Wie geil ist das denn: Eine ganz großartige Soloperformance von Mats Gustafsson mit seinem Baritonsaxophon (und zwischendurch auch mit dem Sopran) in Rekjavik gibt es auf YouTube zu sehen. Eines der besten Sets, die ich in letzter Zeit in die Ohren und vor die Augen bekommen habe. Und das Schauen lohnt sich, beim Betrachten der Bewegung und der Arbeit im Moment des Entstehens dieser großartigen Musik erhält sie noch eine ganz andere Tiefe. Das ist so — selbst in dieser eher bescheidenen Aufnahmequalität — schon beeindruckend und faszinierend. Und aus Erfahrung weiß ich, dass das live noch viel mitreißender und überwältigender sein kann. Die Energie, die solche Momente freisetzen, ist es, die den Free Jazz immer wieder so spannend, berührend und einfach großartig machen — und so lohnend! (Ich bin gerade einfach ziemlich begeistert …)
Schlagwort: saxophon
So ein ausgelassenes Treiben hat der Kreuzgang von St. Stephan wohl selten erlebt – wenn überhaupt. Fünf junge Männer sind es, die das Publikum hier zum Kochen bringen. Bei den Temperaturen ist das ja auch nicht so schwierig. Doch „SignumFive“, die vier Saxophonisten und der Akkordeonist hätten auch mit arktischer Kälte kein Problem. Denn ihre Hitze kommt von wo ganz anders her: aus der Musik. Für das letzte Konzert des diesjährigen Mainzer Musiksommers nehmen sie ihre Zuhörer auf eine Reise mit. Gasper Konec’s Werk, das der junge Komponist für SignumFive schrieb und das in Mainz seine zweite Aufführung erfuhr, trägt das sogar im Titel: „Journey“. Aber nicht nur hier geht es darum, die Normalität des mitteleuropäischen Konzertgeschehens zu verlassen.
Konec macht in „Journey“ so eine Reise hörbar: Das fängt sehr gesittet und zurückhaltend an, gibt den Saxophonisten aber von Beginn an die Möglichkeit, ihren Klangsinn und ihre Melodienseligkeit auszuleben. Überhaupt dürfen die Freunde eingängiger, einfacher und gefühlsvoller Melodien sich hier glücklich fühlen — für sie gibt es reichlich Material. „Journey“ schafft immerhin den Bogen noch, mit Unterstützung ihres Akkordeonisten gelingt es dem Saxophonquartett, die quirlige Lebendigkeit des tänzerischen Schlussteils zu einer fetzigen Sache zu machen. Und darum scheint es ja immer wieder zu gehen: Mit einer Mischung aus meist etwas melancholisch angehauchten Folkloremelodien und wirbelnden Tanzmusiken Unterhaltung auf hohem technischen Niveau zu bieten. Antonin Dvoraks „Amerikanisches“ Streichquartett in einem Arrangement für Saxophone, mit dem SignumFive das Konzert eröffnete, wirkt da im Rückblick wie ein echter Fremdkörper. An die Subtilität und Vielschichtigkeit eines guten Streichquartett langen die vier Bläser aber auch nicht so recht heran – alles, was nicht „Melodie“ schreit, verschwindet gern im grummelnden Hintergrund. Nach diesem kleinen Klassik-Feigenblatt zu Beginn widmen sie sich aber zum Glück auch vorrangig dem, was sie am besten können: der niveauvollen Unterhaltung und der instrumentalen Virtuosität. Ein Tango gehört da natürlich auch dazu, hier kommt er von dem Franzosen Thierry Escaich und trägt das entscheidende „virtuoso“ schon im Titel. Eine andere Ecke der Welt nimmt Cagdas Dönmezer unter die akustische Lupe: „Karawanserei“ folgt den Spuren einer Karawane, mit Kamelstapfen und Lagerfeuerromantik, mit Klageliedern und Freudetänzen. Izido Leitingers „Suita quasi balkanika“ ist dann zum krönenden Schluss ein echtes Heimspiel für die instrumentale Könner und Virtuosen der Stimmung von SignumFive – auch wenn, der Titel verrät es ja, nicht alles „echt“ ist. Aber echt und ganz und gar authentisch ist die Stimmung dieser Musik. Das ist nämlich auch ihr einziger Zweck und ihre einzige Daseinsberechtigung: Frohsinn zu verbreiten. Dafür lassen die Saxophonisten nicht nur die Klappen tanzen, sondern klatschen, schnalzen, schnicksen und singen auch noch – als hätten sie noch nicht genug Noten zu spielen. Aber bei aller durchaus auch gern vorgeführten Virtuosität vergessen sie nie ihr eigentliches Ziel: Dem Publikum einen schönen Abend zu bereiten. SignumFive sind eben Profis: Profis, die viel Spaß bei der Arbeit haben. Und diesen auch sehr gerne weitergeben.
(geschrieben für die Mainzer Rhein-Zeitung.)
„Candy Store“ steht in großen Buchstaben über der Bühne geschrieben. Aber das ist irreführende Werbung. Denn was hier über die Bühne geht, ist alles andere als süß. Die niederländische Saxophonistin Candy Dulfer ist es, die mit ihrer Band den Frankfurter Hof aufmischt.
Nach längerer Abstinenz ist die Meisterin des Funk mal wieder in Mainz. Und kaum steht sie auf der Bühne, geht die Party auch schon los. Denn das ist nichts zum Zuschauen, jeder Groove geht in die Beine: Diese Funkattacke würde auch hartgesottene Partymuffel überwältigen – wenn denn welche da wären. Denn die Party findet nicht nur auf der Bühne statt, sondern auch davor. Kein Wunder – schließloich präsentieren sich die Musiker vom ersten bis zum letzten Ton energiegeladen und spaßgetrieben. Das ist sozusagen die perfekte Novembermusik.
Dafür bedient sich Candy Dulfer wieder einmal ausgiebig vom reichhaltigen Funkbuffett. Trotz der Fülle schmeckt es aber ausgezeichnet. Oder gerade deswegen. Denn das ist alles andere als ein chaotisches Sammelsurium. Sondern eine perfekt abgestimmte Menüfolge. Nicht ohne Verdienst daran ist die Crew, die die Chefköchin Dulfer unterstützt. Das Zusammenspiel ist ausgesprochen dicht. Deutlich wird das noch einmal, wenn sie für das Finale einen großartigen Groove über mehrere Minuten schön sorgsam von unten Stück für Stück, Instrument für Instrument aufbauen – da bleibt niemand unberührt, da kocht der Saal beinahe über. Es ist aber auch wirklich ein Groove der Extraklasse, der dabei herauskommt. Und damit passt er genau zum krönenden Abschluss. Denn wenn etwas bezeichnend für Dulfer und ihre Band ist, dann ist es die Fähigkeit, alles und jedes grooven zu lassen.
Ein bisschen etwas Wahres ist also doch dran, an der Verheißung eines „Candy Stores“: Denn die Menge an Zutaten, die vielen Auswahlmöglichkeiten, von denen sich Candy Dulfer und ihre Band bedienen könne, erinnern schon an die überwältigenden Möglichkeiten eines Süßwarenhandels. Einen Zuckerschock bekommt man davon allerdings nicht. Und außerdem ist so ein Konzert auch noch besser für die Figur.
(geschrieben für die mainzer rhein-zeitung). was nicht drin steht: der ziemlich mäßige sound im hinteren teil des saales — trotz oder wegen der ziemlich heftigen lautstärke …