Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: erster weltkrieg Seite 1 von 3

Aus-Lese #43

Doris Knecht: Wald. Berlin: Rowohlt Berlin 2015. 270 Seit­en.

knecht, waldMan kön­nte Doris Knechts Wald als „Streeruwitz für Anfänger“ beze­ich­nen: Ein dezi­diert fem­i­nis­tis­ch­er Roman, der auf aktuelle Gegeben­heit­en reagiert. Für „Anfänger“ deshalb — das ist nicht abw­er­tend gemeint -, weil Knecht die Radikalität und Härte, auch im stilis­tis­chen, von Streeruwitz fehlt. Das macht Wald zunächst mal ein­fach­er les­bar. Die naht­los wech­sel­nden, fast ineinan­der glei­t­en­den ver­schiede­nen Stil­la­gen und das beschwörende, fern an Thomas Bern­hard erin­nernde (oder sind das nur die Aus­tri­azis­men?) insistierende Wieder­holen bes­timmter (Schlüssel-)Begriffe ver­lei­hen dem Text einen ganz eige­nen, inter­es­san­ten und oft fes­sel­nden Klang.

Es geht hier um ein Reak­tion auf die let­zte Weltwirtschaft­skrise — die ganz spezielle der Luxus-Mode-Designer­in Mar­i­an, die sich mit der Erweiterung ihres exk­lu­siv­en Geschäftes ver­spekuliert hat und, um der dro­hen­den Pri­vatin­sol­venz zu ent­ge­hen, aus ihrem Leben, der Stadt und der Gesellschaft flieht in ein dör­flich­es Haus im Fam­i­lienbe­sitz, wo sie nun ver­sucht, ohne Geld in ein­er Art Sub­sis­ten­zwirtschaft zu über­leben. Das klappt natür­lich nicht so ganz, da sind ein paar Hüh­n­erdieb­stäh­le eben­so notwendig wie eine Art Pros­ti­tu­tion mit dem im Dorf resi­dieren­den Großbauern/Gutsbesitzer.

In der radikal weib­lichen Per­spek­tive kristallisiert sich das und die Hin­ter­grundgeschichte Mar­i­an in der von Knecht sehr klug und har­monisch gestal­teten Infor­ma­tionsver­gabe erst sehr allmäh­lich und Stück für Stück her­aus. Gut gefall­en hat mir, wie Knecht hier auf die Labil­ität des morder­nen Wohl­stan­dlebens hin­weist und die neue Archaik unter den Bedin­gun­gen der absoluten Exis­ten­zsicherung auf ein­mal jede Roman­tik ver­liert. Wenn man Mar­i­an dann als Exem­pel liest, entwick­elt Wald also eine all­ge­meine Dystopie: Die mod­erne kap­i­tal­is­tis­che Gesellschaft ist nur eine sehr dünne Hülle. Und es gibt wenig Möglichkeit­en, sich dem zu entziehen — auch im Wald bleibt Mar­i­an ja im Sys­tem gefan­gen, die Beziehung zu Franz, ihrem „Gön­ner“ unter­schei­det sich eigentlich nur in einem Punkt zu ihrem bish­eri­gen Leben im Mark­tkap­i­tal­is­mus: Die Abhängigkeit, das Aus­geliefert Sein ist nun direkt, liegt für alle Beteiligten (und die Zuschauen­den der Dor­fge­mein­schaft) offen, im Gegen­satz zu der verdeckt-indi­rek­ten Abhängigkeit von weni­gen wohlhaben­den Käuferin­nen zuvor. Einen Ausweg gibt es also nicht — auch das etwas lieto-fine-mäßige Hap­py-End führt aus dem Sys­tem nicht her­aus, son­dern sta­bil­isiert nur die Abhängigkeit­en.

Sie hat­te nicht im Auge gehabt, dass die Weltwirtschaft­skrise die Zeit­en und Gegeben­heit­en viel radikaler verän­derte, als es auf den ersten Blick, ihren Blick, schien: dass die Zeit­en näm­lich für alle unüber­sichtlich gewor­den waren, auch für die ganz Smarten. (59)

Mara Gen­schel: Ref­eren­zfläche #5. 2016

Zu den Ref­eren­zflächen von Mara Gen­schel etwas kluges oder auch nur halb­wegs vernün­ftiges zu schreiben fällt mir sehr schw­er. Deswe­gen hier nur so viel: Auch die fün­fte Aus­gabe hat mich (wieder) fasziniert. Sie begin­nt — etwas über­raschend — zunächst fast mir ein­er richti­gen Sto­ry: Der Zer­störung (die an Pierre Boulez’ Auf­forderung, die Opern­häuser in die Luft zu spren­gen, erin­nert) des Wies­baden­er Lit­er­aturhaus­es Vil­la Clemen­tine. Aber das, was zer­stört wird, ist natür­lich wieder nur der Text der Vil­la Clemen­tine. Bilder wer­den zu Tex­ten: ein mit Tesafilm eingek­lebter Zettel „Türk­nauf“ repräsen­tiert im Bil­drah­men die Repräsen­ta­tion des repräsen­ta­tiv­en Bauw­erks der repräsen­ta­tiv­en Kun­st (oder so ähn­lich). Dieses Spiel mit den Eben von Text und außer­textlich­er Welt, die Aufhe­bung der tra­di­tionellen strik­ten Unter­schei­dung dieser Sig­nifika­tions­bere­iche ist ja das, was mir an Gen­schels Ref­eren­zflächen so viel Freude bere­it­et. Und das funk­tion­iert auch hier wieder: Der Text ist Text ist Wirk­lichkeit, ist aber schon als Text nicht mehr nur Text, son­dern auch Bild und Mon­tage (eingek­lebte und eingeschriebene Texte), ist aber auch als Text schon zer­stört durch Über­schrei­bun­gen, ver­rutschte Zeilen und Durch­stre­ichun­gen etc. Und er wird in sein­er Mate­ri­al­ität ad absur­dum geführt (?), wenn leere Seit­en einen Rah­men erhal­ten, auf dem ein eingek­lebtes „Blatt 3“ die Leere repräsen­tiert und natür­lich zugle­ich wieder zer­stört. In diesem ewigen sic-et-non, diesem ver­spiel­ten hier-und-da muss man wohl den Raum der Ref­eren­zfläche sehen und schätzen.

Daniela Danz: V. Göt­tin­gen: Wall­stein 2014. 80 Seit­en.

Und wo das Vater­land anfängt
ist ein dun­kler Ort
wie Schnee
der die Umrisse zeigt
wie alles was aufhört (49)

danz, v„Gedichte“ ver­heißt V im Unter­ti­tel. Und doch begin­nt es nach dem Auf­takt im prinicip­i­um nach dem weit zurück­greifend­en Zitat aus Zedlers Uni­ver­sallexikon zum Begriff “Vater­land” erst ein­mal mit Prosa (mit dunkel funkel­nder, die mich etwas an Klaus Hof­fers Bieresch-Romane erin­nert), die neue Mythen erzählt. Oder: Kurze Prosa, die Beobach­tun­gen als mythis­che erzählt, leicht melan­cholisch ange­haucht. Immer schwingt da auch ein biss­chen Ver­fall und Nieder­gang mit.

Schon hier, noch viel stärk­er dann aber in den fol­gen­den Gedicht­en, ist Heimat bei Danz immer ein prob­lema­tis­ch­er Begriff: Ger­ade wie selb­stver­ständlich ist er immer gefährdet und immer im Wan­del — einem Wan­del, der nicht Verbesserung, son­dern in der Regel eher Ver­schlechterung und Ver­fall bringt und Prob­leme offen­legt, Prob­leme auch im Ver­hält­nis des lyrischen Ichs zu Heimat und Vater­land. Schon der Anfang zeigt das schwierige/problematische Ver­hält­nis der Autorin/Erzählerin zur “Heimat” sehr deut­lich auf. Der Band set­zt mit den Zeilen ein: “Das ist das Land von dem man sagt / das alles hier aufhört und alles anfängt”. Das erste Gedicht endet dann am Ende der ersten Seite mit dem Vers: “aber du woll­test umkehren” — also die Rück­kehr (?) in die Heimat wird prob­lema­tisiert, sie geschieht nicht (ganz) frei­willig, sie bleibt mit Wider­stän­den ver­bun­den.

