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Schlagwort: francis poulenc

Ernsthaft gut: Doppelkonzerte im Meisterkonzert

Das Ganze ist ein Witz. Bei sein­er neun­ten Sin­fonie – aus­gerech­net der Neun­ten! — hat Schostakow­itsch es sich nicht nehmen lassen, mit allen Erwartun­gen und Tra­di­tio­nen zu spie­len. Das hing natür­lich auch mit sein­er eige­nen und der poli­tis­chen Sit­u­a­tion zusam­men – 1945 hat­te der Kom­pon­ist schon einige Erfahrung mit Stal­ins Regime und dessen Kri­tik­ern gesam­melt. Denen wollte er keine Tri­umph­musik schreiben – aber was er dann mit der Neun­ten im Herb­st ablieferte, das muss für ger­ade diese Kri­tik­er eine reine Unver­schämtheit gewe­sen sein: Die knappe halbe Stunde heit­er­er Musik trieft nur so vor Ironie. Die ganze Sin­fonie spielt mit klas­sis­chen For­men und Meth­o­d­en – bis zur Über­erfül­lung. Wahrschein­lich ist sie eine der klas­sis­chsten Sin­fonien, die im 20. Jahrhun­dert geschrieben wurde. Und ein hin­terlistiges Spiel mit den Erwartun­gen, auch des Hör­ers. Man kann das als nette, kun­stvoll gemachte Unter­hal­tung spie­len. Oder man kann, wie Mar­cus Bosch es beim 3. Meis­terkonz­ert mit der Lud­wigshafen­er Staat­sphil­har­monie in der Rhein­gold­halle machte, die abgründi­gen Seit­en her­vork­itzeln und das Absurde dieser Musik beto­nen. Bosch gelang das der­maßen gut, dass die Ironie aus jedem schö­nen Akko­rd und jedem schö­nen melodis­chen Ein­fall nur so her­vorquoll. Vor allem die Mis­chung aus unter­gründig-bohren­der Span­nung und schwungvoll-aus­ge­lassen­er Spiel­freude, die Mar­cus Bosch im Finale bis zur tänz­erischen Über­mut aus­reizte, macht­en die Neunte zu einem so wun­der­baren Hör­erleb­nis.

Dabei war Schostakow­itschs Sin­fonie eigentlich nur das Aus­rufeze­ichen am Schluss eines span­nen­den Konz­ertes. Davor stand noch der sel­tene dop­pelte Genuss eines Dop­pelkonz­ertes. Mit den Pianistin­nen Mona und Rica Bard spielte die Staat­sphil­har­monie näm­lich nicht nur ein Dop­pelkonz­ert, son­dern gle­ich zwei: von Mozart und Fran­cis Poulenc. Witz haben bei­de, aber auf jew­eils ganz eigene Art.

Poulencs 1932 kom­poniertes Konz­ert für zwei Klaviere und Orch­ester ist mit seinen raschen Sprün­gen, vielfälti­gen Wech­seln und Reich­tum an bun­ten Ein­fällen und Stilmis­chun­gen ein geschick­ter Konz­er­tauf­takt. Die zwei schlagkräfti­gen Akko­rde des Beginns sind ein dop­pel­ter Startschuss. Damit begin­nt ein Feuer­w­erk der Klang­far­ben und des Rhyth­mus — „rein­ster Poulenc“, wie der Kom­pon­ist selb­st ein­mal bemerk­te. Bei Mona und Rica Bard war das Feuer­w­erk in guten Hän­den: Sie achteten sorgsam darauf, dass auch in der Hitze des Gefechts alles mit recht­en Din­gen zug­ing – während Bosch mit dem Orch­ester ver­suchte, zumin­d­est ein biss­chen zu zün­deln.

