Nach Amerika sind die Schiffe im Museum für Antike Schifffahrt nie gekommen. Das unterscheidet sie von den Musikern der Rheinischen Orchesterakademie Mainz: Die haben, nur mit ihren Instrumenten, ein paar Noten und einem Dirigenten bewaffnet, im Nu den Atlantik überwunden. „Nach Amerika!“ hat das Projektorchester sein 18. Programm überschrieben, ist aber musikalisch schon längst dort angekommen. Und wie immer in den letzten Jahren ist das eine schöne Ergänzung für das Mainzer Musikleben, gerade durch das ungewöhnliche Repertoire. „Nach Amerika!“ verzichtete nämlich auf das Naheliegende wie Dvoraks Sinfonie „Aus der neuen Welt“ und widmete sich statt dessem noch Neuerem aus der neuen Welt: Werke von John Adams, Aaaron Copland und Charles Ives waren im Museum zu hören.
Zwingend und begeisternd zeigten die „Old American Songs“ von Aaron Copland, was in dem jungen Orchester steckt. Das lag aber auch an der Solistin, der in Mainz ausgebildeten Mezzosopranistin Regina Pätzer. Die stürzte sich nämlich voller Elan und Raffinesse in die Songs. Und diese Kopplung von Lebendigkeit, lebenslustiger Leichtigkeit und genauer Detailverliebtheit teilte sie mit dem Orchester. Wunderbar harmonisch gelang das Zusammenspiel: Der Dirigent Martin Lill arbeitete ausgesprochen präzise und brachte das Orchester immer auf den Punkt. Ob es nun um den satten Sound des „Boatmen’s Dance“ ging oder das verspielte Tierstimmen-Imitieren quer durch den Bauernhof von „I Bought Me a Cat“: Solistin und Orchester schöpften aus dem Vollen, ließen mit ihrer Finesse und fein ausgearbeiteten Gewitztheit die sechs Lieder ungemein lebendig und spontan wirken.
Die zweite Sinfonie von Charles Ives, schon um 1900 komponiert, aber erst 1951 kurz vor seinem Tod uraufgeführt, war dagegen im Museum ein wenig enttäuschend. Vielleicht war es die unbarmherzige Akustik, vielleicht die Musiker oder der Dirigent: Hier spielte die ROAM nicht ganz auf dem gewohnten Niveau. Der Anfang zum Beispiel: Das dauerte recht lange, bis sich die Sinfonie wirklich entfaltet und ihren durchaus traditionellen Charme entfalten konnte. Irgendwann kam das auch bei der ROAM – aber erst spät. Abschnittweise gelangen Lill und dem Orchester dann immer wieder intensive und erfüllende Momente. Aber daneben blieben auch viele Schwerfälligkeiten und unorganische Übergänge, die den Eindruck kleinteiligen Gestückels hinterließen: Wie aus einem Baukasten zusammengesetzt lösten sich Motive und Abschnitte ab, die Kanten blieben immer hörbar. Ausgerechnet in den Ecksätzen war das recht deutlich. Der dritte und vierte Satz dagegen zeigten das Potenzial des Orchesters im Kontrast sehr deutlich: Der wunderbaren kantablen Verzückung folgte ein wahrhaft majestätisch großartiger vierter Satz voller Grandezza. Nur fügte sich das alles nicht zu einem Zusammenhang: Große Momente standen neben schlicht banalen Langweiligkeiten. Fast wie bei einer Seereise nach Amerika.
(geschrieben für die Mainzer Rhein-Zeitung.)
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