„Solidarität gegen Amazon ist eine große Schimäre“ | Welt → zwar in der “welt”, aber trotzdem ein sehr treffendes interview mit klaus schöffling — das liegt aber vor allem eben an schöffling ;-). anlass war die insolvenz von KNV, aber es geht auch/eher um grundlegende fragen des buchmarkts
Ich weiß nicht, ob man jetzt nach dem Staat rufen muss. Richtig beklagen kann sich die Buchbranche, die ja auch mit der Buchpreisbindung vom Staat geschützt wird, eigentlich nicht.
Was hält Demokratien zusammen? | NZZ → aus anlass des todes von böckenförde wieder hervorgeholt: die sehr schöne, klare und deutliche einordnung des böckenförde-theorems in die deutsche geshcichte des 20. jahrhunderts
Diese Abende sind eine Qual | Zeit → florian zinnecker hat für die “zeit” ein nettes interview mit igor levit über die elbphilharmonie und ihre akustik geführt — und levit bleibt wieder einmal cool und überlegen
Improvisation was strong in the late ‘60s and early ‘70s. But then it got very polluted, like you can put everything into performing that you want to. There’s no leadership, no guidance. It’s nowhere near the way of Louis Armstrong, Duke Ellington, Miles Davis, Bessie Smith or Abbey Lincoln who were all right in terms of creating opportunities in their music. The people calling themselves improvisers today are like a soup. You can add everything in at once and cook it. But that’s a bad soup. You need to cook various portions and add in different things like spices which is what making music in the present is meant to be. It’s like what the Creator created in the beginning. It’s authenticity. You’re bringing something into being.
Gerhard Falkner: Romeo oder Julia. München: Berlin 2017. 269 Seiten. ISBN 978–3‑8270–1358‑3.
Ich kann nicht sagen, dass ich von Romeo oder Julia wirklich begeistert gewesen wäre. Das liegt vor allem daran, dass ich nicht so recht kapiert habe, was der Text eigentlich (sein) möchte. Dabei hat er unbestreitbar ausgezeichnete Momente und Seiten, neben einigen Längen. Einige der ausgezeichneten Momente finden auf der Ebene der Sprache statt: Es gibt funkelnde einzelne Sätze in einem Meer von stilistischem und gedanklichem Chaos. So habe ich mir das zunächst notiert — aber das stimmt so nicht ganz: chaotisch (also realistisch) erscheint der Text zunächst nur, er entwickelt dann aber schon seine Form. Die zumindest stellenweise hypertrophe Stilistik in der Übersteigerung auf allen Ebenen ist dann auch tatsächlich lustig.
Unermüdlich arbeiteten hinter den Dingen, an denen ich vorbeikam, die Grundmaschinen der Existenz, die seit Jahrtausenden mit Menschenleben gefüttert werden, und die Stadt stützte ihre taube und ornamentale Masse auf dieses unterirdische Magma von Lebensgier, Kampf, Wille, Lust und Bewegung. 227
Was wird in Romeo oder Julia erzählt? Das ist eben die Frage. Irgendwie geht es um einen Schriftsteller, Kurt Prinzhorn (über dessen literarische Werke nichts zu erfahren ist), der bei einem Hotelaufenthalt in Innsbruck von einer benutzten Badewanne und verschwundenen Schlüsseln etwas erschreckt wird. Ratlos bleibt er zurück und denkt immer wieder über die Rätselhaftigkeit des Geschehens nach, während das Autorenleben mit Stationen in Moskau und Madrid weitergeht. Dort nähert sich dann auch die antiklimaktische Auflösung, die in einem Nachspiel in Berlin noch einmal ausgebreitet wird: Der Erzähler wird von einer sehr viel früheren kurzzeitigen Freundin verfolgt und bedroht, die dann beim Versuch, zu ihm zu gelangen (um ihn zu töten), selbst stirbt … Trotz des Plots, der nach Krimi oder Thriller klingt, bleibt Romeo oder Julia bei einer unbeschwerten Rätselhaftigkeit, ein Spiel mit Spannungselementen, sexistischem und völkerpsychologischem Unsinn und anderen Peinlichkeiten. Immerhin sind der knappe Umfang und die eher kurzen Kapitel (übrigens genau 42 — wobei ich bei Falkner in diesem Fall keine Absicht unterstelle) sehr leserfreundlich. Durch die zumindest eingestreuten stilistischen Höhenflüge war das für mich eine durchaus unterhaltsame Lektüre, bei der ich keine Ahnung habe, was das eigentlich sein soll, was der Text eigentlich will. Weder die Krimi-Elemente noch die Popliteraturkomponente oder die massiven Intertextualitätssignale (die ich nicht alle in vernünftige Beziehung zum Text bringe, aber sicherlich habe ich auch eine Menge schlicht übersehen) formen sich bei meiner Lektüre zu einem Konzept: Ein schlüssiges Sinnkonstrukt kann ich nicht so recht erkennen, nicht lesen und leider auch nicht basteln.
