Das LDP-Trio (Leimgruber — Demierre — Phillips) in einer von den Musikern so ungeliebten Publikumsaufnahme vom Kaleidophon Ulrichsberg, 2015:
LEIMGRUBER, DEMIERRE, PHILLIPS — Live at Kaleidophon, Ulrichsberg, Austria, 2015-05-01
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Der Listener’s Guide von John Corbett ist eine tolle Einführung ins Hören von freier Improvisation — und natürlich auch in die Musik selbst. Das kleine Buch ist in drei große Teile gegliedert. Einer Einleitung folgen die (sehr konkreten) Grundlagen des Hörens frei improvisierter Musik, denen sich dann die fortgeschrittene Techniken (die oft recht abstrakt und stärker subjektiv als der Hauptteil bleiben) anschließen.
In den Grundlagen versucht Corbett — meines Erachtens ziemlich schlüssig und erfolgreich, aber ich bin ja nicht (mehr) ganz in der Zielgruppe — über verschiedene Aspekte der Musik und des Hörens einen Zugang zur improvisierten Musik zu schaffen. Dafür erklärt er die Besonderheit von Rhythmus und Dauer, geht der Frage nach, wer was macht und welche Interaktionen passieren sowie welche Übergänge und welche Strukturen sich beim Hören erkennen lassen. Für “Fortgeschrittene” geht es dann, wiederum in konzentrierten, übersichtlichen Kapiteln, um das gleichzeitige Sehen und Hören, um die Frage “live oder Aufnahme?”, um die der freien Improvisation innewohnenden Geheimnisse genau wie um ihre Ambiguitäten und Unabgeschlossenheiten sowie in einem Abstecher auch um die “poly-free-music” — also Musik, die nur noch teilweise frei improvisiert ist, die zumindest zeitweise auf genaueren Absprachen oder Komposition beruht. Außerdem gibt es noch knappe Überlegungen zum Schlaf und anderen Ablenkungen während dem Musik hören (Corbett ist dem nicht abgeneigt, weil das periphere Hören neue Entdeckungen ermöglicht …), zur Rolle des Publikums bei der Entstehung freier Musik und auch zur moralischen Überlegenheit dieser Musik — die Corbett klar verneint.
Das alles ist sehr direkt und prägnant geschrieben. Man merkt durchgängig, wie sehr der Autor vom Gegenstand und der Vermittlung der Freude an dieser Musik begeistert ist. Und mir gefielt der trockene Witz und die interessanten Metaphern, die Corbett findet:
Improvised music is like a balloon, it needs some tension to keep it taut; lose the tension, and the music farts around and falls limp on the floor. (65) Listening to moment-form improvising is like surfing. (76f.)
Dabei ist das nicht musikologisch-akademisch, auch wenn sich erkennbar eine ziemlich genaue Kenntnis und große Vertrautheit mit der frei improvisierten Musik hinter dem Text verbirgt. Schon die Definition, was denn “Free Improvisation” überhaupt sei, ist sehr pragmatisch und durchaus typisch für Corbett: “Improvised music is music made using improvisation. Simple enough.” (XII) Genau, was muss man mehr sagen? Zur Abgrenzung von anderen improvisierten Musiken fügt er noch hinzu, dass hier eben wirklich alle Fixierung fehlt, alle Absprache (die über äußerst Basales hinaus geht) unterbleibt und nur die Freiheit des Moments bleibt.