V lebt immer schon im dis­tanzierten, kri­tis­chen Ver­hält­nis zum Vater­land und zur Heimat: aus der (auch emo­tionalen) Span­nung zwis­chen diesen bei­den Begrif­f­en, auch zwis­chen Natur/Landschaft und Menschen/Politik (der Nation­al­staat­en) ziehen die meis­ten Texte ihre Poten­tial. Die sind oft lakonisch, immer genau und manch­mal schmerzhaft. Vor allem im “Exemplum”-Teil wird dann die poli­tis­che Kom­po­nente von Heimat (auch von Land­schaft!) beson­ders deut­lich, aber auch die “echte” Poli­tik — und der Mythos (auch der neu erfun­dene, selb­st gemachte — vgl. die Prosastücke des Beginns) — spie­len hier eine große Rolle. Im Ganzen ist Veine manch­mal selt­same Mis­chung aus roman­tisch (?) verträumter Empfind­ungs- und Gefühlslyrik und har­ter Real­ität­sauf­nahme der Gegen­wart der Post­mod­erne (und der nation­al­staatlichen Poli­tik), zusät­zlich gekop­pelt und aufge­laden mit mythol­o­gis­chen Aspek­ten — der Clash dieser bei­den Blicke wird im let­zten Gedicht sehr deut­lich vorge­führt.

Ein Band mit anre­gen­der, oft fes­sel­nder Kurzprosa und Lyrik (aber diese teilende Unter­schei­dung wird ja ger­ade sowieso zunehmend brüchig, von bei­den Seit­en gibt es Auflö­sungser­schei­n­un­gen) also, der for­mal zwar keine Gren­zen austestet, es mir aber durch seine Vielfalt in Form und Inhalt (und der mein­er sehr nah­este­hen­den Posi­tion zu „Heimat“) sehr ange­tan hat.

Die schnellen Zügen hal­ten kaum in unser­er Gegend
wer sieht den Weg schon hier das Feld umfassen
seitlich so als hielte er allein es davon ab
das Korn mit ein­er Husche in die Furchen zu ver­streuen
so wie die Män­ner hier auf Rädern sich begrüßen
es nichts bedarf als eines Nick­ens anerken­nend
um zu sagen: ich seh du leb­st
vom Zug aus ist das alles immer schon in rechts
und links geschieden bleibt die Land­schaft nur ein Anblick
[…] (23, Hier)

Leon­hard Frank: Der Men­sch ist gut. Zürich, Leipzig: Max Rasch­er 1918. 209 Seit­en. (Europäis­che Büch­er)

Eigentlich unvorstell­bar, dass so etwas heute geschrieben wer­den kön­nte: Nicht nur wegen des Paz­i­fis­mus (der ja aus dem gesellschaftlichen Diskurs ziem­lich radikal ver­drängt wurde von den „Realpoli­tik­ern“ …), son­dern ger­ade auch wegen des unge­heuren Opti­mis­mus, der aus allen Zeilen dieser mit­ten im größten Schlacht­en aller Zeit­en ver­fassten Erzäh­lun­gen spricht, ja eigentlich sog­ar schre­it, wirkt Der Men­sch ist gut von Leon­hard Frank total unzeit­gemäß. Dabei ste­ht dieses mal als das „lei­den­schaftlich­ste Buch gegen den Krieg […], das die Weltlit­er­atur“ aufweise beze­ich­nete Werk in sein­er Zeit — es erschien erst­mals 1918, als der Erste Weltkrieg noch tobte — gar nicht mal allein. Heute mag vieles naiv anmu­tend: Der Glaube an eine kom­mende Rev­o­lu­tion, die Fähigkeit der (Nächsten-)Liebe, alles Böse (und den Krieg) zu über­winden — das ist heute etwas fremd. Aber so radikal Franks „Lösung“ — er spricht sog­ar von einem „Rev­o­lu­tion­szug der Liebe“ (111) — ist, so radikal und erschüt­ternd ist auch seine Schilderung der blutig­sten Grausamkeit­en des „Großen Krieges“, des sinnlosen Stel­lungskrieges und des Unsinns des Fal­l­ens auf dem soge­nan­nten „Feld der Ehre“ — die Leere dieses Topos the­ma­tisieren die Nov­ellen von Frank immer wieder.

So hehr Überzeu­gung und Ziel Franks sind — sein hier uner­schüt­tlich­er Glaube an das Gute in den Men­schen, das alles Böse über­winden und ver­drän­gen wird — ästhetisch ist das mit hun­dert Jahren Abstand doch etwas dünn. Nicht nur die vie­len Wieder­hol­un­gen, die fehlende Var­i­anz, son­dern ger­ade die Formel­haftigkeit des Textes und seines Inhaltes schwächen Der Men­sch ist gut deut­lich. Ich kann das nur noch als eine Art Zeitzeug­nis lesen: Das war ja keineswegs eine total abseit­ige Posi­tion, die Frank hier ein­nimmt — Der Men­sch ist gut war ein unge­heuer erfol­gre­ich­es Buch. (Und doch blieb er, schaut man auf den weit­eren Ver­lauf der Geschichte, im großen und ganzen wirkungs­los …)

»Wir wollen nicht das Unmögliche ver­suchen: die Gewalt mit Gewalt auszurot­ten. Wir wollen nicht töten. Aber von dieser Sekunde an soll alle Arbeit ruhen. Denn alle Arbeit würde noch im Dien­ste dieses Zeital­ters des organ­isierten Mordes ste­hen. Das Zeital­ter des Ego­is­mus und des Geldes, der organ­isierten Gewalt und der Lüge hat in dieser weißen Sekunde, hat in uns eben sein Ende erre­icht. Zwis­chen zwei Zeital­ter schiebt sich eine Pause ein. Alles ruht. Die Zeit ste­ht. Und wir wollen über die Erde, durch die Städte, durch die Straßen gehen und im Geiste des kom­menden neuen Zeital­ters, des Zeital­ters der Liebe, das eben begonnen hat, jedem sagen: ‚Wir sind Brüder. Der Men­sch ist gut.‘ Das sei unser einziges Han­deln in der Pause zwis­chen den Zeital­tern. Wir wollen mit solch überzeu­gen­der Kraft des Glaubens sagen: ‚Der Men­sch ist gut‘, daß auch der von uns Ange­sproch­ene das tief in ihm ver­schüt­tete Gefühl ‚der Men­sch ist gut‘, unter hellen Schauern empfind­et und uns bit­tet: ‚Mein Haus ist dein Haus, mein Brot ist dein Brot.‘ Eine Welle der Liebe wird die Herzen der Men­schen öff­nen im Angesichte der unge­heuer­lich­sten Men­schheitss­chän­dung.« (64)

Hans Thill: in riso / der dürre Vogel Bin / käl­ter als / Dun­lop. Berlin, Hei­del­berg, Edenkoben, San­ti­a­go de Chile, Schup­fart: rough­books 2016 (rough­book 035). 102 Seit­en.

thill, dunlopDas ist ein rough­book, mit dem ich gar nichts anfan­gen kon­nte. Thill nutzt hier Gedichte von Petrar­ca, John Donne, Robert Her­rick, Paul Flem­ing, Hölder­lin, Trakl, Daniel Hein­sius, Gün­ter Plessow, Pablo Neru­da und anderen — also quer durch die Zeit­en und Sprachen — als eine Art Vor­lage oder erweit­erte Inspi­ra­tion für seine eige­nen Verse. Die ste­hen dann in kleinen Grup­pen — meist um die zehn Verse — direkt unter einem im Orig­i­nal zitierten Vers der Vor­lage. Mal lassen sie sich sprach­lich direkt darauf beziehen, wenn Thill etwa ein einzelnes Wort, eine Wort­gruppe nutzt, um es zu vari­ieren, der Bedeu­tung assozi­ierend nachzu­forschen. Mal ist der Bezug auch eher inhaltlich. Und mal — sog­ar gar nicht so sel­ten — ist der Bezug auch sehr opak, nur irgend­wie (?) assozierend, inspiri­erend. Mir ist dabei eigentlich immer unklar geblieben, was die Meth­ode will und/oder was Thills eigene Texte dann wollen. Vielle­icht war ich auch ein­fach nicht in der Stim­mung — aber bei mehreren Ver­suchen hat mich da, von eini­gen kleinen feinen Ideen, nichts fasziniert oder irgend­wie gepackt. Und, wie gesagt, ich kapiere den Zusam­men­hang zwis­chen Vor­lage und Neuschöp­fung ein­fach nicht.

