Schade, dass ger­ade kein Voll­mond war. Dann hätte das Kam­merkonz­ert im Kleinen Haus des Mainz­er Staat­sthe­aters noch bess­er gepasst. Aber unab­hängig von der Stel­lung der Gestirne war das „Mond­süchtig“ über­titelte Pro­gramm trotz­dem einen Besuch wert – auch wenn viel zu viele Plätze leer blieben. An der Qual­ität der Musik und der Dar­bi­etung kann es nicht gele­gen haben. Aber wahrschein­lich schreckt der Name Arnold Schön­berg immer noch zu sehr ab. Dessen „Pier­rot lunaire“ ist zwar auch schon gute hun­dert Jahre alt, gilt aber immer noch als Neue Musik.

Da half dann auch der zweite Teil des kurzen Konz­ertes nicht: Fran­cis Poulenc ist kaum als Neutön­er ver­schrieben. Und seine Kam­merkan­tate bleibt auch schön brav tonal. Wobei „brav“ die Hal­tung des Kom­pon­is­ten nicht trifft: Die Musik ist näm­lich aus­ge­sprochen frech. Über­all bedi­ent sie sich, bei Mozart genau­so wie im Caféhaus oder Tan­zlokal, sie zitiert und par­o­diert, sie ste­ht ständig an der Schwelle zur Par­o­die und Satire. Poulenc selb­st hat­te eine hohe Mei­n­ung von seinem heute recht sel­ten aufge­führten Werk: “Wer das nicht ken­nt, liebt meine Musik nicht wirk­lich. Das ist hun­dert­prozentiger Poulenc”, sagte er ein­mal. Und Recht hat er.
Die acht Instru­men­tal­is­ten aus dem Phil­har­monis­chen Orch­ester und der Bar­tion Richard Logiewa unter der Leitung von François Salig­nat spiel­ten das mit hör­barem Genuss. Und dann macht auch das Zuhören Spaß. Sog­ar den franzö­sis­chen Text, den Logiewa kantig-pro­fil­iert von pathetis­ch­er Opern­par­o­die bis zur schmieri­gen Schnulze singt, ver­ste­ht man. Deswe­gen hat man dann die Gedichte von Max Jacob zwar noch nicht unbe­d­ingt ver­standen, aber das macht ja nichts, die Musik entschädigt aus­re­ichend.

Wie wenig man sich bei Schön­bergs Musik von seinem Namen abschreck­en lassen sollte, machte die Inter­pre­ta­tion des „Pier­rot lunaire“ im Kleinen Haus sehr deut­lich. Sich­er, das ist atonale Musik. Aber sie ist trotz­dem unmit­tel­bar zugänglich und ver­ständlich. Vor allem, wenn man die 21 Lieder, die Schön­berg aus Albert Girauds Zyk­lus „Pier­rot Lunaire“ ver­tonte, so offen und gefühls­be­tont musiziert wie das Ensem­ble im Staat­sthe­ater.

Die kraftvolle und fül­lige, zwis­chen Sprechen, Deklamieren und Sin­gen – mit ein­er deut­lichen Ten­denz zum let­zteren — chang­ierende Stimme von Annette Luig strahlt auf den Rest des Ensem­bles aus: Das ist keine unterkühlte Kon­struk­tion der Mod­erne, son­dern weicht ger­adezu ins Gegen­teil aus. Die Beto­nung der Empfind­ung und Empfind­samkeit wird den Musik­ern hin und wieder dur­chaus über­mächtig, dann kippt das auch mal von der Konzen­tra­tion zum Über­mut bis zur Beina­he-Ekstase – immer aber mit fes­sel­nder Inten­sität, die nur sel­ten impro­visatorisch­er Leichtigkeit weicht. Vor allem aber klin­gen die Lieder hier immer als – kleine oder größere – Dra­men. Nicht auszu­denken, wie das erst klänge, wenn wirk­lich Voll­mond wäre.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)