Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: ich

Ichgefühl

O Nacht —:

[…]

O Nacht! Ich will ja nicht so viel,
ein kleines Stück Zusam­men­bal­lung,
ein Abend­nebel, eine Wal­lung
von Raumver­drang, von Ichge­fühl.

[…]

O Nacht! Ich mag dich kaum bemühn!
Ein kleines Stück nur, eine Spange
von Ichge­fühl — im Über­schwange
noch ein­mal vorm Vergäng­nis blühn!

[…]

O still! Ich spüre ein kleines Ram­meln:
Es sternt mich an — es ist kein Spott —:
Gesicht, ich: mich, ein­samen Gott,
sich groß um einen Don­ner sam­meln.
— Got­tfried Benn

Lyrik und Freiheit

Lyrik han­delt von Struk­turen, die Charak­teren zugrun­deliegen. Sie muss sich nicht den Per­sön­lichkeit­en und ihren Entwick­lun­gen zuwen­den, denn sie inter­essiert sich vor allem für die Struk­turen von Welt und Denken, die die Sprache in unserem Bewusst­sein geschaf­fen hat.Moni­ka Rinck, Wir. Phänomene im Plur­al (2015), 26

Es gibt aber eine gewisse Frei­heit. Die bewahrt man sich, indem man nur gute Fra­gen beant­wortet, schlechte Fra­gen ablehnt oder schweigend quit­tiert und unge­wollte Vere­in­nah­mungen durch dis­rup­tive Hand­lun­gen erschw­ert. Im Zweifels­fall ist es hil­fre­ich, immer mal wieder zu sagen: »Ich nicht« — ganz gle­ich, ob der Kon­text das hergibt oder nicht. Und Gedichte zu lesen, um sich einzuüben in die Aus­lockerung der Pronomen — denn wir, das kön­nten jed­erzeit auch die anderen sein. Moni­ka Rinck, Wir. Phänomene im Plur­al (2015), 40

rinck, wir (cover)

Ich

Ich. Ja, das bin ich, das kann sein, und wenn ich spazieren gehe, mit mein­er Mütze, sehe ich rechts und links wilde gewaltige Bäume, udn alles platzt jet­zt und spritzt, und es würde mich nicht über­raschen, wenn es ganz anders wäre.

—Ror Wolf, Raoul Tranchir­ers Noti­zen aus dem zer­schnet­zel­ten Leben, 105

Ins Netz gegangen (19.9.)

Ins Netz gegan­gen am 19.9.:

  • #4 Emck­es Expe­di­tio­nen: Ich wäh­le | ZEIT ONLINE — Car­o­line Emcke hat wieder einen tollen Text in ihrer Expe­di­tio­nen-Rei­he geschrieben. Heute geht es darum, ob Nichtwählen eine valide Posi­tion sein kann — sie ist da ganz klar, und ganz auf mein­er Lin­ie: “Das ist Bull­shit.” Und sie zeigt auch sehr plas­tisch und drastisch, warum das so ist:

    Die These von der Aus­tauschbarkeit und Ver­wech­sel­barkeit der Parteien und ihrer Pro­gramme ist so hanebüch­en­er Unfug, dass der Ver­dacht aufkom­men kann, die Wahlkampf­man­ag­er der CDU hät­ten sie in Umlauf gebracht. Wer den Sta­tus quo erhal­ten will, braucht nur zu behaupten, diese Wahlen macht­en keinen Unter­schied oder, schlim­mer noch: Wählen oder Nichtwählen mache keinen Unter­schied. Das ist nicht nur sach­lich falsch, son­dern auch poli­tisch obszön.

