Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: georg büchner

Ins Netz gegangen (4.11.)

Ins Netz gegan­gen am 4.11.:

  • The tragedy of James Bond — lau­rie pen­ny hat sich alte james-bond-filme angeschaut:

    The expe­ri­ence was like hav­ing your fore­brain slow­ly and labo­ri­ous­ly beat­en to death by a wilt­ing erec­tion wrapped in a copy of the Patri­ot Act: sav­age and sil­ly and just a lit­tle bit pathet­ic.

    sie bleibt aber nicht bei der per­sön­lichen abscheu, son­dern zeigt meines eracht­ens (aber ich bin ja auch kein bond-ken­ner) sehr gut, warum die bond-fig­ur (heute) prob­lema­tisch ist:

    The prob­lem with Bond is that he is sup­posed to be the good guy. He is a bor­der­line rapist who is employed by the gov­ern­ment to mur­der peo­ple – and yet he is not an anti-hero. He is just a hero. … Bond is a hero for no oth­er rea­son than that he is on our side, which is how most west­ern nations and par­tic­u­lar­ly the British come to terms with their par­tic­u­lar lega­cy of hor­ror – with a qui­et embar­rass­ment that nonethe­less knows how to defend itself by force.
    […] James Bond, more than any­thing, is a trag­ic fig­ure and his tragedy is the tragedy of white, impe­ri­al­ist mas­culin­i­ty in the 21st cen­tu­ry. It is a tragedy of irrel­e­vance that becomes all the more poignant and painful in the retelling.

  • Lau­da­tio auf Rainald Goetz von Jür­gen Kaube — FAZ — der voll­ständigkeit hal­ber noch die recht gute lau­da­tio von jür­gen kaube auf rainald goetz für den büch­n­er­preis
  • My Top 30 Fonts with the Sex­i­est Amper­sands — sehr schöne samm­lung sehr schön­er amper­sand-umset­zun­gen
  • Poli­tis­che Lit­er­atur: Gegen die herrschende Klasse | ZEIT ONLINE — ein dur­chaus inter­es­santes gespräch hat ijo­ma man­gold mit ulrich peltzer, ili­ja tro­janow & jen­ny erpen­beck über lit­er­atur und poli­tik, ver­gan­gen­heit, gegen­wart und zukun­ft geführt:

    Es gibt das Bedürf­nis der Lit­er­aturkri­tik und der Öffentlichkeit nach Wel­terk­lärung beziehungsweise nach Auf­fächerung von Erfahrun­gen, die man son­st nur aus den Medi­en ken­nt. An die Lit­er­atur wird eine Auf­gabe delegiert, die möglicher­weise nicht unbe­d­ingt eine gen­uin lit­er­arische Funk­tion ist.
    […] Das Moment von Utopie ist mit einem philosophis­chen Begriff von Geschichte ver­bun­den, und der ist uns ver­loren gegan­gen. Wir sehen uns nur noch mit der Empirie der Prob­leme kon­fron­tiert und ver­suchen, sie prak­tisch zu lösen, aber wir haben keinen Entwurf von Zukun­ft mehr, der die Erfahrun­gen der Ver­gan­gen­heit aufnehmen und ver­wan­deln würde, um zu einem anderen Begriff der Zukun­ft zu kom­men als dem, dass die Häuser gedämmt wer­den.

    sehr schön deut­lich wer­den auch die ver­schiede­nen arten, “poli­tisch” zu denken als lit­er­atin — bei peltzer z.b. immer ins philosophisch-his­torische gehend oder bei erpen­beck vom per­sön­lich-indi­vidu­ellen erleb­nis aus

  • Max Wal­len­horst: Das Darm­städter Nebeneinan­der-Sitzen – Merkur — sehr schön­er text im merku-blog von max wal­len­horst über rainald goetz & die büch­n­er­preisver­lei­hung in darm­stadt
  • Deutsche Bank: Sie nen­nen es Ster­be­haus | ZEIT ONLINE -

    Es war ein Bankraub von innen. sehr schöne reportage von marc brost & andreas veiel über macht und ver­ant­wor­tung, ethik, gier und konkur­renz auf den höch­sten ebe­nen der wirtschaft — hier am beispiel der deutschen bank (sehr schön auch, dass sie zeigen, dass das alles selb­st auf betrieb­swirtschaftlich­er ebene (von der volk­swirtschaftlichen ganz zu schweigen) unsin­nig war/ist)

  • Hin­lan­gen — Schön an Rainald Goetz’ Tex­ten ist, was Volk­er Wei­der­mann entset­zt : literaturkritik.de — markus joch über volk­er wei­der­manns selt­same volte, plöt­zlich rainald goetz abso­lut gut zu find­en — und das prob­lem dabei, vor allem bei der rel­a­tivierung in bezug auf “Johann Holtrop”, die wohl auf einem missver­ständ­nis der goet­zschen poet­ik beruht

    Gestern wet­tern, heute bejubeln ‒ ein­er immer­hin, Michael Angele vom „Fre­itag“, hat den pünk­tlichen Kur­swech­sel ver­merkt, auf Face­book. Soll man es damit bewen­den lassen? Ungern. Das Prob­lem ist, wie Wei­der­mann die Kurve kriegen will. Gebetsmüh­le­nar­tig von Inten­sität und Kraft schwär­men, aber den Aggres­sion­spegel von „Johann Holtrop“ ein biss­chen bekrit­teln, als sei er ein Aus­reißer ‒ das ist wie Willy Brandt her­vor­ra­gend find­en, bis auf Emi­gra­tion und Ost­poli­tik. Absurd, weil Inten­sität und Polemik bei Goetz natür­lich stets zusam­menge­hören.

  • Der Rei­hungskün­stler — konkret — joseph wälzholz zeigt die rhetorischen kniffe volk­er wei­der­manns (bei ein paar begrif­f­en musste ich wirk­lich über­legen …)

    Ein genialer Rhetorik­er: Nie­mand set­zt hochkom­plizierte Stilmit­tel so vir­tu­os ein wie der Feuil­leton­ist Volk­er Wei­der­mann. Eine Col­lage in 19 Motiv­en und 79 Fußnoten.