Die Stand stand auf Krück­en (Fach­w­erk)
als sie sich zeigte
mit dem Gang ein­er Erwach­se­nen, der auf den
Steinen keine Spur hin­ter­läßt (4)

Trau­gott Xaverius Unruh: Von der Sor­ber­wen­den Wesen­heit und Herkom­men. Her­aus­gegeben von Eduard Wern­er. Leipzig: Rei­necke & Voß 2015. 60 Seit­en.

Zu der sehr amüsan­ten und geschickt ange­fer­tigten neuen Edi­tion ein­er aufk­lärerischen sprach‑, kul­tur- und brauch­tums­geschichtlicht­en Unter­suchung der Sor­ber­wen­den habe ich in einem sep­a­rat­en Beitrag schon genü­gend geschrieben

Michael W. Austin, Peter Reichen­bach (Hrsg.): Die Philoso­phie des Laufens. Ham­burg: mairisch 2015. 197 Seit­en.

Auch zu diesem trotz des ver­heißungsvollen Titels eher ent­täuschen­den Buch gibt es nebe­nan im Bewe­gungs­blog schon aus­re­ichende Aus­führun­gen, die ich hier nicht noch ein­mal wieder­holen muss.

außer­dem gele­sen:

  • Katha­ri­na Schul­tens: Geld. Eine Abrech­nung mit pri­vat­en Ressourcen. Berlin: Ver­lagshaus Berlin 2015 (Edi­tion Poet­i­con 11). 48 Seit­en.
  • Poet #20
  • Edit #68
  • SpritZ #217
  • Schreib­heft #68
  • Mütze #11

Der Mensch ist gut

»Wir wollen nicht das Unmögliche ver­suchen: die Gewalt mit Gewalt auszurot­ten. Wir wollen nicht töten. Aber von dieser Sekunde an soll alle Arbeit ruhen. Denn alle Arbeit würde noch im Dien­ste dieses Zeital­ters des organ­isierten Mordes ste­hen. Das Zeital­ter des Ego­is­mus und des Geldes, der organ­isierten Gewalt und der Lüge hat in dieser weißen Sekunde, hat in uns eben sein Ende erre­icht. Zwis­chen zwei Zeital­ter schiebt sich eine Pause ein. Alles ruht. Die Zeit ste­ht. Und wir wollen über die Erde, durch die Städte, durch die Straßen gehen und im Geiste des kom­menden neuen Zeital­ters, des Zeital­ters der Liebe, das eben begonnen hat, jedem sagen: ‚Wir sind Brüder. Der Men­sch ist gut.‘ Das sei unser einziges Han­deln in der Pause zwis­chen den Zeital­tern. Wir wollen mit solch überzeu­gen­der Kraft des Glaubens sagen: ‚Der Men­sch ist gut‘, daß auch der von uns Ange­sproch­ene das tief in ihm ver­schüt­tete Gefühl ‚der Men­sch ist gut‘, unter hellen Schauern empfind­et und uns bit­tet: ‚Mein Haus ist dein Haus, mein Brot ist dein Brot.‘ Eine Welle der Liebe wird die Herzen der Men­schen öff­nen im Angesichte der unge­heuer­lich­sten Men­schheitss­chän­dung.«Leon­hard Frank, Der Men­sch ist gut (1918), 64

frank, der mensch ist gut, 64

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Ins Netz gegan­gen am 21.1.:

  • Max Reger: Akko­r­dar­beit­er im gifti­gen Kli­ma der Mod­erne | Der Stan­dard — roland pohl im stan­dard über max reger, seine rezep­tion und warum er so wenig bekan­nt und geschätzt wird — immer­hin ist in diesem jahr sein hun­der­ster todestag zu bege­hen …

    Es fällt nicht leicht, nach den Grün­den zu suchen, warum der deutsche Kom­pon­ist Max Reger (1873–1916) der­art gründlich in Vergessen­heit ger­at­en ist. Den meis­ten sein­er unzäh­li­gen Werke haftet eine gewisse Sprödigkeit an. Reger, im pri­vat­en Umgang ein humoriger Kauz, hat vor allem auf dem Gebi­et der Har­monik Epochales gelei[s]tet.

    Des Meis­ters viel zu früher Tod – er entschlief herzkrank in einem Leipziger Hotelz­im­mer – dürfte auch hun­dert Jahre später kein Reger-Fieber aus­lösen. Die Klas­sik­branche fasst den eigen­bröt­lerischen “Akko­r­dar­beit­er” nicht mit der Kneifzange an. Ein­er größeren Ver­bre­itung ste­ht die Kom­plex­ität der intro­vertierten Reger-Musik im Wege.

  • Sport, über­all nur noch Sport: Die geistige Macht unser­er Epoche | taz — robert redeck­er hat in der taz eine wun­der­bare, ful­mi­nante abrech­nung mit dem sport und unser­er obses­siv­en beschäf­ti­gung damit geschrieben:

    Die heutige Gesellschaft hat eine neue Vari­ante des Total­i­taris­mus erfun­den: den Sport.[…] Diese Sportan­lässe beset­zen scham­los und rück­sicht­s­los den gesamten Platz in den Medi­en.
    Wie ein Nim­m­er­satt mit unstill­barem Hunger vere­in­nahmt der Sport den ganzen Platz für sich. Nie­mand kann dieser erdrück­enden Inva­sion der Sport­berichte ent­ge­hen, die alles andere ver­drängt. Diese Über­do­sis an Sport hat eine zer­störerische Umkehrung der Werte und der Hier­ar­chie der Infor­ma­tion zur Folge. Statt sich auf ein paar Worte am Ende der Fernseh- und Rund­funknachricht­en zu beschränken, was angesichts ihrer Bedeu­tungslosigkeit nor­mal wäre, ver­weist die Sport­berichter­stat­tung alles wirk­lich Wichtige auf die Rand­plätze.

    Was dage­gen für die Zivil­i­sa­tion von Bedeu­tung wäre, woran man sich noch Jahrhun­derte später erin­nern wird – die her­aus­ra­gen­den Per­sön­lichkeit­en der Philoso­phie, der Malerei, Dich­tung, Chore­ografie, Musik oder Architek­tur – find­et dage­gen kaum Beach­tung in den Medi­en.

  • David Bowie: Schön dick aufge­tra­gen | ZEIT ONLINE — diedrich diederich­sen über das bowie-album, das black­star-video und bowies auftritte

    Hier, bei einem Album, das die run­dum zu begrüßende Devise sein­er Eröff­nung­sop­er, “Mehr ist mehr”, bis zum Schluss beherzigt, hat man bei­des ver­sucht: Jazz-Vir­tu­osität und die dun­kle Ekstase heutiger Dance- und Goth­ic-Kul­turen.

  • Israel ǀ Kib­buz­im: Auf der Suche nach der Iden­tität — der Fre­itag — über die entwick­lung der kib­buz­im von sozial­is­tis­chen gemein­schaften zu mark­tkon­for­men wirtschaft­sun­ternehmen — sehr inter­es­sant …
  • Online-Fort­set­zungsro­man: Lang lebe der Shandy­is­mus! | FAZ — jan wiele in der faz mit ein­er ersten ein­schätzung von tilman ramm­st­edts ger­ade enste­hen­dem “mor­gen mehr” — seine beobach­tun­gen tre­f­fen sich ziem­lich genau mit meinen eige­nen …
  • Train­ingslager in den Golf­s­taat­en : „Der Sport ist ein löchriger Käse“ — taz.de — die taz sprach mit dem “sportethik­er” elk franke:

    Die Poli­tik nimmt den Sport gern für sich in Anspruch. Umgekehrt prof­i­tiert der Sport auch stark davon. Somit wird der Satz „Der Sport ist unpoli­tisch“ zu ein­er ide­ol­o­gis­chen Aus­sage, die in der All­t­agsprax­is keine Gültigkeit hat.
    […] Der Sport ist ein inhalts­freies Dra­ma, das eine Iden­ti­fika­tion mit allen möglichen Inhal­ten erlaubt. Ein Schweiz­er Käse, in dessen Löch­er aller­hand rein­passt, ohne dass der Geschmack ver­loren geht.

