Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: diskurs

spinnennetz

Ins Netz gegangen (19.5.)

Ins Netz gegan­gen am 19.5.:

  • Im Gespräch: Timo Brandt redet mit Bertram Rei­necke | Fix­po­et­ry → bertram rei­necke gibt timo brandt lange antworten übers ver­legen, exper­i­mentelle lit­er­atur und seine eigene lyrik

    Nein, ich wollte immer bloß inter­es­sante Lit­er­atur ver­legen, solche, die irgend­was bietet, was man ander­swo nicht geboten bekommt. Ich muss nicht jedes Jahr ein Pro­gramm füllen und kann warten, was mich trifft. Darüber hin­aus ver­lege ich lieber Autoren, deren Beson­der­heit ich auch greif­bar schildern kann.
    […] Ins­ge­samt ist der Ver­dacht, dass bes­timmte alte For­men bes­timmte alte Inhalte nahele­gen, zwar nie unbe­grün­det, aber das Prob­lem erweist sich als eines, mit dem man sehr gut umge­hen kann.

  • Zum Geschäft der Lit­er­aturkri­tik heute | Voll­text → daniela strigl beant­wortet den “volltext”-fragebogen:

    Für mich per­sön­lich: die Sim­u­la­tion ein­er gesellschaftlichen Rel­e­vanz, die sie schon seit Län­gerem nicht mehr hat. Ich muss zumin­d­est so tun, als wäre die Kri­tik noch wichtig, damit ich jenes Maß an Hingabe und Ernst auf­bringe, das jed­er lit­er­arische Text grund­sät­zlich ver­di­ent. Mit­ten in dieser mir selb­st vorge­spiel­ten Wichtigkeit däm­mert mir freilich die Irrel­e­vanz meines Tuns, die wiederum eine schöne Frei­heit eröffnet. All­ge­mein betra­chtet ist die Kri­tik in ihrer Mar­gin­al­isierung natür­lich als siame­sis­ch­er Zwill­ing an die Lit­er­atur gebun­den. Der Zeit­geist hält nicht viel von Lit­er­atur und von lit­er­arisch­er Bil­dung beziehungsweise er hält sie für Luxus, ergo ent­behrlich. Das wird sich ein­mal auch wieder ändern, bis dahin lese und schreibe ich unver­drossen weit­er.

  • Smarte Mobil­ität | taz → Mar­tin Held, Man­fred Kriener und Jörg Schindler schla­gen vor, vorhan­dene, funk­tion­ierende Assis­ten­zsys­tem bei Pkw und Lkw viel stärk­er einzu­binden, um Unfälle zu ver­mei­den

    Wir haben Visio­nen vom kom­plett autonomen Auto, das ange­blich alles bess­er macht. Wir trauen uns aber nicht, nüt­zliche Assis­ten­zsys­teme auch nur in Ansätzen vorzuschreiben?

    Der oben beschriebene Ein­satz der Tech­nik wäre sofort mach­bar und würde eine heil­same Wirkung ent­fal­ten. Eben­so wäre in der Über­gangszeit ein „Mis­ch­be­trieb“ von Fahrzeu­gen mit und ohne Assis­ten­zsys­teme prob­lem­los möglich. Und noch ein­mal: In allen Fällen blieben die Frei­heits­grade beim Fahren so lange voll­ständig erhal­ten, wie die Rechtsvorschriften einge­hal­ten und keine gefährlichen Fahrmanöver ges­tartet wer­den.

  • Gestern böse, heute nor­mal | Zeit → Har­ald Welz­er über “shift­ing base­lines” (oder, um es anders zu sagen: verän­dernde diskurse)

    Shift­ing base­lines sind ger­ade in Zeit­en großer poli­tis­ch­er Dynamik ein Prob­lem, weil die Nachricht­en, Begriffe, Konzepte und Pro­voka­tio­nen so beschle­u­nigt und vielfältig einan­der abwech­seln, dass man kaum bemerkt, wie das, was gestern noch als unsag­bar galt, heute schon Bestandteil eines schein­bar nor­malen poli­tis­chen Diskurs­es ist. […] Wie bemerkt man solche Ver­schiebun­gen, und wie stemmt man sich dage­gen? Dafür gibt es kein Paten­trezept, schließlich ist man als Mit­glied ein­er Gesellschaft stets Teil ein­er sich verän­dern­den sozialen Gemein­schaft. Aber vielle­icht kann man sich darin üben, gele­gentlich “Augen­blick mal!” zu sagen, wenn einem etwas so vorkommt, als habe man es kurz zuvor nicht mal denken, geschweige denn sagen wollen. … Ein­fach mal den Rede- und Denk­fluss unter­brechen, die base­line am Ver­schieben hin­dern. Den eige­nen moralis­chen Kom­pass eichen.