  • Vom Fehlen des Wider­ständi­gen. Weit­ere Gedanken über Fer­ney­hough. — moritz eggert über fer­ney­houghs musik und den unter­schiede zwis­chen par­ti­tur (aufre­gend, kom­plex) und klang (nicht immer über­wälti­gend …) — zu den par­ti­turen hat er kür­zlich schon etwas geblog­gt: http://blogs.nmz.de/badblog/2015/10/19/die-quadratur-der-linie-ein-neuer-blick-auf-das-werk-von-brian-ferneyhough/
  • Neon­azis: Hei­di und die Brand­s­tifter | ZEIT ONLINE — inter­es­sante, gute, pack­ende reportage von daniel müller & chris­t­ian fuchs über eine im neon­azi-fam­i­lien-milieu sozial­isierte junge frau, die sich von dieser ide­olo­gie inzwis­chen abge­wandt hat

    Sie stammt aus ein­er Fam­i­lie von treuen Nazis, als Kind wurde sie in geheimen Lagern gedrillt. Ihre früheren Kam­er­aden zün­deln heute bei NPD und Pegi­da. Hei­di Ben­neck­en­stein hat sich anders entsch­ieden.

  • Stadt Wien veröf­fentlicht pos­i­tive Shar­row-Studie | It start­ed with a fight… — die stadt wien hat an drei wichti­gen, verkehrsstarken straßen unter­sucht, wie aufge­malte fahrrad­pik­togramme (mit pfeil), die soge­nan­nten “shar­rows”, sich auch ohne weit­ere verän­derun­gen des verkehrsraums aus­ge­sprochen gün­stig für rad­fahrerin­nen auswirken:

    Diese Studie „Wirkung von Fahrrad-Pik­togram­men im Straßen­verkehr“ […] zeigt sehr pos­i­tive Ergeb­nisse: Gesteigerte Sicher­heit des Rad- und Autoverkehrs durch verbesserte Inter­ak­tion, Abnahme der Über­holvorgänge und größeren Sicher­heitsab­stand der Autos beim Über­holen.

  • 1001 Dinge | Schmalenstroer.net — eine liste von lis­ten, die man lebendig abar­beit­en “muss”, von einem lis­ten­has­s­er …
  • Warum Akif Pir­incçi aus falschen Grün­den das Richtige passierte und warum das nicht gut ist | Thomas Trappe — kluge beobach­tun­gen von thomas trappe zur wahrnehmung von und dem umgang mit rechtsextremen/rassisten etc., bei “pegi­da” und ander­swo

    Erstens: Die Gründe, warum solche Per­so­n­en kurzzeit­ig oder für immer von der Bühne ver­schwinden, sind meist triv­iales NS-Word­ing. Zweit­ens: Es trifft in aller Regel die Richti­gen. Drit­tens: Indem man es sich aber so ein­fach macht, gibt man ihnen und ihren Unter­stützern die Rolle, die sie so gerne ein­nehmen, näm­lich die des unter­drück­ten Quer­denkers. Was sie, viertens, niemals sind.

Den 20. Jänner ging Lenz durchs Gebirg.

Den 20. Jän­ner ging Lenz durchs Gebirg. Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die Täler hin­unter graues Gestein, grüne Flächen, Felsen und Tan­nen.

Es war naßkalt; das Wass­er rieselte die Felsen hin­unter und sprang über den Weg. Die Äste der Tan­nen hin­gen schw­er herab in die feuchte Luft. Am Him­mel zogen graue Wolken, aber alles so dicht – und dann dampfte der Nebel her­auf und strich schw­er und feucht durch das Gesträuch, so träg, so plump.

Er ging gle­ichgültig weit­er, es lag ihm nichts am Weg, bald auf‑, bald abwärts. Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manch­mal unan­genehm, daß er nicht auf dem Kopf gehn kon­nte.

Anfangs drängte es ihm in der Brust, wenn das Gestein so wegsprang, der graue Wald sich unter ihm schüt­telte und der Nebel die For­men bald ver­schlang, bald die gewalti­gen Glieder halb enthüllte; es drängte in ihm, er suchte nach etwas, wie nach ver­lor­nen Träu­men, aber er fand nichts. Es war ihm alles so klein, so nahe, so naß; er hätte die Erde hin­ter den Ofen set­zen mögen. Er begriff nicht, daß er so viel Zeit brauchte, um einen Abhang hin­unter zu klim­men, einen fer­nen Punkt zu erre­ichen; er meinte, er müsse alles mit ein paar Schrit­ten ausmessen kön­nen. Nur manch­mal, wenn der Sturm das Gewölk in die Täler warf und es den Wald her­auf dampfte, und die Stim­men an den Felsen wach wur­den, bald wie fern ver­hal­lende Don­ner und dann gewaltig her­an­brausten, in Tönen, als woll­ten sie in ihrem wilden Jubel die Erde besin­gen, und die Wolken wie wilde, wiehernde Rosse her­ansprengten, und der Son­nen­schein dazwis­chen durchging und kam und sein blitzen­des Schw­ert an den Schneeflächen zog, so daß ein helles, blenden­des Licht über die Gipfel in die Täler schnitt; oder wenn der Sturm das Gewölk abwärts trieb und einen licht­blauen See hinein­riß und dann der Wind ver­hallte und tief unten aus den Schlucht­en, aus den Wipfeln der Tan­nen wie ein Wiegen­lied und Glock­en­geläute her­auf­summte, und am tiefen Blau ein leis­es Rot hin­aufk­lomm und kleine Wölkchen auf sil­ber­nen Flügeln durch­zo­gen, und alle Berggipfel, scharf und fest, weit über das Land hin glänzten und blitzten – riß es ihm in der Brust, er stand, keuchend, den Leib vor­wärts gebo­gen, Augen und Mund weit offen, er meinte, er müsse den Sturm in sich ziehen, alles in sich fassen, er dehnte sich aus und lag über der Erde, er wühlte sich in das All hinein, es war eine Lust, die ihm wehe tat; oder er stand still und legte das Haupt ins Moos und schloß die Augen halb, und dann zog es weit von ihm, die Erde wich unter ihm, sie wurde klein wie ein wan­del­nder Stern und tauchte sich in einen brausenden Strom, der seine klare Flut unter ihm zog. Aber es waren nur Augen­blicke; und dann erhob er sich nüchtern, fest, ruhig, als wäre ein Schat­ten­spiel vor ihm vorüberge­zo­gen – er wußte von nichts mehr.