  • Als der Kaiser musste: Eine Unter­stre­ichung und die Schuld am Ersten Weltkrieg | Aktenkunde — Als der Kaiser musste: Eine Unter­stre­ichung und die Schuld am Ersten Weltkrieg — hol­ger berwinkel zeigt (mal wieder) sehr schön, wie wichtig his­torische hil­f­swis­senschaft (und genauigkeit) ist, auch für “großhis­torik­er”
  • schleef-bilder — die erbenge­mein­schaft einar schleefs hat einige sein­er bilder online bere­it­gestellt

Ins Netz gegangen (7.4.)

Ins Netz gegan­gen am 7.4.:

  • christian2 | Pro­jek­tbeschrei­bung — an der hab wolfen­büt­tel wird ein fürstlich­es tage­buch aus dem 17. jahrhun­dert ediert:

    Die dig­i­tale Edi­tion der Tage­büch­er des reformierten Fürsten Chris­t­ian II. von Anhalt-Bern­burg (1599–1656) aus dem Zeitraum von 1621 bis 1656 erschließt einen quan­ti­ta­tiv wie qual­i­ta­tiv ganz einzi­gar­ti­gen Brenn­spiegel der deutschen und europäis­chen Geschichte sowie der vielfältig­sten Diskurse während der ersten Hälfte des 17. Jahrhun­derts. Darüber hin­aus weist die Quelle einen außergewöhn­lich hohen Anteil an ver­bal­isiert­er zeit­genös­sis­ch­er Sub­jek­tiv­ität auf, der dem Text stel­len­weise sog­ar lit­er­arische Qual­ität ver­lei­ht. Die trans­diszi­plinäre Bedeu­tung des Werkes bet­tet sich in eine Vielzahl von Forschungsin­ter­essen und ‑kon­tex­ten ein. Dazu zählen nicht nur die jüng­sten Unter­suchun­gen zur klas­sis­chen Poli­tik- und Mil­itärgeschichte, zu früh­neuzeitlichen Selb­stzeug­nis­sen, zur Sozial‑, All­t­ags- und Geschlechtergeschichte, zur Kon­fes­sion­al­isierung, zu ver­schiede­nen Aspek­ten des Dreißigjähri­gen Krieges, zur Hof- und Adels­forschung oder zur Sprach‑, Lit­er­atur- und all­ge­meinen Kul­turgeschichte, son­dern auch zu The­men wie der Geschichte der Emo­tio­nen und des Traumes in jen­er Epoche. Als eine den gegen­wär­ti­gen wis­senschaftlichen Stan­dards entsprechende dig­i­tale Edi­tion wird sie den ver­schieden­sten Forschungsper­spek­tiv­en eine Vielzahl von Anknüp­fungspunk­ten bieten kön­nen.
    Das in quan­ti­ta­tiv­er wie qual­i­ta­tiv­er Hin­sicht unübertrof­fene, im Lan­deshauptarchiv Dessau-Roßlau auf­be­wahrte Diar­i­um beste­ht aus 23 Bän­den mit unge­fähr 17.400 größ­ten­teils eigen­händig in deutsch­er (ca. 87%), franzö­sis­ch­er (ca. 11%), ital­ienis­ch­er (ca. 1%), lateinis­ch­er, spanis­ch­er und nieder­ländis­ch­er Sprache beschriebe­nen Seit­en.

    das ist ein ziem­lich aufwendi­ges, großes und langes pro­jekt:

    Das auf 12 Jahre angelegte DFG-Pro­jekt begin­nt mit ein­er drei­jähri­gen Pilot­phase, inner­halb welch­er zunächst die knapp 1.500 Seit­en umfassende Peri­ode vom Jan­u­ar 1635 bis August 1637 tran­skri­biert und veröf­fentlicht wird. Deren beson­ders dichte und viel­seit­ige Nieder­schriften stellen ein geeignetes Feld zur Bewährung und Justierung der edi­torischen Grund­satzentschei­dun­gen hin­sichtlich der Wieder­gabe und Kom­men­tierungstiefe der Texte in den Gren­zen des zeitlich Möglichen dar. Außer­dem ver­sprechen sie einen Ertrag, der par­a­dig­ma­tisch die wis­senschaftliche Bedeu­tung des gesamten Fürstent­age­buch­es zeigt.

  • Ver­schol­lene Büch­er zum Ersten Weltkrieg ent­deckt — georg giers­berg erzählt in der faz (etwas wirr) die geschichte der offiz­iösen wirtschafts­geschichte des ersten weltkrieges aus den zwis­chenkriegs­jahren nach, die offen­bar so brisant war, dass die veröf­fentlichung damals nach dem druck unter­sagt wurde und die entsprechen­den stu­di­en (fast) ver­schwun­den sind
  • Bruck­n­er Online — das bruck­n­er-archiv hat was online gestellt:

    bruckner-online.at ist ein umfan­gre­ich angelegtes Anton Bruck­n­er-Inter­net­por­tal (Webarchiv), in dem neben der elek­tro­n­is­chen Doku­men­ta­tion hand­schriftlicher Quellen auch Kom­po­si­tio­nen, rel­e­vante Per­so­n­en und Orte enthal­ten sind. Zudem wer­den von allen Hand­schriften, Erst­druck­en und der Alten Gesam­taus­gabe voll­ständi­ge Dig­i­tal­isate zur Ver­fü­gung gestellt.

  • David Gar­rett: Habt mich bitte lieb! | ZEIT ONLINE — julia spin­o­la hat sich david gar­ret mit den brahmssonat­en ange­hört und war nicht begeis­tert. deshalb schreibt sie einen erstk­las­si­gen ver­riss:

    David Gar­rett will endlich wieder als ser­iös­er Musik­er ver­standen wer­den und geht mit den Vio­lin­sonat­en von Johannes Brahms auf Tournee

    sehr amüsant auch die leserin­nen­stim­men — unter den fan­boys und ‑girls find­en sich so ziem­lich alle pseudoar­gu­mente gegen kri­tik, die seit jahrhun­derten wider­legt sind … (und viel hass auf jeman­den, der ihr idol nicht vergöt­tert) — sehr amüsant …

  • Vom Mythos der tech­nis­chen Insti­tu­tion « Michalis Pan­telouris — michalis pan­telouris liefert ein paar hin­ter­gründe zu legit­i­ma­tion, zie­len und prob­le­men (u.a. demokrati­ethe­o­retis­che, von den ökonomis­chen ganz abge­se­hen) der teil­nehmer der “troi­ka”:

    Poli­tis­che Insti­tu­tio­nen sind niemals ein­fach tech­nisch, aber die hierzu­lande weit­ge­hend unkri­tis­che Darstel­lung der Troi­ka-Insti­tu­tio­nen als solche, die ein­fach nur die Ein­hal­tung von bere­its aus­ge­han­del­ten Verträ­gen überwachen sorgt dafür, dass jed­er ihr Wider­sprechende automa­tisch als Ver­trags­brech­er wahrgenom­men wer­den muss. Das ist es, was viele Medi­en mit der neuen griechis­chen Regierung machen: Um eine Diskus­sion um ihre Poli­tik zu ver­mei­den, ziehen sie die Diskus­sion ins Unpoli­tis­che, ins Tech­nis­che: Verträge sind einzuhal­ten; Die Regierung ist inkom­pe­tent (was man poli­tisch ja kaum sein kann); Sie wollen “Refor­men zurück­drehen”.
    Die Wahrheit ist eine andere: Die Troi­ka hat eine Poli­tik vertreten, eine Ide­olo­gie, die in Wahrheit nir­gends in Europa eine Mehrheit hat. Es gibt auch in Deutsch­land keine neolib­erale Mehrheit. Es sind zwei unter­schiedliche Dinge, ob man auf die Ein­hal­tung von Verträ­gen pocht, oder ob man einem anderen Land eine Poli­tik aufzwingt, und dann eine, die ganz expliz­it von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird. Mit dem Mythos der rein tech­nis­chen Ein­griffe wird die Abschaf­fung der Demokratie ver­schleiert.

