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Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Herbstbild

Dies ist ein Herb­st­tag, wie ich keinen sah!
Die Luft ist still, als atmete man kaum,
Und den­noch fall­en raschel­nd, fern und nah,
Die schön­sten Früchte ab von jedem Baum.

O stört sie nicht, die Feier der Natur!
Dies ist die Lese, die sie sel­ber hält,
Denn heute löst sich von den Zweigen nur,
Was vor dem milden Strahl der Sonne fällt.

Friedrich Hebbel

wer hat diesen mond auf die blaue flur,
wer hat diesen mund auf die nacht ange­set­zt?“

— Car­olin Cal­lies, schat­ullen & bre­douillen, 83

Jenseits

Er wurde, son­st ein gar leben­skräftiger jovialer mann, sehr nach­den­klich, und wie ich es gar nicht erwartet hat­te, sprach er: “In alter Zeit hat­ten wir einen from­men schlicht­en Glauben, wir erkan­nten das Jen­seits, aber auch die Blödigkeit unser­er Sinne, dann kam die Aufk­lärung, die alles so klar machte, dass man vor lauter Klarheit nichts sah, un sich am näch­sten Baume im Walde die Nase stieß, jet­zt soll das Jen­seits erfasst wer­den mit hinübergestreck­ten Armen von Fleisch und Bein.”

— E. T. A. Hoff­mann, Ein Frag­ment aus dem Leben dreier Fre­unde, zitiert nach Har­ald Neumey­er (Hrsg.), Gespen­ster. Berlin: Seces­sion 2019 (Han­dliche Bib­lio­thek der Roman­tik, 1), S 97f.

Ode

aus: car­olin cal­lies, bewohn­bare kästen (schatu­ullen & bedouillen, 28)

Erziehung

So wahr ist’s, dass etwas Dau­ren­des nur durch Erziehung begrün­det ist und dass jede Weltän­derung, die keine innere Beziehung (was von äußeren Erziehungsvorschriften und Sys­te­men ganz ver­schieden) zur Erziehung hat, wie ein Wolken­schat­ten vorüberge­ht.

— Achim von Arn­im, Die drei liebre­ichen Schwest­ern und der glück­liche Fär­ber. Ein Sit­tengemälde [1812], zitiert nach Chris­tiane Holm (Hg.), Han­dar­beit. Berlin: Seces­sion 2020 (Han­dliche Bib­lio­thek der Roman­tik, 5), S. 127f.

Gedichte

Man wird davon nicht klüger. Aber Gedichte sind Weg­markierun­gen, die helfen aus dem Gestrüpp.

—Sylvie Schenk, Roman d’amour, 9

Fiction

"The trouble with fiction," said John Rivers, "is that it makes too much sense. Reality never makes sense."

—Aldous Huxley, The Genius and the Goddess, 7

Fantoscope

[…]

Die aufge­lasse­nen Gräber der Ein­samen besitzen mehr Ewigkeit
als jede schwere Mar­mor­gruft. In großen Stät­ten ste­hen große Urnen
für kleine Leben. Und der Rest? Die Men­schheit? Du und ich?

Wir wer­den leucht­en, wenn die Erde uns zu Öl verkocht.

—Ver­e­na Stauf­fer, Ousia, 108

Akkumulation

Wolke, wohin du gewolkt bist.
Ein her­rlich­er Maitag – mir im Gemüte.

—aus: Elke Erb, “Ursprüngliche Akku­mu­la­tion” (in: Elke Erb, Men­sch sein, nicht, 1998)

Verspäteter Glückwunsch: Johann Christian Heinrich Rinck zum 250. Geburtstag

2020 war ein großes Beethoven-Jahr, zumin­d­est irgend­wie — so richtig hat der 250. Geburt­stag nicht gezün­det, scheint mir. Und das lag ver­mut­lich nicht nur an den Ein­schränkun­gen der Konz­ert­tätigkeit­en durch Coro­na, son­dern meines Eracht­ens auch daran, dass Beethoven sowieso immer mehr als genug da und präsent ist.

