Von den Mazurken blieb nicht viel übrig. Das war aber fast zu erwarten, nach dem, was Alexej Gorlatch in der ersten Hälfte seines Klavierabends im Frankfurter Hof geleistet hatte. Gorlatch, der junge, mit Wettbewerbserfolgen reich gesegnete Pianist, der die undankbare Aufgabe übernommen hatte, bei der Reihe „Internationale Pianisten“ für die erkrankte Mihaela Ursuleasa einzuspringen, spielte nämlich einen im eigentlichen Sinne romantischen Klavierabend. Und zwar von Anfang bis Ende, trotz der frühen Beethoven-Sonate am Beginn. Zunächst, bei Beethoven und dem ersten Herantasten an Frédéric Chopin, das Zentrum des Abends, war das noch eine geklärte Romantik.
Dann aber siegte zunehmend Gefühl – bis ins Extrem, bis alle Musik nur noch Emotion war. Vieles, etwa die etwas verloren im Programm stehende d‑Moll-Ballade von Johannes Brahms, zerfühlte er vollkommen. Zerdehnt und zerfasert, aufgelöst in bedeutungslose Klänge wirkte dieses Juwel reichlich trostlos und armselig. Aber nicht immer war das so traurige Kadaverfledderei wie hier. Denn Gorlatch ist ein Klangmagier, ihm steht ein beeindruckender Farbraum mit unerschöpflich wirkenden Nuancierungsmöglichkeiten zur Verfügung. Dabei bevorzugt er vor allem weiche Klänge, deren Schattierungen ständig wechseln, die unaufhörlich in zarten Übergängen ineinander fließen. In diesen Details ist Gorlatch ein großer Meister. Er tüftelt feinste Klänge aus, zaubert immer neue Momente reiner Schönheit und absoluter Kunst, die alle Bindungen an die schnöde Realität des Alltags hinter sich lassen.
Nur bleibt oft der Eindruck, dass er nicht weiß, was er damit machen soll: Das ist reiner Selbstzweck. Schön anzuhören ist das unbedingt, aber auch ermüdend. Denn Spannung entsteht bei ihm nicht durch Strukturen, sondern höchstens – selten genug — durch die Reihe der Klangwechsel und überraschende Tönungen. Er spielt vor allem eine Reihe schöne Momente. Die acht Mazurken aus op. 67 und 68 von Chopin sind bei ihm nur noch ein grenzen- und formloses Wabern, ein verlorenes Umherirren im Labyrinth der Klänge. Er zerreißt die Musik, um an den Schnittkanten besondere Schönheiten zu zeigen. Nur lässt er die Reste dann einfach liegen, er gibt ihnen ihre Form nicht zurück und formt auch selbst nichts neues daraus. Das ist immer wieder faszinierend und in der Poesie der Klangaugenblicke betörend schön. Aber den Werken Chopins wird es kaum gerecht.
(geschrieben für die Mainzer Rhein-Zeitung.)
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