Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: erzählungen

Aus-Lese #41

Wolf­gang Sof­sky: Wei­sen­fels. Ber­lin: Matthes & Seitz Ber­lin 2014. 236 Sei­ten.

sofsky, weisenfels„Unab­ding­ba­re Erschüt­te­rung“, „ver­fal­le­ne Gemäu­er“, „die Begeg­nung zwei­er Men­schen im Zenit des Unter­gangs einer ver­lo­re­nen Welt“ – der Umschlag­text hält sich nicht zurück. Dabei ist Wei­sen­fels eigent­lich ein ziem­lich selt­sa­mer Roman: Zwei (ehe­ma­li­ge) Freun­de tref­fen sich im Fami­li­en­sitz des einen, einem ver­fal­len­den Schloss, dass gefüllt ist mit Arte­fak­ten der abend­län­di­schen Kunst- und Kul­tur­ge­schich­te – aber nicht mit Men­schen. Die bei­den wan­deln durch die Gemäu­er und durch die Samm­lun­gen und durch die Erin­ne­rung an eine Welt oder eine Epo­che, die nicht mehr ver­füg­bar ist – eine Unter­neh­mung, die ganz fol­ge­rich­tig nur mit dem Tod enden kann. Es war nicht so sehr der plot, der mir schwer­fiel, son­dern die sehr selt­sa­me Pro­sa, die Sof­sky hier pflegt. Das ist ein unent­weg­tes Dekla­ri­en, Dozie­ren und Dekla­mie­ren, sowohl der Figu­ren als auch des Erzäh­lers. Über­haupt die Figu­ren, die sind auch sehr selt­sam – näm­lich eigent­lich nur (noch) als Mas­ke, als Rol­le oder als Platz­hal­ter prä­sent und damit unto­te Hül­len, leb­lo­se Über­res­te einer einst leben­di­gen Welt (dem christ­li­chen Abend­land, das mit sei­ner Tra­di­ti­on und Bil­dung so ger­ne beschwo­ren wird, aber schon lan­ge nicht mehr leben­dig ist …). Reli­gi­on und ihre Anzie­hungs­kraft, aber auch ihre Aus­prä­gun­gen, Pra­xen und Theo­lo­gien spie­len eine gro­ße Rol­le, vor allem aber ein ganz wört­lich genom­me­nes Leben „in“ Kul­tu­ren: Wenn hier über­haupt noch Leben ist, dann im Über­rest der Kul­tur, nicht aber in dem, was man Welt nen­nen möch­te.

Der Ver­lust der Bil­dung und der Kul­tur ist sozu­sa­gen die Grund­the­se, von der aus die­ser Text geschrie­ben ist. Der koket­tiert aber zugleich selbst auf allen Ebe­nen und auf­dring­lich per­ma­nent damit, mit dem Bil­dungs­wis­sen sei­ner Prot­ago­nis­ten bzw. deren Erzäh­ler: Tabak, Whis­key, Renais­sance-Male­rei, Kunst­mu­sik des 19. Jahr­hun­derts, Lite­ra­tur, Enzy­klo­pä­dis­tik, Skulp­tu­ren – alles ist hier da, prä­sent und wird erzählt. Man könn­te auch sagen: Das ist lau­ter bedeu­tungs­schwan­ge­res Wis­sen-Geklin­gel … Denn die Idee ist schnell klar, eben­so schnell zei­gen sich Län­gen im Text, der manch­mal recht zäh daher­kommt. Denn auch ihm gelingt natür­lich nicht das, was im und mit dem Schloss ver­sucht wird: Der Ver­such, den ewi­gen Pro­zess des Zer­fal­lens und Ver­falls anzu­hal­ten, den Ver­lust zu ver­mei­den: Des­halb das mani­sche Sam­meln und Rekon­stru­ie­ren ver­lo­re­ner Bil­dungs- und Kul­tur­gü­ter – ein Ver­such, der nahe­zu zwangs­läu­fig mit dem Ver­lust der Erin­ne­run­gen, des Selbst und des Lebens – also dem Tod – enden muss.

Bern­hard Stro­bel: Ein dün­ner Faden. Erzäh­lun­gen. Graz, Wien: Dro­schl 2015. 152 Sei­ten.