  • Gedichte für alle! | NZZ Felix Philipp Ingold recht klug über die Vorteile von Lyrik, ihre Rezep­tion und Kri­tik momen­tan →

    Im Unter­schied zum Infor­ma­tion­s­ge­halt des Gedichts ste­ht seine Sprachgestalt ein für alle Mal fest, sie ist am und im Gedicht sinnlich fass­bar, ist Gegen­stand sein­er ästhetis­chen Erken­nt­nis, dies in Ergänzung oder auch in Kom­pen­sa­tion zu dem von ihm Gemein­ten. Nicht sein­er Bedeu­tung nach, aber als Laut­ge­bilde hat das Wort in jedem Fall seine eigene Wahrheit – nicht zu wider­legen, nicht zu ver­fälschen, niemals adäquat zu über­set­zen.

spinnenetz mit tautropfen

Ins Netz gegangen (8.1.)

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  • CO2-Bilanz 2016: Deutsch­land macht einen Schritt zurück | Deutsche Welle → 2016 war für Deutsch­lands Kli­maschutz ein schlecht­es Jahr. Im Ver­gle­ich zum Vor­jahr wurde sog­ar wieder mehr CO2 in die Luft geblasen. Für die Kli­maziele reicht das Tem­po der Energiewende bish­er nicht. So wird das — wie in den let­zten Jahren und Jahrzehn­ten — wieder nichts, trotz hehrer Ziele: Wenn es an die konkrete Umset­zung geht, gel­ten offen­bar auf ein­mal andere Pri­or­itäten …
  • His­torisches Erbgut: Genetis­ches Erbe der Sklaverei | Spek­trum → inter­es­san­ter text über die genetis­che unter­suchung von (wieder)gefundenen gräbern befre­it­er sklaven z.b. auf st. hele­na
  • Die post­fak­tis­che Uni­ver­sität | Zeit → bern­hard pörk­sen über das “post­fak­tis­che” zeital­ter, die prob­leme dieser diag­nose und möglichkeit­en der abhil­fe — ich bin mir nicht sich­er, ob er mit allem recht hat (z.b. scheint mir ein unter­schied zw. ide­ol­o­gis­ch­er welt­sicht und bull­shit/­post-truth zu beste­hen), aber er hat dur­chaus einige bedenkenswerte argu­mente und beobach­tun­gen

    Post­fak­tisch ist, darin beste­ht das Prob­lem, ein sach­lich falsch­er Ver­bal­aufreger, ein Symp­tom­wort des Pauschal­is­mus.
    […] Das demokratis­che Prinzip lebt ele­men­tar vom Ide­al der Aufk­lärung und von der Idee des mündi­gen Bürg­ers – bis zum abso­lut endgülti­gen Beweis des Gegen­teils. Und eine pater­nal­is­tisch regierte Wahrheitswelt kann sich bei allem Erschreck­en über das gegen­wär­tige Kom­mu­nika­tion­skli­ma nie­mand wün­schen. Was für lib­er­al gesin­nte Geis­ter bleibt, ist die manch­mal beglück­ende und manch­mal schreck­liche Sisy­phusar­beit des Diskurs­es, die nun über­all stat­tfind­en muss.

  • What if Hitler had won the war? What is Jesus had­n’t been cru­ci­fied? Who cares? | New Repub­lic → über kon­trafak­tis­che geschichtss­chrei­bung und ihren möglichen nutzen für die gegen­wart, v.a. auch eine wider­sprechende diskus­sion der ablehnen­den the­sen von richard evans
spinnennetz mit tau (unsplash.com)

Ins Netz gegangen (25.9.)

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  • Pegi­da: Wie spricht das “Volk”? | ZEIT ONLINE — there­sia enzens­berg­er wirft einen blick auf sprache und argu­men­ta­tion­s­muster der pegi­da-anhänger:

    Diskur­s­analyse? Damit Pegi­da zu begeg­nen, wäre verge­bliche Mühe. Man kann einen Pud­ding nicht an die Wand nageln. Die Sprache der Wer­bung nimmt keine Rück­sicht auf die Herkun­ft ihrer Phrasen. Ob ein Slo­gan aus der recht­en oder linken Ecke kommt, ob man sich bei Orwell oder bei Goebbels bedi­ent, spielt keine Rolle. Haupt­sache, man stiftet so viel Ver­wirrung wie möglich, steigert die poten…

