Ins Netz gegangen am 2.5.:
- Umso schlimmer für die Tatsachen | Süddeutsche → wolfgang kraushaar wirft einen instruktiven blick auf die “ergebnisse” des gedenkjahres zum 50. jubiläum von “1968”
Kaum jemand, der sich damals auf die Bewegung eingelassen hatte, dürfte so wieder aus ihr herausgekommen sein, wie er zuvor in sie hineingegangen war. Das war ein komprimierter, äußerst dynamischer Prozess, der die Einzelnen nur zu häufig grundlegend verändert hat.
Diese Bewegung war aber in ihrem Kern auch etwas völlig Neuartiges. Ihre Akteure wollten ja nicht einfach wie noch die Arbeiter- oder Gewerkschafts‑, die Friedens- oder Ostermarschbewegung durch ihren Protest Interessen verfolgen und bestimmte Ziele erreichen. Nein, sie wollten sich dabei auch selbst entwickeln, verändern, manche sogar “befreien”. Es ging 1968 zugleich auch immer um die Bewegten selbst, um ihre Bedürfnisse, ihre Wünsche, ihre Träume — in einem emphatischen Sinne um Subjektivität. Die Schalen der alten Person sollten abgeschüttelt und darunter ein neues Ich entdeckt und geborgen werden. Damit hatte sie allen Irrungen und Wirrungen zum Trotz ein Bewegungsformat geschaffen, das für andere Protestierende zum Fixpunkt wurde und an dem sich viele später orientiert haben.
- Die Scheinfreiheit der Bibel | taz → heinz-werner kubitzka erklärt, warum es falsch (und scheinheilig) ist, sich für moderne werte auf das christentum zu berufen:
Toleranz und Freiheit sind eben nicht organisch aus dem Christentum erwachsen, sondern mussten geradezu in Gegnerschaft zum Christentum verwirklicht werden. […] Befreiung findet und fand nicht mit, sondern meist gegen die Religionen statt. Moderne Werte nimmt man nicht aus alten Schriften.
- Verbale Ausschussware | Spiegel → sascha lobo verzweifelt an facebooks community-standards — und zwar ausdrücklich schon an ihrer sprachlichen verfasstheit
- Mein erster DSGVO Rant – Zu viele Mythen und gefährliches Halbwissen zum neuen europäischen Datenschutzrecht | Recht 2.0 → carsten ulbricht ärgert sich über panik und falsche informationen in bezug auf die dsgvo
Wer sich hier von der Panikmache nicht anstecken lässt, sondern sich aus vernünftigen Quellen oder bei Beratern informiert, die einen praktikablen Weg zur Umsetzung zeigen und nicht nur mitteilen, wie unsicher und riskant alles wird, der wird auch die Vorgaben der DSGVO sinnvoll umgesetzt bekommen.
- Von der Lügenpresse zur Lügenwissenschaft? | Zeitgeschichte online → andreas wirsching macht sich gedanken über den platz und die relevanz der (zeit-)geschichte in der heutigen gesellschaft:
Mit ihrem pluralen Blick auf die Vergangenheit vermeidet die Problemerzeugungsgeschichte zugleich die Fragmentierung ihres Gegenstandes entlang identitärer Abgrenzungen. Sie lässt sich daher nicht vor den Karren außerwissenschaftlicher Identitätskonstruktionsbedürfnisse spannen, sondern analysiert diese selbst als Problemhorizont der Gegenwart.
So – und wie ich meine nur so – lässt sich die Zeitgeschichte als Vorgeschichte der Gegenwart verstehen. Und als solche kann sie nicht nur, sondern sollte unbedingt ihre Stimme in der Deutung aktueller Problemlagen erheben. Gegenüber den Reduktionisten aller Couleur wirkt sie störend, aber eben das erweist ihre öffentliche Relevanz.
Und in nicht wenigen Diskussionen liegt darin auch ihre besondere Kompetenz. Historische Wissenschaften sind nämlich die einzigen Disziplinen, die gleichsam mit zwei Augen sehen. Während das eine Auge in der Zeit- und Standortgebundenheit des Wissenschaftlers haften bleibt, richtet sich das andere auf die historische Tiefe. Und erlauben Sie mir zum Schluss eine nicht ganz ernstzunehmende Weiterführung des Bildes. Denn sind nicht die rein gegenwartsorientierten Wissenschaften gleichsam die Einäugigen unter den Blinden – den blinden Zeitgenossen, die ihre Gegenwart nicht zu verstehen vermögen? Und ist es demgegenüber nicht allein die Zeitgeschichte, die mit ihren beiden Augen zusammen räumlich sehen kann. Wenn es sich so verhält, ist die Zeitgeschichte weder antiquarische noch Lügenwissenschaft und um ihre Relevanz braucht uns nicht bange zu sein.