Es war Sonntagvormittag, und es gab kaum Leute auf der Straße. Straßen auf den Leuten gab es erst recht nicht. es gab auch keine Busse, die man sich auf der Zunge hätte zergehen lassen können, oder Friseure, die aufgrund einer ungestümen Blümeranz der Ohnmacht nahe gewesen wären. Auch nicht die Heldenfriedhöfe, die in wilden und ausufernden Vorfrühlingsnächten von den Suchmaschinen auf die Bildschirme gezaubert werden, um mit ihren schneeweißen und christuslosen Kreuzen die Surfer in ihre leere Erde zu locken. Es gab nicht einmal die feuchte, warme Hand der katholischen Kirche oder das tröstliche Röcheln des Drachens, dem sein beliebtester Gegner, der heilige Georg, gerade die eiserne Lanze in den Rachen gestoßen hat. Es gab einfach wirklich nur das, was da war, was wir unmittelbar vor Augen hatten, und die Tatsache, dass ich in Kürze losmusste. 78
Alina Herbing: Niemand ist bei den Kälbern. Zürich, Hamburg: Arche 2017. 256 Seiten. ISBN 9783716027622.
Das ist mal ein ziemlich trostloses Buch über eine junge Bäuerin aus Alternativlosigkeit, die auch in den angeblich so festen Werten und sozialen Netzen des Landlebens (der „Heimat“) keinen Halt findet, keinen Sinn für ihr Leben. Stattdessen herrscht überall Gewalt — gegen Dinge, Tiere und Menschen. Einerseits ist da also die Banalität des Landlebens, der Ödnis, der „Normalität“, dem nicht-besonderen, nicht-individuellen Leben. Andererseits brodelt es darunter so stark, dass auch die Oberfläche in Bewegung gerät und Risse bekommt. Natürlich gibt es die Schönheit des Landes, auch in der beschreibenden Sprache (die freilich nicht so recht zur eigentlichen Erzählhaltung passt und mit ihren angedeuteten pseudo-umgangssprachlichen Wendunge („nich“, “glaub ich”) auch viele schwache Seiten hat und nerven kann). Aber genauso natürlich gibt es auch die Verletzungen, die die Menschen sich gegenseitig und der “natürlichen” Umwelt gleichermaßen zufügen.
Die Absicht von Niemand ist bei den Kälbern ist schnell klar (schon mit dem Umschlag, sonst spätestens auf der ersten Seite, wenn das Rehkitz beim Mähen getötet wird): Heimat, v.a. aber das Landleben entzaubern — denn es ist auch nur eine Reihe von Banalitäten und Einsamkeiten (auch & gerade zu zweit) und suche nach Liebe, Nähe, Emotionen. Die Natur bleibt von all dem unbeteiligt und eigentlich unberührt. Mich nerven aber so Hauptfiguren wie diese Christin, die — obwohl vielleicht nicht direkt defätistisch — alles (!) einfach so hinnehmen, ohne Gefühlsregung, ohne Gestaltungswillen, ja fast ohne Willen überhaupt, denen alles nur passiert, die alles mit sich geschehen lassen. Dass da dann kein erfüllter Lebensentwurf herauskommt, ist abzusehen. Mir war das unter anderem deshalb zu einseitig, zu eindimensional.
Manchmal glaub ich, jedes Flugzeug, das ich sehe, existiert überhaupt nur, um mich daran zu erinnern, dass ich einer der unbedeutendsten Menschen der Welt bin. Wieso sollte ich sonst in diesem Moment auf einem halb abgemähten Feld stehen? Nicht mal in einer Nazi-Hochburg, nicht mal an der Ostsee oder auf der Seenplatte, nicht mal auf dem Todesstreifen, sondern kurz davor, daneben, irgendwo zwischen alldem. Genau da, wo es eigentlich nichts gibt außer Gras und Lehmboden und ein paar Plätze, die gut genug sind, um da Windräder hinzustellen. 11
Laurent Binet: Die siebte Sprachfunktion. Reinbek: Rowohlt 2017. 524 Seiten. ISBN 9783498006761.
