Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: satire Seite 1 von 2

Aus-Lese #46

Hans Jür­gen von der Wen­se: Über das Ste­hen. Hrsg. von Rei­ner Nie­hoff. Ber­lin: blau­wer­ke 2014 (split­ter 02). 76 Sei­ten. ISBN 978−3−945002−01−8.
Hans Jür­gen von der Wen­se: Die Schau­kel. Her­aus­ge­ge­ben und mit einem Vor­wort ver­se­hen von Rei­ner Nie­hoff. Mit einer Lek­tü­re von Val­eska Ber­ton­ci­ni. Ber­lin: blau­wer­ke 2016 (split­ter 08). 52 Sei­ten. ISBN 9783945002087.

wense, die schaukel (cover)Das sind zwei (sehr) klei­ne Tex­te – Essays wohl am bes­ten zu nen­nen – die sich auf den ers­ten Blick ganz unter­schied­li­chen The­men wid­men: Über das Ste­hen wid­met sich der Sta­tik (des Men­schen), Die Schau­kel dage­gen einem Ding, das wie kaum ein ande­res Bewe­gung vergegenständlicht.

Natür­lich stimmt der Gegen­satz bei Hans Jür­gen von der Wen­se so eigent­lich gar nicht. Das merkt man schon, wenn man den ers­ten Satz in Über das Ste­hen liest: 

Ste­hen ist eine bewe­gung; es ist schwan­ken und wan­ken, um sich im gleich­ge­wich­te zu hal­ten, auf­recht.. Ste­hen ist eine lage. (13)

Dem folgt ein manch­mal mei­nes Erach­tens etwas aus­fa­sern­der Essay über das Ste­hen, der mich vor allem in sei­nen wel­t­ety­mo­lo­gi­schen Abschnit­ten nicht immer glei­cher­ma­ßen fas­zi­nie­ren konn­te. Trotz­dem ein schö­nes „Gro­schen­heft des Welt­geis­tes“ – so nennt der klei­ne, rüh­ri­ge blau­wer­ke-Ver­lag sei­ne split­ter-Rei­he, die im klei­nen Notiz­heft­for­mat klei­ne Tex­te mit viel zusätz­li­chem (Archiv-)Material vor­bild­lich ediert und zu wohl­fei­len Prei­sen (näm­lich jeweils 1 Euro) zugäng­lich macht. Auch die­se bei­den Wen­se-Essays haben jeweils ein ein­füh­ren­des Vor­wort von Rei­ner Nie­hoff, das unter ande­rem über Ent­ste­hungs­zu­sam­men­hän­ge und Publi­ka­ti­ons- bzw. Über­lie­fe­rungs­ge­schich­te berich­tet, und ein ein­ord­nen­des, erklä­ren­des „Nach­wort“ von Val­eska Ber­ton­ci­ni, das als „Lek­tü­re“ fungiert.

Das gera­de erst erschie­nen Heft Die Schau­kel bie­tet einen recht kur­zen Wen­se-Text von weni­gen Sei­ten, der sich – qua­si kul­tur­ge­schicht­lich avant la lett­re – mit dem Gegen­stand, dem Ding „Schau­kel“ und vor allem sei­nen Bedeu­tun­gen und Impli­ka­tio­nen für den Men­schen (ob er nun schau­kelt, anstößt oder zuschaut …) befasst. Auch eine sehr ver­gnüg­li­che, klu­ge und berei­chern­de Lek­tü­re. Denn an der Schau­kel fas­zi­niert Wen­se offen­bar die Gleich­zei­tig­keit bzw. ding­li­che Iden­ti­tät von Bewe­gung und Ruhe, von der Mög­lich­keit, bei sich selbst zu sein und zugleich über sich hin­aus zu gelangen: 

Schau­keln ist Mut-Wil­le. Es ist Ent­fer­nen, Abwei­chen von der Mit­te, dem Ruhe-Punk­te, Ab-Fall. (23)

Micha­el Starcke: Das Meer ist ein alter Bekann­ter, der war­ten kann. Net­te­tal: Elif 2016. 74 Sei­ten. ISBN 9783981750928.

starcke, das meer ist ein alter bekannter, der warten kann (cover)

Das Meer ist ein alter Bekann­ter, der war­ten kann ist ein inter­es­san­ter Gedicht­band. Nicht nur des schö­nen Titels wegen. Und auch nicht nur der gra­phi­schen Aus­stat­tung wegen. Son­dern vor allem wegen der schöp­fe­ri­schen Kraft, die Starcke aus letzt­lich einem The­man, einem Gegen­stand ent­wi­ckelt: Dem Meer. Denn dar­um geht es in fast allen Gedich­ten. Und trotz der mono­the­ma­ti­schen Anla­ge des Ban­des – neben dem Meer spie­len Sand, Wol­ken und der hohe Baum vor dem Haus noch eine gewis­se Rol­le –, der erstaun­lich engen Fixie­rung auf einen Ort und eine Posi­ti­on des Betrach­ters und Schrei­ben­den ist das alles ande­re als lang­wei­lig. Eine Rol­le spielt dabei sicher­lich die ver­ge­hen­de Zeit, deren Lauf man beim Lesen des Ban­des gewis­ser­ma­ßen nach­voll­zie­hend mit­er­le­ben kann. 

Man ist dabei, sozu­sa­gen, allei­ne mit dem Meer. Men­schen kom­men näm­lich recht sel­ten (wenn über­haupt vor). Das Meer selbst ist in die­sen Gedich­ten vor allem als insta­bi­le Sta­bi­li­tät, als dau­er­haf­ter Wan­del, als vergehende/​bewegte/​bewegende/​fortschreitende Zeit prä­sent. Auch wenn oft ein recht pro­sa­ischer Duk­tus vor­herrscht, kaum Sprach­spie­le oder aus­ge­fal­le­ne, gesuch­te Bil­der zu ent­de­cken und ent­schlüs­seln sind, ist das den­noch gera­de in den Details oft sehr span­nend, in den klei­nen Abwei­chun­gen, den mini­ma­len Stö­run­gen und poe­ti­schen Signa­len (etwa bei der Wort­stel­lung, der Kom­ma­set­zung, der (unter­bro­che­nen) Rei­hung). Fast jedes Gedicht hat einen Moment, einen (Teil-)Satz, der beson­ders berührt, der beson­ders die Inten­si­tät (des Erle­bens vor allem) aus­strahlt. Als „weg­zeh­rung der erin­ne­rung“ (56) sind die Gedich­te aber immer auch ein Ver­such, die Ver­gäng­lich­keit festzuhalten. 

