Die erste Tourneean­frage hat­te der Chor schon, da war er noch nicht ein­mal gegrün­det. Aus­gerech­net in New York, im Schat­ten der Wall Street, fand der erste Auftritt statt. Ein größer­er Gegen­satz zum beschaulichen Maulbronn ist kaum denkbar. Aber der Maulbron­ner Kam­mer­chor fiel natür­lich nicht ein­fach so vom Him­mel. Der Kirchen­musikdi­rek­tor Jür­gen Bud­day ging schon länger mit dem Gedanken schwanger, neben der Kan­tor­ei noch einen Extra­chor aufzubauen: Ein Ensem­ble, das sich auf hohem sän­gerischem und kün­st­lerischem Niveau vor allem der anspruchsvollen a‑cap­pel­la-Lit­er­atur wid­men sollte. Da hat­te es nur noch die richtige Frage gebraucht, das anzu­pack­en. Und eine Konz­er­tan­frage für die New York­er Trin­i­ty-Church war defin­i­tiv richtig. „Das war mir einen Ver­such wert, damit einzusteigen“, erin­nert sich Jür­gen Bud­day. „Wir haben das Pro­jekt dann erfol­gre­ich durchge­zo­gen und noch in den USA in der Gruppe ein­hel­lig beschlossen, dass wir das unbe­d­ingt fort­führen woll­ten.“
Diese erste Tournee absolvierte der flugs gegrün­dete Maulbron­ner Kam­mer­chor 1983 noch in ein­er kleineren Beset­zung. 25 Sänger waren es damals, die Bud­day um sich scharte: Aus sein­er Kan­tor­ei, aus dem Sem­i­nar, Bekan­nte und Fre­unde.

Einige von ihnen haben nach mit­tler­weile 25 Jahren immer noch nicht genug und sind weit­er­hin dabei. Inzwis­chen ist der Chor aber noch ein Stückchen gewach­sen: Gesun­gen wird in der Regel mit unge­fähr 40 Stim­men – für einen Kam­mer­chor also schon eine opu­lente Beset­zung. Da nicht jed­er der Hob­bysänger bei jedem Pro­gramm dabei sein kann, gibt es unge­fähr 60 Chor­mit­glieder.
Denn inzwis­chen nehmen viele Sänger weite Wege auf sich, um mitsin­gen zu dür­fen. Gut, aus Übersee kom­men sie nicht, aber doch aus ganz Deutsch­land. Daraus resul­tiert auch die beson­dere Proben­tech­nik: Vor dem ersten Chor­woch­enende erar­beit­en sich die Sänger das neue Reper­toire in soge­nan­nten Regio­proben, die sie selb­st organ­isieren und leit­en. Für den Leit­er ist das eine feine Sache: Wenn er sich das erste Mal mit dem Chor zum Proben­woch­enende im Maulbron­ner Sem­i­nar trifft, kann er sich gle­ich ganz der Musik wid­men. Und darum geht es ja schließlich.
Die Musik, das ist Bud­day wichtig, ist das, was hin­ter den Noten ste­ht. Und deshalb nutzt er die Erken­nt­nisse der his­torischen Auf­führung­sprax­is ganz selb­stver­ständlich: „Das ist ein­fach ein anderes Musizieren. Wenn man das ein­mal gemacht hat, will man nie wieder anders auf­führen. Der Klang wird viel klar­er, durch­sichtiger und beweglich­er.“ Und wer die Hän­del-Ora­to­rien der Maulbron­ner gehört hat, weiß was das heißen kann. Diese Serie der Ora­to­rien ist das bish­er let­zte große Kapi­tel in der beein­druck­enden Erfol­gs­geschichte des Kam­mer­chor und inzwis­chen auch auf der chor­eige­nen CD-Rei­he verewigt.