bernhard strobel, ein dünner fadenMit dem „dün­nen Faden“ konn­te Stro­bel mich nicht so recht begeis­tern. „Schnör­kel­lo­se Schil­de­run­gen des müh­sam unter­drück­ten Alp­traums im Häus­chen im Grü­nen“ ver­spricht der Schutz­um­schlag. Das trifft die Erzäh­lun­gen auch ziem­lich genau, ver­schweigt aber, dass sie dabei eher fad her­über­kom­men – unter ande­rem, weil das Mus­ter schnell erkannt ist: Es geht um ein­bre­chen­de Gefah­ren, Dro­hung, Andro­hun­gen und Streit. Immer wie­der wird der All­tag durch ein plötz­lich über die Prot­ago­nis­ten her­bre­chen­des Unheil, ein Unglück und Tra­gik, in der Rea­li­tät des Figu­ren­le­bens oder auch nur in Gedan­ken, Träu­men und Ahnun­gen, unter­bro­chen. Das beson­de­re bei Stro­bel ist dabei, dass gera­de die Momen­te der Erwar­tung des Unheils, das spür­ba­re, aber (noch) nicht zu benen­nen­de (und damit auch nicht zu hegen­de) Bro­deln unter der Ober­flä­che des gewön­li­chen All­tags eine gro­ße Rol­le spielt. Vie­les ist und bleibt dabei auf­fal­lend unspe­zi­fisch – nicht nur Ort, Raum und Zeit, son­dern vor allem die Figu­ren selbst. Das kann man natür­lich aus dem erzähl­ten Gesche­hen – etwa dem Neben­ein­an­der­le­ben der Paa­re, der aus­ge­stell­ten Nicht-Kom­mu­ni­ka­ti­on – moti­vie­ren. Das wird auch dem­entspre­chend ganz unauf­fäl­lig erzählt, in unmar­kier­tem Stil und unmar­kier­ter Form. Lau­ter Nor­ma­li­tät – oder eben lei­der oft: Mit­tel­maß – also. Klar, der „müh­sam unter­drück­te Alp­traum“ ist da: unter den Ober­flä­chen bro­delt es gewal­tig. Aber der Text ver­rät das kaum, sei­ne „schnör­kel­lo­se Schil­de­run­gen“ blei­ben selbst schreck­lich ober­fläch­lich und vom Gesche­hen oder des­sen Ahnung und Ankün­di­gung gänz­lich unbe­rührt. Wofür dann die Stil­ver­knap­pung, die künst­li­che Kunst­lo­sig­keit gut ist, erschließt sich mir also nicht wirk­lich. Alles in allem über­zeu­gen mich die­se Erzäh­lun­gen also lei­der über­haupt nicht.

Die Spra­che. Sie ist ein unzu­rei­chen­des Hilfs­mit­tel, und sie ist das ein­zi­ge Hilfs­mit­tel. Ein schö­nes Dilem­ma. (131)

Peter Neu­mann: geheu­er. Dres­den: edi­ti­on azur 2014. 88 Sei­ten.

neumann, geheuerEine mari­ti­me Gedicht­samm­lung. Das Meer mit sei­ner Bewe­gung, der Gren­ze zwi­schen Land und Was­ser, der (mög­li­chen) Frem­de und den unbe­herrsch­ten und unbe­herrsch­ba­ren Gewal­ten spielt hier – der Titel weist dar­auf hin und das Titel„bild“ unter­stützt das noch – eine gro­ße Rol­le. Sind das also Natur­ge­dich­te? Nun­ja, Natur taucht hier eher und vor­ran­gig als Impuls für Wahr­neh­mung des Men­schen und für Poe­sie auf, sie steht nicht für sich selbst und wird auch nicht so wahr­ge­nom­men und beschrie­ben. Neu­manns Gedich­te eröff­nen oft und ger­ne einen gro­ßen Raum (der Ima­gi­na­ti­on), ohne den auch nur annä­he­rungs­wei­se aus­zu­lo­ten und ohne das auch über­haupt zu wol­len. Gewis­ser­ma­ßen wird eine Tür geöff­net, der Blick des Lesers in den Raum gewie­sen – und dann allei­ne gelas­sen. Schön gemacht und deut­lich zeigt das Gedicht „bud­del­schiff“ die­ses Ver­fah­ren:

das gefühl einer lan­gen rei­se
auf­ge­klapp­te mas­ten
und take­la­ge, das eng­li­sche

schiffstau zum rei­ßen gespannt
der wind hum­pelt
auf ein­ge­schla­fe­nen bei­nen

durch die schma­le öff­nung
im fla­schen­hals
flaut ab, ein hel­les pfei­fen (55)

Typisch für Neu­manns Gedich­te ist außer­dem ihre Kür­ze. Immer wie­der sind sie durch das Anrei­ßen von sol­chen Augen­bli­cken der (erkennt­nis­haf­ten) Wahr­neh­mung, die dann aber nicht wei­ter­ge­führt und aus­ge­ar­bei­tet wird, gekenn­zeich­net. Sel­ten sind sie län­ger als 10/​12 Ver­se. For­mal schei­nen sie mir vor allem dem Flie­ßen, dem Flow ver­pflich­tet, ohne erkenn­ba­re Regel­haf­tig­keit. Die Gedich­te ste­hen zwar ger­ne in Grup­pen von drei Ver­sen, aber einen Grund erken­ne ich dafür nicht …

Durch die inhalt­li­che und for­ma­le Kür­ze – wenn man das mal so nen­nen mag – kommt es manch­mal zur Über­fül­le der visu­el­len und sprach­li­chen Bil­der, die ange­häuft, nebein­an­der gesetzt wer­den, aber im Text kaum bezie­hun­gen zuein­an­der haben – außer eben dem vor allem als (aus­ge­spar­ten) aus­lö­sen­den Moment der Erin­ne­rung an ein Gefühl, eine Emp­fin­dung, eine beob­ach­ten­de Wahr­neh­mung. Das (fast) rein bild­li­che Spre­chen wirkt dabei für mich etwas über­sät­ti­gend – man darf wohl nicht zu viel am Stück lesen, dann wird die kunst­vol­le Schön­heit die­ser Gedich­te schnell etwas schal. Aber es lohnt sich, immer wie­der zurück zu kom­men.

