Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: freiheit

Ins Netz gegangen (3.10.)

Ins Netz gegan­gen am 2.10.:

  • Ili­ja Tro­janow: “Ich möchte mit dieser Bun­desregierung nichts zu tun haben” | ZEIT ONLINE — Die “Zeit” hat mit Ilja Tro­janow gesprochen. Der ist aufge­bracht — nicht so sehr über die amerikanis­che, son­dern — zu Recht — vor allem über die deutsche Regierung. Denn die hätte ja eigentlich die Auf­gabe, ihn — und uns alle — vor solchen Schika­nen und Überwachun­gen zu schützen. Wenn sie denn ihre Verpflich­tung auf die Ver­fas­sung ernst nähme. Aber dass sie das nicht immer tut, ist ja keine Neuigkeit …

    Die Taten­losigkeit der Regierung macht mich wütend. Viel wüten­der als das Ein­rei­se­ver­bot. Die Bun­desregierung hat die Pflicht, die ver­fas­sungsmäßi­gen Rechte ihrer Bürg­er zu schützen. Und ich als deutsch­er Staats­bürg­er füh­le mich angesichts dieser in ihrem Umfang ja immer noch nicht über­schaubaren Überwachungssys­teme in meinen Recht­en abso­lut ange­grif­f­en. Eine Bun­desregierung, die einen Eid geschworen hat, diese Ver­fas­sung zu schützen und über­haupt nichts untern­immt, halte ich für mehr als skan­dalös. Das ist ein richtiger Ver­rat am eige­nen Volk
    […] Ich möchte mit dieser Bun­desregierung gar nichts zu tun haben. Sie ist so völ­lig unsen­si­bel gegenüber Bürg­er­recht­en und Frei­heit­srecht­en. Sie ver­tritt mich nicht und deswe­gen will ich sie auch zu nichts auf­fordern.

  • Schrift­steller als Net­zverächter: Vom Genre der Besser­halb­wis­serei — FAZ — Sascha Lobo nutzt die Auseinan­der­set­zung mit Botho Strauß’ “Pluri­mi-Fak­tor”, um seine eigene Hoff­nung für das Inter­net als große Aufk­lärungs-/Fortschritts-/Bil­dungs­mas­chine endgültig zu begraben

    Das Netz und vor allem die sozialen Net­zw­erke haben unter Schrift­stellern viele Verächter. Jüngst wagten sich Gün­ter Grass und Botho Strauß her­vor. Der eine hat’s vergeigt. Der andere weiß: Das Inter­net ist kein Bil­dungsautomat – man muss schon Bil­dung mit­brin­gen.

  • Ili­ja Tro­janows Ein­rei­se­ver­bot: Willkür und Frei­heit — FAZ — Ilja Tro­janow anlässlich der Weigerung der USA, ihn ein­reisen zu lassen:<blockqutoe>Es ist mehr als iro­nisch, wenn einem Autor, der seine Stimme gegen die Gefahren der Überwachung und des Geheim­staates im Staat seit Jahren erhebt, die Ein­reise in das „land of the brave and the free“ ver­weigert wird. Gewiss, ein klein­er Einzelfall nur, aber er illus­tri­ert die Fol­gen ein­er desas­trösen Entwick­lung und ent­larvt die naive Hal­tung viel­er Bürg­er, die sich mit dem Mantra „Das bet­rifft mich doch nicht“ beruhi­gen. Das mag ja noch zutr­e­f­fen, aber die Ein­schläge kom­men näher. Gegen­wär­tig erhal­ten diese Bürg­er nur stille Post von den Geheim­di­en­sten, aber eines nicht so fer­nen Tages wer­den sie die Rech­nung für ihre Arglosigkeit zugestellt bekommen.</blockqutoe>
  • AfD: Ein­fache Lösun­gen, viele Fra­gen — Inland — FAZ — RT @netzpolitik: FAZ über die Bie­der­män­ner und Brand­s­tifter der AfD: Ein­fache Lösun­gen, viele Fra­gen .
  • Das paßt den Deutschen nicht, Feb­ru­ar 1968 | Schmalenstroer.net — Das paßt den Deutschen nicht, Feb­ru­ar 1968 (via Pub­lished arti­cles)
  • Kom­men­tar Grüne Wahlkampf­fehler: Das Richtige falsch verkauft — taz.de — Ulrich Schulte analysiert für die taz in meinen Augen sehr schlüs­sig und überzeu­gend, warum die Grü­nen bei der Bun­destagswahl so schlecht abschnit­ten:

    Den Grü­nen kann nun man vor­w­er­fen, dass sie zu sehr einen Arbeit­erk­lassen-Sound bedi­en­ten, der an der zufriede­nen Mitte vor­bei zielte, wie es Ex-Außen­min­is­ter Josch­ka Fis­ch­er tut. Aber man kann ihnen nicht vor­w­er­fen, sie hät­ten die falschen Konzepte entwick­elt. Ihr Pro­gramm war kom­plett gegen­fi­nanziert, es war präzise und ja, es war auch mutig.