Verpackt ist das alles nicht als eine Erkundung der Musik selbst, sondern als eine Art Anleitung zum genussvollen Hören. Deshalb gibt es immer viele Hinweise und Tipps zum möglichst ergiebigen (nicht richtigen!) Hören (oder besser: zum Genießen der Freiheit in dieser Musik). Denn es geht ihm nicht um richtig oder falsch, um die wahre Musik und ihr einzig wahres Verständnis, sondern darum, Zugänge zu schaffen — und damit Begeisterung zu wecken: Begeisterung für die “Fremdheit” dieser Musik, also für eine Befreiung (von Beschränkungen), für das Schaffen von ungeahnten, großartigen, unzähligen Möglichkeiten. Viele der Möglichkeiten der Improvisierten Musik stecken für Corbett in der Interaktion. Sie ist für ihn ganz klar der Kern, das eigentliche feature der freien Improvisation. Und entsprechen stark auf diesen Prozess bezogen sind auch seine Hörtipps. Und deswegen ist er auch eher skeptisch gegenüber Soli (und großen Ensembles): “Improvisation is social music.” (56)
Im Ganzen lernt man beim Lesen fast so viel wie beim Hören, Corbett gibt viele gute, fast großartige Ratschläge, die den interessierten Leser oder die Leserin mit einem Werkzeugsatz, einer Art Besteck zum Hören, Beschreiben und Analysieren der improvisierten Musik ausstatten und das Hören somit interessanter und ertragreicher machen.. Schön ist, dass er dabei — trotz des grundlegend analytischen Zugangs — in seinem emphatischen Werben für die Musik auch Platz für deren Geheimnisse. Und hervorzuheben ist auch, dass er immer wieder einräumt und klar macht, dass Freie Improvisationen nicht die bessere, beste oder einzig wahre Musik sind. Und dass sie auch nicht im ethischen Sinn besser sind oder besser machen. Mir scheint aber, dass er dabei auslässt, dass das Hören (bzw. das Goutieren) dieser Musik durchaus soziale/ethische Qualitäten fördert, die man (wenn man möchte — und ich tue das) durchaus bewerten und hochschätzen kann. Insbesondere das “Aushalten” (das ja mehr ein Wertschätzen als ein Tolerieren ist) von Freiheit, d.h. von Ungewissheit, das positive, erwartungsvolle Erfahren von Neuem, Unbekanntem ist schon, so meine ich, eine wertvolle Sache. Deshalb müssen free-improvisations-Anhängerinnen natürlich nicht zwangsläufig bessere Menschen sein — aber sie tendieren dazu, unter anderem offen für eine Gesellschaft zu sein, die sich (auch) verändert — zumindest ist das meine Erfahrung.
Ergänzt wird Corbetts Text übrigens noch um ein paar Listen — nämlich drei sehr kurze und damit sehr angreifbar konzentrierte Auflistungen den grundlegenden/wichigen Aufnahmen der freien Improvisation sowie einer zweiten Liste der „poly-free-music“ und schließlich dem Hinweis auf einige Bücher zum Thema. Und im Anhang findet sich noch eine deutlich ausführlichere Liste wichtiger/bekannter Musiker und Musikerinnen der Improvisations-Szene, die alle zusammen zugleich den Rest des Buches in einer angenehmen Weise vom namedropping entlasten. So macht nämlich nicht nur das Hören, sondern auch das Lesen Spaß. Vor allem, wenn man dazu die passende Musik hört — bei mir waren es Wadada Leo Smiths CDs “Kabell Years: 1971–1979”.
Our duty, as listeners, is to be restlessly curious, to root around this big globe and dig up new things to fill our ears and minds. It’s more a matter of being inquisitive than of being eclectic. (162)
Das sind Erfahrungen und Haltungen, die verbinden. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass wir eine Geheimarmee von Improvisatoren waren, verschworen, rebellisch, unbeirrbar. Unsere Mission war der Avantgarde-Jazz und Irène [Schweizer] war an vorderster Front. Keith Tippett, in: Christian Broecking, Dieses unbändige Gefühl der Freiheit, 117
“Mein Kampf”: Wer hat Angst vor einem Buch? | Zeit — ich glaube, nils markwardt text zur “mein kampf”-edition hat das potential, der beste dazu zu werden — schon wegen dem beginn (“Faschismus ist bewaffneter Phonozentrismus. Klingt komisch, ist aber so.”), aber auch wegen sätzen wie
Die Tatsache, dass Hitler drin ist, wo Hitler draufsteht, sollte 2016 in Guido-Knopp-Country ja eigentlich keinen mehr überraschen.