  • Philosoph Gebauer über Sport-Spek­takel: „Weit weg von der Erde“ — taz.de — gunter gebauer im taz-inter­view mit eini­gen richti­gen und guten antworten:

    Ich glaube, die großen Ver­bände tun gut daran, sich Län­der zu suchen, die sportliche Großver­anstal­tun­gen so organ­isieren wollen, dass sie nicht mehr gigan­tisch sind, son­dern dass sie für die Bürg­er eine Bere­icherung darstellen und für die Entwick­lung eines Lan­des pos­i­tiv sind. Geerdet wird der Sport hinge­gen nicht mehr — der Sport ist seit einiger Zeit weit weg von der Erde. Bes­timmte Dinge wird man nicht mehr zurück­bauen kön­nen, zum Beispiel die unglaubliche Medi­en­präsenz. Damit lebt der Sport auch sehr gut, das macht seine gewaltige Sym­bo­l­ik aus, und das muss man gar nicht nur bekla­gen. Sport ist bess­er als Krieg und als Span­nun­gen zwis­chen den Län­dern, es gibt eine Art Welt­ge­spräch des Sports. Der Sport sel­ber ist in den Bere­ich von Show und Glam­our gerutscht, viele scheinen sich dort wohl zu fühlen. Der sportliche Wert selb­st wird dadurch zurückge­drängt, aber nicht entwertet.

  • Jörg Sun­der­meier: „Die Lit­er­aturkri­tik dro­ht uns allein zurück zu lassen“ — Das Son­ntags­ge­spräch — News — BuchMarkt.de — jörg sun­der­meier, chef des famosen ver­brech­er-ver­lags, ist mit dem zus­tand der lit­er­aturkri­tik in deutsch­land über­haupt nicht zufrieden:

    Alle meinen den ganzen Tag irgend­was, Mei­n­un­gen sind ja ger­ade hoch im Kurs, in den Redak­tio­nen ist immer wieder von der Mei­n­ungsstärke von Tex­ten die Rede. Aber Hal­tung zeigen wenige, denn das hieße ja die Ansicht­en von gestern auch jet­zt noch zu vertreten. Oder aber sich selb­st zu kri­tisieren, also sich infrage zu stellen, sich angreif­bar zu machen…

  • Fre­quent­ly wrong @HistoryInPics com­pa­ny gets $2 mil­lion from investors — RT @keithcalder: Here’s some more info on that shit­pile called @HistoryInPics
  • Net­zneu­tral­ität: Freie Fahrt für ein Phan­tom | ZEIT ONLINE — Fried­helm Greis ver­sucht, die deutsch-europäis­che Debat­te um Net­zneu­tral­ität und “spezial­dien­ste” nachzuze­ich­nen. So lange man dabei auf Prob­leme wie deep pack­et inspec­tion verzichtet, scheint mir das müßig
  • Archivalia: Das Mainz­er Evan­geliar der Hof­bib­lio­thek Aschaf­fen­burg (Ms. 13)
  • Pegi­da und das Abend­land — Per­ver­sion mit Sys­tem — hein­rich august win­kler ord­net den abend­land-bezug der “pegida”-truppe his­torisch ein — und spart mit nicht mit ver­weisen auf die ver­wand­schaft mit nation­al­sozioal­is­tis­chen ideen und überzeu­gun­gen und sprachge­brauch
  • Frau Meike sagt: Krautre­porter und die Suche nach der Rel­e­vanz — noch jemand, der von den krautre­portern bish­er eher mäßig begeis­ter ist: “Von The­men­vielfalt war weit und bre­it keine Spur”
  • Ver­bi­etet Handys an den Schulen!- taz.de — die taz hält es für sin­nvoll, ein totalver­bot von handys an schulen zu fordern. ich finde ja, das reicht nicht. wenn die böse jugend in den pausen immer nur in büch­er, zeitun­gen und — hor­ri­bile dic­tu — comics (d.i. graph­ic nov­els) schaut, kom­mu­niziert sie nicht mehr miteinan­der. und der stress, wenn man nicht fer­tig wird und bis zur näch­sten pause voller span­nung warten muss, wie es weit­erge­ht im text! also weg mit dem ganzen gedruck­ten unsinn!
  • James Rhodes on Twit­ter: “A black Bond? Total­ly unre­al­is­tic.
    God bless Pri­vate Eye… http://t.co/PWl2EnsaoG”
    — RT @bomani_jones: well played, i must say.

Ins Netz gegangen (8.4.)