    Das ist eine erschüt­ternde Erken­nt­nis dieser Wahl. Die Grü­nen trat­en mit dem ehrlich­sten Pro­gramm an, und sie wur­den dafür am härtesten bestraft. Eine solche Mechanik passt gut in post­demokratis­che Ver­hält­nisse, sie ist aber für eine so papierver­liebte Partei, wie es die Grü­nen sind, katas­trophal.

    Auch seinen Schlussfol­gerung: “Die Wäh­ler wollen es offen­bar nicht so genau wis­sen. Sie möcht­en nicht gequält wer­den mit Details.” ist wohl lei­der nicht falsch …

Ins Netz gegangen (27.9.)

Ins Netz gegan­gen am 27.9.:

  • Monas­tis­che Sehn­sucht? Ein Rück­blick auf die Bun­destagswahl — Digital/Pausen — Auch große Geis­ter kön­nen irren. Hans Ulrich Gum­brecht meint:

    Die CDU und die SPD ste­hen mit nur schwach nuancierten Unter­schieden für das, was in Deutsch­land schon längst und zunehmend auch im vere­in­ten Europa ohne­hin der Fall ist, näm­lich für eine Kon­fig­u­ra­tion aus his­torisch max­i­malem Schutz indi­vidu­eller Frei­heit­en und einem eben­falls his­torisch max­i­malen Grad an sozialer Sicher­heit.

    Da kann man dur­chaus auch ander­er Mei­n­ung sein …

  • Auto­trans­porter-Fall: Bun­deskrim­i­nalamt rastert 3.800.000 Auto-Kennze­ichen und 600.000 Mobil­funk-Dat­en — “Die Nor­mal­isierung der Raster­fah­n­dung mit hun­dert­tausenden betrof­fe­nen Unschuldigen ist besorgnis­er­re­gend.”
  • Le Monde diplo­ma­tique, deutsche Aus­gabe — Ulrike Her­rmann über die Eurokrise(n) und ihre Hin­ter­gründe — sehr infor­ma­tiv und span­nend, aber auch deprim­ierend …

    Die Eurokrise ist eine Krise ohne Vor­bild. Sie ist nicht nur einzi­gar­tig, weil sich 17 Staat­en in ein­er Währung­sunion vere­inigt haben — neu ist auch, dass eine eigentlich kleine Krise so katas­trophal gem­anagt wird, dass sie als größte Depres­sion aller Zeit­en enden kön­nte.

  • Gast­beitrag von Ger­hart Baum : Ich will, dass wir beißen kön­nen — Feuil­leton — FAZ — Ger­hart Baum, von 78–82 Innen­min­is­ter, wün­scht sich und fordert (auch von sein­er Partei, der FDP) mehr Bewusst­sein für die Bedro­hun­gen der Pri­vatheit und des Daten­schutzes, um die Frei­heit zu bewahren:

    Die Gren­zen zwis­chen Unschuldigen und Schuldigen, zwis­chen Verdächti­gen und Unverdächti­gen, zwis­chen Polizei und Ver­fas­sungss­chutz sind immer weit­er ver­wis­cht wor­den. Auch wir haben einen Präven­tion­sstaat aufge­baut, und der ist uner­sät­tlich. ln sein­er Logik liegt es, den Men­schen immer mehr Frei­heit zu nehmen und ihnen dafür Sicher­heit zu ver­sprechen. Am Ende kommt es gar dazu, dass sie ihre Nicht­ge­fährlichkeit beweisen müssen. Bürg­er, die überwacht wer­den oder sich nur überwacht fühlen, wer­den zögern, ihre demokratis­chen Rechte wie das Ver­samm­lungsrecht wahrzunehmen.

Taglied 29.8.2013

Wada­da Leo Smith, Mar­tin Luther King, Jr. (Auss­chnitt) — aus dem großar­ti­gen Album “Ten Free­dom Sum­mers”:

Ins Netz gegangen (2.7.)

