Man merkt es an jeder Bewe­gung, vom ers­ten Auf­tre­ten über das Platz­neh­men bis zum letz­ten Dank: Ivan Mora­vec ist schon lan­ge im Geschäft. Über fünf­zig Jah­re ist der tsche­schi­che Pia­nist schon unter­wegs – immer am Kla­vier. Auch in Mainz, der SWR hat ihn für das Febru­ar-Kon­zert der Rei­he „Inter­na­tio­na­le Pia­nis­ten“ ver­pflich­tet. Und so sehr man ihm die Rou­ti­ne des Auf­tre­tens auch anmerkt, die Musik kann er davon frei­hal­ten. Zumin­dest teilweise.

Denn sein wei­te Tei­le der Musik­ge­schich­te umfas­sen­des Pro­gramm – von Bach bis Debus­sy reicht der Bogen – prä­sen­tiert er mit sehr unter­schied­li­chem Geschick und sehr unter­schied­li­chem Gelin­gens­gra­den. Johann Sebas­ti­an Bachs Chro­ma­ti­sche Phan­ta­sie und Fuge ist ohne Zwei­fel ein eher sprö­des, abs­trak­tes Stück. Aber so lang­wei­lig wie hier muss es nicht unbe­dingt sein. Doch auch Debus­sys klei­ne Suite „Pour le pia­no“ ver­rät im Frank­fur­ter Hof kein ein­zi­ges Geheim­nis, zeigt nichts, was nicht schon der Blick auf die Noten klar machen wür­de, und ist – trotz der geschwin­den Tem­pi und der siche­ren Nuan­cie­rung – ein­fach nur langweilig.

Aber dann, nach der frü­hen Pau­se, ist alles anders. Dabei sitzt genau der sel­be Pia­nist am Flü­gel, dabei sind es die sel­ben Spiel­wei­sen und Inter­pre­ta­ti­ons­tech­ni­ken, die Mora­vec benutzt. Nur hier, bei den Kla­vier­wer­ken Cho­pins, ist das pas­send und vor allem inspie­riert. Gut, das zwei­te Scher­zo spie­len jün­ge­re Pia­nis­ten dras­ti­scher, tra­gi­scher und stär­ker kon­tu­riert. Aber zu wirk­li­chen Groß­ta­ten ist Mora­vec eben durch­aus auch fähig. Die As-Dur-Polo­nai­se beweist das. Wor­an es liegt, ist unklar – aber irgend etwas an die­ser Musik befä­higt Mora­vec nun doch zu mehr als Rou­ti­ne: Jetzt auf ein­mal tas­tet er sich wirk­lich vor ins Inne­re der Musik, in ihrem Ideen- und Gefühls­kos­mos – auch wenn da vie­le dunk­le Stel­len lau­ern. Kein Wun­der, dass das Fun­da­ment die­ser so harm­los Polo­nai­se-Fan­tai­sie beti­tel­ten Musik unsi­cher abbrö­ckelt – der Zusatz „Fan­tai­sie“ weist ja schon dar­auf hin: Mit über­lie­fer­ten Mus­tern und kla­ren Vor­ga­ben ist es in die­ser unbe­dingt sub­jek­tiv und indi­vi­du­el­len Schöp­fung nicht mehr weit her. Aber ihre inne­re Span­nung und den dra­ma­ti­schen Sinn, ihr eige­ner Klang und bestän­di­ge Unbe­stän­dig­keit – Mora­vec ver­wirk­licht alles, was zu einer voll­ende­ten Inter­pre­ta­ti­on not­wen­dig ist.

Wie er die­se Polo­nai­se hier zau­ber­haft deut­lich und genau dar­stellt, wie er mit traum­wand­le­ri­scher Sicher­heit ihren ganz eige­nen Gehalt für sich erfasst und in die­sem Moment zu Klang wer­den lässt: Das ist ein­fach groß­ar­tig, span­nend und inspi­rie­rend – und alles ander als Rou­ti­ne. Auch nach über fünf­zig Jah­ren Konzertdasein.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zeitung)