Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: friedrich hölderlin

Hölderlin

Hölder­lin und die Bibel sind die einzi­gen Dinge auf der Welt, die sich niemals wider­sprechen kön­nen.

—Ger­shom Sholem, Tage­buch 1918–1919
spinnennetz

Ins Netz gegangen (26.7.)

Ins Netz gegan­gen am 26.7.:

  • Bitte keine zum Sonett gestampften Garten­mö­bel! | NZZ → moni­ka rinck spricht über sprache, erken­nen, denken und vir­tu­osität in lyrik und essays
  • Wenn Abgase gefährlich­er als Atten­täter sind | Deutsch­land­funk → ste­fan kühl über die schiefe risikowahrnehmung, mit einem schö­nen schluss:

    Poli­tik­er, die die kosten­lose Bere­it­stel­lung von Grund­nahrungsmit­teln, Wohn­raum oder öffentlichem Nahverkehr als Ein­stieg in den Sozial­is­mus ver­dammen wür­den, fördern die kosten­lose Nutzung öffentlichen Raums für den indi­vid­u­al­isierten Auto­mo­bil­verkehr – so, als ob das Grun­drecht auf Mobil­ität das Recht bein­hal­tete, mit dem eige­nen Auto jed­erzeit über­all hin­fahren zu dür­fen, nur weil man die Schä­den, anders als bei Ter­ro­ran­schlä­gen, nicht sofort sieht.

  • Man muss Hölder­lin vor seinen Bewun­der­ern in Schutz nehmen | Welt → der titel ist natür­lich so ein all­ge­mein­platz-unsinn, aber ein paar gute sätze schreibt denis scheck zu hölder­lin doch:

    Es gibt Momente medi­alen Über­druss­es, da scheint mir Hölder­lins Sprache die einzig mögliche. Eingängig und kristallin klar, trans­portiert sie in jed­er Silbe dann mehr Sinn als eine Tageszeitung. An anderen Tagen erscheinen mir diesel­ben Verse dage­gen dunkel und unver­ständlich, ihre Bedeu­tung unfass­bar. Eines Tages, ich bin sich­er, bin ich Hölder­lin gewach­sen.

  • Ein­mal Außen­seit­er, immer Außen­seit­er | Zeit → sabine scholl über herkun­ft, soziale gren­zen und stig­ma­ta
  • Welz­er: Gewalt ist ein Mit­tel sozialer Prax­is” | Panora­ma → ganz aus­geze­ich­netes gespräch mit har­ald welz­er über den g20-gipfel, gewalt, gesellschaft etc — wun­der­bar, wie genau und tre­f­fend er vieles einord­net, his­torisch und sozi­ol­o­gisch — unbe­d­ingt anse­hen!

Ins Netz gegangen (17.2.)

Ins Netz gegan­gen am 17.2.:

  • SENSATIONSFUND ERSTEN RANGES: NEUES TRAKL-GEDICHT ENTDECKT! — bei ein­er bib­lio­thek­sauflö­sung in wien wurde ein bish­er auch den trakl-spezial­is­ten unbekan­ntes gedicht von georg trakl ent­deckt: „hölder­lin“ hat trakl auf dem vor­satz eines ban­des sein­er hölder­lin-aus­gabe (wohl in rein­schrift) notiert. die salzburg­er „Georg Trakl Forschungs- und Gedenkstätte“ hat das erwor­ben und als foto, in ein­er tran­skrip­tion und mit einem kom­men­tar hier veröf­fentlicht.
  • Sil­i­con Val­ley: Jen­seits von Awe­some | Zeit — davd hug, lit­er­aturredak­teur der „zeit“, hat das sil­i­con val­ley besucht. und eine her­rliche reportage darüber geschrieben, voller san­ftem spott, iro­nis­ch­er dis­tanz und präzise tre­f­fend­en for­mulierun­gen über eine selt­same mis­chung aus utopie der tech­nol­o­gis­chen zukun­ft und härten des alltäglichen lebens der gegen­wart
  • Karika­turen­Wi­ki — Karika­turen gehören zu den schön­sten wie zugle­ich zu den anspruchsvoll­sten Quellen im Deutsch‑, Geschichts- oder Poli­tikun­ter­richt. Sie sind deshalb so sch­er zu entschlüs­seln, weil sie sich ein­er Zeichen- und Sym­bol­sprache bedi­enen. Diese Zeichen und Sym­bole kon­nten in ihrer Zeit meist bei den Leserin­nen und Lesern der Zeitun­gen und Zeitschriften, in denen die Karika­turen erschienen sind, als bekan­nt voraus­ge­set­zt wer­den. Einige dieser Zeichen benutzen wir heute auch noch, andere nicht mehr.