Ins Netz gegan­gen (1.7.–2.7.):

  • Mal­lor­ca: Eimerver­bot am Baller­mann! | ZEIT ONLINE — Na so was, in Mal­lor­ca sollen Saufge­lage in der Nacht eingedämmt wer­den. Das ist natür­lich fast schon der Wel­tun­ter­gang …

    Was lassen die Sit­ten­wächter und Lärmwarte denn über­haupt noch vom mal­lorquinis­chen Urlaub­s­feel­ing übrig? Richtig: Urk­nalltüten wie Jür­gen Drews. Und solange der deutsche Schlager nicht unters Kriegswaf­fenkon­trollge­setz fällt, wird das auch so bleiben.

  • Nachricht­en und Ver­schwörungs­the­o­rien | weblogs.evangelisch.de — manch­mal ist es ganz ein­fach …:

    Kön­nte damit zu tun haben, dass Frei­heit im Gauck’schen Sinne eigentlich nur die Abwe­sen­heit von DDR meint – deshalb muss Gauck an der Frei­heit nicht mehr rum­denken, son­dern kann sie als auf Dauer gestell­ten Erfolg immer nur gerührt beklatschen; die DDR ist ja nicht mehr.

  • Tra­di­tion­shaus: Insel Ver­lag meldet Insol­venz an — Berlin­er Mor­gen­post — Manch­mal frage ich mich ja, ob die bei Suhrkamp selb­st noch durch­blick­en, wie ihr Geschäft und ihr Betrieb funk­tion­iert — oder auch nicht.

    Man muss sich das klar­ma­chen: Im Zuge eines Schachzugs, der der Öffentlichkeit als Befreiungss­chlag verkauft wer­den sollte, beantragt Suhrkamp die Insol­venz für ein mehr als hun­dert Jahre altes Tra­di­tion­sun­ternehmen.

  • Ich has­se Hans Zim­mer. Eine Tirade | Bad Blog Of Musick — Moritz Eggert hat genug von den Film­musiken aus der Werk­statt Hans Zim­mers. Und er sagt es sehr deut­lich. Und er hat natür­lich recht.

    Oder mal nicht mit diesem schwurbel­nden Ein­heitssound alles zuzuscheißen, den Du so erfol­gre­ich pro­duzierst, Du weisst schon, immer diese repetierte Mol­lakko­rd, kein­er­lei nen­nenswerte melodis­che Ein­fälle, ein­fach nur Sound, Sound, Sound, bis es einem zu den Ohren und zum Mund und zum Arsch rauskommt, immer nur dieser FASCHISTOIDE Ein­heitssound, zugek­leis­tert mit der typ­is­chen Audiospur eines heuti­gen Films, wo alles bis zum Lim­it kom­prim­iert und geboost­et ist, damit es im Kino so richtig schön kracht und man ver­gisst, dass man ein Hirn hat.

  • Neue Sendung von Gui­do Knopp — Kein Kampfgeist, dafür Grün­derzeit­dekos — Süddeutsche.de — Gus­tav Seib­st, selb­st aus­gewiesen­er His­torik­er, hat sich Gui­do Knopps neue Sendung ange­se­hen und war über­haupt nicht überzeugt oder begeis­tert:

    Knopp und die Phoenix-Mach­er hat­ten “kon­tro­verse Stand­punk­te” ver­sprochen, His­to­ry live solle “Geschichte erleb­bar machen” und “junge Zuschauer für Zeit­geschichte begeis­tern”. Das hier ließ sie in einen Mit­tagss­chlaf versinken — die jun­gen wie die alten.

Taglied 8.1.2012

Irgend­wie schwebte mir schon mor­gens, auf dem Weg zur Orgel, die Frei­heitsmusik von Max Roach im Kopf herum — schon ewig nicht mehr gehört, ist aber natür­lich als Klas­sik­er immer mal wieder wert, gehört zu wer­den.


Beim Klick­en auf das und beim Abspie­len des von YouTube einge­bet­teten Videos wer­den (u. U. per­so­n­en­be­zo­gene) Dat­en wie die IP-Adresse an YouTube über­tra­gen.