oder
Für alle anderen dürfte die gleichermaßen stumpfe wie mäandernde Melange aus Rassismus, Antisemitismus und Imperialismus, die nur ansatzweise den Versuch macht, so etwas wie eine Argumentation zu simulieren, kaum verführerisch wirken. Menschenhass zu predigen, das kriegt heute jede mittelmäßig gemachte Broschüre von Rechtsradikalen hin.
oder dem schluss
Falls jemand dieser Tage nun aber gar nicht ohne “Irgendwas-mit-Hitler” auskommen kann, dem sei vielleicht einfach ans Herz gelegt, sich statt Mein Kampf einen der ausgewiesenen Lieblingsfilme von Hitler zu besorgen: Walt Disneys Schneewittchen und die Sieben Zwerge. Da hat auch die ganze Familie was von.
Wohl deshalb hat Paul Bley eine Vielzahl an Alben mit Solo-Improvisationen eingespielt, sich dem eigenen Freigeist auf diese Weise von Neuem vergewissert. Aus dem beträchtlichen Repertoire an Kompositionen seiner ersten Frau, der Pianistin Carla Bley, schöpfte er ein Leben lang, gemeinsam mit ihr und anderen experimentierfreudigen Gleichgesinnten, darunter die Saxofonisten Sonny Rollins und Archie Shepp, die Pianisten Sun Ra und Cecil Taylor sowie die Trompeter Bill Dixon und Michael Mantler, hatte er 1964 in New York die „Oktoberrevolution des Jazz“ angezettelt und die Jazz Composers Guild gegründet.
Joachim Bessing: »2016 – The Year Punk Broke« Tagebuch — joachim bessing hat angefangen, zu bloggen (er nennt es tagebuch …), unter dem schönen titel “the year punk broke” — manchmal etwas arg insiderisch, aber das könnte durchaus spannend werden …
Wegweisend und einflussreich, wie er war, hinterlässt er ein Erbe von imposanter Dimension.
Mit Boulez’ Tod geht die Moderne zu Ende – die Moderne im strengen Sinn. Ihr hat er sich verschrieben, als er 1944 in Paris Olivier Messiaen begegnete. Und ihr ist er treu geblieben über alle restaurativen Bewegungen des späten 20. Jahrhunderts hinweg: in seinen Grundauffassungen, im Repertoire dessen, was ihn interessierte, in seinem Komponieren. Wie kein anderer Vertreter seiner Zunft repräsentierte, ja lebte er die Moderne – und hat er für sie gestritten, bissig zunächst, in den reiferen Jahren mit gütiger Hartnäckigkeit.
Wie geil ist das denn: Eine ganz großartige Soloperformance von Mats Gustafsson mit seinem Baritonsaxophon (und zwischendurch auch mit dem Sopran) in Rekjavik gibt es auf YouTube zu sehen. Eines der besten Sets, die ich in letzter Zeit in die Ohren und vor die Augen bekommen habe. Und das Schauen lohnt sich, beim Betrachten der Bewegung und der Arbeit im Moment des Entstehens dieser großartigen Musik erhält sie noch eine ganz andere Tiefe. Das ist so — selbst in dieser eher bescheidenen Aufnahmequalität — schon beeindruckend und faszinierend. Und aus Erfahrung weiß ich, dass das live noch viel mitreißender und überwältigender sein kann. Die Energie, die solche Momente freisetzen, ist es, die den Free Jazz immer wieder so spannend, berührend und einfach großartig machen — und so lohnend! (Ich bin gerade einfach ziemlich begeistert …)
Playlist: Mats Gustafsson @ Rekjavik 2013-08-16
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“Planets”, von der bei Intakt erschienenen wunderbaren Improvisations-CD “Super 8″ des Duos “Secret Keeper” (Stephan Crump & Mary Halvorson):
Secret Keeper (Stephan Crump & Mary Halvorson) — Marging: Planets
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Toot (Axel Dörner, Phil Minton, Thomas Lehn) — großartig hier vor allem der destruktiv-kreative Lehn!
Toot (Minton,Dörner,Lehn), in Reading, UK
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