Das ist tatsächlich ein ziemlich lustiger Roman über Roland Barthes, die postmoderne Philosophie, Sprachwissenschaft und Psychologie in Frankreich, auch wenn der Text einige Längen hat. Vielleicht ist das aber wirklich nur für Leser lustig, die sich zumindest ein bisschen in der Geschichte der französischen Postmoderne, ihrem Personal und ihren Ideen (und deren Rezeption in den USA und Europa) auskennen. Und es ist auch ein etwas grotesker Humor, der so ziemlich alle Geistesheroen des 20. Jahrhunderts körperlich und seelisch beschädigt zurücklässt.
Ausgangspunkt der mehr als 500 Seiten, die aber schnell gelesen sind, ist der Tod des Strukturalisten und Semiotikers Roland Barthes, der im Februar 1980 bei einen Unfall überfahren wurde. Für die Ermittlungen, die schnell einerseits in das philosophisch geprägte Milieu der Postmoderne führen, andererseits voller Absurditäten und grotesker Geschehnisse sind, verpflichtet der etwas hemdsärmelige Kommissar einen Doktorand, der sich in diesem Gebiet gut auszukennen scheint. Ihre Ermittlungen führt das Duo dann in fünf Stationen von Paris über Bologna nach Ithaca/USA und zurück zu Umberto Eco (der einzige, der einigermaßen unversehrt davonkommt), womit die Reise, die Ermittlung und der Text das Netzwerk europäischen Denkens (mit seinen amerikanischen Satelliten der Ostküste) in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts nachzeichnen. Das ist so etwas wie ein Pop-Philosophie-Thriller, der für mich doch recht zügig seinen Reiz verlor, weil das als Romantext eher banal und konventionell bleibt. Interessant sind höchstens die Metaebenen der Erzählung (die es reichlich gibt) und die Anachronismen (die auch gerne und mit Absicht verwendet werden), zumal die Theorie und ihr Personal immer mehr aus dem Blick geraten
Die im Titel verhießene siebte Sprachfunktion bleibt natürlich Leerstelle und wird nur in Andeutungen — als unwiderstehliche, politisch nutzbare Überzeugungskraft der Rede — konturiert. Dafür gibt es genügend andere Stationen, bei denen Binet sein Wissen der europäischen und amerikanischen Postmoderne großzügig ausbreiten kann.
Während er rückwärtsgeht, überlegt Simon: Angenommen, er wäre wirklich eine Romangestalt (eine Annahme, die weitere Nahrung erhält durch das Setting, die Masken, die mächtigen malerischen Gegenstände: in einem Roman, der sich nicht zu gut dafür wäre, alle Klischees zu bedienen, denkt er), welcher Gefahr wäre er im Ernst ausgesetzt? Ein Roman ist kein Traum: In einem Roman kann man umkommen. Hinwiederum kommt normalerweise die Hauptfigur nicht ums Leben, außer vielleicht gegen Ende der Handlung. / Aber wenn es das Ende der Handlung wäre, wie würde er das erfahren? Wie erfährt man, wann man auf der letzten Seite angekommen ist? / Und wenn er gar nicht die Hauptfigur wäre? Hält sich nicht jeder für den Helden seiner eigenen Existenz? 420
Dieter Grimm: “Ich bin ein Freund der Verfassung”. Wissenschaftsbiographisches Interview von Oliver Lepsius, Christian Waldhoff(span> und Matthias Roßbach mit Dieter Grimm. Tübingen: Mohr Siebeck 2017. 325 Seiten. ISBN 9783161554490.
Ein feines, kleines Büchlein. Mit “Interview” ist es viel zu prosaisch umschrieben, denn einerseits ist das ein vernünftiges Gespräch, andererseits aber auch so etwas wie ein Auskunftsbuch: Dieter Grimm gibt Auskunft über sich, sein Leben und sein Werk. Dabei lernt man auch als Nicht-Jurist eine Menge — zumindest ging es mir so: Viel spannendes zur Entwicklung von recht und Verfassung konnte ich hier lesen — spannend vor allem durch das Interesse Grimms an Nachbardisziplinen des Rechts, insbesondere der Soziologie. Deshalb tauchen dann auch ein paar nette Luhmann-Anekdoten auf. Außerdem gewinnt man als Leser auch ein bisschen Einblick in Verfahren, Organisation und Beratung am Bundesverfassungsgericht, an dem Grimm für 12 Jahre als Richter tätig war. Schön ist schon die nüchterne Schilderung der der nüchternen Wahl zum Richter — ein politischer Auswahlprozess, den Grimm für “erfreulich unprofessionell” (126) hält. Natürlich gewinnt das Buch nicht nur durch Grimms Einblick in grundlegende Wesensmerkmale des Rechts und der Jurisprudenz, sondern auch durch seine durchaus spannende Biographie mit ihren vielen Stationen — von Kassel über Frankfurt und Freiburg nach Paris und Harvard wieder zurück nach Frankfurt und Bielefeld, dann natürlich Karlsruhe und zum Schluss noch Berlin — also quasi die gesamte Geschichte der Bundesrepublik Deutschland — Grimm ist 1937 geboren — in einem Leben kondensiert.
