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Schlagwort: orchester

Orchestergast im Dom

Die meis­ten Reisen, die ein Orch­ester wie das Mainz­er Phil­har­monis­che Orch­ester untern­immt, geschehen nur im Kopf, denn sie sind bloß klan­glich-musikalis­ch­er Natur: Ital­ienis­che Oper klingt anders als deutsche, ame­ri­an­is­che Sin­fonik anders als rus­sis­che. Manch­mal ist der Grund fürs Wan­dern aber auch ganz pro­fan und hand­fest – etwa wenn die Phil­har­moniker in den Dom umziehen. Eine weite Reise ist das zwar nicht ger­ade, vom Staat­sthe­ater sind es ja nur ein paar Schritte. Aber es ist eine ganz andere Welt. Kein Wun­der also, dass das siebte Sin­foniekonz­ert eine Pre­miere war: Erst­mals – aber nicht zum let­zten Mal – spielt das Phil­har­monis­che Orch­ester unter Her­mann Bäumer nicht auf der Bühne des Großen Haus­es, son­dern vor dem Altar des Doms.

Und wenn man schon den Raum wech­selt, kann man das auch nutzen. Zum Beispiel, um die große Domorgel mit­samt ihrem Organ­is­ten Daniel Beck­mann ins Konz­ert zu inte­gri­eren.
So hat das Orch­ester auch mal die Gele­gen­heit, die dritte Sin­fonie von Camille Saint-Saëns zu spie­len. Dafür ist näm­lich eine Orgel unbe­d­ingt notwendig. Ganz im Sinne der Par­ti­tur und trotz des Beina­mens „Orgelsin­fonie“ machen das Bäumer und Beck­mann aber ganz unauf­fäl­lig: Wie ein „nor­male“ Orch­es­terin­stru­ment fügt sich die Orgel unauf­fäl­lig in das Klanggeschehen ein. Bäumer zeigt die Dritte von Saint-Saëns – unzweifel­haft sein bekan­ntetes Werk und auch vom Kom­pon­is­ten selb­st als das Beste, was er kom­ponieren kon­nte, sehr geschätzt – als ein sehr lebe­niges Werk. Unter seinen Hän­den ver­liert die Sin­fonie nie den ener­getisch pulsieren­den Drang. Auch seine Ten­denz zum hellen, leicht­en und beweglichen Klang unter­stützt diese lebens­be­ja­hende Inter­pre­ta­tion. Obwohl sich das ganze Werk eigentlich aus dem „Dies irae“, der Totense­quenz, speist, macht Bäumer ohne Ver­renkun­gen und Übertrei­bun­gen daraus geschmei­di­ge, fast über­schwänglich fre­undliche und freudi­ge Musik, deren Leichtigkeit auch in der hal­li­gen Akustik des Doms ziem­lich gut funk­tion­iert.

Und wenn das Orch­ester schon mal im Dom zu Gast ist, muss man das auch aus­nützen und nicht nur die Orgel hinzuziehen, son­dern auch das Hausensem­ble. Für das Sta­bat Mater von Fran­cis Poulenc nutzt Bäumer auch noch die vom Domkapellmeis­ter Carsten Stor­ck vor­bere­it­ete Domkan­tor­ei. Zusam­men erre­ichen sie beson­dere Inten­sität. Ganz zu eigen macht sich Bäumer die schmerz­er­füllte Musik allerd­ings nicht, eine gewisse Dis­tanz bleibt zunächst hör­bar, ger­ade in den noch etwas steifen ersten Momenten. Im Detail gelin­gen ihm aber immer wieder prächtige Bilder, die Poulencs Klang­far­ben­welt voll auss­chöpfen. Auch die Sopranistin Vida Miknevi­ciute fügt sich in die berührende Inter­pre­ta­tion mit Leichtigkeit ein. Und je weit­er die Musik fortschre­it­et, desto mehr fügt sich alles zusam­men. Bäumer find­et mit Chor und Orch­ester zu ein­er zunehmenden Grandez­za und treibt die Musik zu immer neuen Höhep­unk­ten, die aus dem Schmerz wun­der­bare Schön­heit­en machen – bis zur verk­lärt-verk­lären­den Inten­sität des Schlusses. Für solche Erleb­nisse darf das Phil­har­monis­che Orch­ester gerne noch öfter in den Dom umziehen.

(Geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Kontrastdramaturgie: Bach & Strawinsky

Es ist ein ständi­ges Kom­men und Gehen. Beim acht­en Sin­foniekonz­ert ist auf der Bühne des Großen Haus­es viel Bewe­gung – kaum eine halbe Stunde verge­ht, ohne dass die Beset­zung des Phil­har­monis­chen Orch­esters sich ändert und kleinere Umbaut­en anste­hen. Dabei sind nur zwei Kom­pon­is­ten zu hören: Johann Sebas­t­ian Bach und Igor Straw­in­sky. Bei­de allerd­ings mit mehreren Werken – und jedes Werk ver­langt ein anderes Orch­ester: Mal sind es nur ein knappes Dutzend Stre­ich­er, mal ein kom­plettes Stre­i­chorch­ester, mal mit und mal ohne Bläs­er.
Kon­trast­dra­maturgik heißt das im Pro­grammheft: Zwis­chen Orch­ester­musik von Bach – zwei Suit­en und dem drit­ten Bran­den­bur­gis­chen Konz­ert – ste­hen noch zwei Kom­po­si­tio­nen von Straw­in­sky: Die Dans­es con­cer­tantes und das Con­cer­to in D. Das hat einen guten Sinn, denn der Neok­las­sizist Straw­in­sky klingt zwar ein biss­chen anders als Bach, bezieht sich aber gerne und oft auf barocke For­men, wie sie eben auch bei Bach vorkom­men.