Vie­le die­ser Meer-Gedich­te funk­tio­nie­ren dabei wie ein „inne­res fern­glas“ (56): der Blick auf die Land­schaft der Küs­te (ich glau­be, das Wort „Küs­te“ kommt dabei gar nicht vor, nur Meer, Sand, Wol­ken und Him­mel als Ele­men­te des Über­gangs­raums) ermög­licht und för­dert den Blick nach innen, mit dem glei­chen Instru­men­ta­ri­um, das zugleich das gro­ße, wei­te Pan­ora­ma erfasst und das klei­ne, maß­geb­li­che Detail. Und obwohl es oft um Ver­gäng­lich­keit und Abschied geht, um Ort- und Hei­mat­lo­sig­keit, bleibt den Gedich­ten eine auf­fäl­li­ge Leich­tig­keit eigen: Die Spra­che bleibt locker, die Bil­der beweg­lich, das Syn­tax­ge­fü­ge fle­xi­bel, die Begrif­fe immer kon­kret: „sie [d.i. die geschich­ten vom meer] lie­ben das offe­ne /​im ver­bor­ge­nen.“ (47) heißt es ein­mal – und damit ist Metho­de Starckes in Das Meer ist ein alter Bekann­ter, der war­ten kann als Mot­to ziem­lich genau beschrieben.

viel­leicht, dass sich
unterm meer ein
wei­te­res meer versteckt
wie erin­ne­run­gen im
sand der gedan­ken, die,
für geheim­nis­se offen,
momen­te von stil­le verkörpern.
an sei­nen geräu­schen, schluss­ver­se (72)

Juli Zeh: Unter­leu­ten. Mün­chen: Luch­ter­hand 2016. 508 Seiten. 

zeh, unterleuten (cover)

Juli Zehs Unter­leu­ten hält sich zwar hart­näch­kig auf der Best­sel­ler-Lis­te, ist aber eigent­lich ein eher lang­wei­li­ges, unbe­mer­kens­wer­tes Buch. Das ist rou­ti­niert erzählt und kann ent­spre­chend mit unbe­tei­lig­ter Neu­gier ohne nach­hal­ti­gen Ein­drcuk gele­sen wer­den. Vie­les in dem Plot – den ich jetzt nicht nach­er­zäh­le – ist ein­fach zu abseh­bar. Dazu kommt noch ein erzäh­le­ri­sches Pro­blem: Der Text wird mir per­ma­nent erho­be­nem Zei­ge­fin­ger erzählt, bei jeder Figur ist immer (und meist sofort) klar, was von ihr zu den­ken ist – das wird erzäh­le­rich über­deut­lich gemacht. Dazu eig­net sich der wech­seln­de erzäh­le­ri­sche­re Fokus der aukt­oria­len Erzäh­le­rin natür­lich beson­ders gut. Das Schluss­ka­pi­tel, in dem sie (bzw. eine ihrer Instan­zen) als Jour­na­lis­tin, die Unter­leu­ten recher­chiert hat, auf­tritt und die Fäden sehr unele­gant zum Ende führt, zeigt sehr schön die feh­len­de künstlerische/​poetische Ima­gi­na­ti­on der Autorin: Das ist so ziem­lich die bil­ligs­te Lösung, einen Schluss zu fin­den – und zugleich auch so über­aus unnö­tig … Ande­rer­seits hat mich die erzäh­le­ri­sche Anla­ge schnell genervt, weil das so deut­lich als die ein­fachs­te Mög­lich­keit erkenn­bar wir, alle Sei­ten, Posi­tio­nen und Betei­lig­ten des Kon­flikts in der Pseu­do-Tie­fe darzustellen. 

„[E]ine weit­rei­chen­de Welt­be­trach­tung, einen Gesell­schafts­ro­man mit einer bestechen­den Viel­falt lite­ra­ri­scher Ton­la­gen, vol­ler Esprit und Tra­gik, Iro­nie und Dras­tik“, die Klaus Zey­rin­ger im „Stan­dard“ beob­ach­tet hat, kann ich da beim bes­ten Wil­len nicht erken­nen. (Jörg Mage­nau hat die „Qua­li­tä­ten“ des Romans in der „Süd­deut­schen Zei­tung“ bes­ser und deut­li­cher gese­hen.) Letzt­lich bleibt Unter­leu­ten ein eher unspan­nen­der Dorf­kri­mi, der sich flott weg­liest, (mich) aber weder inhalt­lich noch künst­le­risch beson­ders berei­chern konn­te. Scha­de eigentlich.

Sophie Rey­er: :nach­kom­men nackt­kom­men. Wien: hoch­roth 2015. 34 Sei­ten. ISBN 9783902871664.

Auch :nach­kom­men nackt­kom­men ist wie­der so ein Zufalls­fund, bei dem ich dem Ver­lag – hoch­roth – ver­traut habe … Sophie Rey­ers Gedich­te sind knapp kon­zen­trier­te Kurz­zei­ler, die oft abgrün­dig leicht sind, aber immer sehr auf den Punkt gedacht und for­mu­liert sind – bezie­hungs­wei­se auf den Dop­pel­punkt als Gren­ze und Über­gang, der den Beginn aller Gedich­te zei­chen­haft mar­kiert. Immer wie­der fal­len mir die küh­nen, wil­den, ja gera­de­zu über­bor­den­den und über­schie­ßen­den Bil­der auf, die jeg­li­cher sprach­li­cher Öko­no­mie Hoh­ne spre­chen und die, so scheint es mir, manch­mal auch ein­fach nur um ihrer selbst wil­len da sind. Außer­dem scheint Rey­er eine gro­ße Freu­de am Spiel mit Asso­nan­zen und Alli­te­ra­tio­nen zu haben. Über­haupt ist viel­leicht das Spiel, der spie­le­ri­sche Umgang mit Spra­che und Ein­fäl­len trotz der The­men, die einen gewis­sen Hang zum Dun­keln auf­wei­sen, beson­ders bezeich­nend für ihre Lyrik. 

