Am Anfang ste­ht ein Abschied: Das Eröff­nungskonz­ert des diesjähri­gen Mainz­er Musik­som­mers ist das aller­let­zte Konz­ert, das Math­ias Bre­itschaft in sein­er Eigen­schaft als Domkapellmeis­ter dirigiert. Das ist aber keineswegs ein schlecht­es Omen, auch wenn der diesjährige Musik­som­mer die dreizehnte Auflage des Som­mer­fes­ti­vals ist. Denn das Eröff­nungskonz­ert im Dom besticht mit seinem Rundgang durch fast fünfhun­dert Jahre Musikgeschichte im Saus­eschritt: Von Palest­ri­na bis Richard Strauss reicht der Reigen, den der Domkam­mer­chor, die Mainz­er Dombläs­er und Organ­ist Daniel Beck­mann gemis­cht haben. In allererster Lin­ie ist es aber der Domkam­mer­chor, der für Begeis­terung sorgt. Nicht zu unrecht, denn Bre­itschaft hat ihn sehr genau vor­bere­it­et. Im Zen­trum ste­ht die Bach-Motette “Fürchte dich nicht” als ein sehr dicht­es und trotz des klan­glich homogen sin­gen­den Chores erstaunlich über­sichtlich­es, immer­hin acht­stim­miges Klanggewebe. Vor allem, weil Bre­itschaft immer wieder die zen­trale Aus­sage, das “Fürchte dich nicht”, zu beto­nen weiß — und jed­er Wieder­hol­ung eine neue Klangnu­ance mit­geben kann: Dieses „Fürchte dich nicht“ wird dur­chaus von Zweifeln erschüt­tert, ver­liert aber hör­bar nie die Gewis­sheit eines allzeit anwe­senden Gottes.

Hans Leo Has­slers Messe vorher, über hun­dert Jahre älter, nahm Bre­itschaft mit dem Domkam­mer­chor fast im Saus­eschritt und vol­lkom­men anders, als man es von den Spezial­is­ten his­torisch­er Auf­führung­sprax­is gewohnt ist: Mit großem, aber dur­chaus beweglichem Chor klingt das ganz und gar gegen­wär­tig und unbe­d­ingt ehrlich: Mal beschwingt, mal mon­u­men­tal — immer den Raum vorzüglich als Klang­part­ner mit­nutzend schwingt die kurze Messe flex­i­bel zwis­chen großer Geste und detail­liert­er Feinze­ich­nung.

Und dann, neben dieser nur nominell „alten“ Musik, Bruck­n­er und Mendelssohn Bartholdy: Das ist der Moment des Abends, wo die Detail­freudigkeit noch inten­siviert wird und der Chork­lang zur Vol­len­dung kom­men darf. Zumin­d­est annäh­ernd. Denn manch­mal fehlt ger­ade bei den Motet­ten von Bruck­n­er in den sehr deut­lich gesun­genen Lin­ien ein biss­chen die ver­tikale har­monis­che Klam­mer. Wun­der­bar won­nig zaubert Bre­itschaft dann aber die Innigkeit der “Ave Maria”-Motette: Wie fein er die zen­tralen Worte abzutö­nen weiß, wie er das “Jesus” und das abschließende “Amen” zu auf ganz weni­gen Noten zusam­menge­drängten Erzäh­lun­gen ein­er gesamten The­olo­gie verdichtet — das ver­rät die erfahrene Hand eines Diri­gen­ten, der genau weiß, was er aus dem Domkam­mer­chor her­auskitzeln kann.

Auch die unbe­d­ingte Hingabe an Musik und ihren Inhalt macht das so über­wälti­gend und unbe­d­ingt bewe­gend. Nir­gends wird das so deut­lich wie in Felix Mendelssohn Bartholdys Motette “Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich ver­lassen“: Im fein­sten pianis­si­mo wie im kraftvoll­sten forte achtet Bre­itschaft pein­lich genau auf die motivierte Verbindung von Text und Klang, die sich gegen­seit­ig verdicht­en und zum großar­ti­gen Abschluss ver­stärken. Der „Fes­tliche Auszug“ von Richard Strauss mit Orgel und Blech­bläsern ist nach diesem grandiosen Chorfin­ish fast über­flüs­sig. Ganz fol­gerichtig greift Bre­itschaft dann noch ein­mal zur Stim­m­gabe und lässt den Domkam­mer­chor mit ein­er weit­eren Bruck­n­er­mot­tette als Zugabe doch das let­zte Wort haben: “Locus iste”, ganz berührend in ihrer Schlichtheit. Und das Lob dieses Ortes passt per­fekt ans Ende des Eröff­nungskonz­ertes – schließlich ver­spricht der Mainz­er Musik­som­mer „Klas­sis­che Musik im klas­sis­chen Raum“.

(In ein­er etwas kürz­eren Ver­sion geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)