[…]

Er saß mit kalter Res­ig­na­tion im Wagen, wie sie das Tal her­vor nach West­en fuhren. Es war ihm ein­er­lei, wohin man ihn führte. Mehrmals, wo der Wagen bei dem schlecht­en Wege in Gefahr geri­et, blieb er ganz ruhig sitzen; er war vol­lkom­men gle­ichgültig. In diesem Zus­tand legte er den Weg durchs Gebirg zurück. Gegen Abend waren sie im Rhein­tale. Sie ent­fer­n­ten sich allmäh­lich vom Gebirg, das nun wie eine tief­blaue Kristall­welle sich in das Aben­drot hob, und auf deren warmer Flut die roten Strahlen des Abends spiel­ten; über die Ebene hin am Fuße des Gebirgs lag ein schim­mern­des, bläulich­es Gespinst. Es wurde fin­ster, je mehr sie sich Straßburg näherten; hoher Voll­mond, alle fer­nen Gegen­stände dunkel, nur der Berg neben bildete eine scharfe Lin­ie; die Erde war wie ein gold­ner Pokal, über den schäu­mend die Gold­wellen des Mon­des liefen. Lenz star­rte ruhig hin­aus, keine Ahnung, kein Drang; nur wuchs eine dumpfe Angst in ihm, je mehr die Gegen­stände sich in der Fin­ster­n­is ver­loren. Sie mußten einkehren. Da machte er wieder mehrere Ver­suche, Hand an sich zu leg­en, war aber zu scharf bewacht.

Am fol­gen­den Mor­gen, bei trübem, reg­ner­ischem Wet­ter, trat er in Straßburg ein. Er schien ganz vernün­ftig, sprach mit den Leuten. Er tat alles, wie es die andern tat­en; es war aber eine entset­zliche Leere in ihm, er fühlte keine Angst mehr, kein Ver­lan­gen, sein Dasein war ihm eine notwendi­ge Last. –

So lebte er hin …

—Georg Büch­n­er, Lenz (1835)

Revolutionär? Die Darmstädter Büchnerausstellung

“Rev­o­lu­tion mit Fed­er und Skalpell” ist die große Ausstel­lung zum 200. Geburt­stag von Georg Büch­n­er unter­titelt. Das ist bemerkenswert (weil momen­tan das Rev­o­lu­tionäre in Leben und Werk Büch­n­ers keine beson­dere Kon­junk­tur hat …) und son­der­bar, weil es die Ausstel­lung nicht wider­spiegelt. Offen­bar war die Lust nach einem grif­fi­gen Slo­gan aber größer als der Wun­sch, dem Besuch­er zu sig­nal­isieren, was ihn erwartet …

Ganz Darm­stadt büch­n­ert dafür, für die Gele­gen­heit “seinen” Dichter zu ehren. Über­all wird für ihn und vor allem die Ausstel­lung gewor­ben. Auch das übri­gens viel bunter, pep­piger und pop­piger als in den Hallen selb­st — da herrscht klas­sis­che Typogra­phie in Schwarz auf Weiß bzw. Weiß auf Schwarz vor. Son­st tun sie das ja eher nicht oder doch zumin­d­est deut­lich zurück­hal­tender. Sei’s drum …

"wir alle haben etwas mut und etwas seelengröße notwendig" - Büchner-Zitat-Installation am Darmstädter Hauptbahnhof

“wir alle haben etwas mut und etwas see­len­größe notwendig” — Büch­n­er-Zitat-Instal­la­tion am Darm­städter Haupt­bahn­hof

Im Darm­stadtium hat die ver­anstal­tende Mathilden­höhe mit der Ausstel­lung Raum gefun­den, Georg Büch­n­er zu erin­nern und zu verge­gen­wär­ti­gen. Wobei Raum schon schwierig ist — das sind offen­bar ein paar Eck­en, die bish­er ungenutzt waren, ver­winkelt und ver­schachtelt — was der Ausstel­lung nur mäßig gut­tut, Über­sicht oder logis­che Abläufe oder auch bloße Entwick­lun­gen gibt es hier wenig.

Was gibt es aber in der Ausstel­lung zu erfahren und zu sehen? Zuerst mal gibt es unheim­lich viel zu sehen — und viele schöne, span­nende Sachen. Zum Beispiel das nachge­baute Wohnz­im­mer der Büch­n­ers — nicht rekon­stru­iert, aber schön gemacht (schon die Wände haben mir gefall­en). Sehr schön auch die Rekon­struk­tion sein­er let­zten Woh­nung in Zürich (Spiegel­gasse 12 — ganz in der Nähe wird später auch Lenin resi­dieren), seines Ster­bez­im­mers (zwar hin­ter Glas, aber den­noch sehr schön). Auch die Büchner’sche Haar­locke darf natür­lich nicht fehlen.

Büchner auf der Treppe zur Ausstellung (keine Angst, der Rest der Ausstellung ist nicht so wild ...)

