Gleich zwei Anthologien mit deutscher Lyrik aus der Zeit des Ersten Weltkriegs sind zufällig fast zusammen bei mir aufgeschlangen: Florian Voß’ Sammlung “Weltkrieg! Gefallene Dichter 1914–1918″ und “Die Dichter und der Krieg”, ein von Thomas Anz und Joseph Vogl herausgegebenes Reclam-Bändchen.
Auch wenn mir die im Allitera-Verlag erschienene Edition zunächst sehr gut gefallen hat: Anz & Vogl liefern die bessere Anthologie. Dabei sind die beiden Bände ganz unterschiedlich angelegt und durchaus auch beide verdienst- und wertvoll. Aber trotzdem empfehle ich das Reclam-Heft eher — nicht nur wegen des besseren Preis-Leistungsverhältnisses (7,4 Cent pro Gedicht vs. 19 Cent). Anz & Vogl haben allerdings auch einen anderen Anspruch. Während Voß nur Dichter berücksichtigt, die im Krieg umgebracht wurden und auch diese personale Auswahl noch ästhetisch weiter einschränkt:
Ich habe in dieser Anthologie ausschließlich deutschsprachige Lyriker versammelt, die der Moderne zugehörig und zudem im Ersten Weltkrieg gefallen sind oder an dessen Folgen starben. Lyriker‚ die in ihren Gedichten den Krieg verherrlichten, wurden von mir nicht in Betracht gezogen. (64)
Dagegen bemühsen sich Anz & Vogl um große Bandbreite, mögliche Repräsentivität der “Literaturlandschaft” bzw. der deutschsprachigen Lyrikproduktion zwischen 1914 und 1918. Natürlich legen sie auch ästhetische Kriterien an (die sie im Gegensatz zu Voß freilich nicht deutlich offenlegen) und natürlich bleibt die Auswahl — bei so knappem Umfang (1982 hatten die beiden Herausgeber das gleiche Thema schon einmal ausführlicher bearbeitet), der bei beiden Sammlungen den Abdruck von etwas mehr als 50 Gedichten ermöglichgt — problematisch. Aber die Übeschneidungen sind gering: Zwei Gedichte finden sich in beiden Sammlungen, Kurd Adlers “Geschütz” und Georg Trakls “Grodek” — beides natürlich auch Gedichte, die man nicht einfach auslassen kann. Noch ein kleiner Punkt gefällt mir bei Reclam besser: Jedes Gedicht hat einen Quellennachweis — bei Voß gibt es das überhaupt nicht. Und das Nachwort von Anz und Vogl ist auch deutlich substanzieller als das von Voß.
Dafür kann Voß für sich geltend machen, mehr von den (fast) vergessenen Dichtern (bei ihm kommen naturgemäß keine Frauen vor, bei Anz & Vogl sind immerhin drei Dichterinnen aufgenommen worden) zu zeigen: Kurd Adler eben, aber auch Hans Ehrenbaum-Degele oder Georg Hecht und Walter Ferl, um nur einige wenige zu nennen.
“Die Dichter und der Krieg” ist dagegen deutlich vielfältiger: In den thematisch gegliederten Kapiteln — z.B. “Beginn”, “Krieg und Kunst”, “Kriegsmaschinen”, “Vaterland — Menschheit” und “Schuld und Trauer” — sind eben auch kriegsbegeisterte Lyriker vertreten und auch propagandistische Verse wie Ernst Lissauers “Haßgesang gegen England” oder Will Vespers “Liebe oder Haß?” sind abgedruckt. Aber obwohl alle drei Herausgeber auf ein ungeheuer großes Lyrikrepertoire zurückgreifen können — während des Krieges erlebte die Versdichtung eine enorme Konjunktur — sind in beiden Auswahlbänden nur ganz wenig bekannte Gedichte vertreten, die auch unabhängig von Kriegsjubiläum und Erinnerung noch gelesen werden. Ich vermute, dass hängt einerseits mit ästhetischen Gründen zusammen — vom frühen Expressionismus, der modernen Literatur überhaupt der 1910er und 1920er Jahre wird heute nur noch wenig rezipiert -, hat andererseits sicherlich aber auch thematische Gründe: Kriegsdichtung (oder auch Antikriegsdichtung) entspricht nur bedingt dem heute vorherrschenden Anspruch an Lyrik und ihre Themen … Das beides zu ändern, dazu sind diese zwei Sammlungen zur Lektüre unbedingt zu empfehlen.
Anz, Thomas & Joseph Vogl (Hrsg.): Die Dichter und der Krieg. Deutsche Lyrik 1914–1918. Stuttgart: Reclam 2014. 103 Seiten. ISBN 9783150192559.
matthias mader (@matthias_mader)
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