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  • [tore­ad] Verkehr — Aufge­sat­telt und … aus­ge­bremst — Schönes Fea­ture von Car­olin Nokel bei Deutsch­landra­dio Kul­tur über Fahrad­fahren und Verkehr in der Stadt

    Rad­fahren ist gesund, verur­sacht keine Abgase und keinen Lärm. Doch Aut­o­fahrer dominieren den Verkehr, die Autolob­by die Verkehrs- und Steuer­poli­tik. Fahrrad­fre­undlichkeit zieht in den meis­ten Kom­munen und Großstädten nur im Sch­neck­en­tem­po ein.

  • Lokal? Egal! | Jak­Blog — Chris­t­ian Jaku­betz über­legt, was die momen­ta­nen Verän­derun­gen auf dem Lokaljour­nal­is­mus­markt für Gründe und Auswirkun­gen haben kön­nten:

    Tat­säch­lich gibt es keine Medi­en­gat­tung, bei der Anspruch, Wahrnehmung und Wirk­lichkeit so weit auseinan­der klaf­fen wie im Lokalen. Nie­mand käme the­o­retisch auf die Idee, Lokaljour­nal­is­mus für über­flüs­sig erk­lären zu wollen. […] Und was, wenn sich irgend­wann her­ausstellt, dass eine junge Gen­er­a­tion, die in ein­er glob­al-dig­i­tal­en Welt aufgewach­sen i…

  • (500) http://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/zeitgenossen/swr2-zeitgenossen-steffen-popp-huchel-preistraeger-2014/-/id=660664/did=12929790/nid=660664/3r4u20/index.html — »Wenn man etwas erre­ichen will im Gedicht, nützt es nicht, es auszus­prechen.« (Stef­fen Popp)
  • Krim­i­nolo­gin über den „Islam-Rabatt“: „Ehren­morde wer­den härter bestraft“ — taz.deKön­nen mus­lim­is­che Täter vor deutschen Gericht­en mit Nach­sicht rech­nen? Eine Kri­monolo­gin im Inter­view
  • Research Frag­ments: Visu­al­iz­ing the sev­en­teenth cen­tu­ry — Die deutsche Buch­pro­duk­tion im 17. Jahrhun­dert (wie sie sich in den momen­tan vorhan­de­nen VD17-Dat­en spiegelt): Mit schön­er Delle im Dreißigjähri­gen Krieg
  • [tore­ad] My Night in Soli­tary — NYTimes.com -

    If an inmate acts up, we slam a steel door on him. Ad Seg allows a prison to run more effi­cient­ly for a peri­od of time, but by plac­ing a dif­fi­cult offend­er in iso­la­tion you have not solved the prob­lem — only delayed or more like­ly exac­er­bat­ed it, not only for the prison, but ulti­mate­ly for the pub­lic. Our job in cor­rec­tions is to pro­tect the com­mu­ni­ty, not to release peo­ple who are worse than they were when they came in.

  • Über­legun­gen zur gesellschaftlichen Rel­e­vanz vasal­li­tis­ch­er Beziehun­gen in der Karolingerzeit | Mit­te­lal­ter
  • 22. Flache Geschichte | Geschichte wird gemacht -

    Was solcher­art pro­duziert wird, ist eine flache Geschichte, die keine Winkel und Kan­ten hat, keinen Wider­stand bietet, son­dern prob­lem­los unseren Erwartun­gen unter­wor­fen wird. Geschichte wird zwei­di­men­sion­al. Das ist in etwa so, als wür­den wir die Vielfalt ein­er Land­schaft mit der Land­karte ver­wech­seln, die wir von ihr ange­fer­tigt haben. Flache Geschichte ist die bequeme Möglichkeit, sich von all den Kom­pliziertheit­en und Kom­plex­itäten zu ver­ab­schieden, die eine inten­sive (und damit …

  • Ham­burg­er Hedo­nis­ten ent­tar­nen sich: „Ein reines Schaus­piel“ — taz.de — Der “Pri­vat­dozent des Hedo­nis­tis­chen Inti­tuts für ange­wandte Pop­ulis­mus­forschung” in Ham­burg über Pop­ulis­mus und die Leichtigkeit, Medi­en zu manip­ulieren:

    Natür­lich ist es kein Grund zu tri­um­phieren, zu sehen, wie weit sich der Jour­nal­is­mus von ursprünglichen Ide­alen ent­fer­nt hat. Aber genau das woll­ten wir ja auch erre­ichen, mit ein­er hanebüch­enen Geschichte und abstrusen Falschbe­haup­tun­gen in die Medi­en zu kom­men. Es ist natür­lich auch ein Spiel, das Spaß macht, wenn man sich mit e…