Insubordination

Selt­sam. Rafael Behr, Pro­fes­sor für “Polizei­wis­senschaften” (im Plur­al!) in Ham­burg, schreibt in der Zeit 44/2011 (S. 17, jet­zt auch online — natür­lich sofort von den erwart­baren Kom­men­tar­reflex­en über­schwemmt …) einen eigentlich recht vernün­fti­gen Text über die ange­bliche Zunahme der Gewalt gegen Polizis­ten, weist zu Recht darauf hin, dass diese Zunahme sich durch nichts bele­gen lässt und ver­weist — etwas dif­fus — auf gesellschaftlichen Wan­del, dem sich die Polizei (und ihre Aus­bil­dung) anzu­passen habe. Aber etwas ist mir mit­ten­drin aufgestoßen: Da spricht Behr auf ein­mal von “Insub­or­di­na­tion”:

Es ist also nicht die Gewalt, die den Polizis­ten Schwierigkeit­en bere­it­et, son­dern die aggres­sive Kom­mu­nika­tion der Bevölkerung, mit der es Polizei zu tun hat. Ich nenne es Insub­or­di­na­tion, ein Unge­hor­sam, der um sich greift und auf den Polizis­ten nicht gut vor­bere­it­et sind.

Und genau das offen­bart ein Teil des Prob­lems: Insub­or­di­na­tion kann es in diesem Zusam­men­hang gar nicht gegen. Insub­or­di­na­tion, also so etwas wie “Befehlsver­weigerung”, gibt es nur zwis­chen Unter­ge­ord­neten und Vorge­set­zten, im stren­geren Sinne eigentlich nur in mil­itärischen Kon­texte. Im Duden heißt es z.B.: “man­gel­nde Unterord­nung; Unge­hor­sam gegenüber [mil­itärischen] Vorge­set­zten”. Und das kann ich bei der Kom­mu­nika­tion zwis­chen Polizei und Zivilis­ten nicht ein­fach so unter­stellen — das ist ja ger­ade der Punkt: Auch im Kon­takt mit Polizis­ten ver­füge ich als Bürg­er über Frei­heit­en. Schön brav gehorchen muss ich vielle­icht (nicht ein­mal das unbe­d­ingt!) im Mil­itär, nicht aber in ein­er mod­er­nen Gesellschaft. Und auch wenn er selb­st den Rekurs auf die Zeit­en, in der der Schutz­mann (Frauen spie­len natür­lich keine Rolle hier) noch qua­si unange­focht­en über Autorität ver­fügte, zurück­weist, unter­schlägt er — wie fast alle in solchen Diskus­sio­nen — einen Punkt, den ich nicht ganz unwichtig finde: Das Auftreten heutiger Polizis­ten ist mit dem eines “Schutz­mannes” — für mich (!) eine Insti­tu­tion, die es seit 50–60 Jahren nicht mehr gibt — nicht zu ver­gle­ichen. Man muss sich nur mal die Aus­rüs­tung eines nor­malen Streifen­polizis­ten anschauen: Der ist so aus­ges­tat­tet, als ob er jeden Moment mit sehr viel Gewalt rech­net. Sicher­lich aus guten Grün­den. Oft genug schlägt sich das aber auch in der Hal­tung und in der ini­tialen Kom­munka­tion von Polizis­ten nieder — un provoziert natür­lich ganz selb­stver­ständlich eine entsprechende Abwehrhal­tung und angepasste Kom­mu­nika­tion im Gegenüber. Wenn man sich dann noch vor Augen hält, wie oft und non­cha­lant sich Polizis­ten im All­t­ag über die von ihnen gehüteten Geset­ze hin­wegset­zen (und sich natür­lich immer im Recht wäh­nen), wun­dert es mich fast, dass sie nicht mehr Gewalt erfahren …

Niedrigfrequente Musik aus Österreich

Gut, so ganz neu ist es nicht mehr. Aber manch­mal dauert es eben etwas, bis Musik aus dem Alpen­land den Weg zu mir gefun­den hat ;-). Kür­zlich bekam ich also endlich die neue Scheibe des Low Fre­quen­cy Orches­tra (LFO) in die Hände: “Mole” (bei chma­fu nocords). Es hat ja eine gute Weile gedauert, seit S aus dem Jahre 2007 (damals noch bei ein­klang records), bis die Man­nen und Frauen mal wieder was von sich hören ließen. Oder auch nicht: Denn der Kern zu Mole wurde auch schon 2007 gelegt, mit der Auf­nahme der Mole im ORF-Stu­dio — die natür­lich noch erhe­blich weit­er bear­bi­etet wurde. Dafür haben sie für Mole nun noch den mein­er­seits sehr geschätzen Kom­pon­is­ten und Organ­is­ten Wolf­gang Mit­ter­er dazuge­holt (bei dem Albumti­tel (und der entsprechen­den Cov­er-Art) müsste man wohl sagen: Ins Boot geholt.).

