  wahnsin­nig viel …

Nach dem abschließen­den leck­eren Käsekrain­er düsten wir mit dem CAT zum Flughafen — und dann auch schon Up & Away nach Deutsch­land, mit der S‑Bahn von Frank­furt zurück nach Mainz, wo mein Bett  mich sozusagen schon erwartete …

Eine span­nende Exkur­sion war das, sich­er, auch ziem­lich anstren­gend — aber schön. Und lehrre­ich. Und inter­es­sant. Nicht zulet­zt wegen der angenehmen Gruppe ;-)

PS: Der Titel ist natür­lich eine pop­kul­turelle Ref­erenz [die mit Wien nix weit­er zu tun hat …] — wer findet’s her­aus?

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