  • Bayreuther Man­i­fest zu Recht und Moral — Die Beyreuther Juris­ten (?) schreiben ein Man­i­fest zum Zusam­men­hang von Recht und Moral und den notwendi­gen und gewün­scht­en Ver­hal­tensweisen einiger gesellschaftlich­er Akteure

    Wenn man aber wed­er ver­rechtlichen noch moral­isieren will, muss man die Ori­en­tierung der Moral am Recht und die moralis­che Verbindlichkeit des Rechts stärken. Recht und Moral betr­e­f­fen unter­schiedliche Gel­tungssphären, die nicht fusion­iert wer­den dür­fen, näm­lich die demokratis­che und die autonome Geset­zge­bung. …

Aus-Lese #26

Wolf­gang Her­rn­dorf: Arbeit und Struk­tur. Berlin: Rowohlt 2013. 447 Seit­en.

Das Blog von Wolf­gang Her­rn­dorf, eben “Arbeit und Struk­tur”, habe ich erst recht spät wahrgenom­men und dann auch immer etwas gefremdelt. Hier, in sein­er Ganzheit, wirkt das sehr anders. Und jet­zt ist Her­rn­dorfs Weblog “Arbeit und Struk­tur” wirk­lich so großar­tig, wie es viele Rezensen­ten beschreiben. Aber nicht, weil es so beson­ders direkt und “authen­tisch” ist (das ist es nicht, es ist Lit­er­atur und sorgfältig bear­beit­et), son­dern weil es den Ein­druck von Ehrlichkeit und skruti­nös­er Selb­st­be­fra­gung ver­mit­teln kann — ger­ade in den schwieri­gen Sit­u­a­tio­nen, z.B. dem Emp­fang der Diag­nose, den Berech­nun­gen der verbleiben­den Leben­szeit. Und weil es scho­nungs­los die Schwierigkeit­en recht unmit­tel­bar darstellt. Etwa auch die Verzwei­flung, dass es in Deutsch­land kaum möglich ist, als tod­kranker Men­sch sein Lebensende wirk­lich selb­st zu bes­tim­men. Schon früh tauchen die Über­legun­gen zu ein­er “Exit­strate­gie” (79) auf. Deut­lich merkt man aber auch einen Wan­del in den drei Jahren: vom lock­eren (beina­he …) Anfang, als Her­rn­dorf sich vor allem in die Arbeit (an Tschick und Sand) flüchtet, hin zum bit­teren, harten Ende. Das man­i­festiert sich auch in der Sprache, die dichter und härter, ja kantiger wird. Natür­lich geht es hier oft um die Krankheit, den Hirn­tu­mor (die “Raum­forderung”), aber nicht nur — er beschreibt auch die kleinen Siege des All­t­ags und die Seg­nun­gen der Arbeit, die poet­is­chen Gedanken: “Arbeit und Struk­tur” dient auch als Form der Ther­a­pie, die manch­mal selb­st etwas man­isch wird, manch­mal aber auch nur Pflicht ist; ist aber zugle­ich auch eine poet­is­che Arbeit mit den entsprechen­den Fol­gen.

Ich erfinde nichts, ist alles, was ich sagen kann. Ich samm­le, ich ordne, ich lasse aus. Im Über­schwang spon­tan­er Selb­st­drama­tisierung erkennbar falsch und unge­nau Beschriebenes wird oft erst im Nach­hinein neu beschrieben. (292)

Ein großer Spaß, dieses Ster­ben. Nur das Warten nervt. (401)

Michel Fou­cault: Der Wille zum Wis­sen. Sex­u­al­ität und Wahnsinn I. Frank­furt am Main: Suhrkamp 2012 (1983). 153 Seit­en.

Den Klas­sik­er der Diskurs­the­o­rie habe ich jet­zt endlich auch mal gele­sen — nicht so sehr um des The­mas, also der Unter­suchung der Erzäh­lung der Befreiung der Sex­u­al­ität, willen, son­dern der Meth­ode willen. Fou­cault zeigt ja hier, wie Macht­struk­turen in Diskursen und Dis­pos­i­tiv­en sich real­isieren, hier am Beispiel der Sex­u­al­ität und der Entwick­lung des Sprechens über sie, also der Reg­ulierung von Sex­u­al­ität in der Neuzeit Europas. Ins­beson­dere die Ubiq­ui­tät von Macht(strukturen) ist entschei­dene, die auch nicht irgend­wie zen­tral ges­teuert sind (und gegen­teilige Ergeb­nisse haben kön­nen: “Ironie dieses Dis­pos­i­tivs: es macht uns glauben, daß es darin um unsere ‚Befreiung‘ geht.” (153)).

