Eine neue CD, die mir mein Abonnement der Intakt-Veröffentlichungen ins Haus bringt: Schlippenbach plays Monk. Das macht er ja nicht zum ersten Mal, Intakt hat ja auch seine grandiose “Gesamtaufnahme” des Monkschen Oeuvres mit den großartigen Musikern von Die Enttäuschung veröffentlich. Das hier ist aber noch einmal etwas anderes. Ob besser oder schlechter, ist schwer zu sagen. Schlippenbachs Musik ist hier lockere Komplexität: Jeder Moment atment Luft, jeder Klang bleibt offen, Lücken in der Form beflügeln Monks geniale Kompositionen in dieser Einspielung von Alexander von Schlippenbach, die neun Kompositionen (eine doppelt eingespielt) mit kurzen, frei improvisierten Zwischenspielen Schlippenbachs kombiniert.
In komplexen Mustern und Abläufen bleibt diese Interpretation Monks quicklebendig. Sicher, immer wieder kann man die (geistige) Nähe zur komponierten Neuen Musik hören. Überhaupt kann man hier schon mal (wieder) die Frage stellen, ob das Jazz ist (oder sein soll). Das klangliche Ergebnis unterscheidet sich — gerade bei den Eigenkompositionen/Improvisationen Schlippenbachs — zumindest beim ersten hören nicht wesentlich von vielen Kompositionen der letzten 50 jahre oder so. Bei den Monk-Interpretationen, die so etwas wie das Gerüst dieser Einspielung bilden, ist das jazzig-improvisatorische Moment stärker zu hören — weil hier mit klassischen Vorgaben gearbeitet wird: einer Melodie und zugehöriger Akkordfolge als Ausgangspunkt. Aber selbst das stimmt nicht immer, man kann sich da schnell täuschen: Weil Monk sich Schlippenbach annähert und Schlippenbach sich monk anverwandelt. Ulf Drechsel schreibt im Begleittext deshalb ganz treffend:
MonkIstMonkWirdSchlippenbachBleibtMonkBleibtSchlippenbach
Das triff die Qualität dieser CD vielleicht am besten: Dass sich hier zwei Musiker, zwei Seelen treffen, vermischen, verwandeln und doch sie selbst bleiben. Klanglich ist das faszinierend und belebend, der Sound der Aufnahme ist wunderbar lebendig und detailgesättigt, so dass man Schlippenbachs behutsames Spiel auf dem großen Steinway in allen Facetten wahrnehmen, nachspüren und mit-/nachvollziehen kann. Diese scheinbar ganz schlichte Musik, die solistische Improvisation mit und über neun Monk-Kompositionen ist aber ungeheuer einnehmend. Nicht nur durch ihre kultiviert-verfeinerte Gelehrsamkeit und formale Klarheit — von dem wunderbaren Klang sprach ich ja schon -, sondern auch dadurch, dass sie ganz unbekümmert frisch und lebendig bleibt. Das Alter der Werke und des Pianisten hört man eben gerade nicht. Höchstens mal in der abgeklärten Entspanntheit, mit der Schlippenbach das monksche Material benutzt und verarbeitet — er muss sich und uns nichts mehr beweisen. Und das hört man unbedingt — mit großer Freude. Irgendwie spüre ich da mehr Wahrheit und Wahrhaftigkeit als in der meisten Musik, die uns sonst so umgibt (ohne jetzt direkt sagen zu können, welche Wahrheit das ist): Das hat die Wirkung erhabener Kunst — sie verändert den Hörer, läutert ihn oder lässt ihn zumindest die Erhabenheit de Schönheit wahrnehmen.
Alexander von Schlippenbach: Piano Solo. Schlippenbach plays Monk. Intakt CD 207, 2012.