Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: trauer

Sterben

Laßt eine müde Seele dem grim­mi­gen Tode entkom­men,
 wenn, schon gestor­ben zu sein, einem das Ster­ben erspart!

Pub­lius Ovid­ius Naso (aus: Lieder der Trauer. Die Tristien. Aus dem Lateinis­chen von Volk­er Ebers­bach, 1997, S. 23, Erstes Buch, Elegie IV)

brittens “war requiem” — politik und/oder musik

Es hat sich einiges wun­der­bar gefügt für dieses Konz­ert: Zum Pro­log für den diesjähri­gen Kul­tur­som­mer Rhein­land-Pfalz zeigte sich die Sonne schon som­mer­lich. Und es gab noch dazu einige Übere­in­stim­mungen zur Urauf­führung des „War Requiem“, die Ben­jamin Brit­ten sicher­lich gefreut hät­ten. Genau wie die europäis­che Zusam­menset­zung der Musik­er: Chöre aus Frankre­ich, Deutsch­land und Polen nehmen sich gemein­sam mit dem Lan­desju­gen­dorch­ester Rhein­land-Pfalz unter Klaus Arp des Requiems an.

Genau wie 1962 in Coven­try fand auch die Mainz­er Auf­führung im Rah­men der kleinen Tournee dieses Pro­jek­tes, die von Frankre­ich über Rhein­land-Pfalz nach Polen führt, in einem im Zweit­en Weltkrieg zer­störten Gotte­shaus, der Chris­tuskirche, statt. Und genau wie damals stam­men die Solis­ten aus ver­schiede­nen Län­dern – gut, statt aus Rus­s­land kommt die Sopranistin Justy­na Bachows­ka aus Polen. Aber der Bari­ton Jens Hamann ist Deutsch­er, der Tenor Deryck Huw Webb Brite – genau wie vor über vierzig Jaren. Die Voraus­set­zun­gen waren also ziem­lich gut und bere­its sehr syb­molisch aufge­laden. Nur der Raum erwies sich, trotz sein­er sym­bol­is­chen Kraft, als nur mäßig geeignet. Akustisch war die Riesenbe­set­zung in der Chris­tuskirche näm­lich nicht beson­ders gut aufge­hoben.

Klaus Arp tat aber trotz­dem sein Bestes, aus Orch­ester und Chören eine klan­gliche Ein­heit zu for­men. Und das Ergeb­nis kon­nte sich dur­chaus hören lassen. Das Jugen­dorch­ester spielte aus­ge­sprochen diszi­plin­iert und genau. Freilich ließ Arp auch nie­mand aus dem Blick: Seine Argusaugen und sein fordern­der Diri­gen­ten­stab hat­ten die Musik­er per­ma­nent voll unter Kon­trolle. Auch die jugendlich klin­gen­den Chöre: Neben dem heimis­chen Lan­desju­gend­chor und dem Kinder­chor Maîtrise de Dijon, der sich stimm­lich schon sehr erwach­sen präsen­tierte, war noch der Kam­mer­chor der Musikakademie aus Kat­towitz dabei. Doch trotz der starken Beset­zung blieb der Chor lei­der an Durch­schlagskraft hin­ter den Erwartun­gen zurück – die Sänger hat­ten es oft schw­er, gegen den sat­ten Orch­esterk­lang anzukom­men. Dafür entschädigten sie mit aus­ge­sprochen delikat­en Fein­heit­en und zarten Pianis­si­mi.

Zusam­men mit den sehr sich­er und überzeu­gend agieren­den Solis­ten enstand so in der Chris­tuskirche eine inten­siv mah­nende, von der Richtigkeit ihres Anliegens sehr überzeugte Auf­führung des „War Requiems“. Und die ließ sowohl die kleinen Unzulänglichkeit­en als auch die sym­bol­is­che Über­höhung des Konz­ertes vergessen: Denn egal wer und wo und warum das „War Requiem“ auf­führt – diese Kom­po­si­tion set­zt ihr Pro­gramm des Paz­i­fimus, der Trauer über allem Kriegsleid unbe­d­ingt durch. Erst recht, wenn sie mit so viel Engage­ment und Sachver­stand musiziert wird wie hier.