Entschei­dend ist hier ja Fou­caults neuer Begriff von Macht, der über den Diskurs & nicht­diskur­sive For­ma­tio­nen geprägt ist. Dazu noch die Idee der Dis­pos­i­tive als Samm­lung von Umset­zungsstrate­gien, die über Diskurse hin­aus gehen und z.B. hier auch päd­a­gogis­che oder architek­tonis­che Pro­gramme umfasst — das ergibt die Beobach­tung der Macht von “unten”, die im Geständ­nis der Sex­u­al­ität Ver­hal­tensweisen und Ord­nun­gen der Gesellschaft aushan­delt.

Mara Gen­schel: Ref­eren­zfläche #3.

Dieses kleine, nur bei der Autorin selb­st in lim­i­tiert­er Auflage zu bek­om­mende Heft ist ein einzi­gar­tiges, großes, umfassendes Spiel mit Worten und Tex­ten und Bedeu­tun­gen und Lit­er­atur oder “Lit­er­atur”: Zwis­chen Cut-Up, Mon­tage, exper­i­mentell-avant­gardis­tis­ch­er Lyrik, Ready-Mades und wahrschein­lich noch einem Dutzend ander­er Kün­ste vagabundieren die sprach­spielerischen Text‑, Sprach‑, und Wort­fet­zen, die sich gegen­seit­ig ergänzen, per­mu­tieren und vari­ieren. Einige davon sind wirk­lich im wahrsten Sinne des Wortes Fet­zen: Aus­risse aus anderen Texte, aus jour­nal­is­tis­chen oder hand­schriftlich-pri­vat­en Erzeug­nis­sen, die hier mon­tiert und gek­lebt sind. Manch­es hin­ter­lässt ein­fach Rat­losigkeit, manch­es ruft ein amüsantes Augen­brauen­heben her­vor — und manche Seite begeis­tert ein­fach. Ob das Schar­la­taner­ie oder Genial­ität ist — keine Ahnung, ehrlich gesagt. Lang­weilig ist es aber auf jeden Fall nicht.

Peter Hand­ke: Die schö­nen Tage von Aran­juez. Ein Som­mer­dia­log. Berlin: Suhrkamp 2012. 70 Seit­en.

Ich habe oft solch eine Lust, zu erzählen, vor allem diese Erfahrung — diese Geschichte. Aber sowie ich bedrängt werde mit ‚Erzähl!‘: Vor­bei der Schwung. (9)

Ein karges Stück, das allein von sein­er Sprache lebt: “Ein Mann” und “Eine Frau” sitzen sich gegenüber und führen einen Dia­log. Nun ja, sie reden bei­de, aber nicht immer miteinan­der. Offen­bar gibt es vorher vere­in­barte Regeln und Fra­gen, deren Ver­stöße manch­mal moniert wer­den. Es geht um viel — um die Geschichte und Geschicht­en, ums Erzählen und die Erin­nerung. Aber auch um Licht und Schat­ten, Anziehung, Gebor­gen­heit und Ent­frem­dung oder Ernüchterung, um Begehren und Liebe. Dahin­ter ste­ht ein spielerisch-erzäh­lerisch-tas­ten­des Aus­loten der Beziehung(smöglichkeiten) zwis­chen Mann und Frau. Das Ganze — es sind ja nur wenige Seit­en — ist poet­isiert bis zum geht nicht mehr. Genau darin aber ist es schön!

Zum Glück ist das hier zwis­chen uns bei­den kein Dra­ma. Nichts als ein Som­mer­dia­log. (43)

Laß uns hier schweigen von Liebe. Höch­sten vielle­icht ein bißchen Melan­cholie im November.(49)

Ins Netz gegangen (16.7.)

Ins Netz gegan­gen (15.7.–16.7.):

  • “Wahrschein­lich habe ich ein­fach ein Ohr dafür” — Ver­leger Engel­er über seine Liebe zur Lyrik und | The­ma | Deutsch­landra­dio Kul­tur — Gespräch mit Urs Engel­er, u.a. über gute Gedichte:

    Inter­es­sante Gedichte, die haben bei jedem Lesen neue Erleb­nisse auf Lager für uns. Es gibt ganz viele Dinge zu beobacht­en, das heißt, man muss schon sehr geduldig sein, um hin­ter diese Qual­itäten zu kom­men, aber qua­si je nach­haltiger ich beschäftigt werde durch einen Text, desto inter­es­san­ter scheint er mir, und unterm Strich würde ich dann auch sagen, desto mehr Qual­itäten scheint er mir zu haben, sprich, desto bess­er ist er.