    Dieses Wiki soll dabei helfen, die Entschlüs­selung von Karika­turen in der Schule ein­fach­er zu machen.

  • „Ver­steck­te Kam­era“ im ZDF: Das muss eine Par­o­die sein | Süd­deutsche Zeitung — hans hoff zer­reißt die „ver­steck­te kam­era“ von zdf mit aplomb und häme:

    Außer­dem trägt er einen Hip­ster-Bart, also irgend so eine Wuschel­be­haarung, die man von Ange­höri­gen der Tal­iban und arbeit­slosen Berlin­er Drehbuchau­toren ken­nt.
    […]
    Wenn man etwas Gutes über Steven Gät­jen sagen möchte, kön­nte man anmerken, dass er ein guter Oberkell­ner wäre. Er kann sich Sachen merken, kann Sätze unfall­frei aussprechen, und hier und da hat er sog­ar eine kecke Bemerkung parat. […] Das wirk­lich Gute an Gät­jen ist aber vor allem seine Diskre­tion. Kaum hat er seine Ansage vol­len­det, ver­schwindet er kom­plett aus der Erin­nerung des Zuschauers und belästigt diesen nicht mit eventuell zu befürch­t­en­den Erup­tio­nen von Charis­ma oder Orig­i­nal­ität. So wie sich das für einen ganz dem Dien­stleis­tungs­gedanken verpflichteten Oberkell­ner nun mal gehört.
    […]
    Für diese bei­den Momente hat sich Die ver­steck­te Kam­era 2016 gelohnt. Für alles andere nicht.

  • Och, schade: die taz darf nicht zu „Cin­e­ma for Peace“ | taz Haus­blog

Aus-Lese #32

Jan Keupp, Jörg Schwarz: Kon­stanz 1414–1418. Eine Stadt und ihr Konzil. Darm­stadt: Wis­senschaftliche Buchge­sellschaft 2013. 213 Seit­en.

keupp-schwarz_konstanzEine — vor allem im ersten Teil von Jörg Schwarz — sehr gut zu lesende Darstel­lung für Nicht-Experten des späten Mit­te­lal­ters. Die erste Hälfte befasst sich mit dem eigentlichen Konzil, der Auflö­sung des großen abendländis­chen Schis­mas, bei dem aus drei Päp­sten wieder ein­er wurde und neben­bei unter anderem noch Jan Hus ver­bran­nt wurde. Das ist solide gemacht, geht aber naturgemäß nicht allzu sehr in die Tiefe. Im zweit­en Teil geht es dann in der Darstel­lung von Jan Keupp um Kon­stanz selb­st: Die Stadt, ihre Bürg­er, ihre Poli­tik, ihre Wirtschaft. Das franst dann ein biss­chen aus, der The­men­strauß wird arg bunt und es wirkt etwas ober­fläch­lich und zufäl­lig, die stärkere Kohärenz des ersten Teils wird nicht mehr erre­icht. Das ist weniger ein Prob­lem von Keupp, auch wenn er nicht ganz so ein guter Erzäh­ler ist wie Schwarz (der manch­mal freilich arg sug­ges­tiv schreibt), son­dern eines der Sache — die ist ein­fach so vielfältig, dass sie nur durch den Ort der Über­liefer­ung — Kon­stanz eben — zusam­menge­hal­ten wird. Durch reich­haltige Quel­len­z­i­tate (meist über­set­zt), vor allem aus den Rats- und Gericht­sak­ten, wird das recht lebendig. Lei­der ist aber über­haupt kein Zitat nachgewiesen — das finde ich dann doch immer schade, weil es die Benutzbarkeit natür­lich enorm ein­schränkt.