Man­ches wirkt in :nach­kom­men nackt­kom­men auch eher wie das spon­ta­ne Notat einer Idee, wie eine Ein­falls­skiz­ze im Notiz­buch der Autorin und noch nicht wie ein fer­ti­ges Gedicht. Zwei­zei­ler wie der auf S. 27 zum Beispiel: 

die kur­siv­schrift des kornfelds
son­nen strah­len stenographie

Inter­es­sant fand ich bei der Lek­tü­re auch, dass Takt und Rhyth­mus der Lyrik wie­der­holt (im Text selbst) anzi­tiert wer­den, durch die Tex­te aber nur sehr bedingt (wenn über­haupt) umge­setzt wer­den. Viel­leicht kommt daher auch der Ein­druck der Spon­ta­ni­tät, des augen­blick­li­chen Einfalls …

:nach­kom­men nackt­kom­men ist dabei ein typi­sches klei­nes hoch­roth-Bänd­chen – ich mag das ja, ich brau­che nicht immer gleich 80–100 Sei­ten Lyrik von einer Autorin, es rei­chen oft auch 20, 30 (klei­ne­re) Tex­te. Und die Kauf­hür­de ist auch nicht so hoch, wenn das nur 8 Euro statt 25 sind … Zudem sind die hoch­roth-Publi­ka­tio­nen eigent­lich immer schön gemacht, lie­be­voll und umsich­tig gestal­tet. Die hier ist die ers­te, bei der mir typo­gra­phi­sche Feh­ler auf­ge­fal­len sind – ein nach unten „fal­len­des“ l, das ich auf sechs Sei­ten ziem­lich wahl­los ver­streut gefun­den habe (aber wer weiß, viel­leicht ist das ja auch ein gehei­mes fea­ture der Tex­te, das sie auch ganz geschickt mit dem Para­text verbindet?).

Wolf von Kalck­reuth: schlum­mer­schwar­ze Näch­te. Gedich­te. Leip­zig: hoch­roth 2015. 26 Sei­ten. ISBN 978−3−902871−67−1.
Wolf Graf von Kalck­reuth: Gedich­te und Über­tra­gun­gen. Her­aus­ge­ge­ben von Hell­mut Kru­se. Hei­del­berg: Lam­bert Schnei­der 1962. 190 Seiten.

kalckreuth, gedichte (cover)Über die schma­le Aus­wahl beim fei­nen hoch­roth-Ver­lag bin ich eher zufäl­lig auf die Lyrik Wolf von Kalck­reuths gesto­ßen. Kalck­reuth ist gewis­ser­ma­ßen eine tra­gi­sche Figur: 1887 in eine Mili­tär- und Künst­ler­fa­mi­lie gebo­ren, setzt er sei­nem Leben bereits 1906 ein Ende. Bis dahin war er in der Schu­le, hat sein Abitur gemacht, ist etwas gereist und dann – trotz eigent­li­cher Nicht-Eig­nung – im Okto­ber 1906 auf eige­nen Wunsch ins Mili­tär ein­ge­tre­ten, wo er es kei­ne zehn Tage bis zu sei­nem Frei­tod aus­hielt. In die­ser kur­zen Lebens­zeit ent­stan­den aber nicht nur eige­ne Gedich­te, son­dern auch diver­se (wich­ti­ge) Über­set­zun­gen der Lyrik Ver­lai­nes und Bau­de­lai­res.

Erstaun­lich ist in sei­nen Gedich­ten immer wie­der die aus­ge­spro­chen siche­re (hand­werk­li­che) Sprach- und Form­be­herr­schung trotz des jun­gen Alters. Nicht immer und nicht alles ist wahn­sin­nig ori­gi­nell, vie­les ist sehr deut­lich einer spä­ten Spät­ro­man­tik ver­haf­tet, die aber durch die mal mehr, mal weni­ger zag­haf­ten Ein­flüs­se des Expres­sio­nis­mus inter­es­sant wird. Vie­le sei­ner Gedich­te pen­deln sich gewis­ser­ma­ßen in der Dia­lek­tik von Ver­fall und Sehn­sucht ein. Und aus ihnen spricht auch immer wie­der das Bewusst­sein um die eige­ne (Ver-)Spätung, um End­zeit, Unter­gang, vor allem aber Ster­bens­wunsch und Todes­sehn­sucht etc. – nicht ohne Grund spie­len die Däm­me­rung (und natür­lich die Nacht), der Abend und der Herbst eine gro­ße Rol­le in die­sen Gedichten.

Aber was mich wirk­lich am meis­ten fas­zi­niert hat, war doch die sorg­sa­me Fügung der Gedich­te, gera­de der Sonet­te, die nahe an per­fek­te Gedich­te her­an­rei­chen. Die hoch­roth-typisch sehr klei­ne Aus­wahl – 26 Sei­ten inkl. Nach­wort! – hat mich dann immer­hin neu­gie­rig gemacht und mich zu der deut­lich umfang­rei­che­ren Aus­wahl von 1962 grei­fen las­sen. Da fin­den sich natür­lich auch wie­der vie­le fas­zi­nie­ren­de Sonet­te, aber auch inter­es­san­te und anre­gen­de Gedich­te, eigent­lich ja Elo­gen, auf Napo­le­on, den Kalck­reuth wohl sehr bewun­der­te. Und schließ­lich ent­hält der Band auch noch eine umfang­rei­che Abtei­lung mit Über­set­zun­gen der Lyrik Ver­lai­nes und Bau­de­lai­res, bei­de auch wesent­li­che Vor­bil­der und Ein­flüs­se Kalck­reuths.