Im Staat­sthe­ater merkt man das vor allem dem späten Con­cer­to an, das Andreas Sper­ing wun­der­bar dirigierte. Und bei dem das Orch­ester beson­ders klangschön arbeit­ete: Weiche, runde Stre­icher­har­monien wech­seln mit kanti­gen Ein­wür­fen. Quick­lebendig inter­pretierte Sper­ing das – bei diesem Werk, das gerne etwas spröde daher kommt, ein großes Ver­di­enst. Seine Präzi­sion und natür­lich die des Phil­har­monis­chen Orch­esters ent­fachen nicht nur unzäh­lige Attack­en, son­dern beherrschen alle Stim­mung, auch die zarten, fast vergesse­nen anmu­ten­den Schwärmereien des Mit­tel­satzes.
Über­haupt gelingt Andreas Sper­ing in diesem Konz­ert der Abwech­slung und der Schnitte etwas seltenes: Eine kon­stante Steigerung vom etwas betulichen Beginn zu einem großen Finale.
Denn auch in der abschließen­den vierten Suite von Bacht betont Sper­ling gerne die große Band­bre­ite der musikalis­chen Charak­ter und Emo­tio­nen. Die Rän­der sind es, die ihn an diesem Spek­trum beson­ders gelin­gen – dazwis­chen bleibt es dur­chaus auch mal solides Mit­tel­maß. Aber im Ganzen ist das doch ein pack­end inten­sives Orch­ester­fest und ein wun­der­bar­er gemein­samer Abschluss nach so viel Beset­zungswech­seln.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

argumentieren oder nicht: soll thielemann in münchen bleiben?

joachim kaiser hat sich in der heuti­gen sz mal wieder zu wort gemeldet. so sehr ich auch seine ver­di­enst schätze — seine schriftlichen ergüsse der let­zten jahre sind meis­tens kaum noch les­bare, ver­schwurbelte selt­samkeit­en, die zwar von einiger bil­dung zeu­gen, in ein­er mod­er­nen zeitung aber eigentlich nichts zu suchen hät­ten (dass die sz sie brav weit­er druckt, ver­ste­he ich — bei allem respekt vor sein­er bedeu­tung für diese zeitung — nicht. und schon gar nicht, dass sie sie so promi­nent platziert.) heute geht es um die ver­tragsver­hand­lun­gen mit dem diri­gen­ten chris­t­ian thiele­mann, dessen orch­ester ihm für eine ver­längerung seines engage­ments als gen­eral­musikdi­rek­tor, also chefdiri­gent, zwei sehr ein­deutige bedin­gun­gen gestellt hat: mehr konz­erte mit den münch­n­er phil­har­monikern, weniger — d.h. keinen — ein­fluss auf die pro­gram­mgestal­tung des gast­diri­gen­ten (das soll die inten­danz regeln). eigentlich scheint das für heutige orch­ester und deren arbeit bei­des nicht völ­lig unsin­nig, wie die redak­teure der sz nach eini­gen anfänglichen irrwe­gen inzwis­chen auch sehen und entsprechend schreiben. für joachim kaiser gilt aber irgend­wie anderes.

denn in seinen heuti­gen aus­führun­gen — trotzig über­titelt “Thiele­mann muss bleiben!” (als hätte kaiser in dieser sache etwas zu sagen …) — und mit dem hochsta­p­lerischen unter­ti­tel “zum stand ein­er trau­ri­gen, blam­ablen diri­gen­ten-debat­te” verse­hen schmeißt er lustig mit pseu­do-argu­menten und ver­leum­dun­gen um sich. schon der unter­ti­tel ist ja beze­ich­nend: die debat­te (die gar nicht so sehr debat­te ist, son­dern in erster lin­ie eine ver­tragsver­hand­lung zwis­chen stadt, d.h. v.a. dem münch­n­er kul­tur­ref­er­enten, und thiele­mann) ist wed­er trau­rig noch blam­a­bel. blam­a­bel ist höch­stens der umgang damit, die ständi­ge evozierung (v.a. durch kaiser selb­st), so ein musik­er wie thiele­mann müsste um jeden preis in münchen gehal­ten wer­den. schlim­mer finde ich aber, was dann in den ersten sätzen zumin­d­est durch­schim­mert: da legt kaiser, immer­hin ein adorno-schüler, doch sehr, sehr nahe, dass dieser orch­ester­vor­stand (das “soge­nan­nte” kon­nte er sich wohl ger­ade noch so verkneifen) gefäl­ligst die klappe hal­ten soll, froh sein soll über den star am pult und gefäl­ligst hinzunehmen habe, wenn dieser sich wie ein autokratis­ch­er orch­ester­herrsch­er des 19. oder frühen 20. jahrhun­derts geriert.