Pierre Bertaux: Hölder­lin und die Franzö­sis­che Rev­o­lu­tion. Frank­furt am Main: Suhrkamp 1969. 188 Seit­en.

bertaux, hölderlinEin Klas­sik­er der Hölder­lin-Forschung, der zu sein­er Zeit, bei seinem ersten Erscheinen, ziem­lich für Aufruhr sorgte. Denn Bertaux geht es darum, zu zeigen, dass Hölder­lin Jakobin­er — also Anhänger der Franzö­sis­chen Rev­o­lu­tion war — und, das ist das wichtige an seinem Buch, dass sich das auch in der Dich­tung Hölder­lins nieder­schlägt. Den ersten Punkt kann ich gut nachvol­lziehen, beim zweit­en wird es schwierig, da scheint mir Bertaux’ Lek­türe von Hölder­lins Lyrik als ver­schlüs­sel­ter Code, der seine poli­tis­che Botschaft ver­steckt, zu ein­seit­ig und etwas übers Ziel hin­aus zu schießen. Let­ztlich ste­ht aber auch recht wenig zu konkreten Werken Hölder­lins drin — dafür entwick­elt Bertaux mit viel Mühe ein bre­ites Panora­ma der Franzö­sis­chen Rev­o­lu­tion und vor allem ihrer Rezep­tion in Deutsch­land und beson­ders in Tübin­gen und Schwaben, das weit, sehr, sehr weit über Hölder­lin hin­aus geht, aber ander­er­seits zum konkreten Gegen­stand der Unter­suchung eben auch nur bed­ingt etwas beiträgt.

Worauf es ankam, war, an einem Beispiel zu zeigen, daß die »poli­tis­che« Inter­pre­ta­tion der Dich­tung Hölder­lins auch — und nicht zulet­zt — einen gülti­gen Beitrag zu einem besseren Ver­ständ­nis leis­ten kann und diese Dich­tung wieder aufleben läßt in ihrer Aktu­al­ität, als laufend­en Kom­men­tar zum Prob­lem der Rev­o­lu­tion und des Mannes im Zeital­ter der Rev­o­lu­tio­nen. (138)/

Oswald Egger: Tag und Nacht sind zwei Jahre. Kalen­dergedichte. Warm­bronn: Ulrich Keich­er 2006. 31 Seit­en.

Egger, Tag und NachtKalen­dergedichte? Wirk­lich? Das würde mich bei einem Autor wie Oswald Egger allerd­ings über­raschen. Und natür­lich ist das wed­er Kalen­der noch Gedicht — zumin­d­est nach herkömm­lichem Ver­ständ­nis. Aber das zählte für Egger ja (noch) nie. Ein ander­er, ein neuer Gang durch’s (Natur-)Jahr hat er hier aufgeschrieben — Men­schen kom­men nicht vor (nur das „ich“, das aber dur­chaus häu­fig), höch­stens ihre Arte­fak­te wie die „Fahrstraße“ (14), die Wege etc, die in der Natur liegen – ein Jahres­reigen, wirk­lich ein Reigen. Hier kann man sehen, was passiert, wenn sich ein Sprach­meis­ter und ‑magi­er wie Egger der Natur annimmt: Ihren Erschei­n­un­gen und ihrem Erklin­gen. Das ist — wie immer — phan­tastisch: Kaum jemand kann Sprache so magisch und kraftvoll ver­for­men wie Egger — und damit Bilder und Töne evozieren, die nor­male Sätze oder Wörter nicht aufrufen kön­nen: Die sind zu schwach, zu aus­ge­laugt, zu abgenutzt, sie tre­f­fen das einzi­gar­tige, beson­dere des jew­eili­gen Moments nicht — und deshalb gibt’s halt Neues. Das hat immer etwas von einem Aben­teuer: Man weiß wed­er, wo der Satz einen hin­führt, noch, was der näch­ste Satz, die näch­ste Seite/Doppelseite (ein „Gedicht“) bringt.