Das Leben eilt zum Zie­le wie eines Welt­stroms Flut
Die uns ins Meer ent­führt mit dunk­len Wogenmassen,
In schwin­del­haf­ter Hast, die nie ent­schlum­mernd ruht,
Bis wir das eig­ne Herz erken­nen und erfas­sen. (72)

Annet­te Pehnt: Hier kommt Michel­le. Ein Cam­pus­ro­man. Mün­chen: Piper 2012. 140 Sei­ten. ISBN 9783492300827.

pehnt, hier kommt michelle (cover)Eine net­te klei­ne Sati­re – das heißt, ein schar­fer und bis­si­ger Text, der das deut­sche Uni­ver­si­täts­sys­tem und ‑leben, ins­be­son­de­re aber die zeit­ge­nös­si­sche Stu­die­ren­den­ge­ne­ra­ti­on gekonnt auf­spießt. Nur not­dürf­tig fik­tio­na­li­siert, bekom­men so ziem­lich alle ihr Fett weg: Die Stu­die­ren­den, die Leh­ren­den vom aka­de­mi­schen „Unter­bau“ über den Mit­tel­bau bis zu den ver­trot­tel­ten Eme­ri­ti, von der Ver­wal­tung bis zur Pres­se und Poli­tik. Selbst die Haupt­fi­gur, Michel­le, ist so über­haupt nicht lie­bens­wert, son­dern – natür­lich als Zerr­bild – eher ein abschre­cken­des Bei­spiel der Ziel- und Ver­nunft­lo­sig­keit als ein Iden­ti­fi­ka­ti­ons­an­ge­bot für den Lesen. Sehr schön fand ich den erzäh­le­ri­schen Kunst­griff, dass sich die Erzäh­le­rin selbst mit ihrer eige­nen Stim­me wie­der­holt ein­mischt und sich und ihren (?) Text im Text selbst gleich mit­kom­men­tiert (auf die eher unwit­zi­ge Her­aus­ge­ber­fik­ti­on hät­te ich dafür ger­ne ver­zich­ten können).

Hier ist die Erzäh­le­rin. Sie reibt sich die Hän­de, weil sie die­ses harm­lo­se Mäd­chen mit gro­ben Stri­chen ent­wor­fen hat und sich jetzt schon, wo die Erfin­dung doch gera­de erst zu leben begon­nen hat, dar­auf freut, ihr Knüp­pel zwi­schen die Bei­ne zu wer­fen. (13)

Trotz eini­ger hand­werk­li­cher Män­gel wie etwa einem schlecht gear­bei­te­ten Zeit­sprung oder einer etwas unge­fü­gen Makro­struk­tur ist Hier kommt Michel­le ein­fach nett zu lesen, aber halt auch – der Umfang ver­rät es ja schon – recht dünn. Der Witz ist eben schnell ver­braucht, die Unter­hal­tung trägt auch nicht viel län­ger. Zum Glück hat Annet­te Pehnt das nicht über­mä­ßig aus­ge­walzt, denn viel mehr als die­sen klei­nen Text gibt die Grund­idee allei­ne wohl nicht her.

Das war auch eine wich­ti­ge Lek­ti­on: Nicht alles geht sie etwas an, es ist gut, all­zu frem­den oder schwie­ri­gen Zusam­men­hän­gen nicht auf den Grund zu gehen, man muss sich zurück­hal­ten und sich auf das beschrän­ken, was man kennt und kann, und das gilt auf jeden Fall auch für das Stu­di­um in Som­mer­stadt, das Michel­le nun mit neu­em Élan, aber auch einer Rei­fe angeht, die sie schon am zwei­ten Tag befä­higt, zum Jung­ang­lis­ten zu gehen und zu fra­gen, ob er sie brau­chen kann. (120)

außer­dem gelesen:

  • Phil­ipp Tin­gler: Juwe­len des Schick­sals. Kur­ze Pro­sa. Zürich: Kein und Aber 2005. 
  • Geor­ges Batail­le: Der gro­ße Zeh. Hrsg. & übers. von Val­eska Ber­ton­ci­ni. Ber­lin: blau­wer­ke 2015 (split­ter 01). 80 Seiten.
  • Rai­ner Hoff­mann: Abduk­tio­nen, Aberra­tio­nen I. Bern: edi­ti­on taber­na kri­ti­ka 2011. 57 Seiten.

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  • Debat­te um Ver­gü­tung: Wenig Fair­ness im Umgang mit Autoren | Deutsch­land­ra­dio → hen­ry stein­hau über die bezie­hung zwi­schen ver­la­gen und autorinnen:

    Ver­la­ge soll­ten ihre Kräf­te dar­auf ver­wen­den, trag­fä­hi­ge Geschäfts­mo­del­le zu ent­wi­ckeln. Und zwar sol­che, die nicht dar­auf ange­wie­sen sind, den Autoren eine Betei­li­gung an Ver­gü­tun­gen abzuringen.

  • Der #öffentliche_​Raum ist immer poli­tisch. Ein Gespräch mit Chris­toph Haer­le (Teil 1) | Geschich­te der Gegen­wart → phil­ipp sara­sin hat sich mit dem archi­tek­ten, stadt­pla­ner und künst­ler chris­toph haer­le über den öffent­li­chen raum unter­hal­ten. im ers­ten teil geht es vor allem um die geschich­te des öffent­li­chen raums bis ins 19. jahr­hun­dert – sehr spannend.
  • Der post­mo­der­ne #öffentliche_​Raum. Ein Gespräch mit Chris­toph Haer­le (Teil 2) | Geschich­te der Gegen­wart → der zwei­te teil des gesprächs von phil­ipp sara­sin mit chris­toph haer­le, nun zu den öffent­li­chen räu­men des 20. jahr­hun­derts und der gegen­wart – und deren pro­ble­men und gefährdungen.
  • Mein Vater, der bekann­te Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker | Broad­ly → die toch­ter eines ein­fluss­rei­chen ver­schwö­rungs­theo­re­ti­kers („truther“) erzählt

    Gera­de weil Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker immun gegen jedes noch so ver­nünf­ti­ge Argu­ment aus der „Main­stream-Welt“ sind, sehe ich die­se Bewe­gung als äußerst gefähr­lich an. Wie vie­le sub­ver­si­ve Grup­pen aus dem rech­ten Lager, holen sich die Truther meis­tens Leu­te aus schwie­ri­gen sozia­len Ver­hält­nis­sen ins Boot. Men­schen, die froh über Sün­den­bö­cke sind und in elo­quen­ten Per­sön­lich­kei­ten Füh­rung suchen. Die Truther bestrei­ten eine Zuge­hö­rig­keit zum rech­ten Lager zwar vehe­ment, jedoch spre­chen mei­ne per­sön­li­chen Erfah­run­gen für sich. Sexis­mus, Homo­pho­bie und Ras­sis­mus sind genau­so ver­brei­tet, wie eine fehl­ge­lei­te­te Vor­stel­lung von Kul­tur und Heimatliebe.