  • Grabun­gen in der St. Johan­niskirche in Mainz — markus schug über die spek­takulären aus­grabun­gen unter der johan­niskirche in mainz, wo schon zu merowinigis­ch­er zeit eine große kirche stand …
  • Peti­tio­nen: Peti­tion 58168 — eine wun­der­bare peti­tion (die sich­er erfol­g­los bleiben wird, aber trotz­dem — im sinne der bewusst­seins­bil­dung — notwendig ist): Der Deutsche Bun­destag möge beschließen, dass homöopathis­che Behand­lungsmeth­o­d­en nicht mehr als Satzungsleis­tung von geset­zlichen Krankenkassen gezahlt wer­den dür­fen. — das ist übri­gens schon der gesamte text der peti­tion.
  • Klage gegen Kruz­i­fix-Pflicht in Bay­ern: Karl­sruhe vertrödelt heik­les Urteil — taz.de — hört sich sehr pein­lich & feige an, wie das bun­desver­fas­sungs­gericht unter voßkuh­le & müller mit dieser klage umge­ht
  • Ein­führung in den Fefis­mus. | H I E R — mspr0 erk­lärt fefe (und den “fefis­mus”) und rech­net gle­icht mit ihm ab — und ver­bal­isiert damit ziem­lich genau mein eigenes unbe­ha­gen mit fefe …

    Fefe ist mehr als der Men­sch, es ist mehr als das Blog. Zusam­men mit seinem Leser­mob ist es eine Has­s­mas­chine. Diese Shit­stormkul­tur gegen alles, was ihnen Fremd ist, ist kaum noch ohne God­wingepulle zu beschreiben.[…] Die Nerd­szene lei­det extrem unter dem Fefis­mus. Es wird Zeit, dass es in ihr zu ein­er Form der Selb­staufk­lärung kommt. Ne…

Aus-Lese #39

Lud­wig Winder: Der Thron­fol­ger. Ein Franz-Fer­di­nand-Roman. Wien: Zsol­nay 2014. 576 Seit­en.

winder, thronfolger

Ein schön­er und guter Roman eines vergesse­nen Autors zu einem bekan­nten The­ma. Lud­wig Winder, in der Zwis­chenkriegszeit ein berühmter Autor und Jour­nal­ist, hat mit dem “Franz-Fer­di­nand-Roman” Der Thron­fol­ger ein richtig gutes Buch geschrieben, das lei­der lange Zeit ziem­lich vergessen war. Der Wiener Zsol­nay-Ver­lag hat es jet­zt (mit einem Nach­wort des Spezial­is­ten Ulrich Weinzierl) neu aufgelegt — und so kon­nte ich auch diesem Roman, der 1937 das erste mal erschienen ist, ken­nen ler­nen.

Winder erzählt das Leben des Erzher­zogs Franz Fer­di­nand trotz der aus­führlichen Darstel­lung in strenger Chronolo­gie des Lebens. Und weil er stilis­tisch dabei erstaunlich lock­er bleibt, lässt sich das trotz der etwas lan­gat­mi­gen Anlage und Struk­tur sehr gut lesen. Denn im Kern ist es eben ein starkes, lebendi­ges Porträt des Erzher­zo­ges — der war ja, wenn man Winder glauben mag (und es gibt keinen Grund, das nicht zu tun), alles andere als ein leibenswürdi­ger Charak­ter: Spröde, harsch, krankhaft ehrgeizig und mis­strauisch — ein Mis­an­throp rein­sten Geblüts sozusagen. Die radikale per­son­ale Per­spek­tive macht das zu einem dicht­en Porträt ein­er his­torischen Fig­ur, ohne sie vorzuführen oder zu verurteilen. Inter­es­sant wird das auch dadurch, dass im Hin­ter­grund des Textes immer die Frage mitschwingt: hätte die Geschichte nicht auch ganz anders aus­ge­hen kön­nen? Das “fak­tis­che” Ende ist ja bekan­nt — hier wird aber immer wieder mit der Möglichkeit gespielt, dass die Geschichte des 20. Jahrhun­derts in der Fig­ur Franz Fer­di­nands auch andere Poten­zen und Poten­ziale gehabt hätte — die aber ungenutzt bleiben (und vielle­icht auch ein­fach bleiben müssen).

Unter­dessen wur­den in den Kon­feren­zsälen der Gen­er­al­stäbe, Min­is­te­rien und Botschaften, in den Salons der Muni­tions­fab­rikan­ten, in den Schlössern und auf den Vergnü­gungsy­acht­en der Staat­sober­häupter, in den Klubz­im­mern der Abge­ord­neten, in den Spielz­im­mern der Offizier­skasi­nos, in den armen Mansar­denkam­mern jugendlich­er Ver­schwör­er die Pläne aus­ge­heckt, die zum Kriege führen soll­ten. Leicht­fer­tige Diplo­mat­en, ehrgeizige Gen­eräle, ver­brecherische Geschäftemach­er und halb­wüch­sige Patri­oten, deren nation­al­is­tis­ch­er Rausch sich unverse­hens in Blu­trauseh wan­delte, arbeit­eten einan­der in die Hände, ohne es zu wis­sen. Sie jagten einan­der Angst ein, um die Ver­nun­ft zu töten. Sie woll­ten die Welt mit Angst erfüllen, um die Ver­brechen, die sie planten, zu entschuldigen. Sie sagten den Völk­ern, der Feind gönne ihnen das Leben nicht und wolle ihnen den Leben­sraum verkürzen. Sie forderten den Feind her­aus, den ersten Schuss abzugeben, das Sig­nal zum großen Massen­mord. Sie hat­ten Angst vor dem ersten Schuss, den sie inbrün­stig ersehn­ten. (454)

Dominik Dom­brows­ki: Fremdbestäubung. Köln: par­a­siten­presse 2014. 44 Seit­en.

dombrowski, fremdbestäubungGute Gedichte scheinen mir das zu sein, der “Güte” schw­er zu fassen sind: Da sind starke, anziehende Bilder, die ganz wun­der­bar selb­stver­ständlich wirken. Da ist die Bewe­gung der Sprache, die sich unge­hin­dert und wie von selb­st enfal­tet. Und das Fortschre­it­en im Text und der Welt, auch in der Zeit: immer weit­er, nicht ras­ten, nicht ruhen … Da ist die szenis­che Nar­ra­tion, die immer wieder auf­taucht. Die Rei­hung von kurzen Sequen­zen, die geschnit­ten (Cut!) Bilder, die Real­ität und Sprache miteinan­der kom­mu­nizieren lassen (oder auch nicht), zumin­d­est in Beziehung set­zen, sie aufeinan­der tre­f­fen lassen. Schade nur, dass der Band von Dom­brows­ki so kurz ist …

Archivare
Schiffe zu fal­ten den Eis­bären
dort unten
wo ihnen die Schollen
weg­brechen
haben
wir jet­zt nicht
das Papi­er

So fil­men wir
weit­er ihr
polares Treiben
vom Hub­schrauber aus (30)

Hans Pleschin­s­ki: Der Holzvulkan. Ein deutsch­er Fes­t­brief. Mit einem Nach­wort von Gus­tav Seibt. München: Beck 2014 (tex­tu­ra). 96 Seit­en.

pleschinski, holzvulkanEine kuriose Erzäh­lung eines kuriosen Geschehens der an Kuriositäten nicht ger­ade armen deutschen Geschichte: Der Erzäh­ler triff auf die Geschichte, die sich in Form eines Art Führers und Erzäh­lers sowie der traumhaften Verge­gen­ständlichung der his­torischen Baut­en und Ansicht­en darstellt und zeigt. Es geht um einen etwas aus­ge­flippten deutschen Her­zog des 17. Jahrhun­dert, den Anton Ulrich von Braun­schweig-Wolfen­büt­tel, der nicht nur (extrem ausufer­nde) Romane schrieb, son­dern auch als Feste-Arrangeur und Mäzen sein kleines HZer­zogtüm­chen zu einem europäis­chen Zen­trum der Kün­ste und der repräsen­ta­tiv­en Darstel­lung machen wollte — und damit so grandios und krachend scheit­ert, dass es Pleschin­s­ki wun­der­baren Stoff zum Erzählen gibt. Und auf den weni­gen Seit­en macht er das aus­ge­sprochen lebendig und sym­pa­thisch, mit raf­finierten erzäh­lerischen Volten, die dem Gegen­stand des Illu­sion­sthe­aters wun­der­bar angemessen sind — und zugle­ich ein Beispiel, wie man kun­stvoll Geschichte (nach-)erzählen kann. Also: eine schöne, unter­hal­tende und auch belehrende Lek­türe für zwis­chen­durch (zumal das Büch­lein bei Beck auch nett gemacht und um einige Kupfer­stichen ergänzt wurde).