(gechrieben für die mainz­er rhein-zeitung.)

einsamkeit und traurigkeit allerorten

so etwas gibt es wohl nur bei sibylle berg. auch ihr neuestes buch die fahrt (recht forsch und großzügig als „roman” etiket­tiert) kreist wieder um ihre ganz eige­nen the­men, die sie immer wieder neu auf­greift, neu abklopft und in ihrem lakonis­chen anti-stil vor­führt: die ein­samkeit des (post-) mod­er­nen men­schen, das altern, das bewusst­sein bzw. das bewusst-wer­den des alterns. das wirkt, in dieser manch­es mal fast mon­strös anmu­ten­den bal­lung (und dur­chaus auch ein­seit­i­gen sichtweise …) manch­es mal aus­ge­sprochen depres­siv und bedrück­end. aber sibylle berg wäre nicht sibylle berg, wenn nicht die möglichkeit des glücks doch noch ab und an irgend­wo hin­durch schim­mern würde: immer­hin ist sie auch in der fahrt mehr als nur the­o­retisch gegeben, einige aus dem reich­halti­gen fig­ure­narse­nal schaf­fen es, der sinnlosigkeit (momen­tan zumin­d­est) zu entrin­nen (wobei mir  natür­lich sofort ein ander­er titel bergs ein­fällt: ein paar leute suche das glück und lachen sich tot). aber die stärk­sten momente hat die fahrt — und das unter­schei­det sie von den bish­eri­gen büch­ern der autorin — nicht nur dann, wenn sie die sinnlosigkeit und absur­dität des urlaubens und des reisens beschreibt, son­dern in den bericht­en aus den elends­ge­bi­eten. denn das sind zweifel­los einige der berührend­sten, aufwüh­lend­sten beschrei­bun­gen des elends des lebens, die hier eingestreut sind — ger­ade im kon­trast zu den „luxus”-problemen den anderen fig­uren. ihre wirk­mächtigkeit ver­danken diese abschnitte auch der tat­sache, dass berg sie durch nichts mildert, nichts erk­lären will, son­dern nur — als qua­si geset­ztes gegen­bild — beschreibt — und damit wirkungsvoller die men­schen anklagt, die so etwas zulassen, als es jede stre­itrede ver­möchte. und das kün­st­lerisch beein­druck­ende ist dann auch noch die tat­sache, dass sich selb­st diese zunächst als mutwillige fremd­kör­p­er eingestreut erscheinen­den pas­sagen wun­der­bar in das konzept des buch­es fügen — die (verge­bliche? weil nur zufäl­lig von erfolg gekrönte?) suche nach sinn und glück im irdis­chen leben … auf jeden fall ein großar­tiges leseer­leb­nis!

gut find­et die fahrt auch kristi­na maidt-zinke in der süd­deutschen zeitung: „Mit der roman­tis­chen Vorstel­lung, dass die Men­schen in den Armut­szo­nen der Erde zufrieden­er lebten als die über­fresse­nen Abendlän­der, wird in diesem Fahrten-Buch gründlich aufgeräumt. […] DIe stärk­sten Momente ihrer Prosa aber sind nach wie vor die, in denen sie die fortschre­i­t­ende Verkom­men­heit und Abgewrack­theit des Plan­eten sowie die grassierende Unzurech­nungs­fähigkeit sein­er Bewohn­er mit der ihr eige­nen Has­s­lust aus­malt: Die Schärfe ihres schrä­gen Blicks ist unnachahm­lich.” (SZ 232, 9.10.2007, Beilage zur Frank­furter Buchmesse, S. 3)

sibylle berg: die fahrt. köln: kiepen­heuer & witsch 2007.

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