Jörg Döring, Felix Römer, Rolf Seu­bert: Alfred Andersch deser­tiert. Fah­nen­flucht und Lite­ra­tur (1944−1952). Ber­lin: Ver­bre­cher 2015. 277 Sei­ten.

drews/römer/seubert, alfred andersch desertiertEine schö­ne Gemein­schafts­ar­beit ist die­ses Buch über Alfred Andersch, sei­ne letz­ten Tage als Sol­dat im Zwei­ten Welt­krieg, sei­ne Gefan­gen­schaft und vor allem die lite­ra­ri­sche – oder eben auto­bio­gra­phi­sche? – Ver­ar­bei­tung des­sen in meh­re­ren Anläu­fen in der Nach­kriegs­zeit, mit der sich Andersch auch und gera­de im öffent­li­chen Dis­kurs sehr ein­deu­tig und nach­hal­tig posi­tio­nier­te. Eine Arbeit des bio­gra­phi­sches For­schens also. Aber nur bedingt bio­gra­phisch, denn die drei Autoren beto­nen wie­der­holt, dass es nicht pri­mär dar­um geht, die bio­gra­phi­sche Dimen­si­on fik­tio­na­ler Tex­te in den Blick zu neh­men (das wäre ja auch unsin­ning und wenig hilf­reich), son­dern dar­um, die spe­zi­fi­sche Situa­ti­on von Deser­ti­on, Kriegs­en­de und Nach­kriegs­zeit bzw. vor allem ihre Deu­tung in der Retro­spek­ti­ve zu unter­su­chen. Da Andersch die auto­bio­gra­phi­sche Dimen­si­on der „Kir­schen der Frei­heit“ stark for­ciert – und damit in der Lek­tü­re und Dis­kus­si­on des Tex­tes auch erfol­reich ist -, lässt sich das ver­tre­ten. Zumal die drei Autoren aus Ger­ma­nis­tik und Geschichts­wis­sen­schaft sich mit weit(er)gehenden Deu­tun­gen und Spe­ku­la­tio­nen zurück­hal­ten, son­dern einen star­ken Fokus auf die Rekon­struk­ti­on der Ereig­nis­se um Alfred Andersch im Krieg in Ita­li­en, um die (Mög­lich­keit der) Nie­der­schrift und lite­ra­ri­schen Bear­bei­tung sol­cher Erleb­nis­se in der Nach­kriegs­zeit rich­ten. Das ist, auch wenn ich mich für Andersch nur am Ran­de inter­es­sie­re, gera­de in der Ver­ei­ni­gung ver­schie­de­ner fach­li­cher Per­spek­ti­ven, sehr inter­es­sant und auf­schluss­reich – und trotz der teil­wei­se sehr akri­bi­schen Auf­ar­bei­tung der mili­tär­his­to­ri­schen und werk­stra­te­gi­schen Zusam­men­hän­ge auch sehr gut – zu lesen.

Jules Renard: Das Leben wird über­schätzt.Ber­lin: Matthes & Seitz 2015. 72 Sei­ten.

renard, das leben wird überschätztDie­se ganz klei­ne – aber auch aus­ge­spro­chen fei­ne – Aus­wahl aus dem „Jour­nal“ Jules Renards hat der inzwi­schen lei­der ver­stor­be­ne Hen­ning Rit­ter besorgt und auch selbst über­setzt, der Ver­lag Matthes & Seitz hat sie in sei­ner über­aus emp­feh­lens­wer­ten Rei­he „Fröh­li­che Wis­sen­schaft“ nun ver­öf­fent­licht. Das hier vor­ge­leg­te ist zwar chro­no­lo­gisch – von 1890 bis 1910 – an- und zuge­ord­net, aber den­noch kein eigent­li­ches Tage­buch, son­dern eher eine Nota­te-Samm­lung (Rit­ter selbst hat sein ähn­li­ches Unter­neh­men „Notiz­hef­te“ genannt). Man könn­te auch sagen: Das sind Extrem-Apho­ris­men. (Zu über­le­gen wäre frei­lich, ob das im Ori­gi­nal auch so ist, oder ob das erst durch die dar­auf abzie­len­de Aus­wahl des Her­aus­ge­bers so erscheint.) Denn was Rit­ter aus­ge­wählt hat und hier ver­öf­fent­licht wird, das sind lau­ter klei­ne und kna­cki­ge, tref­fen­de und tota­le Sät­ze. Das hat natür­lich immer wie­der ein Hang zum Apo­dik­ti­schen, beruht aber ande­rer­seits auf einer genau­en Beob­ach­tung der Welt und ihrer Kunst, die sich mit einer aus­ge­feil­ten Prä­zi­si­on der genau­es­ten For­mu­lie­rung paart.