Was bietet die “Mole” also? Fünf slugs und eine Mole auswe­ich­lich des Track­list­ings. Die slugs sind kurze Impres­sio­nen von zwei bis vier Minuten, jew­eils von einem Mit­glied des LFO ver­ant­wortet. Die eigentliche “Mole” ist dann ein großes, halb­ständi­ges Gemein­schaftswerk. Man kann vielle­icht sagen: “S” hat­te mehr Detail­re­ich­tum, mehr Plas­tiz­ität des Klangs — zumin­d­est in der Erin­nerung auch mehr aus­geglich­ene Ruhe, die den aus­ge­feil­ten, min­i­mal­is­tis­chen Expe­di­tio­nen in unbekan­nte Klang­wel­ten erst die notwendi­ge Basis, den hil­fre­ichen Anker, einen fes­ten (Bezugs-)Punkt gaben. Ich habe ger­ade noch ein­mal nachge­hört: Die Erin­nerung trügt nicht.

Die “slugs” sind da etwas anders: schon der heftige Ein­stieg bei Angéli­ca Castel­ló, der uns vol­lkom­men unvor­bere­it­et (immer wieder …) ins kalte Wass­er schmeißt, die Unmit­tel­barkeit, mit der es hier zur Sache und um alles geht — das ist neu. Und span­nend, und über­raschend, und ganz oft uner­wartet: Es scheint fast so, als suchte LFO hier jet­zt im Raum des Klanges möglichst abrupte Wen­dun­gen. Das geht in den kurzen Stück­en ziem­lich kreuz und quer — lang­weilig ist das keines­falls. Vielle­icht liegts ja an der klein­teili­gen, konzen­tri­erten Form: Aber die Imag­i­na­tion scheint mir einige Grade wilder, ungezähmter, blühen­der zu sein als vor eini­gen Jahren. Vielle­icht daher auch der sehr diskon­tinuier­liche Ein­druck, der manch­mal verdächtig nach fehlen­dem Ziel, abwe­sen­dem Form­prinzip klingt … Wenn man aber weiß, dass das so etwas wie Vis­itenkarten oder Konzept­pa­piere der einzel­nen Musik­er sind/sein sollen, wird manch­es klar­er. Aber erstaunlich bleibt: Irgend­wie sind das fünf vol­lkom­men eigen­ständi­ge, total ver­schiedene Dinge. Und doch bilden sie dann — gle­ich im Anschluss — so etwas wie eine Ein­heit: Im Modus des LFO ist der Einzelne kaum noch zu ent­deck­en, sind Klänge udn Spiel­weisen nicht (mehr) ein­er Per­son zuzuord­nen (Auch die Instru­mente bieten da kaum Hil­festel­lun­gen — wann klin­gen sie hier schon mal alleine und pur?). Math­ias Kochs slug ist z.B. unver­gle­ich lock­er, dünnschichtig, hellscheinend und ‑sichtig. Maja Oso­jnik gibt sich grundiert­er, mod­uliert mehr als Klänge (ab- und aufzu-)brechen, lässt die Ideen schweifen. Thomas Grill ver­liert sich in den end­losen Fein­heit­en Dig­i­tal­iens ganz wun­der­bar bräsig bruzzel­nd und knis­ternd. Mati­ja Schel­lan­der schließlich verknüpft dig­i­tales und anloges Tiefen­schar­fes auf ganz bes­timmt sehr bedeu­tungsvolle Weise.

Im großen “Mole” ist das sozusagen klas­sis­ch­er: kom­plex­er vor allem zunächst mal, unge­heuer dicht geschichtet — woran Mit­ter­er auswe­ich­lich der benutzten Klangerzeuger keinen gerin­gen Anteil hat. Viel Span­nung, viel Erwartung spielt hier mit, auch der Wille zum Aus­druck und die unbezähmte Frei­heit in genau diesem brechen ganz deut­lich her­vor. Manch­mal bilden sich dann gehörg skurile Momente aus diesem Kon­glom­er­at, vor allem aber span­nende Ent­deck­un­gen. Auch der “Freude schöne Göt­ter­funken” klingt von Ferne wieder an und durch, genau wie am Schluss von “S”. Musik hören wird hier (bzw. kann!) zur Selb­st­be­fra­gung: Was hat das gewursch­tel da mit mir zu tun? Oder über­haupt mit irgend jeman­den? Was löst das aus? Was ändert das? .….… Ganz vergessen gerät dabei die sowieso blödsin­nige Frage: Was will der/die Kün­stler damit sagen? — Ver­mut­lich gar nichts, er will, dass ich was sage/denke …