  • Was darf die Sati­re? – Kurt Tuchol­sky, Jan Böh­mer­mann und die Fol­gen | lite​ra​tur​kri​tik​.de → ste­fan neu­haus über sati­re von tuchol­sky und böh­mer­mann, unter beson­de­rer berück­sich­ti­gung ihrer ästhe­ti­schen und poli­ti­schen impli­ka­tio­nen in deutschland
  • Ver­fas­sungs­recht­ler über die AfD: „Unver­ein­bar mit dem Grund­ge­setz“ | taz​.de → jurist joa­chim wie­land im taz-inter­view über das grund­satz­pro­gramm der afd:

    Aus mei­ner Sicht ver­sucht die AfD, die Gren­ze, die die Ver­fas­sung zulässt, bis ins Äußers­te aus­zu­tes­ten. Dabei arbei­tet sie mit unkla­ren Begrif­fen, damit sie, wenn sie zur Rede gestellt wird, sagen kann: So war das gar nicht gemeint. In eini­gen Punk­ten sehe ich den Men­schen­rechts­kern des Grund­ge­set­zes ver­letzt. Das könn­te die AfD, selbst wenn sie ent­spre­chen­de Mehr­hei­ten hät­te, nicht umset­zen, ohne dass es zu einer ein­deu­ti­gen Ver­fas­sungs­ver­let­zung käme. Man muss also sagen: Die AfD bewegt sich in vie­lem an der Gren­ze zur Ver­fas­sungs­wid­rig­keit und in man­chem hat sie die­se Gren­ze bereits überschritten.

  • EBooks vs Papier-Bücher: Vom Kul­tur­wan­del und not­wen­di­gen Lern­pro­zes­sen (in der Schu­le) | herrlar​big​.de → herr lar­big denkt dar­über nach, was eigent­lich den unter­schied zwi­schen papier­buch und ebook ausmacht

    Wäh­rend wir das ana­lo­ge Buch aus Papier nach wie vor gut im Rah­men der von uns erlern­ten (hart­nä­cki­gen) Mus­ter des Lesens auf­zu­neh­men und zu bear­bei­ten wis­sen, ver­langt das digi­ta­le Buch von uns, in einen Lern- und Gewöh­nungs­pro­zess einzutreten.

    Es muss gelernt wer­den, wie man mit den ver­än­der­ten Mög­lich­kei­ten des Daten­trä­gers zu arbei­ten ver­mag und man muss sich gleich­zei­tig dar­an gewöh­nen, dass Tex­te die Dimen­si­on der Tie­fe im Sin­ne von Sei­ten­zah­len »ver­lie­ren«. – Dies ist aller­dings viel mehr als eine Fra­ge der Haptik.

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  • Lite­ra­tur­blogs: Die­ses Buch wird Ihr Leben ver­än­dern! | Zeit – ana maria michel schreibt am mythos der guten, objek­ti­ven lite­ra­tur­kri­ti­ken in (zeitungs)feuilletons und der schlech­ten, sub­jek­ti­ven wer­ben­den bespre­chun­gen in blogs und you­tube-kanä­len fort. eines der kri­te­ri­en ihres ziem­lich unzu­läng­li­chen tex­tes: in blogs gäbe es nur posi­ti­ve, loben­de bespre­chun­gen – als ob das in feuil­le­ton anders wäre!
  • Stra­di­va­ri: Frau Gene­ral lässt bit­ten | ZEIT ONLINE – wolf­ram goertz kann sich nicht ein­krie­gen vor begeis­te­rung, dass frank peter zim­mer­mann für drei jah­re eine neue gei­ge hat.
  • Der Online-Freud – alle 17 bän­de der „gesam­mel­ten wer­ke“ von freud gibt es hier online: zum lesen im brow­ser oder als pdf- bzw. epub-download.
  • Open Access zer­stört die Wis­sen­schaft. Meint Urs Heft­rich in der FAZ. | LIBREAS.Library Ide­as – ben kaden setzt der ver­lags­pro­pa­gan­da der faz entgegen

    fak­tisch ist die Bedro­hung des wis­sen­schaft­li­chen Ver­lags­we­sens durch Open Access und Zweit­ver­öf­fent­li­chungs­rech­te kei­nes­falls so akut, wie sie ihren Lesern glau­ben machen wol­len. Zum Dis­kurs gehört also auch, dar­auf hin­zu­wei­sen. Ursäch­lich für einen Rück­gang bei den Erwer­bun­gen sind sicher nicht vor­ran­gig die Repo­si­to­ri­en und Open-Access-Ver­la­ge, son­dern viel­mehr die gro­tes­ken Preis­stei­ge­rung der STEM-Mono­po­lis­ten sowie Kür­zun­gen in den Biblio­theks­etats. Wie sehr wür­de man sich über regel­mä­ßi­ge, gern auch schar­fe Feuil­le­ton-Bei­trä­ge aus Hei­del­berg gegen die Preis­po­li­tik von Else­vier und für die bes­se­re finan­zi­el­le Aus­stat­tung von deut­schen Hoch­schul­bi­blio­the­ken freuen.