[…] wie far­big flam­mendere Träume / schreck­ten diese hier, kalbend­sten sel­ban­der, als Vögel / im Fieber­schlaf erstar­rt, und floureszieren etwas (wie nichts) /| auf Gran­it, die wie Por­phyrpflaster­plat­ten der Zufluß-Gneise / schiefer­n­der Wege, alles Fir­ma­ment verbleite licht­grau und / betrübt sich richtig — (richtig)? (2f.)

Moni­ka Rinck: Helle Ver­wirrung. Gedichte — Rincks Ding- und Tier­leben. Texte & Zeich­nun­gen. Idstein: kook­books 2009. 139 Seit­en.

rinck, helle verwirrungGle­ich zwei Büch­er auf ein­mal hier. Aber zwei ganz ver­schiedene Seit­en von Moni­ka Rinck. In Helle Ver­wirrung die “nor­male” Lyrik­erin, in Rincks Ding- und Tier­leben die Zeich­ner­in von kuriosen Din­gen. Aber Rinck hat ja sowieso Auge und Ohr für das Ungewöhn­liche, das Kuriose — etwas im “Begriff­sstu­dio”. Das schlägt sich vor allem in den küh­nen Bildern der Hellen Ver­wirrung nieder — und in den starken Titel der Gedichte, die — sel­ten genug — wirk­liche Titel sind: „erschöpfte konzepte: die liebe“, „immer nie“ …
Und allein der Quit­ten-Zyk­lus ist mit seinen phan­tastis­chen, vielfälti­gen und vol­lkom­men über­raschen­den Bildern den Band schon wert.

Weniger kon­nte ich dage­gen mit dem Ding- und Tier­leben anfan­gen: Das ist sehr spielerisch und humoris­tisch, mit Lust an Kon­tradik­tio­nen und Null-Sinn und dem sprach­lichen extem­po­ri­eren. Aber einen recht­en Zugang habe ich dazu nicht gefun­den.

Mein Lieblingsz­i­tat:

in jedem buch gibt es zeilen, die man gar nicht lesen darf. (14)

Schöne Stellen gibt es aber unendlich viele. Zitierenswert erschien mir auch noch das hier — vielle­icht gibt das ja einen Ein­druck, warum ich das so gern gele­sen habe:

das fand für dich auf der gren­ze statt, die meis­ten dein­er gäste / haben sich entsch­ieden für: nor­mal­ität. ein­sam waren sie trotz­dem. (16)/

Oswald Egger: Deutsch­er sein. Warm­bronn: Ulrich Keich­er 2013 (Rei­he Lit­er­aturhaus Stuttgart 4). 28 Seit­en.

Egger, Deutscher-seinEin klein­er, bei Keich­er sorgsam gedruck­ter Essay über die deutsche Sprache, ihre Struk­tur und ihren Laut, ihre Möglichkeit­en und Schwierigkeit­en. Zugle­ich geht es, der Titel ver­rät es ja, auch um die Möglichkeit­en und Beschw­ernisse, Deutsch­er zu sein. Dieses Sein scheint sich aber — für Egger ja nicht beson­ders ver­wun­der­lich — vor allem oder haupt­säch­lich in der Sprache abzus­pie­len und zu entwick­eln. Deswe­gen geht es also auch um solche Erleb­nisse wie den “Schmuggel” von Sinn und Bedeu­tung in Wörter, Sätze und Texte. Oder um Klang und Musik, Lieder und Melos des Deutschen — vor allem natür­lich des “Deutsch­land­sliedes”, der Nation­al­hymne. The­men sind außer­dem: Der Umgang “der Deutschen” — und ihrer Dichter — mit ihrer Sprache und den ihr innewohnen­den Möglichkeit­en. In An- und Halb­sätzen zeigen sich dabei auch einige Bausteine der Poet­ik Eggers — näm­lich eben in seinem Ver­ständ­nis der Sprache, die wohl etwas sehr offenes und flu­ides ist.

da gabelt sich die Gabe der Sprache in irrwis­che Wün­schel, durch und durch die Gegend ohne Gegen­stand als ein eingepeitschter Schlingerkreisel im ergat­terten Mis­chmasch (5)

Oswald Egger: Nichts, das ist. Frank­furt am Main: Suhrkamp 2001. 160 Seit­en.