Deutsches Barock ist den Deutschen am fremdesten, weil’s dort nicht mal um Gemütlichkeit ging (75)

Patrick Maisano: Mez­zo­giorno. Salzburg u.a.: müry salz­mann 2014. 152 Seit­en.

maisano, mezzogiornoEin schönes und gelun­ge­nes erzäh­lerisches Exper­i­ment, dieses Debüt von Maisano: Zwei Erzäh­ler — auch noch bei­de Architek­ten — stre­it­en sich um die Wahrheit des Erzäh­lens, der Erin­nerung und der Deu­tung der Gegen­wart. Zugle­ich ist das auch ein Stre­it zweier Lebensen­twürfe: Der geniale, faule und organ­isierte Architekt gegen den ord­nungs­fix­ierten, unternehmerischen, aber ideen­losen Bauin­ge­nieur und Plan­er.
Die Men­schen bleiben allein, die Fam­i­lien tauchen als Idee und Erzäh­lung öfter und wirk­lich­er auf als in der “wahren” Real­ität: Patricks trock­enes Bericht­en und Toms unbeschw­ertes Fab­u­lieren konkur­ri­eren um den Leser — glaub­haft sind natür­lich bei­de nicht, wie sich zuse­hends her­ausstellt. Dass bei­den Pro­tag­o­nis­ten und Erzäh­lern am Ende dann ganz sym­bol­isch und reell der Boden und das Fun­da­ment unter den Füßen wegrutscht — das Chalet, in dem sie sich befind­en, fällt einem Bergrutsch zum Opfer — ist dann fast schon zu offen­sichtlich. Aber bis dahin hat man beim Lesen an diesem ras­an­ten Text eine Menge Vergnü­gen gehabt.

Lutz Seil­er: im felder­latein. Berlin: Suhrkamp 2010. 102 Seit­en.

seiler, felderlatein“daheim an den gedicht­en” ist Lutz Seil­er: Auch wenn er jet­zt für seinen Roman “Kru­so” so sehr gelobt ist: Er ist vor alle­dem ein vortr­e­f­flich­er und aus­ge­sprochen kluger Lyrik­er. Schon pech & blende hat das gezeigt, im felder­latein gelingt es erneut: Hier ist eine eigene Stimme und ein eigen­er Denke. Seil­ers Gedichte machen immer wieder die Zeit selb­st zum The­ma:

[…] immer

in der schwebe, die
schätze dieser zeit

- eine Zeit, die sich in der Erin­nerung zeigt oder als Gegen­wart der Ver­gan­gen­heit im Augen­blick der Empfind­ung und Wahrnehmung. Vor allem aber geht es ihm immer wieder um die Ver­bidun­gen und Verknüp­fun­gen von Natur, Men­sch und eben Zeit. Ein Gedicht wie “im felder­latein” macht das beson­ders deut­lich. Schon der Titel verknüpft alle drei Bere­iche: Den Men­schen mit sein­er Sprache — aber ein­er Sprache, die “aus­gestor­ben” ist, die Sprache der Ver­gan­gen­heit ist, aber in unser­er Gegen­wart immer noch lebt; und diese Sprache der Men­schen eben schon im Kom­posi­tum verknüpft mit der Natur der “Felder” — die, sobald sie Felder sind, ja auch schon mit dem kul­tivieren­den und abgren­zen­den Men­schen in Verbindung ste­hen. Dort, also “im felder­latein”, heißt es:

im ner­ven­bün­del dreier birken:
umrisse der exis­tenz & alte for­men
von geäst wie
schwarz­er mann & stum­mer
stromab­nehmer. all

die falschen schei­t­el, sauber
nachge­zo­gen im archiv
der glat­ten über­liefer­ung. gern

sagst du, es ist die kälte, welche
dinge hart im auge hält, wenn
große flächen schlaf wie
winkelschleifer schleifen in
den zweigen. so

sagt man auch: es ist ein baum
& wo ein baum so frei ste­ht
muß er sprechen

Und das zeigt sich auch in Vers­grup­pen, die deut­lich machen, dass dem Men­schen (noch) längst nicht Zugriff auf alles eigen ist:

du weißt noch immer
nicht, daß es dich gibt, doch
was geschieht
ist begrif­f­en, ins brüchige dunkel
entleert sich das haus (48)

In seinem flanieren­den Streifen durch Land­schaften, Ver­gan­gen­heit­en und Typen (Rück­kehr ist der entschei­dende Begriff heir, nicht die Ankun­ft!) gelin­gen Seil­er jeden­falls immer wieder großar­tige Gedichte, die als konzen­tri­erte, starke Schöp­fun­gen der Sprache und des Denkens so etwas wie Bestand­sauf­nah­men sind (nicht ohne Grund ist “inven­tur” eines der besten gedichte in diesem band):

[…] & unter der erde

liegen die toten
& hal­ten die enden wurzeln im mund (49)

Moni­ka Rinck: I am the zoo. Ostheim: Peter Engstler 2014. 52 Seit­en.

rinck, zooWie schon bei Helle Ver­wirrung und Hasen­hass belässt es Rinck auch hier nicht bei der Schrift, beim Text allein, son­dern arbeit­et mit Zeich­nun­gen zuam­men. Genauer gesagt: Sie arbeit­ete mti der Zeich­ner­in Nele Brön­ner zusam­men. Die legte täglich eine von 24 Zeich­nun­gen vor, zu der Rinck tex­tete, was wiederum Brön­ner zur näch­sten Zeich­nung ver­an­lasste etc: Die gegen­seit­i­gen Rück­kop­plun­gen entwick­eln sich hier Seite für Seite zu ein­er Fabel — ein­er fabel­haften, phan­tastisch-spielerischen Geschichte. “Irri­tierte Ver­heißung” heißt es ein­mal im Text — und das passt recht gut: Gegen­seit­ige Irri­ta­tion beflügelt die Phan­tasie, die immer neues, anderes, unge­plantes ver­heißt. Und das dann nicht unbe­d­ingt ein­löst: Dieses Buch (ich scheue mich, nur vom Text zu sprechen, die Zeich­nun­gen sind schließliche ele­mentar­er Teil des Werkes) ist nie lang­weilig, weil die Entwick­lung zwar zu beobacht­en ist, aber nie vorherse­hbar wird. Und weil dazu noch die Sprache Moni­ka Rincks zwis­chen Prosa und Lyrik schwankt, wenn man das so sagen darf, ihre poet­is­che Qualtiät des Klangs und der Nicht-Alltäglichkeit beson­ders betont, ist das ein Werk ganz nach meinem Vergnü­gen: Ein Buch, das mit dem Unter­ti­tel Geschicht­en vom inneren Biest gar nicht so schlecht umschrieben ist.

Sibylle Berg: Der Tag, als meine Frau einen Mann fand. München: Hanser 2015. 256 Seit­en.

berg, tagIn gewiss­er Weise ist das wieder ein typ­is­ch­er Sibylle-Berg-Roman — und das ist ja schon ein­mal ein guter Start. Der Klap­pen­text des übri­gens sehr schön gemacht­en und in feinem Leinen gebun­de­nen Buch ver­heißt:

Chloe und Ras­mus sind seit fast zwanzig Jahren ver­heiratet, und ja, alles bestens, man hat sich entwick­elt, man ist sich ver­traut. Aber dass dieses Leben nun ein­fach so weit­erge­hen soll, ist auch nicht auszuhal­ten. […] Sibylle Berg stellt die Frage, die alle Paare irgend­wann ein­mal beschäftigt: Ist Sex leben­snotwendig? Oder doch eher die Liebe?

Und das passt schon ganz gut: Berg erzählt (wieder ein­mal) aus der Hölle der Selb­stfind­ung eines ziem­lich frus­tri­erten Paares. Es geht in wech­sel­nder Per­spek­tive aus der Sicht der bei­den Pro­tag­o­nis­ten Ras­mus und Chloe um das Abnutzen der Gefüh­le, um das Lei­den am Leben, um die unendliche ernüchternde und nüchterne Auswe­glosigkeit des All­t­ags. In kurzen Kapi­tel und klar­er, knap­per und präzis­er Prosa beschreibt Berg die aufdäm­mernde Katas­tro­phe der Paar­beziehung, das Umschla­gen, die völ­lige Zer­störung und Neuschaf­fung. Das ist Lit­er­atur, die kurzfristig unter­hält und nach­haltig ver­stören kann, wie Richard Käm­mer­lings ganz richtig beobachtet hat. Und genau diese Kom­bi­na­tion aus Unter­hal­tung und Ver­störungspoten­zial, aus Humor und tiefem, dun­klem Ernst ist es, was mir an Bergs Büch­ern immer wieder zusagt.