Ich den­ke nicht nach: Ich schaue hin und las­se die Din­ge mei­ne Augen berüh­ren. (13)

Oft geht es in den Minia­tur-Ein­trä­gen um die Lite­ra­tur, noch mehr um das Schrei­ben an sich, aber auch um die Fel­der der Kri­tik und des Jour­na­lis­mus – lau­ter Zeit­lo­sig­kei­ten also. Das Ich, sein selbst und sei­ne Tugen­den wird dabei genau­so unbarm­her­zig und oft hart beob­ach­tet wie die ande­ren um ihn und um die Jahr­hun­dert­wen­de her­um. Da kann ich sehr viel Zustim­mungs­fä­hi­ges fin­den – man nickt dann beim Lesen immer so schön mit dem Kopf … -, auch poin­tiert Über­ra­schen­des, aber auch Frag­li­ches. Gera­de in sei­ner Hal­tung zur Welt, die vor allem aus sei­ner Abso­lu­tie­rung sei­ner Indi­vi­dua­li­tät resul­tiert, sehe ich nicht nur Vor­bild­haf­tes.

Das Recht eines Kri­ti­kers ist es, sei­ne Grund­sätze einen nach dem ande­ren zu ver­leug­nen, sei­ne Pflicht ist es, kei­ne Über­zeu­gung zu haben. (5)
Was ist das Leben, wenn es nur mit Augen gese­hen wird, die nicht Augen von Dich­tern sind? (22)

außer­dem unter ande­rem gele­sen:

  • Alex­an­der Osang: Im nächs­ten Leben. Repor­ta­gen und Por­träts. Ber­lin: Ch. Links 2010. 254 Sei­ten
  • Hein­rich Dete­ring: Vom Zäh­len der Sil­ben. Über das lyri­sche Hand­werk. Mün­chen: Stif­tung Lyrik Kabi­nett 2009. 28 Sei­ten.
  • Hans-Wer­ner Rich­ter: Die Geschla­ge­nen. Mün­chen: Kurt Desch 1949. 459 Sei­ten.
  • Siri Hust­vedt: The Bla­zing World. Lon­don: Scept­re 2014. 379 Sei­ten.
  • Jür­gen Kau­be: Im Reform­haus. Zur Kri­se des Bil­dungs­sys­tems. Sprin­ge: zu Klam­pen 2015 (Zu Klam­pen Essay). 174 Sei­ten.
  • Isa­bel­la Straub: Das Fest des Wind­rads. Ber­lin: Blu­men­bar 2015. 348 Sei­ten.
  • Dani­el Mar­tin Fei­ge: Phi­lo­so­phie des Jazz. Ber­lin: Suhr­kamp 2014. 142 Sei­ten.
  • Tho­mas Hecken: Avant­gar­de und Ter­ro­ris­mus. Rhe­to­rik der Inten­si­tät und Pro­gram­me der Revol­te von den Futu­ris­ten bis zur RAF. Bie­le­feld: Tran­script 2006. 158 Sei­ten.
  • Harald Wel­zer, Dana Gies­ecke, Lui­se Tre­mel (Hrsg.): FUTURZWEI Zukunfts­al­ma­nach 2015/​16. Geschich­ten vom guten Umgang mit der Welt. Schwer­punkt Mate­ri­al. Frank­furt am Main: Fischer 2014. 544 Sei­ten.
  • Ben­ja­min Stein: Ein ande­res Blau. Pro­sa für 7 Stim­men. Ber­lin: Ver­bre­cher 2015. 107 Sei­ten.

Aus-Lese #12

Johan­nes Bobrow­ski: Nach­bar­schaft. Gedich­te. Aus­ge­wählt und mit einem Nach­wort von Klaus Wagen­bach. Ber­lin: Klaus Wagen­bach 2010 (Klaus Wagen­bachs Oktav­hef­te). 77 Sei­ten.

Eine Aus­wahl­aus­ga­be der Gedich­te Bobrow­skis, die im Wagen­bach-Ver­lag zum Ver­lags­ju­bi­lä­um erschien und mich, da ich noch nichts von Bobrow­ski (außer sei­nem Namen) kann­te, ange­lacht hat. Nach dem Lesen war das nicht mehr so sehr der Fall: Einen rech­ten Zugang habe ich nicht gefun­den, die Lyrik Bobrow­skis reso­niert nicht so recht bei mir. Es ist eine ganz bestim­te Art von Dich­tung der und über Land­schaf­ten, was hier immer gan­ze Land­schaf­ten meint, mit ihren Leu­ten, Tie­ren und der Gegend – aber eben nicht nur die der Natur etc. Er beschreibt das weni­ger, son­dern besingt die – auch schon zum Ent­ste­hungs­zeit­punkt – unter­ge­gan­ge­ne, ver­lo­ren gegan­ge­ne Land­schaf­ten sehr poe­tisch und auch gewollt poe­tisch. Das klingt mir dann oft sehr empha­tisch auf­ge­la­den, in einer bewusst und gewollt artis­tisch über­höh­ten Spra­che, die ihre (Landschafts-)Bilder immer gera­de­zu zwang­haft meta­pho­risch und mythisch ergänzt bzw. über­höht – das pas­siert natür­lich fast immer bei (guter) Land­schafts­dich­tung, fiel mir hier aber als beson­ders gesuch­te Form sehr auf.