Das Buch hat immerhin auch seine Seltsamkeiten — in einem solchen Text in zwei Stichwörtern in der Fußnote zu erklären, wer Konrad Adenauer war, hat schon seine komische Seite. Bei so manch anderem Namen war ich aber froh über zumindest die grobe Aufklärung, um wen es sich handelt. Die andere Seltsamkeit betrifft den Satz. Dabei hat jemand nämlich geschlampt, es kommen immer wieder Passagen vor, die ein Schriftgrad kleiner gesetzt wurden, ohne dass das inhaltlich motiviert zu sein scheint — offensichtlich ein unschöner Fehler, der bei einem renommierten und traditionsreichen Verlag wie Mohr Siebeck ziemlich peinlich ist.
Adorno verstand ich nicht. Streckenweise unterhielt ich mich einfach damit zu prüfen, ober er seine Schachtelsätze korrekt zu Ende brachte. Er tat es. 41
Constantijn Huygens: Euphrasia. Augentrost. Übersetzt und herausgegeben von Ard Posthuma. Leipzig: Reinecke & Voß 2016. [ohne Seitenzählung]. ISBN 9783942901222.
Zu diesem schönen, wenn auch recht kurzen Vergnügen habe ich vor einiger Zeit schon etwas gesondert geschrieben: klick.
außerdem gelesen:
Dirk von Petersdorff: In der Bar zum Krokodil. Lieder und Songs als Gedichte. Göttingen: Wallstein 2017 (Kleine Schriften zur literarischen Ästhetik und Hermeneutik, 9). 113 Seiten. ISBN 978–3‑8353–3022‑1.
Hans-Rudolf Vaget: “Wehvolles Erbe”. Richard Wagner in Deutschland. Hitler, Knappertsbusch, Mann. Frankfurt am Main: Fischer 2017. 560 Seiten. ISBN 9783103972443.
Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt | Das Magazin → reportage über big data, psychologisches profiling und den einsatz in wahlkämpfen. beschreibt die grundsätzlichen möglichkeiten ganz anschaulich, zu den entscheidenden momenten — nämlich vor allem der konkreten umsetzung und dem einsatz — bleibt es aber recht vage und weitgehend quellenlos. trotzdem interessant und ein bisschen gruselig
Verlage sollten ihre Kräfte darauf verwenden, tragfähige Geschäftsmodelle zu entwickeln. Und zwar solche, die nicht darauf angewiesen sind, den Autoren eine Beteiligung an Vergütungen abzuringen.
Gerade weil Verschwörungstheoretiker immun gegen jedes noch so vernünftige Argument aus der „Mainstream-Welt” sind, sehe ich diese Bewegung als äußerst gefährlich an. Wie viele subversive Gruppen aus dem rechten Lager, holen sich die Truther meistens Leute aus schwierigen sozialen Verhältnissen ins Boot. Menschen, die froh über Sündenböcke sind und in eloquenten Persönlichkeiten Führung suchen. Die Truther bestreiten eine Zugehörigkeit zum rechten Lager zwar vehement, jedoch sprechen meine persönlichen Erfahrungen für sich. Sexismus, Homophobie und Rassismus sind genauso verbreitet, wie eine fehlgeleitete Vorstellung von Kultur und Heimatliebe.
Aus meiner Sicht versucht die AfD, die Grenze, die die Verfassung zulässt, bis ins Äußerste auszutesten. Dabei arbeitet sie mit unklaren Begriffen, damit sie, wenn sie zur Rede gestellt wird, sagen kann: So war das gar nicht gemeint. In einigen Punkten sehe ich den Menschenrechtskern des Grundgesetzes verletzt. Das könnte die AfD, selbst wenn sie entsprechende Mehrheiten hätte, nicht umsetzen, ohne dass es zu einer eindeutigen Verfassungsverletzung käme. Man muss also sagen: Die AfD bewegt sich in vielem an der Grenze zur Verfassungswidrigkeit und in manchem hat sie diese Grenze bereits überschritten.
