joachim kaiser hat sich in der heuti­gen sz mal wieder zu wort gemeldet. so sehr ich auch seine ver­di­enst schätze — seine schriftlichen ergüsse der let­zten jahre sind meis­tens kaum noch les­bare, ver­schwurbelte selt­samkeit­en, die zwar von einiger bil­dung zeu­gen, in ein­er mod­er­nen zeitung aber eigentlich nichts zu suchen hät­ten (dass die sz sie brav weit­er druckt, ver­ste­he ich — bei allem respekt vor sein­er bedeu­tung für diese zeitung — nicht. und schon gar nicht, dass sie sie so promi­nent platziert.) heute geht es um die ver­tragsver­hand­lun­gen mit dem diri­gen­ten chris­t­ian thiele­mann, dessen orch­ester ihm für eine ver­längerung seines engage­ments als gen­eral­musikdi­rek­tor, also chefdiri­gent, zwei sehr ein­deutige bedin­gun­gen gestellt hat: mehr konz­erte mit den münch­n­er phil­har­monikern, weniger — d.h. keinen — ein­fluss auf die pro­gram­mgestal­tung des gast­diri­gen­ten (das soll die inten­danz regeln). eigentlich scheint das für heutige orch­ester und deren arbeit bei­des nicht völ­lig unsin­nig, wie die redak­teure der sz nach eini­gen anfänglichen irrwe­gen inzwis­chen auch sehen und entsprechend schreiben. für joachim kaiser gilt aber irgend­wie anderes.

denn in seinen heuti­gen aus­führun­gen — trotzig über­titelt “Thiele­mann muss bleiben!” (als hätte kaiser in dieser sache etwas zu sagen …) — und mit dem hochsta­p­lerischen unter­ti­tel “zum stand ein­er trau­ri­gen, blam­ablen diri­gen­ten-debat­te” verse­hen schmeißt er lustig mit pseu­do-argu­menten und ver­leum­dun­gen um sich. schon der unter­ti­tel ist ja beze­ich­nend: die debat­te (die gar nicht so sehr debat­te ist, son­dern in erster lin­ie eine ver­tragsver­hand­lung zwis­chen stadt, d.h. v.a. dem münch­n­er kul­tur­ref­er­enten, und thiele­mann) ist wed­er trau­rig noch blam­a­bel. blam­a­bel ist höch­stens der umgang damit, die ständi­ge evozierung (v.a. durch kaiser selb­st), so ein musik­er wie thiele­mann müsste um jeden preis in münchen gehal­ten wer­den. schlim­mer finde ich aber, was dann in den ersten sätzen zumin­d­est durch­schim­mert: da legt kaiser, immer­hin ein adorno-schüler, doch sehr, sehr nahe, dass dieser orch­ester­vor­stand (das “soge­nan­nte” kon­nte er sich wohl ger­ade noch so verkneifen) gefäl­ligst die klappe hal­ten soll, froh sein soll über den star am pult und gefäl­ligst hinzunehmen habe, wenn dieser sich wie ein autokratis­ch­er orch­ester­herrsch­er des 19. oder frühen 20. jahrhun­derts geriert.

statt sich aber wirk­lich damit auseinan­der zu set­zen, was das denn heißt, wenn ein orch­ester­vor­stand den einge­s­tanden dur­chaus radikalen weg geht, eine weit­erbeschäf­ti­gung thiele­manns von bes­timmten bedin­gun­gen abhängig zu machen, und was es ander­er­seits bedeutet, wenn sich thiele­mann — wie es momen­tan scheint — stand­haft weigert, darauf einzuge­hen, lässt sich kaiser die restlichen zwei drit­tel seines (wie immer über­lan­gen) textes (der übri­gens selb­st nicht weiß, ob er kom­men­tar, nachricht oder kri­tis­che würdi­gung sein soll — ein in sein­er per­fidiz­ität typ­is­ches instru­ment kaisers), lässt sich kaiser also mehr als reich­lich aus über den vor­wurf des eingeschränk­ten reper­toires thiele­manns aus. das geschieht aber wieder in sehr beze­ich­nen­der weise: erstens ist der vor­wurf, den kaiser hier find­et, so gar nicht vorge­wor­fen wor­den. das prob­lem ist nicht so sehr thiele­manns beschränkung in reper­toire-fra­gen (auch wenn ich per­sön­lich das für arg eng halte), son­dern wie er damit umge­ht und sein orch­ester damit umge­hen lässt. dann behauptet kaiser aber, diesem “vor­wurf”  (den er übri­gens, wieder so eine per­fide masche, auf “lieblingsstücke” bezieht …) könne man einiges ent­geg­nen. genau das tut er dann aber nicht, son­dern behauptet es nur. er führt dann erst ein­mal aus, dass andere große inter­pre­ten, v.a. arthur rubin­stein, auch nur wenig gespielt hät­ten. na und? er hätte sich bess­er ein­mal die diri­gen­ten der let­zten 30–50 jahre angeschaut. dort ist solche ein­schränkung näm­lich eher sel­ten gewor­den, scheint mir (und auch bei den instru­men­tal­is­ten inzwis­chen dur­chaus nicht mehr so prä­gend — bren­del ist da in seinen späten jahren schon eher eine aus­nahme). so, das war die erste hälfte des textes. statt aber noch mehr des “einiges” anzuführen, zeigt kaiser lieber, dass er thiele­mann schon öfters gehört hat und dass der ganz toll dirigieren kann — geschenkt, das bestre­it­et ja nie­mand. strit­tig ist ja nur die frage, ob daraus, näm­lich der begabung für die inter­pre­ta­tion einiger ästhetis­ch­er werke, schon die berech­ti­gung abzuleit­en ist, dass man als autoritär­er sach­wal­ter über ein orch­ester, d.h. andere men­schen, ver­fü­gen und bes­tim­men darf. dazu schweigt kaiser aber aus­dauernd.

er kommt statt dessen zu einem ziem­lich weichen faz­it: “Solche Ereignisse [Thiele­manns bessere, d.h. gelun­gene Inter­pre­ta­tio­nen] aber sind es, die eigentlich erst begrün­den, warum es einen hochsub­ven­tion­ierten, in jed­er Weise ‘teueren’ Musik­be­trieb über­haupt geben sollte.” — da hätte er bess­er noch ein­mal drüber nachgedacht: denn erstens bestre­it­et das (in dieser debat­te) ja nie­mand, dass es den musik­be­trieb geben sollte (die offen­bar nicht unbe­trächtlichen hon­o­rar­forderun­gen thiele­manns sind ja gar nicht gegen­stand der kon­tro­verse — obwohl man da, in zeit­en der ver­suche, vergü­tun­gen der freien wirtschaft leg­isla­tiv zu regeln, auch mal drüber nach­denken kön­nte …). zweit­ens wäre ja, wenn kaisers faz­it so ein faz­it wäre, noch über­haupt nichts dazu gesagt, ob man — und auch ob Thiele­mann — solche momente höch­ster erfül­lung (die gewiss einiges an pein aufwiegen) nur erre­icht, wenn man weit­er das ego eines autokratis­chen diri­gen­ten päp­pelt oder ob es nicht auch andere, kom­mu­nika­ti­vere wege dazu gibt. die empirie, z.b. in berlin, zeigt, dass der “neue” weg, die abkehr vom diri­gen­ten­herrsch­er, keineswegs dem ästhetis­chen glück ent­ge­gen ste­hen muss.