Rinck, Orgelwerke (Cover)

Das ist ist bei Johann Chris­t­ian Hein­rich Rinck ganz anders. Der ist aus dem öffentlichen (Musik)Leben weit­ge­hend kom­plett ver­schwun­den. Organist*innen soll­ten ihn allerd­ings noch ken­nen. Ich zumin­d­est spiele sog­ar ab und an kleinere Sachen von ihm. Den 250. Geburt­stag des Darm­städter Kom­pon­is­ten und Kirchen­musik­ers habe ich im let­zten Jahr aber auch über­haupt nicht reg­istiert. Mit etwas Ver­spä­tung kon­nte die Hochschule für Musik der Johannes-Guten­berg-Uni­ver­sität Mainz mir da jet­zt auf die Sprünge helfen. Deren Orgelk­lasse von Ger­hard Gnann hat näm­lich im Jubiläum­s­jahr eine sehr gelun­gene Dop­pel-CD als eine Art Hom­mage an Rinck pro­duziert. Zusam­men mit der Rinck-Gesellschaft haben die jun­gen Organist*innen und ihr Lehrer eine wirk­lich schöne Zusam­men­stel­lung aufgenom­men, die einen guten Ein­blick in das kom­pos­i­torische Schaf­fen Rincks bietet: Von den dur­chaus zeit­genös­sisch beliebten Orgelkonz­erten über größere Vari­a­tion­szyklen zu kleinen, eher gebrauchsmusikalisch isnpiri­erten Ton­stück­en bildet die Pro­duk­tion eine große Band­bre­ite ab.

Ein wesentlich­es Ele­ment des Gelin­gens ist die genutzte Orgel: Die Drey­mann-Orgel von 1837 in St. Ignaz in der Mainz­er Alt­stadt. In mein­er Mainz­er Zeit habe ich die nicht ken­nen­gel­ernt oder zumin­d­est nicht bewusst wahrgenom­men — wenn ich mich richtig erin­nere, war das größeren Arbeit­en an und in der Kirche geschuldet. Inzwis­chen wurde die Orgel auch umfassend restau­ri­ert. Und für mich zufäl­liger­weise zeitlich genau passend auch in der aktuellen Aus­gabe der Ars Organi (Jg. 69, Heft 1, S. 46–50) beschrieben. Das Instru­ment, das von Rinck selb­st als Neubau abgenom­men und sehr geschätzt wurde, kommt auf der Auf­nahme gut zur Gel­tung: Die klaren, präg­nan­ten Bässe vor allem des Posaunen­bass­es sind wun­der­bar präg­nant und sauber, aber auch die war­men — und teil­weise sehr leise und san­ften Grund­stim­men klin­gen auf der Auf­nahme sehr authen­tisch. Und die fienen Ober­stim­men und glänzen­den Mix­turen krö­nen das sehr schön, ohne zu dominieren.

Die einge­spiel­ten Werke — teil­weise aus Auto­graphen bzw. eigens ange­fer­tigten Abschriften — bieten, wie gesagt, eine schöne Gele­gen­heit, Rincks Kom­po­si­tion­sstil genau­so ken­nen­zuler­nen wie diese faszinierende Orgel. Rinck hat ja eine ganz eigene Verbindung von (spät-)barocken Tech­niken, die ger­ade auf den Orgeln ja dur­chaus noch lange fortleben, mit eigentlich eher klas­sis­chen Ele­menten (und zeitweise frühro­man­tis­chen Anklän­gen) geschaf­fen. Das erre­icht sich­er nicht immer Beethovens Tiefe (aber das machen Beethovens Werke ja auch nicht immer), ist aber mehr als nur gefäl­lige Gele­gen­heitsmusik: Dem genaueren Hören eröff­nen sich da dur­chaus immer wieder span­nende Ideen, neue Kom­bi­na­tio­nen und vor allem gelun­gene Ein­fälle. Und das alles zuam­men macht ein­fach Freude!

Johann Chris­t­ian Hein­rich Rinck: Orgel­w­erke. Studierende der Abteilung Kirchenmusik/Orgel der Hochschule für Musik an der Johannes Guten­berg-Uni­ver­sität Mainz spie­len an der Drey­mann-Orgel (1837) in St. Ignaz, Mainz. Coviel­lo Clas­sics COV 92101, 2020. 114:02 Minuten.

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