egger, nichts das istAußer­dem noch diesen drit­ten Egger gele­sen. Aber da sehe ich mich außer­stande, etwas halb­wegs kluges dazu zu sagen …

In den Gedicht­en oder 200 Strophen/4‑Zeiler mit angehängter/überlagerter Poet­ik & Sprachkri­tik & Sprach­suche im poet­is­chen Modus steckt — so viel merke ich schon beim ersten Lesen — unheim­lich viel drin. Hyper­kom­plex gibt sich das, vielle­icht ist das aber auch nur gefakt? Beim (ersten) Lesen bleiben eigentlich nur Sin­n­fet­zen, Assozi­a­tio­nen, Klänge, Klang­wortrei­hen und ‑entwick­lun­gen — aber davon so viel, dass es die Lek­türe lohnt. Die 3–5fache Par­al­lelität des Textes (der Texte? — was ist hier über­haupt “der” Text? und was machen die Zeichnungen/Grafiken da drin?), hor­i­zon­tal und ver­tikal auf den Seit­en, vom Kolum­nen­ti­tel oben bis zum unteren Rand, über­haupt das per­ma­nente Überkreuzen und Queren — von Sinn, von Einheit(en), von Text und Sprache machen schon eine “nor­male” Lek­türe unmöglich — ein “Ver­ste­hen” erst recht. Immer neue Ansätze scheinen sich hier aufzu­tun, Iter­a­tio­nen vielle­icht auch, oder Bohrun­gen in der Art von Ver­suchen mit offen­em Aus­gang: kein fes­ter BOden, kein festes/dauerndes Ergeb­nis ist das einzig Ergeb­nishafte, was die Lek­türe ergibt.

Zwei Beispiel­seit­en — beina­he zufäl­lig aus­gewählt ;-) — mögen das illus­tri­eren:
egger, nichts das ist, 18

egger, nichts das ist, 48

Scott Jurek with Steve Fried­man: Eat & Run. My unlike­ly Jour­ney to Ultra­ma­rathon Great­ness. Lon­don u.a.: Blooms­bury 2012. 260 Seit­en.

Ist das ein Lauf­buch? Der Autor­name lässt es ver­muten: Scott Jurek ist ein­er der großen Ultra­läufer. Aber Eat & Run — der Titel ver­rät es ja schon — dreht sich nicht nur ums Laufen. Im Gegen­teil: Über weite Streck­en geht es vor allem ums Essen. Nicht ohne Grund ste­ht das im Titel vorne. Und zwar um das richtige Essen — näm­lich die veg­ane Ernährung. Jurek schildert aus­führlich seinen Weg von der “nor­malen” amerikanis­chen Kost des mit­tleren West­ens zur veg­an­is­chen Ernährung. Das geschieht bei ihm vor allem aus (schein­bar) gesund­heitlichen Grün­den und weil er meint zu beobacht­en, dass er sich damit bess­er fühlt. Zugle­ich pla­gen ihn aber auch lange und immer wieder die Zweifel, ob er mit veg­a­nen Lebens­mit­teln aus­ge­wogen, gesund und in allen Bere­ichen aus­re­ichend genährt ist, um Ultras zu laufen.

So recht warm gewor­den bin ich mit Eat & Run aber nicht. Obwohl ich die Leis­tun­gen Jureks sehr schätze, blieb mir seine Hal­tung zum Laufen, wie sie sich hier zeigt, ein­fach fremd. Mehr dazu ste­ht in meinem Lauf­blog: klick.

span style=“font-variant: small-caps”>Werner Laub­sch­er: Win­ter­reise. Win­ter­sprache. Annweil­er: Thomas Plöger 1989. 58 Seit­en.

laubscher, winterreiseDarauf bin ich nur zufäl­lig durch einen Beitrag in der Poet #15 gekom­men. Zunächst mal ist das ein schönes Buch, auch die Her­stel­lung ist ein Teil des Kunst­werks: Tra­di­tioneller Bleisatz, feines Papi­er (unaufgeschnit­ten und deswe­gen dop­pelt — so wird aus 58 Seit­en ein Buch), lebendi­ger Druck, schön­er Ein­band, dazu die far­bigen Bilder Laub­sch­ers — so macht man Büch­er.