Ildi­kó Noé­mi Nagy: Oh Bume­rang. Sto­ries. Salz­burg: Jung und Jung 2013. 127 Sei­ten.

Das Som­mer­buch von Tubuk-Delu­xe. Und ein ech­tes Spät­som­mer­buch, das schon ein biss­chen auf den Herbst ein­stimmt. Nagys „Sto­ries“ sind wirk­li­che kur­ze Geschich­ten, die man kaum Erzäh­lung nen­nen mag: Moment­auf­nah­men, fast lyrisch ver­dich­tet, manch­mal nur knap­pe zwei Sei­ten lang – aber immer sehr genau und prä­zi­se. Immer geht es hier um eine Art Lee­re, vor allem die emo­tio­na­le. Auch eine gewis­se Orts­lo­sig­keit spielt da häu­fig mit hin­ein, die irgend­wie mit der unga­risch-stäm­mi­gen Ame­ri­ka­ne­rin als Ich-Erzäh­le­rin (die Ähn­lich­kei­ten mit der Autorin hat) zusam­men­hängt: Die „Unbe­haust­heit“ ist hier nicht nur (aber auch) meta­phy­sisch, sie mani­fes­tiert sich hier immer wie­der. Und dann ist da noch eine Art offe­ne Trau­rig­keit, die die Stim­mung der meis­ten Sto­ries prägt. Auch in den Per­so­nen­kon­stel­la­tio­nen, dem Umgang der Per­so­nen mit­ein­an­der, der fast immer beim Neben­ein­an­der ver­bleibt, zeigt sich das immer wie­der. So gibt es nur ganz weni­ge Gesprä­che, in denen Kom­mu­ni­ka­ti­on wirk­lich gelingt. Die gro­ße Fremd­heit geht aber noch wei­ter, sie umschließt auch das eige­ne Lebens und das eige­ne Selbst. Über­haupt ist (oder scheint?) immer alles schon länst ver­gan­gen und ver­lo­ren – Zukunft gibt es nur ganz sel­ten, Gegen­wart auch nicht so häu­fig. Das ist dann nur in klei­nen Dosen genieß­bar, sonst ver­liert man sich dar­in wie in einer boden­lo­sen Tie­fe. Aber das ist auch kein Pro­blem, die „Sto­ries“ sind ja alle kurz und knapp.

Pas­cal Mer­cier: Nacht­zug nach Lis­sa­bon. 8. Auf­la­ge. Mün­chen: btb 2008. 697 Sei­ten.

Ein schö­nes Buch hat Pas­cal Mer­cier da geschrie­ben, über die Mög­lich­keit des rech­ten, rich­ti­gen und wah­ren Lebens. Und über die Tie­fe der See­le. Und über die Mög­lich­keit, einen ande­ren Men­schen ken­nen: Das Pro­blem fängt ja schon beim Indi­vi­du­um selbst an: Kann man sich selbst ken­nen? Und kann man dann ande­re Men­schen (er-)kennen? Und kann man Men­schen nach ihrem Tod noch ken­nen ler­nen? In den Erin­ne­run­gen derer, die die­sen Men­schen über­leb­ten? In sei­nen Taten? In sei­nen poe­ti­schen Erkun­dun­gen, sei­nen Nota­ten und sei­nen Nie­der­schrif­ten?

Das Leben ist nicht das, was wir leben; es ist das, was wir uns vor­stel­len zu leben.

Der Plot dafür ist manch­mal etwas arg kon­stru­iert für mei­nen Geschmack, und manch­mal wird es auch etwas lang­at­mig. Aber schön – nicht nur inhalt­lich, auch gera­de im sprach­li­chen Sin­ne – ist der Nacht­zug nach Lis­sa­bon trotz­dem.

