Und dann das Finale: Eine dreivier­tel Stunde hat der Chor dafür auf der Bühne gewartet, jet­zt darf endlich mit­mis­chen und die Freude, die Ein­tra­cht, die Erlö­sung und über­haupt den Him­mel auf Erden sin­gend verkün­den. Und sie tun das mit ein­er unge­broch­enen Verve – obwohl Beethovens neunte Sin­fonie mit ihren Ver­heißun­gen doch schon bald 200 Jahre alt ist. Der Bach­chor Mainz, der seit sein­er Fusion bei solchen Großpro­jek­ten mit dem Hochschul­chor noch eine Spur jünger und frisch­er klingt, wird näm­lich von dem Diri­gen­ten Karl-Heinz Stef­fens hör­bar genau­so mit­geris­sen wie das Pub­likum in der Chris­tuskirche.

Kein Wun­der, denn nicht nur der Chor kann begeis­tern. Vor allem die Deutsche Staat­sphil­har­monie aus Lud­wigshafen zeigt sich als überzeu­gen­des Beethoven-Orch­ester. Stark und konzen­tri­ert führt ihr Chef Stef­fens die Musik­er durch die zu ihrer Zeit beispiel­lose Par­ti­tur der Neun­ten. Kantig und fokussiert bleibt der Klang, vor allem die Bläs­er überzeu­gen durch ihre Präsenz. Kein Zweifel: Zweifel ken­nt Stef­fens nicht. Im Gegen­teil: Er zwingt all die divergieren­den Per­spek­tiv­en der Par­ti­tur in eine Ein­heit – ohne dass man den Zwang dabei immer merkt und ein­fach eine über weite Teile sehr logisch und strin­gent entwick­elte Sin­fonie hört.

Trotz ihrer unge­broch­enen Beliebtheit ist die Neunte alles andere als ein leicht­es Werk: Der Umfang, die schwieri­gen Tem­pi, die kom­plexe Entwick­lung der sin­fonis­chen Form und das Pathos des Schlusses: All das fordert den Diri­gen­ten beson­ders. Stef­fens meis­tert das hochkonzen­tri­ert und schwächelt nur im drit­ten Satz ein wenig, woe er die son­st so kohärente Stringez und Kon­se­quenz der for­malen Entwick­lung in sein­er Inter­pre­ta­tion ein biss­chen aus den Augen ver­liert: Das ist schön, aber nicht mehr so unbestech­lich zwin­gend wie die ersten bei­den Sätze. Da hat Stef­fens wirk­lich viel gegeben und gezeigt, wie wichtig die für die ganze Sin­fonie sind. Denn bei ihm wird nicht nur deut­lich, warum die Neunte so großar­tig ist. Son­dern auch, wie sie es ist: Wie Beethoven hier geschickt wie sel­ten aus den kle­in­sten Motiv­en das größte über­haupt entwick­elt, das macht Stef­fens immer wieder deut­lich. Ganz beson­dere und wun­der­bar hör­bare Aufmerk­samkeit richtet er auf die Keimzellen der motivis­chen Entwick­lung.

Und doch warten natür­lich alle auf das große Finale: Erst hier darf der durch­trainierte Bach­chor seine vokalen Musikeln spie­len lassen und zeigen, wie leicht ihm das fällt. Und das Solis­ten­quar­tett mit der Sopranistin Sophie Kluß­mann, der Altistin Julia Faylen­bo­gen und dem Tenor Chris­t­ian Elsner sowie dem Bass Michael Dries fügt sich da har­monisch und fast schon unauf­fäl­lig ein.
Verzück­ung macht sich auf dem Gesicht des Diri­gen­ten schon gle­ich zu Beginn des Satzes bre­it – nicht ohne Grund, denn trotz des mächtigem Klangs bleibt alles sehr leicht­füßig. Selb­st der heilige Ernst der gnaden­los über­höht­en Kun­st als Wel­tret­terin: Durch die zack­ige Phrasierung und den markant-kanti­gen Klang ver­liert das die Leere, die Formel­haftigkeit des Pathos, ohne dabei auf Dis­tanz gehen zu müssen. Diese Musik ist ein­fach beseelt vom Glauben an ihre Möglichkeit­en.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)