Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

wenn man nicht lesen kann …

… dann sollte man eigentlich nicht ger­ade als lit­er­aturkri­tik­erin arbeit­en. warum ich diese bin­sen­weisheit hier nieder­schreibe? weil ver­e­na auf­fer­mann heute ihre kri­tik von peter kurzecks „okto­ber und wer wir selb­st sind”, über das ich hier im blog ja auch schon etwas hin­ter­lassen habe, in der süd­deutschen zeitung (lei­der online nicht zu find­en) veröf­fentlicht. und da sind so einige fehllek­türen gesam­melt. zum beispiel wird Peter Kurzeck zum „Fall des absoluten Präsens.” das klingt zwar schlüs­sig, stimmt aber über­haupt nicht. denn das span­nende und faszinierende an kurzecks schreiben ist ja ger­ade, dass er sich nicht (mehr) im präsens aufhält, dass er wie kaum ein ander­er schrift­steller das verge­hen und die vergänglichkeit der zeit, des lebens und jed­er erin­nerung auf­schreibt, zu bewälti­gen ver­sucht, in sprach­liche for­men fasst. und wie man dann auf die idee kommt, kurzeck (oder seinen erzäh­ler, aber diese unter­schei­dung inter­essiert auf­fer­mann offen­bar — wie die meis­ten lit­er­aturkri­tik­er — über­haupt nicht, sie unter­stellt ganz unbe­d­ingt einen „radikalen BIographish­mus”) als „ideale[n] Igno­rant der Außen­welt” zu charak­ter­isieren, erschließt sich mir auch nicht so ganz.

noch ein beispiel gefäl­lig? aber gerne doch: auf­fer­mann schreibt über „Okto­ber und wer wir selb­st sind”: „Noch bei keinem Buch, behauptet er, habe die Sprache ihn so sehr gepackt.” aber das ist blödsin­nig. sie macht hier gle­ich zwei fehler: zum einen ist das nicht peter kurzeck, der diese behaup­tung äußert, son­dern der erzäh­ler peta. vor allem aber geht es über­haupt nicht das aktuelle Buch von Kurzeck, son­dern um das let­zte Buch des Erzäh­lers! und einige absätze später wird diese fehllek­türe noch poten­ziert. jet­zt wird eine äußerung des erzäh­lers zu seinem let­zten buch („Ein Buch, wie es noch keins gibt, aber wie es scheint, merkt das kein­er.” — übri­gens auch noch falsch zitiert)) umstand­s­los peter kurzeck in den mund gelegt und auch noch nach 1983 datiert

was mich son­st noch so nervt an auf­fer­manns aus­las­sun­gen: sätze wie dieser hier: „Eine Sprache, die den Satz alter Ord­nung ver­mei­det.” — das ste­ht hier ein­fach mal so herum. aber was heißt dass denn? ist es über­haupt wahr? und ihre kri­tik ist voll von solchen din­gen — son­st aber bietet sie wenig, viel zu wenig. natür­lich wer­den die ver­gle­iche zu Robert Walser und Mar­cel Proust wieder aufgerufen (wie es sich in let­zter zeit einge­bürg­ert hat, natür­lich nur ex neg­a­ti­vo: „Auf die hap­pi­gen und immer wieder zu lesenden Ver­gle­iche von Proust bis Robert  Walser verzicht­en wir.” (übri­gens auch mal so ganz neben­bei ein reich­lich unglück­lich­er satz …)). natür­lich wird wieder fest­gestellt, dass man kurzeck liebt oder eben nicht (ob das so wahr ist, daran zwei­fle ich dur­chaus noch): „Entwed­er hält man das aus und ver­fällt der Sprach­melodie […] oder nicht. Es gibt keine Vier­tel- oder Hal­bliebe, nur ganz oder gar nicht.” und natür­lich wird auch wieder das topos der anspruchsvollen lit­er­atur, die zu wenige leser find­et und hat, bemüht: „Bes­timmt zu wenige, bes­timmt schreibt dieser eigen­willige Frank­furter Kyniker das Gegen­teil von Massen­ware.” (auch das ver­steckt sich wieder so eine behaup­tung: kurzeck sei ein Kyniker. so wie ich peter kurzeck, ihn selb­st und seine büch­er, kenne und ander­er­seits den Kynis­mus als bewusst entsch­iedene Entsa­gung materieller Güter und damit der gewoll­ten Rück­kehr zu der Ein­fach­heit des Naturzu­s­tandes ver­ste­he, komme ich da nicht zu ein­er übere­in­stim­mung. aber lei­der führt auf­fer­mann ja nicht weit­er aus, inwiefern kurzeck kynisch sei.

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  1. ulrico katakana

    Lieber Matthias,

    Es ist lobenswert, daß Du Ver­e­na A. ein­mal zeigst, wo’s lang geht. Sie ging mir schon als Teil­nehmerin des Lit­er­arischen Quar­tetts mit ihrer betulichen, arro­gan­ten, bil­dungs­bürg­er­lichen Art ganz schön auf die Ner­ven. Dann rezen­sierte sie ein Buch der Kusine mein­er Mut­ter, die ein Erin­nerungs­buch über ihre Eltern geschrieben hat­te. Das Buch habe ich allerd­ings nicht gele­sen. Da hieß es am Schluß: Man nimmt mit Respekt Reißaus. So in etwa. “Was soll das heißen?” frage auch ich. Ist das Buch nun schlecht oder nicht?
    Laufen dem­nächst wieder. Ich habe heute abend noch bei Dir angerufen, aber es hat sich kein­er gemeldet. Bis die Tage.
    Weit­er­hin so gnaden­lose Rezen­sion­srezen­sio­nen, bitte!
    Viele Grüße!
    Ulri­co Katakana

  2. ulrico katakana

    Lieber Matthias,

    Nach der Lek­türe einiger Dein­er Kri­tiken muß ich sagen:
    Du bist ein­er der härtesten Kri­tik­er über­haupt, weltweit, glob­al, aber auch sich­er in Mainz und Umge­bung. Dir entkommt nie­mand, kein Fehler bleibt ungerügt.
    Daß die Uni Jobange­bote der Lufthansa ver­schickt, finde ich allerd­ings auch sehr dubios.
    Gib Ihnen weit­er Saures! Kämpf gegen die dun­kle Seite der Macht!
    Yours sin­cere­ly,
    Ulri­co “Sky­walk­er” Hari­g­ana

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