Jeden­falls: Auch wenn es auf der “Mole” nicht wenige Momente der vorübergehenden/scheinbaren/täuschenden Ruhe gibt, ist Bewe­gung, Verän­derung, Fluk­tu­a­tion das Wesentlichere — wie auf ein­er Mole halt. Klar, diese Gemein­samkeit von Ruhe und Bewe­gung in ein­er Musik, das ist irgend­wie para­dox. Aber was soll’s? Wer, wenn nicht Kun­st, darf Para­doxe para­dox sein lassen? Der Hör­er muss es halt aushal­ten (diejeni­gen, die sich so etwas anhören, haben mit so etwas meist wenig Prob­leme) und irgend­wie mit­machen.

Man kann dann sagen, das sei sub­ver­sive Musik (Bad Alche­my deutet das an und ver­weist gle­icht noch auf den Maulwurf, der hier sein Unwe­sen treibe). Aber das ist doch irgend­wie egal. Denn die “Mole” von LFO und Mit­ter­er ist jeden­falls ganz sich­er Musik/Klang/Ereignis, das selb­st nur ganz wenige Kon­stan­ten ken­nt und anerken­nt, das sich die Frei­heit nimmt, frei zu sein — was in der Prax­is der Real­ität ja blöder­weise wahnsin­nig schwierig und anstren­gend ist. Dafür kann man den Musik­ern kaum genug danken: Dass sie hier — im Klang (wo auch son­st? in der Sprache geht so etwas wahrschein­lich gar nicht (mehr)) — Wege, Löch­er, Möglichkeit­en im Leben und um es herum zeigen — ob man was draus macht, bleibt jedem selb­st über­lassen …

Low Fre­quen­cy Orches­tra & Wolf­gang Mit­ter­er: Mole. Chma­fu Nocords 2010.

Juli Zeh, Corpus Delicti

… habe ich gele­sen auf der Reise von Venedig zurück nach Mainz.

Ein The­sen­ro­man. Rein­sten Wassers. Und dur­chaus ober­ster Güteklasse. Aber eben mit all den typ­is­chen Prob­le­men — Man merkt die Absicht und ist ver­stimmt (oder so ähn­lich). Nun hielt sich die Ver­stim­mung bei mir extrem in Gren­zen, weil ich dem Ziel Zehs, dem freien statt dem sicheren Men­schen voll zus­timme und stark sym­pa­thisiere. Das ändert aber wenig daran, dass der Roman — der sich im Unter­ti­tel als “Ein Prozess” aus­gibt (Gerichtsver­hand­lung und Entwick­lung — natür­lich ist bei­des gemeint … [und diese abso­lut durch­schaubare Dop­peldeutigkeit ist typ­isch für das Buch {lei­der, meines Eracht­ens, den seman­tis­che Leer­stellen sind inter­pre­ta­tiv meis­tens deut­lich ergiebiger}, das kün­st­lerisch eher mit­telmäßig ist.]) Ok, die Infor­ma­tionsver­gabe ist ganz gut gelun­gen, sie entwick­elt sich halb­wegs ungezwun­gen (am Anfang freilich mit hohem Tem­po — und bewusst auf Klarheit der mes­sage aus­gerichtet).