  • 100 Jahre Tour de France | ZEIT ONLINE — Schneefall im Juli: “Die Zeit” bere­it­et ihre Tour-de-France-Reportage(n) nach dem Snow-Fall-Mod­ell der New York Times hüb­sch auf (trotz des kleinen Fehlers in der Über­schrift …)
  • 30 Jahre Spex — taz.de — Diedrich Diederich­sen im taz-Inter­view über den Jubiläums­band der “Spex” und die “Spex” über­haupt:

    Etwas war so begeis­ternd, es gibt so viel darüber zu wis­sen, man muss viel weit­er in die Tiefe gehen. Wenn man eine Güter­ab­wä­gung macht zwis­chen gelun­gener Kom­mu­nika­tion, also zwis­chen soge­nan­nter Ver­ständlichkeit und der Treue zum Gegen­stand, oder der Treue gegenüber der eige­nen Begeis­terung, bin ich für Let­zteres. Die Rezep­tion­sek­stase hat bei mir immer Vor­rang vor dem gelun­genen Kom­mu­nika­tionsvor­gang. Ein­er, der in eine Rezep­tion­sek­stase gerät, ist doch viel inter­es­san­ter zu beobacht­en als jemand, der Infor­ma­tio­nen verteilt.

  • 7 Tage — 7 Fra­gen – FIXPOETRY.com — Nora Gom­ringer beant­wortet sieben Fra­gen Ulrike Draes­ners — z.B. so:

    Die Stimme ist die Schlange im Hals.

Fortschritt und Wahrheiten

Wenn einen mal wieder die Verzwei­flung packt ob der vie­len Intol­er­anzen und Ungerechtigkeit­en unser­er Gesellschaft heute, hil­ft es manch­mal ein biss­chen in die Ver­gan­gen­heit zu schauen. Nicht um zu resig­nieren und das Ziel der Gle­ich­heit und Gerechtigkeit aus den Augen zu ver­lieren (nach dem Mot­to: Früher war es ja noch viel schlim­mer), aber um zwis­chen­durch mal wieder zu real­isieren, wie sehr sich die bun­desre­pub­likanis­che Gesellschaft in ihrem Beste­hen doch gewan­delt hat und immer wieder und weit­er wan­delt. Mir ist das ger­ade wieder aufge­fall­en, als ich einige frühe Jahrgänge der Zeitschrift “Die Neue Polizei” durch­blät­terte — ein bayrisches (später süd­west­deutsches) Mag­a­zin für die Ange­höri­gen der Polizeikräfte. Neben aller­lei tech­nis­chen Kuriositäten fällt da näm­lich immer wieder auf, wie unge­hemmt in den 1950ern noch aus­ge­gren­zt wurde. Vielle­icht — manch­es deutet darauf hin — sind die Bay­ern dabei beson­ders stark, und sicher­lich spiegelt eine Polizis­ten-Zeitschrift auch nicht unbe­d­ingt immer die Mehrheit der Gesellschaft wieder. Aber vieles ist ein­fach erschreck­end. Zum Beispiel, wie stark sich der Diskurs über “Zige­uner” und “Fahren­des Volk” noch aus den Argu­menten der 1920er und 1930er — aus der Zeit stammten auch die entsprechen­den Geset­ze — her­leit­et. Und wie die Autoren über­haupt nicht sehen, dass diese “Son­der­be­hand­lung” ganz­er Grup­pen vielle­icht nicht so ganz im Ein­klang mit dem Grundge­setz ste­hen kön­nte … Wie die “Abwe­ichung” von der “Norm” auch keine Pri­vat­sache bleibt, son­dern krim­i­nal­isiert wird. Und sei es nur auf Umwe­gen.

die Zunahme der weiblichen Homosexualität (Die Neue Polizei, 1/1950)

Die Zunahme der weib­lichen Homo­sex­u­al­ität (Die Neue Polizei, 1/1950)