Während wir das analoge Buch aus Papier nach wie vor gut im Rahmen der von uns erlernten (hartnäckigen) Muster des Lesens aufzunehmen und zu bearbeiten wissen, verlangt das digitale Buch von uns, in einen Lern- und Gewöhnungsprozess einzutreten.
Es muss gelernt werden, wie man mit den veränderten Möglichkeiten des Datenträgers zu arbeiten vermag und man muss sich gleichzeitig daran gewöhnen, dass Texte die Dimension der Tiefe im Sinne von Seitenzahlen »verlieren«. – Dies ist allerdings viel mehr als eine Frage der Haptik.
«Digital Humanities» und die Geisteswissenschaften: Geist unter Strom — NZZ Feuilleton — sehr seltsamer text von urs hafner, der vor allem wohl seine eigene skepsis gegenüber “digital humanities” bestätigen wollte. dabei unterlaufe ihm einige fehler und er schlägt ziemlich wilde volten: wer “humanities” mit “humanwissenschaften” übersetzt, scheint sich z.b. kaum auszukennen. und was die verzerrende darstellung von open access mit den digital humanities zu tun hat, ist auch nicht so ganz klar. ganz abgesehen davon, dass er die fächer zumindest zum teil fehlrepräsentiert: es geht eben nicht immer nur um close reading und interpretation von einzeltexten (abgesehen davon, dass e‑mailen mit den digital humanities ungefähr so viel zu tun hat wie das nutzen von schreibmaschinen mit kittler’schen medientheorien …)
Lyrik: Reißt die Seiten aus den Büchern! | ZEIT ONLINE — nette idee von thomas böhm, die lyrik zu vereinzeln (statt in lyrikbänden zu sammeln), das gedicht als optisches sprachkunstwerk zu vermarkten (auch wenn ich seine argumentationen oft überhaupt nicht überzeugend finde)
Unterscheidung, Alternativen, Schwerpunktsetzung? Fehlanzeige. Rez. zieht es vor, sich als scharfe Kritikerin zu inszenieren, jede Differenzierung schwächte das Bild nur. Lieber auf der Schulter von Riesen, hier neben Krüger, Benn & Co. vor allem Jossif Brodsky, auf die behauptet magere deutsche Szene herabblicken. Einsam ist es dort oben auf der Säule!
Verkehrssicherheit: Brunners letzte Fahrt | ZEIT ONLINE — sehr intensive reportage von henning sussebach über die probleme der/mit alternden autofahrern (für meinen geschmack manchmal etwas tränendrüsig, aber insgesamt trotzdem sehr gut geschrieben)
Urlaubszeit in Deutschland, Millionen Reisende sind auf den Straßen. Da biegt ein 79-Jähriger in falscher Richtung auf die Autobahn ein – fünf Menschen sterben. Ein Unglück, das zu einer brisanten Frage führt: Kann man zu alt werden fürs Autofahren?
Dass ich mit meinen Gedichten kein großes Publikum erreiche, ist für mich etwas, worunter ich selten leide. Ich möchte das, was ich mache, auf dem Niveau machen, das mir vorschwebt. Dabei nehme ich auch keine Rücksicht mehr. Ich gehe an jeden Rand, den ich erreichen kann.
Rainald Goetz: Der Weltabschreiber | ZEIT ONLINE — sehr schöne und stimmende (auch wenn das theater fehlt …) würdigung rainald goetzes durch david hugendick anlässlich der bekanntgabe, dass goetz diesjähriger büchner-preis-träger wird
Die einzige Reaktion auf die Zudringlichkeit der Welt kann nur in deren Protokoll bestehen, die zugleich ein Protokoll der eigenen Überforderung sein muss.
Wir alle sind heute ein bisschen wie Lichtenstein oder Warhol. Wir erstellen und teilen ständig Fotos und Videos, in denen Werke anderer vorkommen. Zeit, dass das Urheberrecht darauf eingeht.
Von CSU-Spitzenkräften ist man inzwischen gewohnt, dass sie jenseits der bayerischen Landesgrenze so dumpf agieren, als gössen sie sich zum Frühstück fünf Weißbier in den Hals. […]
Das Charmante an der teils irrlichternden Syriza-Regierung ist ja, dass sie eingespielte Riten als nackt entlarvt.