Mozarts einziges Konz­ert für zwei Klaviere ist der Gele­gen­heit des gemein­samen Musizierens mit sein­er Schwest­er geschuldet. Das merkt man der Musik auch ganz unmit­tel­bar an: Sel­ten sind die bei­den Solopar­tien so eng und unau­flös­bar ineinan­der ver­flocht­en wie hier. Und sel­ten hört man sie so har­monisch ineinan­der gefügt wie von den Bard-Schwest­ern. Die bei­den pflegten in der Rhein­gold­halle ein sehr konzen­tri­ertes und kun­stvolles Spiel. Das dabei der augen­zwinkernde Witz Mozarts manch­mal etwas hin­te­nanste­hen musste, verzieh man ihnen gerne. Zumal das Orch­ester alles tat, die kleine Lücke zu füllen. Die Auf­gaben­teilung war dabei schnell klar: Die Staat­sphil­har­monie über­nahm die großen Gesten, die Pianistin­nen die feinsin­nige, fast kam­mer­musikalis­che Klangtüftelei. Zusam­men erk­lang so ein ern­sthaft gutes Mozart-Konz­ert, das gewis­senhaft und emo­tion­al zugle­ich war – und alles andere als ein Witz.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Orchestergast im Dom

Die meis­ten Reisen, die ein Orch­ester wie das Mainz­er Phil­har­monis­che Orch­ester untern­immt, geschehen nur im Kopf, denn sie sind bloß klan­glich-musikalis­ch­er Natur: Ital­ienis­che Oper klingt anders als deutsche, ame­ri­an­is­che Sin­fonik anders als rus­sis­che. Manch­mal ist der Grund fürs Wan­dern aber auch ganz pro­fan und hand­fest – etwa wenn die Phil­har­moniker in den Dom umziehen. Eine weite Reise ist das zwar nicht ger­ade, vom Staat­sthe­ater sind es ja nur ein paar Schritte. Aber es ist eine ganz andere Welt. Kein Wun­der also, dass das siebte Sin­foniekonz­ert eine Pre­miere war: Erst­mals – aber nicht zum let­zten Mal – spielt das Phil­har­monis­che Orch­ester unter Her­mann Bäumer nicht auf der Bühne des Großen Haus­es, son­dern vor dem Altar des Doms.

Und wenn man schon den Raum wech­selt, kann man das auch nutzen. Zum Beispiel, um die große Domorgel mit­samt ihrem Organ­is­ten Daniel Beck­mann ins Konz­ert zu inte­gri­eren.
So hat das Orch­ester auch mal die Gele­gen­heit, die dritte Sin­fonie von Camille Saint-Saëns zu spie­len. Dafür ist näm­lich eine Orgel unbe­d­ingt notwendig. Ganz im Sinne der Par­ti­tur und trotz des Beina­mens „Orgelsin­fonie“ machen das Bäumer und Beck­mann aber ganz unauf­fäl­lig: Wie ein „nor­male“ Orch­es­terin­stru­ment fügt sich die Orgel unauf­fäl­lig in das Klanggeschehen ein. Bäumer zeigt die Dritte von Saint-Saëns – unzweifel­haft sein bekan­ntetes Werk und auch vom Kom­pon­is­ten selb­st als das Beste, was er kom­ponieren kon­nte, sehr geschätzt – als ein sehr lebe­niges Werk. Unter seinen Hän­den ver­liert die Sin­fonie nie den ener­getisch pulsieren­den Drang. Auch seine Ten­denz zum hellen, leicht­en und beweglichen Klang unter­stützt diese lebens­be­ja­hende Inter­pre­ta­tion. Obwohl sich das ganze Werk eigentlich aus dem „Dies irae“, der Totense­quenz, speist, macht Bäumer ohne Ver­renkun­gen und Übertrei­bun­gen daraus geschmei­di­ge, fast über­schwänglich fre­undliche und freudi­ge Musik, deren Leichtigkeit auch in der hal­li­gen Akustik des Doms ziem­lich gut funk­tion­iert.