  • Deutsch­land: Off Duty | NEO MAGAZIN ROYALE mit Jan Böh­mer­mann – ZDF­neo – You­Tube – so bescheu­ert, dass es schon wie­der gut ist: jan böh­mer­manns neu­es­tes video „Deutsch­land: Off Duty“
  • Geschich­te der Gegen­wart – „eine Grup­pe von Geis­tes- und Kultur­wis­sen­schaft­le­rInnen“ v.a. aus zürich star­te­te gera­de die „Geschich­te der Gegen­wart“ als platt­form, um sich in die öffent­li­che dis­kus­si­on einzumischen.

    Tex­te, in denen die Gegen­wart nicht ver­neint wird durch das, was man immer schon zu wis­sen glaubt, son­dern zugäng­lich wird durch das, was man erschlie­ßen und rekon­stru­ieren, erör­tern und analy­sieren, begrei­fen und ein­schät­zen ler­nen kann.

    Gegen­wart liegt nicht ein­fach vor, son­dern sie pas­siert, wobei sie sich unse­rer Aufmerk­sam­keit lau­fend wie­der ent­zieht… Hal­ten wir sie fest! Dabei gilt: Wie sie pas­siert und was in ihr pas­siert, folgt aus all ihren Vergan­gen­heiten, die nicht abge­schlos­sen sind.

    Geschich­te der Gegen­wart bie­tet bewusst kei­ne Möglich­keit, Arti­kel unmit­telbar zu kommen­tieren. Die­se heu­te so verbrei­tete Form der media­len Öffent­lich­keit hat u. E. den Nach­weis ihrer publi­zis­ti­schen Unabding­bar­keit und politi­schen Produk­ti­vität bis­lang nicht erbrin­gen kön­nen, son­dern öff­ne­te das Feld nicht zuletzt dem ungefil­terten Vorur­teil, der Ran­kü­ne und der blos­sen Mutmas­sung, die sich um Argu­men­te nicht zu küm­mern braucht.

    könn­te inter­es­sant werden …

  • Stel­lung­nah­me zu “Sie­ger­kunst” | ideen­frei­heit – wolf­gang ull­rich berich­tet per­ver­si­tä­ten des urhe­ber­rechts: künstler_​innen nut­zen das zuneh­mend, um abbil­dun­gen ihrer (öffent­lich aus­ge­stell­ten) wer­ke in publi­ka­tio­nen, die ihnen nicht gefal­len, zu ver­hin­dern und somit eine wis­sen­schaft­li­che aus­ein­an­der­set­zung (fast) unmög­lich machen. und das spiel kann man bis zu 70 jah­re nach dem tod der urhe­be­rin­nen weiterspielen …

Ins Netz gegangen (22.9.)

Ins Netz gegan­gen am 22.9.:

Ins Netz gegangen (15.6.)

Ins Netz gegan­gen am 15.6.:

  • WM ver­sus Thea­ter: Sibyl­le Berg über deut­sche Kul­tur – SPIEGEL ONLINE – wie eigent­lich immer ist sibyl­le bergs kolum­ne die­se woche sehr gut:

    Wenn Deutsch­lands Mann­schaft nicht gewin­nen soll­te, was für eine wun­der­ba­re Vor­stel­lung! Tau­sen­de wei­nen­der Fuß­ball­fans lie­gen sich heu­lend in den Armen. Und trös­ten ein­an­der schul­ter­klop­fend mit den Wor­ten: Ach komm, Schwamm drü­ber. Denk nur an unse­re iden­ti­täts­stif­ten­de Kul­tur. Ja, du hast recht, Rudi, lass uns gleich mal wie­der in ein gutes Berg-Stück gehen. 

  • Der Brief­wech­sel zwi­schen Schil­ler und Goe­the – „Es ist unbe­greif­lich, wie eine Unklug­heit auf die ande­re folgt und wie incor­ri­gi­bel er in sei­nen Schief­hei­ten ist.“
  • For­schungs­platz Orgel­bank: Gerd Zacher (1929−2014) | nmz – neue musik­zei­tung – Ein schö­ner Nach­ruf von Georg Beck:

    Dass er sich sei­ne Orgel­bank mit Vor­lie­be als For­schungs­platz ein­ge­rich­tet hat, war Wir­kung fes­ter Über­zeu­gung: „Kom­po­si­ti­ons-Anwalt“ woll­te er sein. Auf allen Fel­dern, dem des his­to­ri­schen Erbes wie dem der Zeit­ge­nos­sen­schaft, muss­te sich für ihn die Inter­pre­ta­ti­on vor der Kom­po­si­ti­on ver­ant­wor­ten. Ego­tripps ver­ach­te­te er. Ande­rer­seits: Die „Köni­gin“ unter den Instru­men­ten, dies war ihm wich­tig, soll­te Staat machen, soll­te neue Klei­der haben und sie auch stolz aus­füh­ren. Dafür hat sich Gerd Zacher eben­so ein­ge­setzt wie für neue For­men kir­chen­mu­si­ka­li­scher Pra­xis, was für ihn mit der Fort- und Wei­ter­bil­dung sei­ner Hörer not­wen­dig zusammenfiel.

  • Last Week Tonight with John Oli­ver (HBO): FIFA and the World Cup – You­Tube – Die FIFA als die Kir­che des Fuß­balls: Ein wun­der­ba­rer Über­blick von John Oli­ver (Last Week Tonight with John Oliver)
  • Wie das Inter­net die Wahr­neh­mung von Men­schen ver­än­dert | schnee­schmel­ze | tex­te – Der (bis­her) bes­te – und viel­leicht ehr­lichs­te – Nach­ruf auf Frank Schirrmacher:

    Das ein­zi­ge, das sein Tod mar­kiert, ist das Ende des Feuil­le­tons. Ein letz­tes Auf­bäu­men der Pres­se­kon­zer­ne, um „Debat­ten“ zu insze­nie­ren, cross­me­di­al. Das konn­te er. 

  • „heu­te-show“ im ZDF – Da lacht der Och­sen­frosch – Medi­en – Süddeutsche.de – Det­lef Ess­lin­ger bringt mein Unbe­han­ge an/​mit der „heu­te-show“ gut auf den Punkt:

    Die „heu­te-show“ gilt als Ret­ter der deut­schen Fern­seh­sa­ti­re. Dabei scheu­en die Poin­ten der ZDF-Sen­dung nie­mals ein Kli­schee. Eine Hal­tung erkennt man bei den Machern nicht. 