Büch­n­er auf der Treppe zur Ausstel­lung (keine Angst, der Rest der Ausstel­lung ist nicht so wild …)

Über­haupt, das kann man nicht oft genug beto­nen: Zu sehen gibt es unendlich viel: Unzäh­lige Stiche, Radierun­gen, Bilder — von Darm­stadt und Straßburg vor allem. Gießen zum Beispiel ist extrem unter­repräsen­tiert. Und natür­lich gibt es Texte über Texte: Schriften, die Büch­n­er gele­sen hat, die er benutzt hat, die er ver­ar­beit­et hat — sie tauchen (fast) alle in den enst­prechen­den Druck­en der Büch­n­erzeit hier auf, von Shake­speare bis zu den medi­zinis­chen Trak­tat­en, von Descartes bis Goethe und Tieck.
Auch Büch­n­er selb­st ist mit seinen Schriften vertreten — naturgemäß weniger mit Druck­en — da ist außer “Danton’s Tod” ja wenig zu machen -, son­dern mit Hand­schriften. Die sind in der Ausstel­lung zwar reich­lich in Orig­i­nalen zu bewun­dern, aber Tran­skrip­tio­nen darf man nicht erwarten. Und lesen, das ist bei Büch­n­ers Sauk­laue oft nicht ger­ade ein­fach. Zumal mir da noch ein ander­er Umstand arg aufgestoßen ist: Die Exponate in der (aus kon­ser­va­torischen Grün­den) sehr dämm­ri­gen Ausstel­lung sind in der Regel von schräg oben beleuchtet — und zwar in einem sehr ungün­sti­gen Winkel: Immer wenn ich mir einen Brief an oder von Büch­n­er genauer betra­cht­en wollte, um ihn zu entz­if­fern, stand ich mir mit mein­er Rübe selb­st im Licht.

Son­st bietet die Ausstel­lung so ziem­lich alles, was mod­erne Ausstel­lungs­plan­er und ‑bauer so in ihrem Reper­toire haben: Pro­jek­tio­nen, Mul­ti­me­di­ain­stal­la­tio­nen, Ani­ma­tio­nen, überblendete Bilder, eine Art Nachrich­t­entick­er (der schw­er zu bedi­enen ist, weil er dazu tendiert, in irrem Tem­po durchzurasen), mit Vorhän­gen abge­tren­nte Sep­a­rées (während das beim Sezieren/der Anatomie unmit­tel­bar Sinn macht, hat mir das ero­tis­che Kabi­nett ins­ge­samt nicht so recht ein­geleuchtet …) und sog­ar einen “Lenz-Tun­nel” (von dem man sich nicht zu viel erwarten darf und sollte). Der let­zte Raum, der sich der Rezep­tion der let­zten Jahrzehnte wid­met, hat das übliche Prob­lem: So ganz mag man die Rezep­tion nicht weglassen, eine verün­ftige Idee dafür hat­te man aber auch nicht. Da er auch deut­lich vom Rest der Ausstel­lung getren­nt ist und qua­si schon im Foy­er liegt, ver­liert er zusät­zlich. Viel span­nen­des gibt es da aber eh’ nicht zu sehen, so dass man dur­chaus mit Recht hin­durcheilen darf (wie ich es getan hab — Wern­er Her­zog kenne ich, Alban Berg kenne ich, Tom Waits auch, die Her­bert-Gröne­mey­er-Bear­beitung von “Leonce und Lena” sollte man sowieso mei­den …).

Bei manchen Wer­tun­gen bin ich naturgemäß zumin­d­est unsich­er, ob das der Wahrheit let­zter Schluss ist — etwa bei der Beto­nung der Freude und des Engage­ments, das Büch­n­er für die ver­gle­ichende Anatomie entwick­elt haben soll — was übri­gens in der Ausstel­lung selb­st schon durch entsprechende Zitate kon­terkari­ert wird und in mein­er Erin­nerung in Hauschilds großer Büch­n­er-Biografie nicht von unge­fähr deut­lich anders dargestellt wird. Unter den Experten und Büch­n­er-Biografen schon immer umstrit­ten war die Rolle des Vaters — hier taucht er über­raschend wenig auf. Über­haupt bleibt die Fam­i­lie sehr im Hin­ter­grund: Sie bietet nur am Anfang ein wenig den Rah­men, in dem Georg aufwächst — mehr Wert als auf die Fam­i­lie und per­sön­liche Beziehun­gen über­haupt legt die Ausstel­lung aber auf Erfahrun­gen und Rezep­tio­nen von Kun­st (Lit­er­atur, The­ater, Gemälde und andere mehr oder weniger muse­ale Gegen­ständlichkeit­en) und geo-/to­pographis­chem Umfeld.

Nicht zu vergessen sind bei den Exponat­en aber die kür­zlich ent­deck­te Zeich­nung August Hoff­mann, die wahrschein­lich Büch­n­er zeigt. Auch wenn ich mir dabei wiederum nicht so sich­er bin, dass sie das Büch­n­er-Bild wirk­lich so radikal verän­dert, wie etwa Ded­ner meint (in der Ausstel­lung wird sie nicht weit­er kom­men­tiert). Und die erste “echte” Guil­lo­tine, die ich gese­hen habe, auch wenn es “nur” eine deutsche ist.

Gestört hat mich ins­ge­samt vor allem die Fix­ierung auf den Audio­gu­ide — ich hätte gerne mehr Text an der Wand gehabt (zum Beispiel, wie erwäh­nt, die Tran­skrip­tio­nen der Hand­schriften — die muss man mir nicht vor­lesen, da gibt es wesentlich ele­gan­tere Lösun­gen, die ein­er Ausstel­lung über einen Schrift­steller auch angemessen­er sind). Zumal die Sprech­er manch­mal arg gekün­stelt wirken.

Und wieder ist mir aufge­fall­en: Büch­n­er selb­st ist fast so etwas wie das leere Zen­trum der Ausstel­lung (auch wenn das jet­zt etwas über­spitzt ist). Es gibt hier unheim­lich viel Mate­r­i­al aus seinem näheren und weit­eren Umkreis, zu sein­er Zeit­geschichte und sein­er Geo­gra­phie — aber zu ihm selb­st gar nicht so viel. Das ist natür­lich kein Zufall, son­dern hängt eben mit der Über­liefer­ungs- und Rezep­tion­s­geschichte zusam­men. Aber als Panora­ma des Vor­märz im Großher­zog­tum Hes­sen (und Straßburg) ist die Ausstel­lung dur­chaus tauglich. Jet­zt, wo ich darüber nach­denke, fällt mir allerd­ings auf: Wed­er “Vor­märz” noch “Junges Deutsch­land” sind mir in der Ausstel­lung begeg­net. Von der Ein­bet­tung sollte man sich auch über­haupt wed­er in lit­er­aturgeschichtlich­er noch in all­ge­mein­his­torisch­er Hin­sicht zu viel erwarten: Das ist nur auf Büch­n­er selb­st bezo­gen, nachträgliche Erken­nt­nisse der Forschung oder nicht von Büch­n­er selb­st explizierte Zusam­men­hänge ver­schwinden da etwas.