Und wenn das Orch­ester schon mal im Dom zu Gast ist, muss man das auch aus­nützen und nicht nur die Orgel hinzuziehen, son­dern auch das Hausensem­ble. Für das Sta­bat Mater von Fran­cis Poulenc nutzt Bäumer auch noch die vom Domkapellmeis­ter Carsten Stor­ck vor­bere­it­ete Domkan­tor­ei. Zusam­men erre­ichen sie beson­dere Inten­sität. Ganz zu eigen macht sich Bäumer die schmerz­er­füllte Musik allerd­ings nicht, eine gewisse Dis­tanz bleibt zunächst hör­bar, ger­ade in den noch etwas steifen ersten Momenten. Im Detail gelin­gen ihm aber immer wieder prächtige Bilder, die Poulencs Klang­far­ben­welt voll auss­chöpfen. Auch die Sopranistin Vida Miknevi­ciute fügt sich in die berührende Inter­pre­ta­tion mit Leichtigkeit ein. Und je weit­er die Musik fortschre­it­et, desto mehr fügt sich alles zusam­men. Bäumer find­et mit Chor und Orch­ester zu ein­er zunehmenden Grandez­za und treibt die Musik zu immer neuen Höhep­unk­ten, die aus dem Schmerz wun­der­bare Schön­heit­en machen – bis zur verk­lärt-verk­lären­den Inten­sität des Schlusses. Für solche Erleb­nisse darf das Phil­har­monis­che Orch­ester gerne noch öfter in den Dom umziehen.

(Geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Mondsüchtige Musik

Schade, dass ger­ade kein Voll­mond war. Dann hätte das Kam­merkonz­ert im Kleinen Haus des Mainz­er Staat­sthe­aters noch bess­er gepasst. Aber unab­hängig von der Stel­lung der Gestirne war das „Mond­süchtig“ über­titelte Pro­gramm trotz­dem einen Besuch wert – auch wenn viel zu viele Plätze leer blieben. An der Qual­ität der Musik und der Dar­bi­etung kann es nicht gele­gen haben. Aber wahrschein­lich schreckt der Name Arnold Schön­berg immer noch zu sehr ab. Dessen „Pier­rot lunaire“ ist zwar auch schon gute hun­dert Jahre alt, gilt aber immer noch als Neue Musik.

Da half dann auch der zweite Teil des kurzen Konz­ertes nicht: Fran­cis Poulenc ist kaum als Neutön­er ver­schrieben. Und seine Kam­merkan­tate bleibt auch schön brav tonal. Wobei „brav“ die Hal­tung des Kom­pon­is­ten nicht trifft: Die Musik ist näm­lich aus­ge­sprochen frech. Über­all bedi­ent sie sich, bei Mozart genau­so wie im Caféhaus oder Tan­zlokal, sie zitiert und par­o­diert, sie ste­ht ständig an der Schwelle zur Par­o­die und Satire. Poulenc selb­st hat­te eine hohe Mei­n­ung von seinem heute recht sel­ten aufge­führten Werk: “Wer das nicht ken­nt, liebt meine Musik nicht wirk­lich. Das ist hun­dert­prozentiger Poulenc”, sagte er ein­mal. Und Recht hat er.
Die acht Instru­men­tal­is­ten aus dem Phil­har­monis­chen Orch­ester und der Bar­tion Richard Logiewa unter der Leitung von François Salig­nat spiel­ten das mit hör­barem Genuss. Und dann macht auch das Zuhören Spaß. Sog­ar den franzö­sis­chen Text, den Logiewa kantig-pro­fil­iert von pathetis­ch­er Opern­par­o­die bis zur schmieri­gen Schnulze singt, ver­ste­ht man. Deswe­gen hat man dann die Gedichte von Max Jacob zwar noch nicht unbe­d­ingt ver­standen, aber das macht ja nichts, die Musik entschädigt aus­re­ichend.

Wie wenig man sich bei Schön­bergs Musik von seinem Namen abschreck­en lassen sollte, machte die Inter­pre­ta­tion des „Pier­rot lunaire“ im Kleinen Haus sehr deut­lich. Sich­er, das ist atonale Musik. Aber sie ist trotz­dem unmit­tel­bar zugänglich und ver­ständlich. Vor allem, wenn man die 21 Lieder, die Schön­berg aus Albert Girauds Zyk­lus „Pier­rot Lunaire“ ver­tonte, so offen und gefühls­be­tont musiziert wie das Ensem­ble im Staat­sthe­ater.