Kitsch ist das tückischs­te aller Gefäng­nis­se. Die Git­ter­stä­be sind mit dem Gold ver­ein­fach­ter, unwirk­li­cher Gefüh­le ver­klei­det, so daß man sie für die Säu­len eines Palas­tes hält.

dunkle bilder und düstere texte

das soll jetzt nicht den ein­druck erwe­cken, bei peter schü­ne­manns klei­nem, aber fei­nem band mit erzäh­lun­gen: dunk­les bild (mün­chen: han­ser 2005) han­de­le es sich um depres­si­ve pro­sa. aber die erfah­rung der dun­kel­heit in ver­schie­de­nen gra­den, der düs­ter­nis (gera­de im kon­trast mit den auf­schei­nen­den licht(blitzen)) ist doch ein pär­gen­des ele­ment die­ser drei herr­li­chen tex­te. ihre dun­kel­heit, sprach­macht und ja, auch ihre men­schen­lie­be, sowie natür­lich ihre bild­lich­keit erin­nern mich teil­wei­se (v.a. im dunk­len bild) doch recht deut­lich an tex­te von chris­toph rans­mayr, beson­ders des­sen letz­te welt.

zwei tex­te haben mich beson­ders beein­druckt: zunächst der die samm­lung eröff­nen­den und titel­ge­ben­de, dunk­les bild. schü­ne­mann erzählt in andeu­tun­gen, sorg­fäl­tig gesteu­er­te infor­ma­ti­ons­ver­ga­be (d.h. vor allem infor­ma­ti­ons­kon­trol­le: das ist einer die­ser ganz sel­te­nen tex­te, die nur ganz wenig und nur ganz all­mäh­lich mit­tei­len, aber den­noch unge­heu­er leben­dig und fas­zi­nie­rend sind), der erzählt also von einem maler, der vor­über­ge­hend (die grün­de und umstän­de sind nicht so ganz klar), ein blin­des kind bei sich auf­ge­nom­men hat. zusam­men erfah­ren sie vor allem die käl­te (und den man­gel über­haupt). der maler ist auf der suche, auf der rei­se zu einem unge­mal­ten und unge­se­he­nen bild – er wird es erst im moment sei­nes selbst­mor­des erken­nen, der so zu einem wah­ren und wirk­li­chen moment der erlö­sung und der schau der rei­nen wahr­heit (was natür­lich auch einen anspie­lung auf nova­lis, der jüng­ling zu sais, ist) wird (übri­gens ist der tod (absicht­lich her­bei­ge­führt oder nicht) zen­tra­les motiv von schü­ne­manns erzäh­lun­gen): „dann ließ ich los; un in der ver­hal­len­den sekun­de sah ich end­lich das bild, es waren nicht mehr die kal­ten augen der sta­tu­en, jahr­tau­send­alt, es war das klei­ne gesicht, weiß, die ver­brann­te hoff­nung in der licht­lo­sen nacht, nur sehr fern und allein das zar­te leuch­ten in der tie­fe sei­ner augen, das bild nun, nach dem ich geforscht, und der lei­se laut, der micht im sturz noch traf. “ (24)

im zitat wird die qua­li­tät der schü­ne­mann­schen pro­sa schon ziem­lich deut­lich: expres­sio­nis­tisch beein­flusst, man könn­te es fast eine bil­der­or­gie nen­nen. die spra­che lebt von der kraft ihrer bild­lich­keit, d.h. ihrer meta­phern und ver­glei­che. beson­ders in der mas­sie­rung wirkt das gera­de in dunk­les bild unge­heu­er kon­zen­triert – obwohl die­se erzäh­lung nur ein kur­zes stück ist, so ist sie doch von fes­seln­der, unbe­zwun­ge­ner und unge­zähm­ter, also unmit­tel­ba­rer kraft. aller­dings eben nicht so, wie das im moment eher zeit­ge­mäß wäre, als schein­ba­re rea­li­täts­na­he, unmit­tel­ba­re spra­che ohne stil­wil­len. gera­de der enor­me stil­wil­len, die enor­me geformt­heit der spra­che, der wor­te und ihrer ver­knüp­fun­gen zu sät­zen und absät­zen, ist es erst, was mich beim lesen so unge­heu­er fes­selt. dazu kommt dann die bereits ange­spro­che­ne rei­che meta­pho­rik und die post­fi­gu­ra­ti­ve moti­vik.

die treibt vor allem in der zwei­ten erzäh­lung, zwie­land. eine büch­ner suite, ihre spiel­chen mit dem leser. denn die­ser text ist bis zum über­quel­len voll­ge­stopft mit anspie­lun­ge­nen, wie­der­auf­nah­men, abwan­deln­dem auf­grei­fen von bestimm­ten for­mu­lie­run­gen, moti­ven, ideen aus büch­ners tex­ten – aus dem dan­ton, aus leon­ce und lena, natür­lich aus dem lenz, aber auch aus den brie­fen und vie­lem ande­ren mehr. die erzähl­si­tua­ti­on ist recht ein­fach: eine betrach­tung der letz­ten tage georg büch­ners. der autor liegt mit faul­fie­ber in sei­ner eige­nen vari­an­te der matra­zen­gruft, wird von caro­li­ne und wil­helm schulz gepflegt, von min­na besucht. das gan­ze sowohl in der eigen­per­spek­ti­ve büch­ners als auch beob­ach­tend, mit gro­ßer klar­heit als auch im fie­ber­traum eine para­dies der post­fi­gu­ra­tio­nen im quer­gang durch rück­blick, bio­gra­phie und werk­schau.