Worum geht’s? Um einen Staat der Zukun­ft, in dem Nor­mal­ität als Gesund­heit definiert wird (bzw ander­srum) und Krankheit demzu­folge abgeschafft ist — gesellschaftlich und pri­vat. Das bedarf natür­lich einiger Vorkehrun­gen … Jeden­falls gerät die Haupt­fig­ur, eine Biolo­gin, mit diesen staatlichen Vorkehrun­gen, genan­nt die “Meth­ode”, in Kon­flikt. Und entwick­elt sich zur Wider­ständ­lerin auf sehr eige­nen Weise, zu ein­er Art Rev­o­lu­tionärin ohne Rev­o­lu­tion. Jeden­falls zu einem Prob­lem für die “Meth­ode”, dass mit allen Mit­teln gelöst und schließlich beseit­igt wer­den muss — nicht ohne einige Ver­wick­lun­gen natür­lich. Durch die Mon­tage ver­schieden­er Ebe­nen, u.a. auch die eines Putzfrauen-Trios, wird das ganz har­monisch in sein­er Viel­stim­migkeit und Per­spek­tiv­ität. Aber nichts­destotrotz bleibt die Botschaft klar: Ohne Frei­heit ist der Men­sch kein Men­sch mehr, ist das Leben keine Leben mehr, son­dern nur noch Exis­tenz. Die mag zwar sorgen‑, schmerz- & krankheits­frei sein, aber eben ohne Leben. Die Par­al­le­len zu aktuellen Diskus­sio­nen sind wohl mehr als zufäl­lig ;-). Und auch mehr als deut­lich … Das, es klang oben ja schon an, min­dert meine Begeis­terung für dieses Buch etwas: Dass die Phan­tasie zu wenig aus­gereizt wird, die Vorstel­lungkraft zu blass scheint — auch um den Preis der etwa unvol­lkomme­nen Ver­mit­tlung der zen­tralen Textbotschaft wäre das doch etwas span­nen­der gewe­sen. Für mich zumin­d­est. Aber man kann ja nicht immer alles haben.

Juli Zeh: Cor­pus Delic­it. Ein Prozess. Frank­furt am Main: Schöf­fling 2009.

willensfreiheit — aber richtig, bitte!