Und noch etwas: eines der über­raschend­sten Ausstel­lungsstücke ist übri­gens Rudi Dutschkes Han­dex­em­plar der Enzens­berg­er-Aus­gabe des “Hes­sis­chen Land­boten”, mit sehr inten­siv­en Lek­türe­spuren und Anmerkun­gen …

Hoch geht's zu Büchner

Hoch geht’s zu Büch­n­er

Aber dass der Kat­a­log — ein gewaltiger Schinken — die Abbil­dun­gen aus irgend ein­er ver­sponnenen Design-Idee alle auf den Kopf gestellt hat, halte ich gelinde gesagt für eine Frech­heit. Ein Kat­a­log ist meines Eracht­ens nicht der Platz für solche Spiel­ereien (denen ich son­st ja über­haupt nicht abgeneigt bein), weil er dadurch fast unbe­nutzbar wird — so einen Brock­en mag ich eigentlich nicht ständig hin und her drehen, so kann man ihn nicht vernün­ftig lesen.

Aber trotz­dem bietet die Ausstel­lung eine schöne Möglichkeit, in das frühe 19. Jahrhun­dert einzu­tauchen: Sel­ten gibt es so viel Aura auf ein­mal. Die Ausstrahlung der Orig­i­nale aus Büch­n­ers Hand und der (Druck-)Erzeugnisse sein­er Gegen­wart, von denen es hier ja eine fast über­mäßige Zahl gibt, ist immer wieder beein­druck­end — und irgend­wie auch erhebend. Fast so ein­drück­lich übri­gens wie die Lek­türe der Texte Büch­n­ers selb­st — dadrüber kommt die Ausstel­lung auch mit ihrer Masse an Exponat­en nicht.

Aus-Lese #18

Tobias Prem­per: Durch Bäume hin­durch. Göt­tin­gen: Stei­dl 2013. 93 Seit­en.

Und schon wieder kurze Prosa ohne Gat­tung: Szenen, Ein­fälle, … — Vignetten fasst das wohl am besten zusam­men. Prem­per sam­melt hier Absur­des, Groteskes, Komis­ches, Phan­tastis­ches unge­heuer verdichtet. Nur sel­ten ist ein Text eine ganze Seite (oder mehr) lang. Das ist vor allem eines: irrsin­nig amüsant. Dabei ist das aber über­haupt nicht hirn­los, denn in der Kürzest-Prosa über Bäume und Men­schen, über Nor­mal­ität und das Leben, über Träume und Erschei­n­un­gen, wun­der­same Beg­nun­gen, Abnor­mal­itäten als Grund­stim­mung, Nor­mal­ität als Aus­nahme steck­en alles großen Fra­gen — selb­st wenn das als “Szene aus dem wirk­lichen Leben” über­schrieben ist. Vor allem zeigt Prem­per aber immer wieder die Absur­dität der Banal­ität des All­t­ags, des ganz nor­malen Lebens mit seinen unzäh­li­gen, immer gle­ichen Hand­lun­gen, Momenten und Erfahrun­gen. Ein wirk­lich großar­tiges Vergnü­gen!

“Warum mann Büch­er machen muss”: Weil man son­st wieder Frauen ver­bren­nt und Schafe fickt. (38)

Moritz Rinke: Wir lieben und wis­sen nichts. Rein­bek: Rowohlt 2013. 124 Seit­en.

Wir lieben und wis­sen nichts ist ein nettes Kam­mer­spiel über mod­erne Paare, über Liebe, Beziehung, Kom­mu­nika­tion und den ganzen Rest — eine Vari­a­tion eines bekan­nten The­mas also:

Kann man zusam­men­bleiben, wenn man sich die Wahrheit sagt? (121)

Ganz geschickt gemacht ist das, und gut ver­packt — da merkt man die Erfahrung Rinkes. Und natür­lich spie­len auch und vor allem die Zumu­tun­gen des (post-)modernen Kap­i­tal­is­mus eine wesentliche Rolle: “[…] ich glaube, die Liebe ist irgend­wann mit dem Kap­i­tal­is­mus zusam­mengestoßen und dabei kaputtge­gan­gen.” (112)

Peter Salomon: Die Jahre liegen auf der Lauer. Neue Gedichte. Eggin­gen: Edi­tion Ise­le 2012. 90 Seit­en.

Lei­der fand ich den Band nicht ganz so span­nend, wie die Rezen­sion erwarten ließ. Salomon schreibt hier vor allem so etwas wie erzäh­lende Gedichte: Viele “intak­te” Sätze, die nur behut­sam umge­brochen und so in die lyrische Form gebracht wer­den. Es geht viel ums Erin­nern, viele Madeleines, und viel alte BRD tauchen hier auf, aber auch viel Glück — das aber nie dauer­haft und sich­er ist: “Ich ging nach Hause, ich glaube / Glück­lich — ” (66) schließen die “Momente des Glücks”, die genau so einen Moment des Endens der Ver­gan­gen­heit, des Nieder­legens eines alten Gebäudes aufzeigen. Genau dieser das Ende offen lassende, andeu­tende Gedanken­strich beschließt nicht wenige sein­er Gedichte (“Es war, als gäbe es nie ein Ende — ” (71)) Vieles ist hier ganz nett, aber berührt mich nicht sehr nach­drück­lich: Vielle­icht ist es deshalb für mich nicht so span­nend, weil Salomon der Kraft und Gestalt der “nor­malen” Sprache weit­ge­hend ver­traut — ich bevorzuge momen­tan Lyrik­er, die Sprache sozusagen gegen den Strich bürsten, wesens­fremd ver­wen­den — und daraus Bedeutung(en) erzeu­gen. Das passiert hier nicht.