Wil­helm Müllers Win­ter­reise — oder wohl doch eher Schu­berts Liedzyk­lus — dient Laub­sch­er als Anre­gung und Aus­gangspunkt für seine kleinen Gedichte. Die haben etwas von Preziosen: Fein und feinsin­nig beobachtet, sehr klug und sehr sprachge­wandt, auch sehr geschlif­f­en und fest, über­haupt nicht spielerisch. Teil­weise funk­tion­ieren sie als Über­schrei­bung: Einzelne Worte und Sätze aus dem “Orig­i­nal” sind als Zitate und Ankläge eingear­beit­et — sehr dicht, fast naht­los fügen sie sich in Laub­sch­ers wesentlich mod­erneren (wenn auch nicht avant­gardis­tis­chen) Ton ein, der es trotz sein­er Moder­nität schafft, ver­gle­ich­sweise zeit­los zu bleiben. Ziem­lich düster, grau und trau­rig ist diese Win­ter­welt hier. Aber, und das macht es lesenswert, es sind ganz viele Graus. Vielle­icht kön­nte man sagen, dass Laub­sch­er hier die Müller­sche Win­ter­reise über­bi­etet: Mit mehr Real­is­mus und zugle­ich mehr poet­is­ch­er Entrück­ung geht das weit­er als die roman­tis­chen Urgedichte. Und bleibt dabei ander­er­seits auch doch sehr zurück­hal­tend — arg bre­it ist das the­ma­tis­che Feld nicht. Das macht aber nicht, weil es handw­erk­lich sehr geschickt — etwa in der Ver­ket­tung der einzel­nen Gedichte — und dur­chaus fein gemacht ist: (Be)rührend sind hier viele der Gedichte, emo­tion­al durch oder in ihrer Kun­st­fer­tigkeit.

Eines mein­er Lieblings­gedichte aus dem titel­geben­den Zyk­lus ist das auf Seite 19:
laubscher_19

“ich sage dir:

… es ist nicht heiliges, was nicht entheiligt, nicht zum ärm­lichen behelf her­abgewürdigt ist bei diesem volk, und was selb­st unter wilden göt­tlichrein sich meist erhält, das treiben diese all­berech­nen­den bar­baren, wie man so ein handw­erk treibt, und kön­nen es nicht anders, denn wo ein­mal ein men­schlich wesen abgerichtet ist, da dient es seinem zwik, da sucht es seinen nuzen, es schwärmt nicht mehr, bewahre gott! es bleibt gesezt, und wenn es feiert und wenn es liebt und wenn es betet und sel­ber, wenn des früh­lings hohes fest, wenn die ver­söh­nungszeit der welt die sor­gen alle löst, und unschuld zaubert in ein schuldig herz, wenn von der sonne warmem strale berauscht, der sclave seine ket­ten froh ver­gisst und von der got­tbe­seel­ten luft besän­ftiget, die men­schen­feinde friedlich, wie die kinder, sind — wenn selb­st die raupe sich beflügelt und die biene schwärmt, so bleibt der deutsche doch in seinem fach’ und küm­mert sich nicht viel ums wet­ter!” — friedrich hölder­lin, hype­r­i­on oder der eremit in griechen­land (2. buch), 114

ich bringe mich …

… mit mühe zu worten. man spricht wohl gerne, man plaud­ert, wie die vögel, so lange die welt, wie mailuft, einen anwe­ht; aber zwis­chne mit­tag und abend kann es anders wer­den, und was ist ver­loren am ende?” — friedrich hölder­lin, hype­r­i­on oder der eremit in griechen­land (2. buch), 47

“beim himmel!

… der weiss nicht, was er sündigt, der den Staat zur Sit­ten­schule machen will. Immer­hin hat das dne Staat zur Hölle gemacht, dass ihn der Men­sch zu seinem Him­mel machen wollte.” — friedrich hölder­lin, hype­r­i­on oder der eremit in griechen­land, 53

“das ist der gewinn, …

… den uns erfahrung giebt, dass wir nichts tre­f­flich­es uns denken, ohne sein ungestaltes gegen­theil.” — friedrich hölder­lin, hype­r­i­on oder der eremit in griechen­land, 17

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