Das sollte eben eigentlich nur eine kurze Ein­leitung für diesen Artikel sein, der mich selb­st in diesem eben geschilderten Umfeld etwas ver­wun­dert hat. Auf der anderen Seite ist das natür­lich wenig ver­wun­der­lich: Wieso sollen Argu­mente und Diskurse von heute auf mor­gen sich ändern, nur weil ein Krieg ver­loren wurde, ein Staat unterg­ing, Besatzer neue Regeln forcieren und ger­ade ein neuer Staat ent­standen ist? Denn alle Argu­mente, die hier auf­tauchen, sind natür­lich über­haupt nicht neu und in kein­ster Weise orig­inell. Solche Phänomene zu beobacht­en, zu erken­nen und zu ver­fol­gen, ist ein Priv­i­leg, dass His­torik­er haben. Und das wichtige daran: Es macht mir immer wieder klar, dass genau das­selbe auch für das “heute” unser­er Gegen­wart gilt, dass zukün­ftige His­torik­er sich ziem­lich sich­er über Borniertheit­en und unver­ständliche, fast atavis­tisch erscheinende Relik­te unser­er Zeit genau­so wun­dern wer­den wie ich es in diesem Fall über die 1950er getan habe. Und wenn man das mal verin­ner­licht hat, ist einem ziem­lich sich­er klar gewor­den, wie wenig absolute und dauer­hafte Wahrheit es (noch) gibt (wenn es über­haupt welche gibt). Und natür­lich auch, wie frag­würdig die Idee eines/des “Fortschritts” ist und sein muss.

Medienarchälogie bei Suhrkamp

Der Stre­it um den Suhrkamp-Ver­lag, der ja über­haupt eigentlich ein Stre­it im Suhrkamp-Ver­lag ist, kön­nte — so schwant mir dieser Tage wieder — mal ein sehr inter­es­santes Beispiel wer­den, um die Real­ität des Medi­endiskurs­es im Deutsch­land am Anfang des 21. Jahrhun­derts zu rekon­stru­ieren. Da ist zum einen natür­lich die Ver­schiebung der Rel­e­vanzen und Bedeu­tun­gen: Auch wenn der Suhrkamp-Ver­lag ohne Zweifel tolle Büch­er macht: so debat­tenbes­tim­mend wie in früheren Jahrzehn­ten der alten Bun­desre­pub­lik ist er schon lange nicht mehr. Den­noch über­stürzen sich Zeitun­gen, Feuil­letons und (Literatur-)Kritiker in der Berichter­stat­tung über den Stre­it zwis­chen den bei­den Besitzer­parteien. Beze­ich­nend ja auch, dass dieser Stre­it über­wiegend nicht im Wirtschaft­steil doku­men­tiert und/oder begleit­et wird — da müsste doch (eigentlich) der Sachver­stand der Redak­tio­nen für solche Geschehnisse und Ereignisket­ten sitzen …

Und dann ist da natür­lich noch die Art, wie berichtet wird. Sel­ten fiel mir eine der­maßen fast unbe­gren­zte Parteilichkeit ein. Man kön­nte das sehr schön schon an der Rhetorik und Begrif­flichkeit fast jeden einzel­nen Textes über die ver­schiede­nen Ebe­nen des Stre­ites unter­suchen. Dass ein Teil der Ver­lagsautoren mit rabi­at­en Begrif­f­en um sich schmeißt — geschenkt, die dür­fen ja sozusagen keine Ahnung haben (auch wenn ich es im Detail nicht ganz ver­ste­he …). Aber dass das in der “Presse” ganz ähn­lich geschieht, das wun­dert mich doch immer wieder. Vielle­icht liegt das daran, dass hier der mögliche Unter­gang eines Ver­lages zu beobacht­en und zu doku­men­tieren ist, der als Sym­bol für das ste­ht, was die Feuil­letons auch für sich in Anspruch nehmen (und was oft nur noch ein Traum ist): Der maßge­bliche Ort intellek­tueller Debat­ten der Gesellschaft (die auch noch irgendwelche Ergeb­nisse erzie­len) zu sein. Mit dem “Ver­lust” des Suhrkamp-Ver­lages wird dann überdeut­lich, dass sie sich selb­st genau­so ver­loren haben und es bish­er nur noch nicht wahrhaben woll­ten …

(Keine Links, weil ich zu faul bin, alle die notwendi­gen Beispiele her­auszusuchen. Anlass war aber dieser Artikel der “Zeit”, der Bar­lach einen “Tri­umph” unter­stellt und erst kurz vor Schluss erwäh­nt, dass Bar­lach eben offiziell im Recht ist — was übri­gens nie­mand anzuzweifeln scheint. Wie auch, die Lit­er­aturkri­tik­er ken­nen sich wohl nur sel­ten gut genug mit dem Wirtschaft­srecht aus. Beze­ich­nend auch, dass dieser Text — wie so viele — den eigentlichen Stre­i­tan­lass für diese Gericht­sentschei­dung gar nicht mehr erwäh­nt: Dass näm­lich Unseld-Berkéwicz vor dem Umzug nach Berlin einen entsprechen­den Ver­trag mit Bar­lach abgeschlossen hat …)

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