der drit­te text in die­sem band, die novel­le zen­ons spur, scheint mir gegen die­se bei­den erzäh­lun­gen etwas abzu­fal­len. jetzt ist es vor allem die auf­lö­sung des (künst­le­ri­schen) lebens in das nichts, das erzählt wird: ein bru­der­paar, maler und schrift­stel­ler, an der schwel­le zum tod. der maler, epi­lep­ti­ker, erliegt einer krank­heit, hat zuvor noch sämt­li­che über­res­te sei­ner künst­le­ri­schen tätig­keit getilgt. sein bru­der, schrift­stel­ler, folgt ihm offen­bar in den tod. mir aller­dings fehlt die­ser novel­le die spann­kraft, das fes­seln­de moment oder ein­fach die kon­zen­tra­ti­on der bei­den ande­ren erzäh­lun­gen. es kann frei­lich auch sein, dass ich nur noch nicht den pas­sen­den zugang, den rich­ti­gen moment der lek­tü­re erwischt habe.

als gan­zes mag das zwar zunächst wie ein reich­lich ana­chro­nis­ti­sches unter­neh­men erschei­nen, was schü­ne­mann hier vor­legt. aber jen­seits von plat­tem aktua­li­täts­drang, von pseu­do-kunst und gewoll­ter bedeut­sam­keit, ist das offen­sicht­lich ein ver­such der ver­schmel­zung: das durch­aus in hohen dosen vor­han­den pathos die­ser expres­sio­nis­tisch ange­hauch­ten spra­che und ihrer väter wie kleist, nova­lis, höl­der­lin (büch­ner natür­lich auch) zeigt sei­ne über­zeit­lich­keit, stellt sei­ne wei­ter­hin mög­li­che funk­ti­on auch im 20. (alle tex­te sind nicht mehr ganz tau­frisch) bzw. natür­lich auch im 21. jahr­hun­dert zumin­dest zur dis­kus­si­on, wenn nicht gar unter beweis. zumin­dest ich möch­te das behaup­ten, denn der ver­such, das echo, den ruf ver­gan­ge­ner zei­ten hier ein­zu­fan­gen und leben­dig und vor allem wirk­mäch­tig zu machen, ist schü­ne­mann offen­sicht­lich gelun­gen. das sagt nun aller­dings wenig über die all­ge­mei­ne ver­füg­bar­keit die­ser art von spra­che (die auch eine bestimm­te art des den­kens, vor allem aber der wahr­neh­mung der welt und des sub­jek­tes impli­ziert) aus – peter schü­ne­mann kann dar­über gebie­ten, und das ist ein glor­rei­cher sieg für den autor, aber auch für den leser, der dafür noch ein paar offe­ne ner­ven­enden hat.