  • Ich passte nie ganz zu mein­er Umge­bung — taz.de — Ina Hartwig hat für die taz den besten Nachruf auf Mar­cel Reich-Ran­ic­ki geschrieben, den ich (bish­er) gele­sen habe: kri­tisch, ohne gemein zu sein; bewun­dernd, ohne zu vergöt­tern; detail- und fak­ten­re­ich, ohne zu belehren. Und sie trifft, wie mir scheint, ziem­lich genau den Kern von Reich-Ran­ick­is Kri­tik­ertätigkeit (also genau das, was ihn mir immer etwas unsym­pa­thisch bzw. unwichtig machte):

    Auch the­o­rielastiger Lit­er­atur gegenüber, etwa Robert Musils “Mann ohne Eigen­schaften”, zeigte er sich nicht sehr aufgeschlossen. Alles, was sich Avant­garde nan­nte oder ver­meintlich unsinnlich auf ihn wirk­te, prallte an Reich-Ran­ic­ki ger­adezu lüstern ab. In Zus­pitzung und Abwehr war er ein Meis­ter, immer bere­it, sich um der Pointe willen düm­mer zu stellen, als er war.

    Gegen Schluss weist sie noch auf etwas anderes Tre­f­fend­es hin:

    Seit Alfred Kerr hat es in Deutsch­land keinen der­art pop­ulären Kri­tik­er gegeben wie ihn, Mar­cel Reich-Ran­ic­ki. Nicht auss­chließlich sub­til­er Geschmack, nicht unbe­d­ingt ästhetis­ch­er Wage­mut haben Mar­cel Reich-Ran­ick­is unglaublich­er Kar­riere den Weg gewiesen, son­dern sein schi­er unge­heur­er Fleiß, seine Bril­lanz und der unbe­d­ingte Wille, Ein­fluss zu nehmen auf das lit­er­arische Geschehen in Deutsch­land, vor allem aber seine polar­isierende, geschickt vere­in­fachende Rhetorik. Sein einzi­gar­tiges Tem­pera­ment wusste alle Medi­en sein­er Epoche zu bedi­enen, Radio, Zeitung, Buch und Fernse­hen.

    — diese Medi­en­vir­tu­osität ist sicher­lich ein wichtiger Bestandteil Reich-Ran­ick­is gewe­sen.

  • Juli Zeh im Inter­view: “Ein beobachteter Men­sch ist nicht frei” | Kul­tur — Frank­furter Rund­schau — Juli Zeh sagt im FR-Inter­view mal wieder viel richtiges und kluges. Zum Beispiel auf die Frage: “Es wird ja gern gesagt: Wer nichts zu ver­ber­gen hat, hat auch nichts zu befürcht­en.”

    Ich glaube nicht, dass die Leute das wirk­lich denken. Das sagen sie, damit man sie mit dem Prob­lem in Ruhe lässt. Wenn man jeman­den sagt: Gib mir mal deine Fest­plat­te und lass mich kurz deine E‑Mails durch­le­sen, dann bekommt doch jed­er ein mul­miges Gefühl. Die meis­ten möcht­en doch nicht ein­mal, dass die Part­ner­in oder der Part­ner die eige­nen Mails liest, weil wir näm­lich wohl etwas zu ver­ber­gen haben. Nicht ein Ver­brechen, son­dern ein­fach nur das, was man Pri­vat­sphäre nen­nt. Ein intimer Raum, der uns immer latent pein­lich ist und den wir schützen. Ich denke, wer nichts zu ver­ber­gen hat, der hat bere­its alles ver­loren.

    Und später:

    Ohne Geheimnisse gibt es kein Ich. Man ver­liert dann im Grunde sich selb­st.

  • Polit-Talk­shows von ARD und ZDF: Objek­tiv und unparteilich war gestern | Magitek — ein Blog. — Sven hat sich die parteipoli­tis­che Zuge­hörigkeit der Gäste in den Talk­shows von ARD & ZDF angeschaut — mit eher unan­genehmen Fol­gen (früher hieß es immer — und wurde z.B. von Kep­plinger auch empirisch mehr oder weniger bestätigt, die öffentlich-rechtlichen Medi­en hät­ten eine linkslib­erale Ten­denz. Hier ist das sehr offen­sichtlich sehr anders.): Polit-Talk­shows von ARD und ZDF: Objek­tiv und unparteilich war gestern

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