Auch die – meist geistlichen – a‑cap­pel­la-Pro­gramme sollte man sich nicht ent­ge­hen lassen. Denn zu Recht sind die Maulbron­ner stolz auf ihren Klang (und haben ihre opu­lente Festschrift auch ein­fach so über­schrieben: „Klang“). Ihr zarter Nunan­cen­re­ich­tum und der enorm fokussiert, flex­i­ble Sound begeis­tern immer wieder. Trotz des Übersee-Starts und der vielfälti­gen Konz­ertreisen der let­zten 25 Jahre sind sie ihrer Heimat dabei immer ganz beson­ders verpflichtet geblieben: Dem Maulbron­ner Kloster. Das hat ver­schiedene Gründe. Die Auf­gabe als Res­i­den­z­chor für die Klosterkonz­erte, deren Leitung Bud­day eben­falls inne hat, ist nur ein­er davon. Aber er treibt den Diri­gen­ten doch an: Adäquat muss die Musik sein, zum Raum und zur spür­baren örtlichen Tra­di­tion des Weltkurl­turerbes passen. Der zweite wichtige Grund ist das Maulbron­ner Evan­ge­lis­che Sem­i­nar. „Das Sin­gen gehört hier ganz selb­stver­ständlich zum täglichen All­t­ag, zum Vol­lzug des Lebens ein­fach dazu.“ Und aus der Riege des Sem­i­nar­chors kann Bud­day dann gezielt für den Kam­mer­chor rekru­tieren. Nach­wuch­sprob­leme hat der Chor so über­haupt nicht. Das erk­lärt auch die gesunde Altersstruk­tur, die von 17 bis 60 Jahren reicht. „Es ist ganz enorm wichtig, den Chor immer von untern her aufzufrischen. Das ist dem Klang beson­ders dien­lich. Und“, ergänzt der erfahrene Diri­gent, „es ist auch eine Her­aus­forderung für die etablierten Sänger, stimm­lich immer auf der Höhe zu bleiben.“

Um ihn selb­st geht es am wenig­sten, wenn man mit ihm über den Kam­mer­chor spricht. Er erzählt nur von zwei Din­gen: „Seinen“ Sängern und der Musik. Doch ohne ihn ist der Maulbron­ner Kam­mer­chor nicht zu denken. Nicht nur als Chor­päd­a­goge prägt er das Ensem­ble, auch die Konz­ert­pro­gramme tra­gen deut­lich seine Hand­schrift. „Inhaltlich strin­gente und klar struk­turi­erte Pro­gramme, die ein gewiss­es Spek­trum eines bes­timmten The­mas abe­deck­en und zugle­ich auch musikalisch-stilis­tis­che Entwick­lun­gen zeigen“, das hat er sich zum Ziel geset­zt. „Und mit­tler­weile hat der Chor diesen Anspruch voll über­nom­men. Die Sänger sind sehr bedacht auf zwin­gende Pro­gramme und machen auch eigene Vorschläge.“ Solche aus­gek­lügel­ten the­ma­tis­chen Konz­erte tru­gen in den let­zten Jahren Titel wie „Der Men­sch lebt und beste­het“, „Du ver­wan­dels meine Klage in einen Reigen“ oder „Von Mor­gens früh … und bis zur Nacht“.

2008 stand dage­gen ganz im Zeichen des 25-jähri­gen Beste­hens. Die großen Jubiläum­skonz­erte – wieder ein­mal quer durch Deutsch­land – hat der Chor im Mai schon absolviert. Am 11. Juli wird es auf der Maulbron­ner See­bühne aber noch eine Gesamtschau der Hän­del-Ora­to­rien zu hören geben. Und am 27. Sep­tem­ber wird das Jubiläum­s­jahr mit zwei Auf­führun­gen der Bach­schen h‑moll-Messe endgültig been­det. „Dann müssen wir uns auch erst ein­mal erholen. Schließlich machen die Sänger das alle neben ihren eigentlichen Berufen.“

(geschrieben für die neue chorzeit)