Die Aufre­gung. Hat sich abgenutzt, wie alle Gefüh­le, ich hat­te jedes schon ein­mal. Es wird kein neues dazukom­men. Das ist das Grauen der mit­tleren Jahre. Die Langeweile und die noch allzu nahe Erin­nerung an Zeit­en, in denen alles zum ersten Mal passierte. (50)

außer­dem gele­sen:

  • Helene Hege­mann: Axolotl Road­kill. Berlin: Ull­stein 2010. 204 Seit­en.
  • Ursu­la Krechel: Shang­hai fern von wo. 2. Auflage. München: btb 2010. 508 Seit­en.
  • Ursu­la Krechel: Landgericht. 5. Auflage. Salzburg, Wien: Jung und Jung 2012. 495 Seit­en.
  • Rüdi­ger Bit­tner & Susanne Kaul: Moralis­che Erzäh­lun­gen. Göt­tin­gen: Wall­stein 2014 (Kleine Schriften zur lit­er­arischen Ästhetik und Hermeneu­tik, Band 5). 74 Seit­en.
  • Frank R. Ankersmit: Die his­torische Erfahrung. Berlin: Matthes & Seitz 2012. 112 Seit­en.
  • Mark Row­lands: Der Läufer und der Wolf (siehe nebe­nan im Lauf­blog)

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  • Ein deutsch­er Dichter bin ich einst gewe­sen | ver­brecherei — Max Her­rmann-Neisse:

    Ein deutsch­er Dichter bin ich einst gewe­sen,
    die Heimat klang in mein­er Melodie,
    ihr Leben war in meinem Lied zu lesen,
    das mit ihr welk­te und mit ihr gedieh.

    Die Heimat hat mir Treue nicht gehal­ten,
    sie gab sich ganz den bösen Trieben hin,
    so kann ich nur ihr Traum­bild noch gestal­ten,
    der ich ihr trotz­dem treu geblieben bin.

    — der Ver­brech­er-Ver­lag hat jet­zt auch ein Ver­lags­blog …

  • Späte Kriegs­gewinnler — Wiener Zeitung Online — Edwin Baum­gart­ner über die flut an bedruck­tem papi­er im gedenk­jahr zum ersten weltkrieg

    Und so ein­fach ist es auch beim Ersten Weltkrieg: Es ist ein Riesen­re­ma­suri, ein — wie heißt das beina­he deutsche Wort? — ja, richtig: ein Hype.

    /via “der umblät­ter­er”, die das nicht ganz zu unrecht zum feuil­leton des jahres 2014 wählten (http://www.umblaetterer.de/2015/01/13/die-ergebnisse-der-feuilleton-meisterschaft-2014/)

  • What David Cameron just pro­posed would endan­ger every Briton and destroy the IT indus­try — Boing Boing — david cameron will den bösen buben die ver­schlüs­selung ver­bi­eten. dumm nur, dass er halt keine ahnung hat: “David Cameron does­n’t under­stand tech­nol­o­gy very well, so he does­n’t actu­al­ly know what he’s ask­ing for”, sagt cory doc­torow, “it puts the whole nation — indi­vid­u­als and indus­try — in ter­ri­ble jeop­ardy. ”
  • 33. Europas Werte und das Para­dox der Aufk­lärung | Geschichte wird gemacht — achim landwehr über europäis­che werte (eigen­tum!) und ihre para­doxale struk­tur
  • Schlund | Peter Richter — peter richter hat einen “mon­tags-spazier­gang” in dres­den besucht und in die abgründe der pegida-“bewegung” geschaut.
  • Büch­er von Pop­musik­ern: Wahre Größe gibt es nur schwarz auf weiß | ZEIT ONLINE — ger­rit bar­tels ste­ht etwas hil­f­los vor dem phänomen, dass schein­bar immer mehr popmusiker/innen büch­er schreiben und veröf­fentlichen (wie gle­ich der erste kom­men­ta­tor bemerkt, hat er mit thomas mei­necke das beste beispiel vergessen …)

    Das Kanon­isieren von Pop und bes­timmten Pop­szenen geht also inten­siv weit­er. Auch für Musik­er ist es da attrak­tiv, die flüchti­gen Pop­mo­mente auf den Büh­nen und den DJ-Kanzeln festzuhal­ten, die Dreiminuten-Sin­gle und den Club-Hit in eine Erzäh­lung zu bet­ten und damit zu sich­ern. Ein Buch hat eben doch Bestand, ist ein ganz eigen­er Wert.

  • Pegi­da-Demon­stra­tio­nen — “Das ist alles ernst zu nehmen” — Der Direk­tor der säch­sis­chen Lan­deszen­trale für poli­tis­che Bil­dung, Frank Richter, hat zum Dia­log mit den Anhängern der Pegi­da-Grup­pierung aufgerufen. “Wir haben es offen­sichtlich mit einem Prob­lem­stau zu tun”, sagte Richter im Deutsch­land­funk. Man müsse den Bürg­ern respek­tvoll zuhören, so schwierig es auch sein möge.
  • Islamisierung, Marken­schutz und dumme Fra­gen — jür­gen kaube hat recht:

    Gefüh­le haben ihr eigenes poli­tis­ches Recht. Die Frage ist nur, ob sich zutr­e­f­fende Gedanken daraus machen lassen.

  • Wie es bei „Maybrit Ill­ner“ im ZDF wirk­lich zuge­ht — der autor ulf erd­mann ziegler war bei der ill­ner-rede­gruppe im zdf als gast geladen. und kann skurile ergeb­nisse bericht­en, die alle hoff­nung auf qual­ität­sjour­nal­is­mus im talk­for­mat ver­nicht­en.

    Okay, die plöt­zliche Über­frach­tung der Sendung mit Sebas­t­ian Edathy und seinem Schick­sal ist das eine. Den­noch, man hätte die Kurve kriegen kön­nen. Wie wäre es etwa mit der Frage gewe­sen: ob, Herr Ziegler, was an diesem Don­ner­stag die Haupt­stadt erschüt­terte, eigentlich ein gutes Roman­the­ma sei. Aber mit Sicher­heit, Frau Ill­ner! Die Neben­rolle der Igno­ran­tin, die sich all­wis­send gibt, wäre Ihnen darin sich­er.

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  • Strand: Wie Gold am Meer | ZEIT ONLINE -

    Es ist nicht nur das Meer, das den Sand vom Strand wegholt, es ist auch der Men­sch.

    span­nen­der text über den sand — am strand und im beton etc. und was der in den let­zten jahren alles für prob­leme bere­it­et (weil der men­sch herump­fuscht …)

  • Spende­nak­tion ǀ Ice Buck­et Chal­lenge? Fuck off! — der Fre­itag — RT @derfreitag: Spende­nak­tion: #Ice­Buck­etChal­lenge? Fuck off! »
  • Kolumne Luft und Liebe: Wahn und Schmod­der — taz.de — “Break­ing News: Die Welt ist kom­pliziert. Und im Inter­net gibt es gle­ichzeit­ig Fem­i­nistin­nen und krasse Pornos” >
  • 50 — Na 1, 356 — Kor­re­spon­den­zen mit Her­bert Mar­cuse (p. V 118, 1–383) — Seite — Max Horkheimer — Dig­i­tale Samm­lun­gen — RT @benni_b: Doof wenn man berühmt wird und dann im Nach­lass des Kumpels der eigene Sex­is­mus zu Tage tritt: #mar­cuse #horkheimer
  • Sim­ply Explained — Geek&Poke — Sim­ply Explained — Geek&Poke;
  • Deutsche Poli­tik vor den Weltkriegen — FAZ — hein­rich august win­kler über den kriegs­be­ginn 1914, die frage der schuld bzw. hauptschuld und warum sein­er mei­n­ung nach deutsch­land nicht ganz auf ein­er ebene mit den anderen europäis­chen staat­en anzusiedeln ist:

    Schw­er­er noch wiegt die Ausklam­merung der innen­poli­tis­chen Vorgeschichte des deutschen Weges in den Ersten Weltkrieg bei Clark und Mün­kler. Der Mil­i­taris­mus war ein gesam­teu­ropäis­ches Phänomen, aber nir­gend­wo waren die Gesellschaft und das poli­tis­che Denken so mil­i­tarisiert wie im Deutschen Reich. „Kriegsparteien“ gab es über­all, aber nir­gend­wo ver­fügten sie über einen so bre­it­en gesellschaftlichen und poli­tis­chen Rück­halt wie in Deutsch­land. Er reichte vom ostel­bis­chen Rit­terguts­be­sitz über die Schw­erindus­trie und Teile des gebilde­ten Bürg­er­tums bis zu den Ver­bän­den des gewerblichen Mit­tel­standes und der kaufmän­nis­chen Angestell­ten. Deutsch­land war eine kon­sti­tu­tionelle, keine par­la­men­tarische Monar­chie. Der Reich­skan­zler war dem Kaiser, nicht dem Reich­stag ver­ant­wortlich. Die mil­itärische Kom­man­do­ge­walt des Königs von Preußen, der zugle­ich Deutsch­er Kaiser war, bedurfte nicht der min­is­teriellen Gegen­ze­ich­nung — ein Relikt des Abso­lutismus.