Die kraftvolle und fül­lige, zwis­chen Sprechen, Deklamieren und Sin­gen – mit ein­er deut­lichen Ten­denz zum let­zteren — chang­ierende Stimme von Annette Luig strahlt auf den Rest des Ensem­bles aus: Das ist keine unterkühlte Kon­struk­tion der Mod­erne, son­dern weicht ger­adezu ins Gegen­teil aus. Die Beto­nung der Empfind­ung und Empfind­samkeit wird den Musik­ern hin und wieder dur­chaus über­mächtig, dann kippt das auch mal von der Konzen­tra­tion zum Über­mut bis zur Beina­he-Ekstase – immer aber mit fes­sel­nder Inten­sität, die nur sel­ten impro­visatorisch­er Leichtigkeit weicht. Vor allem aber klin­gen die Lieder hier immer als – kleine oder größere – Dra­men. Nicht auszu­denken, wie das erst klänge, wenn wirk­lich Voll­mond wäre.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Mozart und Paris

Mozart und Paris, das war alles andere als eine innige Liebes­beziehung. Und doch ist es sin­nvoll, Mozarts Es-Dur-Quin­tett mit­ten in ein Konz­ert mit franzö­sis­ch­er Musik zu platzieren. Denn auch wenn er über die Paris­er und die Fran­zosen im all­ge­meinen in sein­er unnachahm­lich direk­ten Art böse schimpfte – hinge­hört hat Mozart genau, als er an der Seine war. Bläs­er solo und im Ensem­ble hat er da zum Beispiel viel erlebt. Und vielle­icht wäre es ohne diese Bekan­ntschaft nicht zum Es-Dur-Quin­tett gekom­men. Ganz sich­er aber wäre es nicht dazu gekom­men, hätte Mozart nicht auch in Wien großar­tige Instru­men­tal­is­ten erlebt.

Wie auch immer: Das Quin­tett für Bläs­er und Klavier ist jeden­falls ein erster Höhep­unkt beim Konz­ert der Stipen­di­at­en der Vil­la Musi­ca um die bei­den Dozen­ten Ingo Goritz­ki und Johannes Peitz. Fast ein Dutzend junger Musik­er bevölk­ern in diesem Konz­ert abwech­sel­nd die Bühne. Und alle sehr sou­verän dabei. Das war auch dem Mozart-Quin­tett anzuhören: Hohe Anspan­nung und Konzen­tra­tion ist zu merken. So geschmei­dig der Klang sich dar­bi­etet, bleiben doch einige Kan­ten und eck­ige Phrasierun­gen, die ger­ade die Eck­sätze an manchen Stellen etwas schw­er­fäl­lig wirken lassen. Ander­er­seits passt das auch ins Konzept, das die schw­er­mütige Stim­mung, den etwas gedämpften Opti­mis­mus dieser Musik beson­ders her­vorhebt. Schade nur, das der Klavierk­lang hin­ter der schö­nen Klang­wand der vier Bläs­er etwas ver­steckt bleibt.

150 Jahre später klang die Stadt Paris ganz anders. Wie ein Kom­pon­ist sie in der Zwis­chenkriegszeit erlebte, davon ver­mit­telt Fran­cois Poulencs Sex­tett für Bläs­er und Klavier ein unmit­tel­bar tönen­des Bild: Trubel und Ele­ganz, Läs­sigkeit und Hek­tik prä­gen dieses Sex­tett, das in eini­gen Pas­sagen ein aufre­gend real­is­tis­ches akustis­ches Abbild der Metro­pole zeigt, ohne ander­er­seits die kun­stvolle Fer­tigkeit ihres Schöpfers zu ver­ber­gen. Vor allem in ein­er so plas­tis­chen Auf­führung wie in der Vil­la Musi­ca klingt das berauschend. Da stört es auch kaum noch, dass diese Musik im inti­men Konz­er­traum auf der Bastei eigentlich arg beengt ist – das ver­langt nach Größe und Frei­heit. Unbeküm­mert frisch, unver­braucht drän­gend sprudelt die reich­haltige Rafi­nesse Poulencs aber auch hier, von den Stipen­di­at­en mit Herzblut verge­gen­wär­tigt. Die vie­len präsen­ten Augen­blicke, die sich dank des Überblicks der Inter­pre­ten zu größeren Zusam­men­hän­gen for­men und bei­de Pole in einem aufre­gen­den Gle­ichgewicht hal­ten, sind genau so aufre­gend, wie eben nur Paris sein kann.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

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