  • Emser Depe­sche: Der Über­lie­fe­rungs­zu­sam­men­hang | Akten­kun­de – Hol­ger Ber­win­kel setzt sei­nen detail­lier­ten Bericht der akten­kund­li­chen Unter­su­chung der berühm­ten „Emser Depe­sche“ fort. Da fin­det sich auch die schö­ne Anmerkung:

    Aus der Lite­ra­tur ken­nen wir die moder­ne Archiv­si­gna­tur, R 11674, und auch Blatt­zah­len: 209–214. Also könn­ten wir uns sofort auf Abe­kens Bericht aus Ems stür­zen. Vie­le For­scher tun das auch und ver­zich­ten dar­auf, “ihre” Fun­de im Akten­zu­sam­men­hang zu kon­tex­tua­li­sie­ren. Sie tun das auf eige­ne Gefahr.

Netzfunde der letzten Tage (7.5.–12.5.)

Mei­ne Netz­fun­de für die Zeit vom 7.5. zum 12.5.:

  • Wenigs­tens ich kann anläss­lich des NSU-Pro­zess­be­ginns etwas geste­hen | Rep­ti­li­en­fonds – Jakob Hein gibt sich vor der Rea­li­tät der Mas­sen­me­di­en ange­sichts des NSU-Pro­zes­ses in Mün­chen geschla­gen und wirft als Sati­ri­ker vor dem Grau­en der Wirk­lich­keit das Handtuch:

    Die tat­säch­li­che Bericht­erstat­tung­d­er über­re­gio­na­len Pres­se über den NSU-Pro­zess, die sich weit­ge­hend auf die Per­son Tsch­ä­pe beschränkt und im Übri­gen kaum etwas Ihn­halt­li­ches über den Pro­zess zuta­ge för­dert, kann nicht von mir kari­kiert wer­den. Die ein­zi­ge Mög­lich­keit, das Bestehen­de noch zu über­trei­ben, wäre es, wenn Hei­di Klum direkt mit Zsch­ä­pe in eine Zel­le gesperrt wür­de, wenn Zsch­ä­pe vom Gericht zur Teil­nah­me am Dschun­gel­camp ver­ur­teilt wür­de, wenn irgend­ei­ne Klei­der­se­rie bei irgend­ei­nem in Ban­gla­desh nähen las­sen­den Klei­der­kon­zern von ihr designt wer­den wür­de. Ich jeden­falls kann mit mei­nen Mit­teln die­se Rea­li­tät nicht überzeichnen.

  • Sohn II im Hei­mat­dorf – Der Nord­ost­west­fa­le als sol­che … – ein­fach herrlich!
  • re:publica Pos­ters sin­ce 1913 – Fonts In Use

Netzfunde vom 31.12. bis zum 4.1.

Mei­ne Netz­fun­de für die Zeit vom 31.12. zum 4.1.:

Real-Satire?

Heu­te im Zug habe ich mit gro­ßem Ver­gnü­gen Nor­bert Hop­pes „Ich war Gut­ten­bergs Ghost“ gele­sen. Die Mit­rei­sen­den haben immer mal wie­der selt­sam geschaut, wenn ich aus hei­te­rem Him­mel laut auf­ge­lacht habe. Aber man­che Stel­len sind ein­fach zu witzig …

Dann sag­te der alte Mann [d.i. Kara­sek] wie­der: „Krull“ – und ging weg, den Hauss­mann holen, den Regis­seur, „Son­nen­al­lee“, Sie wis­sen Bescheid? Und der fand auch sofort: Felix Krull! Thea­ter­rol­le in Bochum … Ein Mann in Bom­ber­ja­cke, den sie Eichin­ger nann­ten, sag­te „Quatsch“ Lie­ber Film draus machen“, und hat­te schon den Bier­de­ckel für den Ver­trag vor­be­rei­tet … Boris Becker frag­te, ob er mal vor­bei­dür­fe zur Toi­let­te, und hat­te noch nicht ein­mal eine dun­kel­häu­ti­ge Frau dabei, jeden­falls auf dem Hin­weg. Und am Ende schau­te sogar Tho­mas Gott­schalk noch kurz her­ein (64)

Natür­lich ist das von vor­ne bis hin­ten erlo­gen, selbst der Autor­na­me ist ein Pseud­onym. Aber es ist ein­fach rich­tig gut gemacht, wie Hop­pe hier als angeb­li­cher Schul­freund und Adju­tant von „KT“ des­sen Cha­rak­ter, sei­ne Ent­wick­lung, den Auf­stieg und den plötz­li­chen Sturz schreibt – mit ihm als wesent­li­chen Draht­zie­her, ja sogar als Schöp­fer des „Poli­ti­kers“ Gut­ten­berg. Und als Ghost­wri­ter der „Gut­ten­berg­schen“ Dis­ser­ta­ti­on – als Betrü­ger, der von Gut­ten­berg betro­gen wur­de, weil die­ser ihn über die Her­kunft der Text­frag­men­te auf den angeb­li­chen 60 Dis­ket­ten täusch­te, so dass der Ghost­wri­ter gar nichts dafür konn­te, dass er zum Pla­gia­tor wur­de. Tra­gisch, so etwas …

Ich glau­be heu­te, die­ses Tech­no-Zeug war für ihn auch irgend­wie Wag­ner, nur mit ande­ren Mit­teln, aber wenn man genau hin­hört, ist es doch über­ra­schend ähn­lich im tie­fen Gedröh­ne. im hys­te­ri­schen Gefie­pe und in der gesam­ten Ufer­lo­sig­keit, ja, ich glau­be, er mein­te Wag­ner, wenn er Tech­no hör­te, das Tota­le, das All­um­fas­sen­de, das Gesamt­kunst­werk­haf­te hat­te es ihm eben ange­tan […]. (102f.)