    — und zur kon­ti­nu­ität von 1914 und 1939 (was alles zusam­men bei den faz-lesern nicht auf große gegen­liebe stößt …)

  • In Redesigned Room, Hos­pi­tal Patients May Feel Bet­ter Already — NYTimes.com — die new york times über die rolle von architek­ten im gesund­heitswe­sen, hier am beispiel eines neubaus des “Uni­ver­si­ty Med­ical Cen­ter of Prince­ton”:

    But the real eye-open­er was this: Patients also asked for 30 per­cent less pain med­ica­tion.

  • Es geht ums Lesen — taz.de — johannes thum­fart in der der taz über das befreiende poten­zial von ebooks (und warum es schein­heilig ist, dem gedruck­ten buch so sehr nachzuweinen):

    Kern der ablehnen­den Hal­tung gegenüber dem E‑Book ist, dass es eben nur den eigentlichen Zweck von Büch­ern erfüllt, näm­lich das Gele­sen­wer­den. Dage­gen ist das gedruck­te Buch in unseren Bre­it­en­graden vor allem ein Dum­my für den Gaben­tisch, das man geschenkt bekommt, im Büch­er­schrank abstellt, als Acces­soire neben den Lat­te mac­chi­a­to legt, aber auch — etwas sel­tener — an Fre­unde ver­lei­ht und weit­er­verkauft. Für all diese Nebe­naspek­te der Buchkul­tur taugt das E‑Book nicht.

    Anstatt also dem gedruck­ten Buch nachzuweinen oder gar zu ver­suchen, es durch Orna­mente im bis­lang her­rlich reduzierten E‑Book zu imi­tieren, muss E‑Book-Kul­tur davon han­deln, den Prozess der Demokratisierung, Säku­lar­isierung und Ratio­nal­isierung der Schrift, der schon mit der Erfind­ung des Alpha­bets begann, zu beschle­u­ni­gen. In dem Sinne find­et sich die Speer­spitze der Buchkul­tur heute in den triv­ialen Eck­en fernab der Bücher­messen und ähn­lich­er Ver­anstal­tun­gen: In der “Fan Fic­tion” zum Beispiel, wo massen­weise Schmud­del­lit­er­atur for the peo­ple by the peo­ple gemacht wird, die auch noch in der U‑Bahn vol­lkom­men unsicht­bar gele­sen wird und in keinem Regal als Trophäe aus­gestellt wer­den muss.

    Buchgestal­ter, Ver­lage, Kri­tik­er, Buchdeck­el und Druck­er­schwärze ste­hen dieser neuen, auf das Wesentliche reduzierten Ästhetik der sich lit­er­arisch emanzip­ieren­den Masse nur im Wege.

  • Warum ich die Peti­tion gegen Ama­zon nicht unter­schreibe — Süddeutsche.de — ich finde, ste­fan wei­d­ner hat dur­chaus recht, auch wenn er sich in details irrt (wann/womit bitte ist es bess­er, auf dem tablet als auf dem ebook-read­er zu lesen? und natür­lich ist es nicht egal, wo ich meine ebooks kaufe, weil ama­zon sie einsper­rt. aber das sind neben­säch­lichkeit­en, die hier nichts zur sache tun)

    Aggres­siv­ität und einen unsen­ti­men­tal­en Blick nach vorn. Ama­zon hat das, der deutsche Buch­markt nicht, nichts anderes belegt der Protest gegen Ama­zon. Ich ver­ste­he die Gründe für den Protest und die Angst, aber das ändert nichts an der Verknöcherung und Refor­munwilligkeit des Buch­mark­tes. An sich ist er, ich sagte es, per­fekt. Aber das Sys­tem hat den Kon­takt zur Außen­welt ver­loren. Und da diese, wie Außen­welt oft, unbekan­nt und böse ist, will man sich nur umso mehr von ihr abkapseln. So sind schon viele Spezies aus­gestor­ben.

Der Erste Weltkrieg: Die Modefarben 1914

die mod­e­far­ben von 1914 waren
Blu­men­feld (Berlin/New York) zufolge,
waren diesem sprachen-fotograf zufolge
ziem­lich zuerst:

nil.
ein grün natür­lich, anori­en­tal­isiertes abend-
land, das großbürg­er­tum hin­ter schw­eren
portieren, bei indi­rek­ter beleuch­tung trägt
Berlin auf, was Paris trägt.

tan­go.
das orange, die trauer
früchte die den blick verkan­ten.
süd­früchte wur­den kaum gekan­nt
sie kamen im beam­ten­tume vor:
auf dem wei­h­nacht­steil­er, auf dem
börsen­par­kett tan­go, schiff­bau
stahl bestens notiert, und:

ciel.
ist der ver­drehte him­mel.
blue pills und stahlpar­kett,
zur früh­jahrs­sai­son natür­lich
von marne gar noch nicht
die rede, ab herb­st war dann
das kleine schwarz natür­lich
ange­sagt.
*
gesagtes kleines schwarz.
gesagte schwarztöne, die all­ge­mein­er wur­den;
besagte zunah­men, zunah­men in dem maße wie die herz­gruben und
‑töne schwäch­er, dann weg- und abgeschal­tet wur­den, und
die lis­ten (»ciel«) sprachüber­lagert von namen und
aber­sprachn. noch war die grippe
nicht in sicht
*
lauf­steg lauf­graben.
*
den toten wie den witwen, immer in den nachricht­en,
immer voll drauf, voll zwis­chen die beine gefilmt und -

[…]

*
gespräch­sun­ter­brechung durch
unrhyth­mis­chn his­torik­er. zer­streut
wirkt dieses durchge­sup­pte sprecherchen und
bam­mel­mann, fidel wie die erhängten­le­iche,
mit seinem:
»nix nil, nix tan­go. ohne ciel oder unter freiem
him­mel. oder-oder, oder nich mehr so jet­zt, spr-
rache über pro­jek­tile blue pills, blaue bohnen wohin
man tritt, das is sprache! oder
was andres.«
*

[…]

weit­ere und weit­ere auf­fal­tun­gen:
die auf­drucke (parol) auf den eis­er­nen ratio­nen;

die aufw­er­fun­gen von erde, etwa die querung
steiniger bach­bet­ten, gebüsche. buchen, birken,

tan­nen­wälder. beschuß an reißendn flüssn. im
lehm­bett, in nässe: wie die ges­tam­melte brief­schaft

durch­we­icht, diese zeilen, dieses ziehen in der
Schul­ter: dieses wer­fen, diese abzieh-gräbm, soweit

reichen die — wie weit reichen die ohren? wieweit
reichen meine ohren: meine augn fest­ge­fressen.

[…]

*
rhyth­mis­che his­to­ria.
nicht weniger absent ist diese sprecherin:
das war, mit pho­tos von Blu­men­feld,
der far­be­nan­fall für 1914; entschuldigen
möcht­en wir uns für den
*
total­bil­daus­fall.

—Thomas Kling: Der Erste Weltkrieg: Die Mod­e­far­ben 1914 (gekürzt, nach dem Abdruck in: Merkur 53 (1999), Heft 600, S. 266–268).

Fortschritt

Der Fortschritt geht auf Zins­fuß und Prothese,
Das Uhrw­erk in der Hand, die Glo­rie im Herzen.

—Karl Kraus, Mit der Uhr in der Hand

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