endlich das merkur-heft von märz ange­gan­gen. wie so oft ste­ht das beste am anfang: ein text von jan philipp reemts­ma, das schein­prob­lem wil­lens­frei­heit. ein plä­doy­er für das ende ein­er über­flüs­si­gen debat­te. denn reemts­ma gelingt — mit zunächst erstaunlich geringem, sehr schnell aber bewun­dernd beobachtet ökonomis­chen ein­satz von gehirn­schmalz und argu­men­ta­tion, die von den neu­rolo­gen (um wolf singer und kon­sorten) angezettelte debat­te um die neu­rol­o­gis­che vorbes­tim­mung aller men­schlichen entschei­dun­gen und die damit ange­blich ein­herge­hende unmöglichkeit des kon­struk­tes, der idee ein­er per­son­alen, sub­jek­tiv­en, ich-gebun­de­nen wil­lens­frei­heit, — ja man muss sagen, abzuschmettern und mit eini­gen ver­nich­t­end genau platzierten schlä­gen auf den boden zu schick­en. wenn ich das richtig ver­standen habe, geht die argu­men­ta­tion unge­fähr so: zunächst muss man natür­lich erst mal klarstellen, was wil­lens­frei­heit ist — näm­lich die unter­stel­lung, „men­schen hät­ten auch anders han­deln kön­nen, als sie es getan haben”. das impliziert ja ger­ade die idee der ver­want­wor­tung des sub­jek­tes für seine entschei­dun­gen und v.a. tat­en, und entsprechend seine schuld­fähigkeit. der entschei­dende schritt, der reemts­ma von den schein­bar philosophis­chen argu­menten der neu­ro­bi­olo­gen tren­nt, ist nun fol­gen­der: „nichts spricht gegen die annahme, daß solche phänomene [d.h. entschei­dun­gen, gedanken, stim­mungen etc.] als hirn­vorgänge in einem neu­ro­bi­ol­o­gis­chen respek­tive bio­chemis­chen vok­ab­u­lar voll­ständig beschrieben wer­den kön­nen. nichts spricht für die annahme, daß mit der möglichkeit ein­er solchen beschrei­bung ein vok­ab­u­lar der moralis­chen oder eines der ästhetis­chen oder eines der juris­tis­chen beschrei­bung solchen ver­hal­tens über­flüs­sig würde.” und vor allem dann: „eben­sowenig spricht dafür, daß die let­zt­ge­nan­nten vok­ab­u­lar­ien das wesentliche an diesen phänome­nen erfaßten, woge­gen die ersteren nur die ‘materielle erschei­n­ungs­form’.” par­al­lel dazu weist reemts­ma natür­lich auch das kausal­ität­sar­gu­ment zurück — das lässt sich ja durch ein­fachen regress ad adsur­bum führen: „wenn alles vom urk­nall an wie eine gut gebaute lin­ie domi­nos­teine durch die jahrmil­lio­nen klap­pert, dann ist auch die art und weise, wie ernst jemand dies als argu­ment nimmt, eben­so deter­miniert wie das vor­brin­gen des argu­ments selb­st. dann ist das für-läp­pisch-hal­ten dieses argu­ments bei eini­gen eben­so notwendig deter­miniert wie das vor­brin­gen des argu­ments selb­st.” der näch­ste schritt ist nun, das libet-exper­i­ment als argu­ment für einen neu­rol­o­gis­chen deter­min­is­mus zurück­zuweisen. denn das exper­i­ment sagt ja bei genauer betra­ch­tung nur aus, dass „das bere­itschaftspo­ten­tial entste­ht, bevor die ver­suchsper­son der empfind­ung, einen entschluß gefaßt zu haben, aus­druck ver­lei­ht.” das entschei­dende hier­bei ist näm­lich, nicht aus den augen zu ver­lieren, dass „wir niemals jene momente des bewußten über­gangs, des schwanken zwis­chen mehreren möglichkeit­en” ein­er entschei­dung über­haupt erleben. der wichtige schritt von den neu­ro­bi­ol­o­gis­chen vorgän­gen zu den gedanken schafft näm­lich die neu­ro­bi­olo­gie offen­bar noch nicht, da ist noch eine — entschei­dende — lücke. wie reemts­ma nun aber zeigen kann, muss singer die „vorstel­lung eines sub­jek­tes ‘hin­ter’ den neu­ronalen prozessen, das sich ihrer gle­ich­sam bedi­ent” über­haupt erst etablieren, um es dann ach so wirkungsvoll abwehren zu kön­nen. und die ursache dieser argu­men­ta­tiv­en mis­ere sieht reemts­ma in der man­gel­haften philosophis­chen bil­dung singers. denn: „das kuriose dabei ist, daß in dieser weise ambi­tion­ierte akademik­er den anspruch der philoso­phie zunächst ernst nehmen müssen, um ihn dann vehe­ment bestre­it­en zu kön­nen.” „denn die unken­nt­nis der philosophis­chen tra­di­tion ist ja bei diesen tex­ten oft mit hän­den zu greifen.” und aus all dem fol­gt schießlich ganz unauf­dringlich: „die mod­erne hirn­forschung zeigt uns, wie wir im laufe unseres lebens zu dem wer­den, was wir sind. … wenn wir unter ‘frei­heit’ ver­ste­hen wür­den, daß men­schen han­del­ten, als hät­ten sie einge­baute zufalls­gen­er­a­toren, wür­den wir die frei­heit nicht schätzen” — „die bedeu­tung von ‘wil­lens­frei­heit’ ist niemals die unter­stel­lung, jemand könne oder solle han­deln, als wäre er nicht er selb­st oder jemand anderes.” frei­heit meint also — das ist nicht über­raschend — autonomie: „frei­heit heißt nicht han­deln, als wäre ich nicht ich selb­st, son­dern anders han­deln zu kön­nen als jemand anderes.” und dann ist die ganze neu­ro­bi­olo­gie und ihr deter­min­is­mus doch ziem­lich belan­g­los: „was tut es hinzu, zu erwäh­nen, daß dies ‘wollen’, ‘die entschei­dung’, wie immer wir es nen­nen, im gehirn stat­tfind­et? … was tut es hinzu, daß sich dies ‘wollen’, ‘die entschei­dung’, wie immer wir es nen­nen, als eine abfolge neu­ronaler prozesse beschreiben läßt? nichts.” genau, das ist es!

reemts­ma ergänzt das ganze dann noch um einige anmerkun­gen zum prob­lem der moralis­chen (und rechtlichen) ver­ant­wor­tung, der schuld — fra­gen, die ja die neu­ro­bi­olo­gen auch gerne aufw­er­fen. auch hier beste­ht reemts­ma natür­lich auf die weit­er­hin gültige voraus­set­zung der wil­lens­frei­heit: „daß jemand gehan­delt hat, wie er gehan­delt hat, beweist natür­lich über­haupt nicht, daß er nicht anders han­deln kon­nte, son­dern allein, daß er nicht anders han­deln wollte.” –> „wer meint, die neu­ro­bi­olo­gie könne das strafrecht auf ein ganz anderes wis­senschaftlich­es fun­da­ment stellen, hat das funk­tion­ieren mod­ern­er gesellschaften nicht ver­standen. denn das strafrecht ruht auf über­haupt keinem wis­senschaftlichen (oder philosophis­chen) fun­da­ment, son­dern beruht auf den unter­schei­dun­gen, die sein spez­i­fis­ches vok­ab­u­lar erlaubt, in der welt zu tre­f­fen.” und damit wäre das jet­zt auch endlich mal gek­lärt.

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