Sich „konstruktiv verhalten“ heißt, ernst genommen zu werden | KRZYSZTOF RUCHNIEWICZ — Stellungnahme ehemaliger Mitgliedern des Wissenschaftlich Beraterkreises der (sowieso übermäßig vom Bund der Vertreibenen dominierten) Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung zur Farce der Wahl des neuen Direktors unter Kulturstaatsministerin Monika Grütters
Konsum: Kleine Geschichte vom richtigen Leben | ZEIT ONLINE — marie schmidt weiß nicht so recht, was sie von craft beer, handgeröstetem kaffee und dem ganzen zelebrierten super-konsum halten soll: fetisch? rückbesinnung alte handwerkliche werte? oder was?
Alle Musik ist zu lang — wunderbare überlegungen von dietmar dath zur musik, der welt und ihrer philosophie
Alle bereits vorhandene, also aufgeschriebene oder aufgezeichnete Musik, ob als Schema oder als wiedergabefähige Aufführung erhalten, ist für Menschen, die heute Musik machen wollen, zu lang, das heißt: Das können wir doch nicht alles hören, wir wollen doch auch mal anfangen. Wie gesagt, das gilt nicht nur für die Werke, sondern schon für deren Muster, Prinzipien, Gattungen, Techniken. […]
Musik hält die Zeit an, um sie zu verbrauchen. Während man sie spielt oder hört, passiert alles andere nicht, insofern handelt sie von Ewigkeit als Ereignis- und Tatenlosigkeit. Aber beide Aspekte der Ewigkeit, die sie zeigt, sind in ihr nicht einfach irgendwie gegeben, sie müssen hergestellt werden: Die Ereignislosigkeit selbst geschieht, die Tatenlosigkeit selbst ist eine musikalische Tat.
Literaturblogs are broken | The Daily Frown — fabian thomas attestiert den “literaturblogs” “fehlende Distanz, Gefallsucht und Harmlosigkeit aus Prinzip” — und angesichts meiner beobachtung (die ein eher kleines und unsystematisches sample hat) muss ich ihm leider zustimmen.
Ja, ich hab total auf lieb Kind gemacht. Ich merkte ja schon, dass ich im Wagner-Forum so als Monster dargestellt wurde. Ich bin kein Monster. Ich wollte das Ding nur radikalisieren. Ich hab auf nett gemacht und so getan, als wäre ich gar nicht ich selbst. Was ich ja immer tue. Sei niemals du selbst. Keine Selbstsuche, bitte. Keine Pilgerfahrt. Keine Möncherei. Ich bin einfach wie ’n Spielkind da rangegangen, und ich dachte, jetzt geht’s ab. […]
Kultur ist genauso beschissen wie Gegenkultur. Mainstream ist genauso beschissen wie Underground. Kultur und Gegenkultur ist das Gleiche. Politik kannst du nicht mit Kultur bekämpfen. Sondern nur mit Kunst. Du kannst nicht eine neue Partei gründen, weil sie genauso scheiße ist wie jede andere. Du kannst keine neue Religion gründen, weil sie genauso scheiße ist wie alle anderen. Du kannst keine neue Esoterik schaffen, weil sie genauso scheiße ist wie jede andere. Du kannst keine Spiritualität schaffen, die besser wäre als alle anderen. Jede Partei ist gleich scheiße, jede Religion ist gleich zukunftsunfähig, jede Esoterik ist abzulehnen. Ich benutze Esoterik, aber ich identifiziere mich nicht damit. Ich identifiziere mich nicht mit Wagner, ich identifiziere mich nicht mit Bayreuth, ich identifiziere mich mit gar nichts. Ent-identifiziert euch! Seid nicht mehr! Seid eine Nummer! Seid endlich eine Nummer! Das ist geil. Seid kein Name! Seid kein Individuum! Seid kein Ich! Macht keine Nabelbeschau, keine Pilgerreise, geht niemals ins Kloster, guckt euch niemals im Spiegel an, guckt immer vorbei! Macht niemals den Fehler, dass ihr auf den Trip geht, euch selbst spiegeln zu wollen. Ihr seid es nicht. Es ist nicht die Wichtigtuerei, die die Kunst ausmacht, sondern der Dienst an der Kunst. Die Kunst ist völlig frei. Meine Arbeit, die ist mir zuzuschreiben, aber nicht die Kunst. Die spielt sich an mir ab.
»Faktenwissen« kommt nicht zuerst, wenn Kompetenzorientierung ernst genommen wird – Können kommt zuerst. Kompetenzorientierung bedeutet, die Lernenden zu fragen, ob sie etwas können und wie sie zeigen können, dass sie es können. Weil ich als Lehrender nicht mehr zwingend sagen kann, auf welchem Weg dieses Können zu erreichen ist. Dass dieses Können mit Wissen und Motivation gekoppelt ist, steht in jeder Kompetenzdefinition. Wer sich damit auseinandersetzt, weiß das. Tut das eine Lehrkraft nicht, ist das zunächst einfach einmal ein Zeichen dafür, dass sie sich nicht mit Kompetenzorientierung beschäftigt hat. Fehlt diese Bereitschaft, müssen zuerst die Voraussetzungen dafür geschaffen werden.