Das gan­ze ist wun­der­bar mit vie­len klei­nen, tref­fen­den Sei­ten­hie­ben auf die Poli­tik der Bun­des­re­pu­blik und ihre Akteu­re, auf die deut­sche Gesell­schaft und die Medi­en, das Kul­tur­le­ben (nicht nur Hele­ne Hege­mann, auch Ingo Schul­ze kommt vor …) gespickt. Und es sti­lis­tisch gekonnt durch­ge­hend als simu­lier­te Beich­te bzw. „Jetzt sage ich euch mal die Wahrheit“-Rede geschrie­ben – so gut, dass man ein­fach eine Men­ge Spaß damit hat. Und an nicht weni­gen Stel­len wirkt die Sati­re dann doch wie­der so rea­lis­tisch, dass man fast Angst bekommt – Angst um ein Land und eine Gesell­schaft, in der so eine „Kar­rie­re“ und so vie­le Fehl­zu­schrei­bun­gen samt den Heils­er­war­tun­gen mög­lich sind.

Aber bei ARD und ZDF hieß es: Unse­re Zuschau­er mögen kei­ne Kin­der, die sind immer so laut und so frech und schie­ßen mit dem Fuß­ball Fens­ter­schei­ben kaputt, wenn man Mit­tags­schlaf hal­ten will. Sat.1 woll­te nur mit­ma­chen, wenn ein Pro­fi­ler aus den Lei­chen der Opfer auf den Täter schließt. Und das rich­ti­ge RTL bestand dar­auf, dass erst einbmal die Super­nan­ny mit allen Betei­lig­ten redet. Aber ich hat­te Ste­pha­nie ver­spro­chen, ihr Kon­zept unver­fälscht und ohne Wenn und Aber durch­zu­bo­xen. Da blie­ben am Ende nur der Home­shop­ping­ka­nal und RTL2. Na ja, und dann doch wohl lie­ber RTL2, nicht wahr? (142f.)

Das Kon­zept für die unsäg­li­che Sen­dung der Frau Gut­ten­berg hat­te natür­lich auch Hop­pe en pasant mal ent­wi­ckelt. Am Ende übri­gens, auch eine schö­ne Poin­te, fin­det Hop­pe doch wie­der einen neu­en Arbeitsplatz:

Ich habe inzwi­schen wie­der einen Job, wie­der als Reden­schrei­ber und als Stich­wort­ge­ber, auch lei­der wie­der in Ber­lin, aber dafür dies­mal wenigs­tens hübsch im Grünen.
Das Schloss Bel­le­vue ist Ihnen ein Begriff?
Die Wulffs – irre net­te Leu­te, sag ich Ihnen. (Und die Haa­re von ihr! Die Haa­re!! Aber das ist ein ande­res Thema.)

Nor­bert Hop­pe: Ich war Gut­ten­bergs Ghost. Eine Sati­re. Köln: Kie­pen­heu­er & Witsch. 156 Sei­ten. ISBN 978−3−452−04435−5.

neues aus der anstalt

das zdf hat ja seit kur­zem mal wie­der (end­lich) eine eige­ne polit-kaba­rett-sen­dung: „neu­es aus der anstalt„ mit Urban Pri­ol und Georg Schramm. ers­te aus­strah­lung im letz­ten jahr fand ich ziem­lich lang­wei­lig und form­los (nicht nur ich war der mei­nung, das das damals noch nicht der gro­ße wurf war – auch wenn es die ers­te polit­sa­ti­re/-kaba­rett-sen­dung des zdf seit lan­ger zeit war -, der autor der faz war ähn­li­cher mei­nung (immer­hin hat pri­ol jetzt einen wei­ßen kit­tel an …). ges­tern habe ich zufäl­lig beim zap­pen noch tei­le der sen­dung vom 15.5. gese­hen – und das war – zumin­dest teil­wei­se, noch nicht durch­ge­hend lei­der – rich­tig gut. und zu mei­ner über­ra­schung gab es beim zdf sogar die sen­dung als pod­cast zum down­load in vol­ler län­ge (aller­dings nur sie­ben tage lan­ge, danach muss man auf’s strea­ming aus­wei­chen). das muss­te ich ja gleich aus­nut­zen und des­halb jetzt mein kom­plet­tes urteil zur fünf­ten aus­ga­be von „neu­es aus der anstalt”: die idee der rah­mung ist immer noch recht locker. aber das macht nichts. denn urban pri­ol war gut in form. und dann läuft das fast von allei­ne. denn die­se fünf­te sen­dung mach­te fast den ein­druck eines solo-pro­gramm für ihn. die ande­ren schei­nen kaum mehr als mehr oder weni­ger aus­führ­li­che stich­wort­ge­ber, damit es zu so schö­nen beob­ach­tun­gen kom­men kann: „für das abwat­schen von unse­rer wort­hül­sen­frucht aus der uckerm­arck bin immer noch ich zustän­dig” (pri­ol). schön, dass die unbarm­her­zi­ge här­te und die rich­ten­de schär­fe bei pri­ol und schramm noch nicht abge­stumpft ist. nicht nur pri­o­ls kom­men­tar zu dem lang­sam immer mehr zum ratz­in­ger zurück­keh­ren­den papst: „die jugend muss ziem­lich ver­zwei­felt sein: wenn der papst zur ent­halt­sam­keit vor der ehe auf­ruft, jubelt ihm die jugend zu”; auch sei­ne hef­ti­ge abrech­nung mit der fdp-char­ge dirk nie­bel hat mich von tiefs­tem her­zen erfreut. die gäs­te: naja … die ent­schul­di­gung-serie von micha­el mit­ter­mei­er war eine recht schlech­te kopie von polt – vor allem aber ziem­lich lang­wei­lig …, auch moni­ka gru­ber hat mich nicht so begeis­tert. das mag aber bei bei­den dar­an gele­gen haben, dass sie nicht voll ins kon­zept pass­ten: poli­tisch ist an deren tex­ten näm­lich ziem­lich wenig, das sind net­te klei­ne gesell­schafts­be­ob­ach­tun­gen ohne beson­de­re schär­fe, witz oder ein­sicht – nichts für mich …

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