Das Buch als Mag­a­zin #2: Woyzeck

Sehr schön und inspiri­erend: Gute grafis­che Gestal­tung, vor allem span­nende und anre­gende Fotografien. Und natür­lich auch inter­es­sante, fes­sel­nde Texte. Zum Beispiel das wun­der­bare Inter­view mit ein­er psy­cha­trischen Oberärtztin …

Georg Büch­n­er: Lenz. Her­aus­gegeben von Eva-Maria Ver­ing and Wern­er Wei­land. Darm­stadt: Wis­senschaftliche Buchge­sellschaft 2001 (=Sämtliche Werke und Schriften. His­torisch-kri­tis­che Aus­gabe mit Quel­len­doku­men­ta­tion und Kom­men­tar (Mar­burg­er Aus­gabe), Band 5).

Ein Klas­sik­er, natür­lich … Ein biss­chen Büch­n­er-Lek­türe muss zu seinem 200. Geburt­stag auch unbe­d­ingt sein. Der Lenz fes­selt mich immer wieder: Die Inten­sität und die gewaltige Sprache der Erzäh­lung finde ich faszinierend. Auch wenn mir dieses Mal sehr aufge­fall­en, wie “unfer­tig” der Text eigentlich ist …

Diet­mar Dath: Kleine Polizei im Schnee. Erzäh­lun­gen. Berlin: Ver­brech­er 2012. 236 Seit­en.

Kleine Polizei im Schnee ist ein typ­is­ch­er Dath. Natür­lich ist das (wieder) eine Mis­chung aus Sci-Fi, Dys- & Utopie, Gegen­warts­beschrei­bung & ‑kri­tik, phan­tastis­ch­er und real­is­tis­ch­er Lit­er­atur (sein Marken­ze­ichen und eine sein­er besten Qual­itäten — der größte Stilist ist er schließlich nicht …). Untyp­isch ist nur die kleine, kurze Form von sehr unter­schiedlich­er Länge, die seinen Kos­mos etwas zugänglich­er wirken lassen als die großen Schinken. Dabei ist zugänglich aber rel­a­tiv. Denn wieder prä­gen Verknüp­fun­gen kreuz und quer diese Texte (die eigentlich einen großen Text bilden). Es gibt also viel zu entwirren: Dath prak­tiziert ein sehr faszinieren­des Erzählen aus ver­schiede­nen Rich­tun­gen. Man kann (und darf) das dann wie ein Puz­zle zusam­menset­zen. Die einzel­nen Teile sind aber auch schon sehr schön, so dass es nicht so schlimm ist, wenn das Puz­zle nicht ganz fer­tig wird ;-). (Daths Werk gibt mal viel Arbeit für fleißige Ger­man­is­ten, mit all seinen intra- und inter­textuellen Allu­sio­nen und Bezü­gen, v.a. inner­halb seines eige­nen Werkes …)

Kon­se­quenz ist näm­lich noch schön­er als Erfolg. (167)

Büchner 200

Zum 200. Geburt­stag von Georg Büch­n­er geht es rund — nicht nur wegen der neuem Biogra­phie von Her­mann Kurzke (ich habe sie noch nicht gele­sen, ver­mute aber, dass sie auf­grund des Ver­fassers und sein­er stilis­tis­chen Fähigkeit­en wahrschein­lich mehr gele­sen wird als die maßge­bliche von Hauschild (auch wenn ich mit Kurzkes Meth­od­es des fröh­lichen Zirkelschließens zwis­chen Leben und Lit­er­atur und Leben schon bei Thomas Mann so meine Prob­leme hat­te und aus mein­er Tex­tken­nt­nis etwas skep­tisch bin ob der Auf­fas­sung Büch­n­ers als vor allem christlichen Autor …)), außer­dem stürzen sich natür­lich auch die Medi­en auf das Jubiläum. Lustig fand ich wieder die “Zeit”, die ihren nicht schlecht­en, aber auch nicht beson­deren Text von Elis­a­beth von Thad­den schon eine Woche zu früh brachte — obwohl doch der 17. Okto­ber ger­ade ein Don­ner­stag ist. Aber das gehört ja inzwis­chen zur Medi­en­mechanik, alle Jubiläen möglichst früh und damit möglichst vor allen anderen zu feiern (bei Kom­pon­is­ten, die ja immer ein ganzes Jahr — Wag­n­er, Ver­di, … — bekom­men, ist es wesentlich schlim­mer).

Vielleicht Georg Büchner? - Philipp August Joseph Hoffmann (1833) (Quelle: Commons

Vielle­icht Georg Büch­n­er? — Philipp August Joseph Hoff­mann (1833) (Quelle: Com­mons)

Büch­n­er ist ja ein Autor, den man gut feiern kann: Die Texte sind kanon­isiert, es sind nicht so viele und die meis­ten auch gar nicht so lang — da kann jed­er mitre­den ;-). Und sie bieten auch vielfältige Anschlussmöglichkeit­en in alle möglichen Rich­tun­gen — vom poli­tis­chen Agi­ta­tor über den Lust­spielau­tor zum psy­chisch inter­essierten Erzäh­ler und dem medi­zinis­chen Wis­senschaftler ist für jeden Geschmack etwas dabei …

Schön gewor­den finde ich aber auch die zweite Aus­gabe von “Das Buch als Mag­a­zin”, die sich mit dem “Woyzeck” beschäftigt und wieder dem Konzept treu bleibt: Vorne den Orig­inal­text (was hier ja ein biss­chen schwierig ist, weil der Woyzeck nur als Frag­mentsamm­lung über­liefert ist), danach jour­nal­is­tis­che Text zu ver­schiede­nen nah oder fern liegen­den Aspek­ten bringt — und das ganze schick gemacht dazu.

Und wo wir schon beim Woyzeck sind: Arte hat eine Fernse­hver­sion des Woyzeck drehen lassen (in der Mediathek noch ver­füg­bar), für die Nuran David Calis die Hand­lung in den Kiez von Berlin ver­legt. Das ist vielle­icht keine geniale Leis­tung, hat aber sehr schöne Momente. Nicht zulet­zt dank Tom Schilling und Nora von Wald­stät­ten, dank der schö­nen Bilder und vor allem dank der geschick­ten Soundgestal­tung. Gewiss, Über­raschun­gen bietet das keine, ist mir aber als respek­tvolle Aneig­nung eines klas­sis­chen Textes pos­i­tiv aufge­fall­en.