Und immer noch drängeln die Städte, die Dörfer, die Regionen, dass sie ja als Erste einbalsamiert werden. Wie die Länder, die sich um Olympische Spiele bewerben, ohne sich klarzumachen, dass sie damit ihren Untergang heraufbeschwören wie Griechenland mit Athen.
Wie man nicht für die Vorratsdatenspeicherung argumentiert | saschalobo.com — sascha lobo seziert den tweet von reinhold gall. wie (fast) immer exzellent. schade (und mir unverständlich), dass solche texte in den großen, publikumswirksamen medien keinen platz finden — warum steht das nicht im print-spiegel, der gedruckten faz oder süddeutschen?
Sex (und gender) bei der Fifa | Männlich-weiblich-zwischen — ein schöner text zum problem der bestimmung des geschlechts, des biologischen, wie es die fifa versucht — nämlich über den testosteron-spiegel. mit dem (inzwischen erwartbaren) resultat: so kann man das jedenfalls nicht machen.
an darf also vermuten und hoffen, dass auch diese Definition von sex zu sportlichen Zwecken demnächst, wie bisher alle anderen Definitionen auch, als unbrauchbar und absurd erweisen – aber wohl, ebenfalls wie immer, erst zu spät.
Noch schöner wäre es, wenn wir Verfassungsschutzbehörden und ein Bundesverwaltungsgericht besäßen, die da von selber drauf kommen.
— dem ist kaum etwas hinzuzufügen. Aber schön auch, was einige Absätze später steht:
Der Zweite Senat hat sich dabei zunächst einmal die Gelegenheit nicht entgehen lassen, ein weiteres Kapitel für das monumentale Handbuch zur Allgemeinen Demokratie- und Staatslehre zu schreiben, das in Karlsruhe unter dem unscheinbaren Titel “Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts” in 130 Bänden erscheint. Dieses Kapitel ist für jeden, der etwas Kluges über Parlamentarismus erfahren will, eine ausgesprochen erhebende Lektüre.
Schade nur, dass ausgerechnet die Justiz diese Aufgabe erledigen müssen. Gäbe es da nicht auch (noch) ein paar andere Zuständige?
Einige Gedanken am Tag nach der Bundestagswahl — Maximilian Steinbeis weist im Verfassungsblog auf einige wenig beachtete Folgen des Wahlausgangs hin. Zum Beispiel:
Eine von Union und SPD getragene Regierung könnte sich auf 503 von 630 Sitze stützen – fast eine Vierfünftelmehrheit.
Die Opposition aus Grünen und Linken könnte nicht einmal mehr einen Untersuchungsausschuss einsetzen. Sie könnte auch kein Normenkontrollverfahren in Karlsruhe anstrengen. Dazu sind jeweils 25 Prozent der Stimmen im Bundestag nötig, und die bekommen sie selbst dann nicht auf die Waage, wenn sie sich zu einem solchen Schritt zusammenraufen.
Da kann man es langsam wirklich mit der Angst bekommen … — denn in so guten Händen waren Recht und Ordnung in den letzten Jahren ja nicht bei der Regierung, die unzähligen Hinweise aus Karlsruhe sprechen da ja eine deutliche Sprache …
Stillstand | Carta — Wolfgang Michal sagt, was zu sagen ist, zum Ausgang der Bundestagswahl:
Ich glaube, nach dem Wahlabend des 22. September wird der Dude-ismus auch in Deutschland Fuß fassen. Es scheint sich um die einzige Lebensform zu handeln, die einem derartigen Wahlergebnis gewachsen ist. Man möchte nur noch bowlen, einen Joint rauchen und in einem Ford Gran Torino „Lookin out my backdoor“ hören.
Das Ergebnis der Bundestagswahl fühlt sich an, als würde die Zeit eingefroren. Als würde ein vierjähriger Winter bevorstehen, den man nur überstehen kann, wenn man jeden Abend den Film „The Big Lebowski“ ansieht. 2017 können wir vielleicht weitermachen, wo wir 2013 aufgehört haben.