statt sich aber wirk­lich damit auseinan­der zu set­zen, was das denn heißt, wenn ein orch­ester­vor­stand den einge­s­tanden dur­chaus radikalen weg geht, eine weit­erbeschäf­ti­gung thiele­manns von bes­timmten bedin­gun­gen abhängig zu machen, und was es ander­er­seits bedeutet, wenn sich thiele­mann — wie es momen­tan scheint — stand­haft weigert, darauf einzuge­hen, lässt sich kaiser die restlichen zwei drit­tel seines (wie immer über­lan­gen) textes (der übri­gens selb­st nicht weiß, ob er kom­men­tar, nachricht oder kri­tis­che würdi­gung sein soll — ein in sein­er per­fidiz­ität typ­is­ches instru­ment kaisers), lässt sich kaiser also mehr als reich­lich aus über den vor­wurf des eingeschränk­ten reper­toires thiele­manns aus. das geschieht aber wieder in sehr beze­ich­nen­der weise: erstens ist der vor­wurf, den kaiser hier find­et, so gar nicht vorge­wor­fen wor­den. das prob­lem ist nicht so sehr thiele­manns beschränkung in reper­toire-fra­gen (auch wenn ich per­sön­lich das für arg eng halte), son­dern wie er damit umge­ht und sein orch­ester damit umge­hen lässt. dann behauptet kaiser aber, diesem “vor­wurf”  (den er übri­gens, wieder so eine per­fide masche, auf “lieblingsstücke” bezieht …) könne man einiges ent­geg­nen. genau das tut er dann aber nicht, son­dern behauptet es nur. er führt dann erst ein­mal aus, dass andere große inter­pre­ten, v.a. arthur rubin­stein, auch nur wenig gespielt hät­ten. na und? er hätte sich bess­er ein­mal die diri­gen­ten der let­zten 30–50 jahre angeschaut. dort ist solche ein­schränkung näm­lich eher sel­ten gewor­den, scheint mir (und auch bei den instru­men­tal­is­ten inzwis­chen dur­chaus nicht mehr so prä­gend — bren­del ist da in seinen späten jahren schon eher eine aus­nahme). so, das war die erste hälfte des textes. statt aber noch mehr des “einiges” anzuführen, zeigt kaiser lieber, dass er thiele­mann schon öfters gehört hat und dass der ganz toll dirigieren kann — geschenkt, das bestre­it­et ja nie­mand. strit­tig ist ja nur die frage, ob daraus, näm­lich der begabung für die inter­pre­ta­tion einiger ästhetis­ch­er werke, schon die berech­ti­gung abzuleit­en ist, dass man als autoritär­er sach­wal­ter über ein orch­ester, d.h. andere men­schen, ver­fü­gen und bes­tim­men darf. dazu schweigt kaiser aber aus­dauernd.

er kommt statt dessen zu einem ziem­lich weichen faz­it: “Solche Ereignisse [Thiele­manns bessere, d.h. gelun­gene Inter­pre­ta­tio­nen] aber sind es, die eigentlich erst begrün­den, warum es einen hochsub­ven­tion­ierten, in jed­er Weise ‘teueren’ Musik­be­trieb über­haupt geben sollte.” — da hätte er bess­er noch ein­mal drüber nachgedacht: denn erstens bestre­it­et das (in dieser debat­te) ja nie­mand, dass es den musik­be­trieb geben sollte (die offen­bar nicht unbe­trächtlichen hon­o­rar­forderun­gen thiele­manns sind ja gar nicht gegen­stand der kon­tro­verse — obwohl man da, in zeit­en der ver­suche, vergü­tun­gen der freien wirtschaft leg­isla­tiv zu regeln, auch mal drüber nach­denken kön­nte …). zweit­ens wäre ja, wenn kaisers faz­it so ein faz­it wäre, noch über­haupt nichts dazu gesagt, ob man — und auch ob Thiele­mann — solche momente höch­ster erfül­lung (die gewiss einiges an pein aufwiegen) nur erre­icht, wenn man weit­er das ego eines autokratis­chen diri­gen­ten päp­pelt oder ob es nicht auch andere, kom­mu­nika­ti­vere wege dazu gibt. die empirie, z.b. in berlin, zeigt, dass der “neue” weg, die abkehr vom diri­gen­ten­herrsch­er, keineswegs dem ästhetis­chen glück ent­ge­gen ste­hen muss.

“Klaviermusik, dachte Gieseking, …

… hat­te den Vorteil, dass sie oft nicht ganz so don­nernd laut, prunk­voll, ange­berisch und Besitz ergreifend daherkam wie sym­phonis­che Musik. Das Orch­ester als  Über­wäl­ti­gungs­mas­chine wirk­te irgend­wie gestrig.” (moritz von uslar, wald­stein oder der tod des wal­ter giesek­ing am 6. juni 2005, 45)

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