Die Darm­städter Ausstel­lung — “Georg Büch­n­er. Rev­o­lu­tionär mit Fed­er und Skalpell — habe ich noch nicht gese­hen, das kommt aber dem­nächst auch noch — mal sehen, ob ich da noch etwas Neues und/oder Inter­es­santes find­en kann …

Aber am besten feiert man einen Dichter natür­lich durchs Lesen. Am Woch­enende ist wieder der Lenz dran, dann nehme ich mir die wun­der­schöne Edi­tion der Mar­burg­er Aus­gabe noch ein­mal vor.

Spiegelgasse

… ein geschicht­strächtiges Pflaster in Zürich: In der Haus­num­mer 12 wohnte Georg Büch­n­er in den let­zten Monat­en bis zu seinem Tod 1837:

Büch­n­ers Haus­num­mer in Zürich

Und nebe­nan knapp hun­dert Jahre später Lenin:
Spiegelgasse 14 - Lenins Wohnung in Zürich

Spiegel­gasse 14 — Lenins Woh­nung in Zürich

Und jet­zt sin­gen die Ein­stürzen­den Neubaut­en davon, im wun­der­baren “Let’s do it a dada” auf “Alles wieder offen”:

Ich spielte Schach mit Lenin
Zürich, Spiegel­gasse
Ich kan­nte Jolifan­to höch­st­per­sön­lich
hab mit dem Urtext selb­st ein­mal gebadet
Ich spielte mit Anna
Ich spielte mit Han­nah
Ich weiss wo der Kirch­turm ste­ht
Ich reichte ihr das Küchen­mess­er
Ich kochte ihr den Leim

und zum Nach­hören:


Beim Klick­en auf das und beim Abspie­len des von YouTube einge­bet­teten Videos wer­den (u. U. per­so­n­en­be­zo­gene) Dat­en wie die IP-Adresse an YouTube über­tra­gen.

(angeregt vom Adress­comp­toir)

Ins Netz gegangen (24.6.)

Ins Netz gegan­gen (24.6.):

  • Inter­net-Überwachung — Touris­ten als unhy­gien­is­che Ter­rorverdächtige — Süddeutsche.de — Jörg Häntzschel über die unmäßige Angst vor dem Ter­ror­is­mus und die Fol­gen für uns alle …

    Ver­führt von der Macht, die die geheimen Überwachungsap­pa­rate ihm ver­lei­hen, und voller Angst, dass man ihm Ver­harm­lo­sung vor­w­er­fen kön­nte, wenn es doch ein­mal zu einem Anschlag kom­men sollte, zwingt ihn die von ihm selb­st ange­fachte Ter­ro­rangst dazu, sie weit­er zu schüren.
    Spätestens in diesem Moment, wo Touris­ten und Geschäft­sleuten wie unhy­gien­is­che Verdächtige behan­delt wer­den, sollte auf­fall­en, dass die Ter­rorhys­terie nicht dem aus Hol­ly­wood bekan­nten Muster Wir gegen die Anderen fol­gt. Die Ter­ro­rangst taugt nicht zur Selb­stver­sicherung, sie stellt bis hin­auf zum Präsi­den­ten alle unter Ver­dacht.

  • Peer Stein­brück: Trä­nen lügen nicht — FAZ — Volk­er Zas­trow, ein­er der besten Autoren der FAZ, zeigt das “Prob­lem” des Kan­zlerkan­di­dat­en Peer Stein­brück in voller Schärfe:

    Er war noch gar nicht in der Küche, wie man immer dachte. Jeden­falls nicht am Herd, nicht in der stärk­sten Hitze. Einen Wahlkampf zu ver­lieren, bedeutet nicht nur das Abwrack­en eines Anspruchs, son­dern auch die Dekon­struk­tion der Per­son — jeden­falls ihrer sozialen Schale, jen­er dün­nen Schicht zwis­chen dem Ich und den Anderen, in der übere­in­stimmt, wie jemand gese­hen wird und wie er gese­hen wer­den will. Auf dem Parteikon­vent sollte sie wieder­hergestellt, es sollte gezeigt wer­den, dass Stein­brück ganz anders ist, als er jet­zt scheint. Man wollte ihn „als Men­sch“ vorstellen. Ange­blich ist sein ganzes Prob­lem, dass er nur noch als knor­riger, kantiger, kauziger, kotzen­der Kerl dargestellt und wahrgenom­men wird.

  • Möglich­es Büch­n­er-Porträt: Piraten­ber­atung — FAZ — “Büch­n­er, ein sin­gen­der Pirat?” — über das kür­zlich aufge­fun­dene Porträt, das August Hoff­mann 1833 geze­ich­net hat — und das vielle­icht Georg Büch­n­er zeigt oder auch nicht …

dunkle bilder und düstere texte

das soll jet­zt nicht den ein­druck erweck­en, bei peter schüne­manns kleinem, aber feinem band mit erzäh­lun­gen: dun­kles bild (münchen: hanser 2005) han­dele es sich um depres­sive prosa. aber die erfahrung der dunkel­heit in ver­schiede­nen graden, der düster­n­is (ger­ade im kon­trast mit den auf­scheinen­den licht(blitzen)) ist doch ein pär­gen­des ele­ment dieser drei her­rlichen texte. ihre dunkel­heit, sprach­macht und ja, auch ihre men­schen­liebe, sowie natür­lich ihre bildlichkeit erin­nern mich teil­weise (v.a. im dun­klen bild) doch recht deut­lich an texte von christoph rans­mayr, beson­ders dessen let­zte welt.

