- Eigentlich ist ja schon vorher alles klar. Denn was soll schon Überraschendes passieren, wenn Jan Garbarek mit seiner Gruppe nach Mainz kommt. Immerhin ist er dieses Jahr schon zum dritten Mal beim Zeltfestival. Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Vielleicht liegt es ja daran, dass die Männer inzwischen schon ordentlich gereift sind. Vielleicht hat aber auch Yuri Daniel damit zu tun. Der ersetzte den kranken Bassisten Eberhard Weber – und er bringt Neues in das Spiel. Langeweile hat also keine Chance im Volkspark. Dabei waren es doch immer noch die gleichen Zutaten, nur in einer anderen Zubereitung. Vor allem gelten die alten Erfahrungen immer noch: Nordische Mystik haucht dies Musik aus.
- Versponnen und lange Zeit bloß träumend zeigt sie eine ganz klare, reine Schönheit ohne Fremdkörper – ein pures Zauberland aus Musik ist das , das trotz seiner Universalität doch immer irgendwie klingt, wie nordische Landschaften aussehen: Karg aber reizvoll und reizend, unwirtlich aber schön.
- Der Saxophonist Jan Garbarek ist dabei der Zeremonienmeister, er behält die Fäden in der Hand. Wie ein kantiger, asketischer Guru steht er streng konzentriert auf der Bühne. Ab und an lässt er seine Mitstreiter von der Leine des strengen Arrangements: Dann darf jeder von ihnen zeigen, dass er auch ein virtuoser Pianist (Rainer Brüninghaus), ein fantasievoller Bassist, der gerne mit sich selbst um die Wette spielt (Yuri Daniel) oder ein aberwitzig auf seine Trommeln einprügelnder Schlagzeuger wie Manu Katché ist. Sonst zeigen die Vier vor allem, wie ökonomisch sie mit ihrem Material umgehen: Sie können Viertelstunden über drei Akkordwechsel und vier kleine Töne spielen – ohne sich zu wiederholen.
- Denn immer wieder entpuppt sich Garbarek außerdem als ein Meister des Übergangs. Nicht zufällig hat das Konzert auch keine Pause: Alles ist genaustes arrangiert und überlegt – und tut seine Wirkung. Denn das ist das wichtigste dieser Musik: Ihr magischer Effekt. Der hängt im Mainzer Zelt wesentlich zusammen mit der Mischung aus alten Klassikern und neuem Material – perfekt einander angenähert. Denn die alten Hits haben sich beim jahrelangen Spielen merklich verändert, aber überhaupt nicht abgenutzt. Sie sind klarer und deutlicher in ihrer Form geworden, dafür ein ganzes Stück kantiger und rauher im Klang. Die absolute Reinheit früherer Jahre ist inzwischen einer authentischeren Form der Schönheit gewichen.
- Kein Wunder, dass da das Publikum auch ganz gebannt und andächtig verzückt lauscht – und bei den wenigen Gelegenheiten, die die Garbarek-Group ihm lässt, in Begeisterung ausbricht. Aber selbst der hartnäckigste Applaus konnte dem Quartett dann gerade einmal eine einsame Zugabe entlocken.
- so hab’ ich das für die rhein-zeitung geschrieben. aber nach etwas nachdenken kamen doch noch einige einwände, ideen:
- rainer brüninghaus ist eigentlich der einzige, der das idyll der heiteren welt aufbricht — wenigstens kurzzeitig. freilich macht er das auch immer nur so weit, dass er den boden nie unter den füßen und den sicheren hafen der konventionen nie aus dem blick verliert
- das gefährliche an dem konzept des mythischen geseires, der scheinbar unproblematischen, ungebrochenen, ja unbrechbaren schönheit der melodien und formalen abläufe ist selbstverständlich die reine aura der heilen welt — ohne irgende eine brechung, da ist soviel aus gefühlsrepertoire und denken der moderne und postmoderne inklusive der ganzen welt des pop integriert, dass es scheint, als wäre das die antwort: der schein der beherrschung, der möglichkeit des beharrens auf dem ideal der weltfremden kunst — aber ist doch eine gefährliche ideologie, weil das im alltag, in der realität gerade nicht ausreicht und deshalb zu frust führen muss — aus dem man denn zu solcher musik, zu solchem kunsthandwerk flieht — das gibt dann einen schönen zirkel, einen verstärkenden kreislauf: der schein von freiheit, wo keine mehr ist z.b.
- das ist scheinbar harmlos, weil sie nix sagt (die wortlosigkeit ist natürlich kein zufall!) — aber sie ist auf perfide, unterschwellige art durchaus beredt. sie will nur nicht verstanden oder entschlüsselt werden: sie tut so, als hätte sie eine lösung, eine versöhnungsmöglichkeit, die fähigkeit zur integration von traum und realität — aber die realität bleibt ein ewiger fremdköprer, es bleibt also immer ein traum, ein gefährlicher traum. auch die abschottung im künstlich dunklen zelt mitten im hellen sommer ist natürlich ein teil dessen
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