Besonders schade ist, dass die CDU die absolute Mehrheit knapp verfehlt hat. Denn das bedeutet, dass die SPD wieder nicht von Steinbrück und Steinmeier lassen kann. Es wird keinen Neuanfang geben. Also stellen wir vorsorglich die Uhren auf 2005 zurück, verstreuen die Asche der FDP und gehen bowlen.
Ich beschäftige mich seit Jahren mit Migrationsrecht und in diesem Bereich ist vieles möglich, was meine zivilrechtlichen Kollegen für unvorstellbar halten. Aber die Urteile aus Eisenhüttenstadt haben doch eine besondere Dimension. Das habe ich bislang für unvorstellbar gehalten.
Später im Aufstieg war’s so weit: Ich hörte auf, Gott um Hilfe anzuflehen, stattdessen überlegte ich mir, ob ich mich auf einen Deal mit dem Teufel einlassen sollte, falls er hier und jetzt auftauchte. Eine halbe Meile vor dem Pass erhielt ich meinen Sack, der Wind blies so stark, dass ich das Velo kaum in der Spur halten konnte. Aber hätte ich da angehalten, ich wäre wohl nie mehr wieder losgefahren. (…) In der Abfahrt musste ich erst die Bremsen von Hand enteisen. Zum Glück war es in der Höhe eine Schotterstrasse, auf der der Schnee nicht so schnell gefror wie auf Asphalt. Zuschauer und Mechaniker rannten hin und her, im Unwissen, ob das Rennen überhaupt noch im Gang war. Ein Carrera-Mechaniker trug diesen tollen Goretex-Ganzkörperanzug – was hätte ich dafür gegeben! Ich schaute auf meine Beine, durch eine Schicht von Eis und Massageöl leuchteten sie knallrot. Ich entschied, nicht wieder hinzugucken.
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland [DocPatch] — Diese Webseite ermöglicht das Nachvollziehen aller Veränderungen am Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland seit seinem Inkrafttreten im Jahr 1949. Es enthält den vollständigen Gesetzestext zuzüglich vieler Informationen, die damit in Verbindung stehen. Somit steht ein umfassendes Werk zur Verfügung, die Entwicklung der deutschen Verfassung transparenter zu machen.
Es ist ja irgendwie lästig, aber es muss sein: Gegen das Gesetz zur Bestandsdatenauskunft muss Verfassungsbeschwerde erhoben werden. Rechtsanwalt Meinhard Starostik, der schon erfolgreich gegen die Vorratsdatenspeicherung Beschwerde einlegte, bereitet gerade die Verfassungsbeschwerde gegen das neue Gesetz zur Bestandsdatenauskunft vor — und dem kann und sollte man sich anschließen! Das ist auch ganz einfach, erfordert nur eine Unterschrift unter ein Formular und die 58 Cent, die der Brief nach Berlin kostet. Mein Brief ist schon unterwegs …
Argumente gegen die Bestandsdatenauskunft gibt es hier und hier, mitmachen kann man ganz einfach hier.
Verfassungsbeschwerde gegen die Bestandsdatenauskunft
Seit Wochen mischen sich unterschiedliche Gedanken zum Thema Sprache, Feminismus und Poltical Correctness und ich hätte gerne einen Artikel verfasst, der alles ordnet, vielleicht mit einer Prise Humor abrundet – leider bin ich an diesem Wunsch gescheitert und schreibe deswegen alles verhältnismäßig ungeordnet zusammen.
Neulich im Hass Seminar. 2012 zeigte die Goetz’sche Hau-drauf-Poetologie mehr denn je, dass textlicher Grobianismus erkenntnisfördernd wirkt.
Ich schlage deshalb analog zu Godwin’s Law hiermit Friedrich’s Law vor: Wer als Vertreter des Staates in einer Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht argumentiert, die Bürger sollten darauf vertrauen, der Staat werde das angegriffene Gesetz nicht in verfassungswidriger Weise nutzen, der hat die Verhandlung mit sofortiger Wirkung verloren.
Nun hat sich endlich ein Anlass gefunden! Am 5. Januar 2013 feiern ein paar Leute 60 Jahre »Warten auf Godot« on stage. Und da feiern wir mit und schicken den berühmtesten Godot-Darsteller aller Zeiten mit einer Creative Commons-Lizenz ins Netz
Es gibt allem Anschein nach nichts, was dem »Handelsblatt« zu falsch oder zu dumm ist, um es im Kampf gegen ARD und ZDF zu verwenden. Den vorläufigen (und schwer zu untertreffenden) Tiefpunkt markiert ein Gastbeitrag der früheren CDU-Bundestagsabgeordneten Vera Lengsfeld, den die Zeitung gestern auf ihrer Internetseite veröffentlichte.