zwei texte haben mich beson­ders beein­druckt: zunächst der die samm­lung eröff­nen­den und titel­gebende, dun­kles bild. schüne­mann erzählt in andeu­tun­gen, sorgfältig ges­teuerte infor­ma­tionsver­gabe (d.h. vor allem infor­ma­tion­skon­trolle: das ist ein­er dieser ganz sel­te­nen texte, die nur ganz wenig und nur ganz allmäh­lich mit­teilen, aber den­noch unge­heuer lebendig und faszinierend sind), der erzählt also von einem maler, der vorüberge­hend (die gründe und umstände sind nicht so ganz klar), ein blindes kind bei sich aufgenom­men hat. zusam­men erfahren sie vor allem die kälte (und den man­gel über­haupt). der maler ist auf der suche, auf der reise zu einem unge­mal­ten und unge­se­henen bild – er wird es erst im moment seines selb­st­mordes erken­nen, der so zu einem wahren und wirk­lichen moment der erlö­sung und der schau der reinen wahrheit (was natür­lich auch einen anspielung auf novalis, der jüngling zu sais, ist) wird (übri­gens ist der tod (absichtlich her­beige­führt oder nicht) zen­trales motiv von schüne­manns erzäh­lun­gen): „dann ließ ich los; un in der ver­hal­len­den sekunde sah ich endlich das bild, es waren nicht mehr die kalten augen der stat­uen, jahrtausendalt, es war das kleine gesicht, weiß, die ver­bran­nte hoff­nung in der licht­losen nacht, nur sehr fern und allein das zarte leucht­en in der tiefe sein­er augen, das bild nun, nach dem ich geforscht, und der leise laut, der micht im sturz noch traf. “ (24)

im zitat wird die qual­ität der schüne­mannschen prosa schon ziem­lich deut­lich: expres­sion­is­tisch bee­in­flusst, man kön­nte es fast eine bilderorgie nen­nen. die sprache lebt von der kraft ihrer bildlichkeit, d.h. ihrer meta­phern und ver­gle­iche. beson­ders in der massierung wirkt das ger­ade in dun­kles bild unge­heuer konzen­tri­ert – obwohl diese erzäh­lung nur ein kurzes stück ist, so ist sie doch von fes­sel­nder, unbezwun­gener und ungezähmter, also unmit­tel­bar­er kraft. allerd­ings eben nicht so, wie das im moment eher zeit­gemäß wäre, als schein­bare real­ität­sna­he, unmit­tel­bare sprache ohne stil­willen. ger­ade der enorme stil­willen, die enorme geformtheit der sprache, der worte und ihrer verknüp­fun­gen zu sätzen und absätzen, ist es erst, was mich beim lesen so unge­heuer fes­selt. dazu kommt dann die bere­its ange­sproch­ene reiche metaphorik und die post­fig­u­ra­tive motivik.

die treibt vor allem in der zweit­en erzäh­lung, zwieland. eine büch­n­er suite, ihre spielchen mit dem leser. denn dieser text ist bis zum überquellen vollgestopft mit anspielun­genen, wieder­auf­nah­men, abwan­del­n­dem auf­greifen von bes­timmten for­mulierun­gen, motiv­en, ideen aus büch­n­ers tex­ten – aus dem dan­ton, aus leonce und lena, natür­lich aus dem lenz, aber auch aus den briefen und vielem anderen mehr. die erzählsi­t­u­a­tion ist recht ein­fach: eine betra­ch­tung der let­zten tage georg büch­n­ers. der autor liegt mit faulfieber in sein­er eige­nen vari­ante der matrazen­gruft, wird von car­o­line und wil­helm schulz gepflegt, von min­na besucht. das ganze sowohl in der eigen­per­spek­tive büch­n­ers als auch beobach­t­end, mit großer klarheit als auch im fieber­traum eine paradies der post­fig­u­ra­tio­nen im quer­gang durch rück­blick, biogra­phie und werkschau.

der dritte text in diesem band, die nov­el­le zenons spur, scheint mir gegen diese bei­den erzäh­lun­gen etwas abz­u­fall­en. jet­zt ist es vor allem die auflö­sung des (kün­st­lerischen) lebens in das nichts, das erzählt wird: ein brud­er­paar, maler und schrift­steller, an der schwelle zum tod. der maler, epilep­tik­er, erliegt ein­er krankheit, hat zuvor noch sämtliche über­reste sein­er kün­st­lerischen tätigkeit getil­gt. sein brud­er, schrift­steller, fol­gt ihm offen­bar in den tod. mir allerd­ings fehlt dieser nov­el­le die spannkraft, das fes­sel­nde moment oder ein­fach die konzen­tra­tion der bei­den anderen erzäh­lun­gen. es kann freilich auch sein, dass ich nur noch nicht den passenden zugang, den richti­gen moment der lek­türe erwis­cht habe.

als ganzes mag das zwar zunächst wie ein reich­lich anachro­nis­tis­ches unternehmen erscheinen, was schüne­mann hier vor­legt. aber jen­seits von plat­tem aktu­al­itäts­drang, von pseu­do-kun­st und gewoll­ter bedeut­samkeit, ist das offen­sichtlich ein ver­such der ver­schmelzung: das dur­chaus in hohen dosen vorhan­den pathos dieser expres­sion­is­tisch ange­haucht­en sprache und ihrer väter wie kleist, novalis, hölder­lin (büch­n­er natür­lich auch) zeigt seine überzeitlichkeit, stellt seine weit­er­hin mögliche funk­tion auch im 20. (alle texte sind nicht mehr ganz taufrisch) bzw. natür­lich auch im 21. jahrhun­dert zumin­d­est zur diskus­sion, wenn nicht gar unter beweis. zumin­d­est ich möchte das behaupten, denn der ver­such, das echo, den ruf ver­gan­gener zeit­en hier einz­u­fan­gen und lebendig und vor allem wirk­mächtig zu machen, ist schüne­mann offen­sichtlich gelun­gen. das sagt nun allerd­ings wenig über die all­ge­meine ver­füg­barkeit dieser art von sprache (die auch eine bes­timmte art des denkens, vor allem aber der wahrnehmung der welt und des sub­jek­tes impliziert) aus – peter schüne­mann kann darüber gebi­eten, und das ist ein glo­r­re­ich­er sieg für den autor, aber auch für den leser, der dafür noch ein paar offene ner­ve­nen­den hat.

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