Auch wenn der Ein­band ganz gelb ist: “Blue­screen” von Mark Greif ist ein fan­tastis­ches Buch. Mir war Greif ja noch unbekan­nt — eine echte Lücke. Die Essays, die er “Ein Argu­ment vor sechs Hin­ter­grün­den” unter­titelte und die in der — von Greif mither­aus­gegebe­nen — Zeitschrift n+1 erschienen sind, drehen sich um Erschei­n­un­gen des mod­er­nen Lebens der Gegen­wart, um den sex­uelle Fetisch der Jugendlichkeit, um Über- und Unter­sex­u­aliserung, um YouTube oder um die Geschichte des HipHop (ein­er der besten Essays über­haupt: “Rap­pen ler­nen”, der aus­ge­hend von ein­er ganz per­sön­lichen Erfahrung einen bre­it­en Abriss des HipHops und sein­er Bedeu­tun­gen entwick­elt).

Die Ästhetisierung des ganzen Lebens ist die zen­trale These Greifs. Aber darum spin­nt sich ein wun­der­bar­er Kos­mos der Beobach­tun­gen und Erk­lärun­gen des All­t­ags der Gegen­wart und sein­er medi­alen, ästhetis­chen und kul­turellen Erschei­n­un­gen — so etwas wie eine Zeit­di­ag­nose in Schlaglichtern. Da geht es dann auch nicht mehr nur um die eigentliche Ästhetisierung, son­dern etwas all­ge­mein­er um das Prob­lem der medi­ale Ver­mit­tlung unser­er Erfahrun­gen und im Beson­deren um das Leben in Nar­ra­tio­nen: Greif sieht die Men­schen der Gegen­wart umstellt von Erzäh­lun­gen, die den Blick auf die “Wirk­lichkeit” behin­dern. Da kann man freilich auch ander­er Mei­n­ung sein: Die nar­ra­tive und medi­ale Erfahrung muss nicht unbe­d­ingt schlecht sein. Greif neigt sich da manch­mal etwas der kul­turpes­simistis­chen Sicht zu, die die medi­ale Ver­mit­tlung als Hin­der­nis ansieht, als Abkehr von einem — von Greif selb­st dur­chaus als solchen in sein­er Prob­lematik erkan­nten — ide­alen Zus­tand der Unmit­tel­barkeit.

Aber Essays wie “Rap­pen ler­nen” oder auch der “Hochsom­mer der Sexkinder” sind trotz­dem große Kul­turkri­tik: Erk­lärend, aber dur­chaus von einem Stand­punkt aus kri­tisch hin­ter­fra­gend, ohne besser­wis­serischen Ges­tus des Alleswis­sers und alle­serk­lär­ers allerd­ings, der sowieso schon weiß, was er von allem hält. In dieser Hin­sicht sind das eben Essays im besten Sinne: Ver­suche, Erk­lärun­gen zu find­en — Erk­lärun­gen z.B. für Phänomene wie das Real­i­ty-Fernse­hen. Und davon aus­ge­hend immer die Über­legung: Was macht das mit uns? Wie verän­dert das uns, unsere Hal­tung, unsere Wahrnehmungen, unsere Ein­stel­lun­gen, unser Ver­hält­nis zur Welt und zu unseren Mit­men­schen. In bester Essay-Tra­di­tion nimmt Greif sich da als Zwei­fler und Such­er auch nicht zu sehr zurück, son­dern bleibt als Per­son, als Erleben­der und Fra­gen­steller, immer präsent. Dass das außer­dem klar for­muliert, überzeu­gend argu­men­tiert und luzide geschrieben ist, gehört unbe­d­ingt zum pos­i­tiv­en Ein­druck dieses empfehlenswerten Ban­des.

Mark Greif: Blue­screen. Ein Argu­ment vor sechs Hin­ter­grün­den. Berlin: Suhrkamp 2011. 231 Seit­en. ISBN 978–3‑518–12629‑5.