maybebop, sistemfeler (cover)Einen “Sis­tem­fel­er” diag­nos­tiziert May­be­bop. Und da geht es nicht um den Gesang — der ist fehler­frei, wie man das von May­be­bop erwartet. Und selb­st die ohne­hin hohen Erwartun­gen an ein neues May­be­bop-Album toppt “Sis­tem­fel­er” lock­er. Der Fehler liegt also nicht in der Musik, son­dern in einem anderen Sys­tem — vor allem dem der Gesellschaft. Aber keine Angst: Trotz kri­tis­ch­er Begleitung der Gegen­wart macht “Sis­tem­fel­er” vor allem irre viel Spaß. Man muss ja den Diag­nosen des Han­nover­an­er Quar­tetts nicht zus­tim­men, um die großar­ti­gen musikalis­chen Qual­itäten des Albums genießen zu kön­nen. Und schließlich wäre May­be­bop nicht May­be­bop, wenn sie ihre kri­tis­chen Diag­nosen nicht mit Witz und Ironie ver­mit­teln wür­den – ob es nun um die Glaub­würdigkeit der Nachricht­en geht oder den über­großen gesellschaftlichen Anpas­sungs­druck. In „Auf der Suche“ spießen die Vier die per­ma­nente Erre­ich­barkeit und die Gier nach virtueller Anerken­nung auf und liefern qua­si neben­bei einen Ohrwurm – nicht den einzi­gen auf „Sis­tem­fel­er“ übri­gens. Und die “Ode an die Heimat” the­ma­tisiert in ein­er wun­der­schön san­ft aus­ge­set­zten Bal­lade nicht nur die Heimat­losigkeit der mod­er­nen Viel­reisenden, son­dern auch die Tat­sache, dass man nur dort daheim ist, wo sich das Smart­phone automa­tisch mit dem Router verbindet. San­ft schme­ichelt auch das Finale, „Ab und zu ein paar Geigen“, mit der Unter­stützung der NDR Radio­phil­har­monie. Doch natür­lich ist May­be­bop nicht immer zahm und zurück­hal­tend: Mit schwarzem Humor geht es in “Weil du heut Geburt­stag hast” auch musikalisch ordentlich zur Sache. Und über­all sind Detail­vers­essen­heit und Per­fek­tion­is­mus des Quar­tetts unüber­hör­bar: Jedes Arrange­ment, jede Akko­rd­folge, jed­er noch so aus­ge­fal­l­ene Klang­ef­fekt sind sorgfältigst über­legt und eingepasst. „Sis­tem­fel­er“ ist run­dum stim­mig wie nur wenige Alben, bis zum nerdi­gen Cov­er und Book­let.

Immer wieder spie­len May­be­bop mit Genuss und Kön­nen mit musikalis­chen und nationalen Klis­chees. Die aus­geze­ich­nete Bol­ly­wood-Hymne “Ver­steh das” ist so eine Platitüde, das pen­tatönige „Chi­ne­sis­che Medizin“nimmt nicht nur alter­na­tive Heilkün­ste, son­dern auch das Essen aufs Korn. Alles in allem ist die Vielfalt der Musik ein­fach verzück­end: Der waschechte Marsch (bei dem das vokale Blech dröh­nt und die Füße zuck­en) ist genau­so ein Teil des “Sis­tem­fel­ers” wie Aus­flüge in den Balkan-Pop, das plattdeutsche „Dat du min Leevsten büst“ oder eine gesun­gene Ver­sion des Rav­el-Boleros. Gut, musikalisch ist der bei den Swingle Singers noch bess­er gewe­sen — aber die haben nicht den her­rlich augen­zwinkern­den Text von Oliv­er Gies. Der erzählt ganz aus­ge­feilt einen klas­sis­chen Konzerbe­suchs eines blasierten Ange­bers. Und kurz darauf — nach einem kurzen Abstech­er zur Logik des Beat­box­ens — find­et man sich schon im Hiphop wieder. Über­haupt Oliv­er Gies: Der Bari­ton zeich­net nicht nur für die Arrange­ments ver­ant­wortlich, son­dern hat auch fast alle Texte geschrieben und Melo­di­en kom­poniert. Und da find­en sich echte Klein­ode — wer auf “Sis­tem­fel­er” kein Lieblingslied find­et, ist für a‑cap­pel­la-Pop wohl ver­loren. Oder hoff­nungslos­er Purist, der mit diesem fro­hen Eklek­tizis­mus nichts anfan­gen kann.

May­be­bop: Sis­tem­fel­er. Ellen­berg­er 2017. Spielzeit: 55:44

(Zuerst erschienen in “Chorzeit — Das Vokalmagazin”, #39, Mai 2017)