georg kleins ideen von den deutschen

georg klein zählt ja nicht gera­de zu mei­nen lieb­lings­au­toren – wer schrift­stel­ler wie jirgl, kurz­eck etc. schätzt, wird das auch sel­ten tun. als klei­ne nacht­lek­tü­re zwi­schen­durch lässt er sich aber noch aus­hal­ten. etwa sein erzäh­lungs­band von den deut­schen (ham­burg: rowohlt 2002). der ist ziem­lich typisch für sei­ne art zu schrei­ben – näm­lich größ­ten­teils harm­los – oder sogar ganz? jeden­falls ist das zwei­fel­los ganz und gar glän­zend erzählt. aber auch oft mit dem ein­druck, es gin­ge nur noch um das erzäh­len an sich: das mit­tel ist zum zweck gewor­den. typisch ist dafür die per­fek­te beherr­schung des erzäh­le­ri­schen hand­werks. aber es wird auch bloß noch als hand­werk betrie­ben, nicht mehr als kunst. dafür fehlt den tex­ten näm­lich die dring­lich­keit, der durch nichts zu bän­di­gen­de drang zur äuße­rung, zur mit­tei­lung, der sich nur in der künst­le­ri­schen for­mung, der text­kon­sti­tu­ti­on äußern kann. ein neben georg klein für eine sol­che schreib­wei­se exem­pla­risch ste­hen­der autor ist etwa bodo kirch­hoff, auch hel­mut kraus­ser vefällt sol­chen ten­den­zen manch­mal. das ist ja alles über­haupt nicht ehren­rüh­rig. was mich an sol­chen autoren (weni­ger an kirch­hoff, dafür beson­ders an klein und kraus­ser) am meis­ten stört, ist ihre behaup­tung und womög­lich sogar über­zeu­gung, das sei wirk­lich schon gro­ße kunst, sei erzäh­len auf der höhe der zeit oder wie auch immer man das aus­drü­cken will. und das stimmt ein­fach nicht. es muss ja gar nicht immer moder­nis­tisch oder (for­mal) avant­gar­dis­tisch sein. aber gera­de die­se erzäh­lun­gen von klein sind ein­fach nur net­te unter­hal­tung, die so tun, als sei­en sie was beson­de­res – genau das rich­ti­ge eigent­lich für das heu­te offen­bar (wenn man sich die ver­kaufs­zah­len bestimm­ter bücher, etwa – auch so ein lieb­lings­bei­spiel von mir – dani­el kehl­mann, anschaut) weit ver­brei­te­te pseu­do-bil­dungs-bür­ger­tum, das nur noch die erbärm­li­chen res­te von bil­dung besitzt, sich aber immer noch in der pri­veli­gier­ten lage der ken­ner und wis­sen­den glaubt. sol­che leser haben an die­sen erzäh­lun­gen bestimmt viel spaß, dafür sorgt auch noch die ten­denz zum alle­go­ri­schen auf­bau der geschich­ten – aber letzt­lich scheint es mir fast immer irgend­wie ins lee­re zu lau­fen: man spürt die bemü­hun­gen und ist ver­stimmt – so funk­tio­niert kunst nicht, inso­fern er sein selbst­ge­steck­tes ziel per­ma­nent knapp zu ver­feh­len scheint, knapp unter der mess­lat­te ihn die kräf­te ver­las­sen. was bleibt, ist ein­fach harm­lo­se augen­wi­sche­rei, zudem in vie­len tei­len erschre­ckend schnul­zig und har­mo­nie­see­lig (etwa „der gute ray“), auch mal mit exo­ti­schen zuta­ten (vor­wie­gend loka­li­tä­ten, „lm lan­de od“). erschre­ckend ist das, denn gera­de die hier ver­brei­te­te harm­lo­sig­keit ist ja beson­ders gefähr­lich: sie täuscht über den wah­ren zustand von kunst und welt, sie sug­ge­riert längst nicht mehr vor­han­de­ne mög­lich­kei­ten des guten, gelin­gen­den, erfül­len­den lebens, des rich­ti­gen ver­hal­tens und führt den leser damit nicht nur in eine ästhe­ti­sche (und phi­lo­so­phi­sche) fal­le, son­dern auch unbarm­her­zig ins abseits, ins reich der lügen. und von dort ist es dann wirk­lich nicht mehr weit bis ins reich der vor­abend-tv-seri­en – das ist dann wahr­schein­lich nur noch eine fra­ge der unter­schied­li­chen her­kunft, erzie­hung, des diver­gie­ren­den habi­tus: georg klein als tv-schnul­ze für leser….

blut & bier

mein gott, schon wie­der so eine ent­täu­schung. man­che leu­te soll­ten wohl ein­fach nur bis zu einem bestimm­ten alter schrei­ben. und bei franz xaver kroetz ist das offen­bar inzwi­schen über­schrit­ten. denn was er hier unter dem titel blut & bier. 15 unge­wa­sche­ne sto­ries vor­legt, ist bei tages­licht bese­hen, ein­fach mist. und zwar ziem­lich gro­ßer.

ich hat­te ja eigent­lich gehofft, etwas von der sprach­li­chen poe­sie des frü­hen kroetz, wie in bau­ern ster­ben, wunsch­kon­zert oder furcht und hoff­nung in deutsch­land auch in die­sen geschich­ten wie­der­zu­fin­den. aber nix da, das ist nur noch selbst­hil­fe­pro­sa aus der schreib­werk­statt eines abge­wrack­ten dich­ters, der genau weiß, dass er nichts mehr auf die rei­he bringt. noch nicht ein­mal mehr ordent­li­che beob­ach­tun­gen sind auf­zu­zei­gen, kein inter­es­san­tes the­ma oder ein gelun­ge­ner plot. wobei die meis­ten die­ser wirk­lich recht dre­cki­gen g’schichten nicht ein­mal so etwas haben. apro­pos dreck: die vor­ge­täusch­te kol­lo­quia­li­tät, die bedeu­tungs­voll-unab­sicht­lich/­be­deu­tungs­los ein­floch­te­nen flos­kel der umgangs­spra­che sind kei­nes­weg legi­ti­ma­ti­on für irgend­et­was, son­dern bloß ner­vend.

denn wor­um geht es hier eigent­lich: genau, um kroetz. der taucht ziem­lich offen­sicht­lich in fast allen erzäh­lun­gen auf – immer gibt es einen altern­den schrift­stel­ler, der kaum noch etwas zu stan­de bringt, der über der schreib­ma­schi­ne brü­tet, der von alko­hol und über­haupt dem aus­schwei­fen­den leben sei­ner erfolg­rei­chen jugend gezeich­net ist: „er schick­te sich rum. such­te eine neue. er fand ein loch. ein ech­tes. das war er. ein arsch­loch.“ (28)

oder die tol­len, ach so wage­mu­ti­gen, ein­fach pein­li­chen phan­ta­sien des altern­den herrn beim anblick sei­ner fami­lie – sei­ner frau und sei­ner bei­den töch­ter: „sie zogen sich aus. sechs tit­ten, drei ärsche, drei mösen, straf­fe haut über jun­gem fleisch“ … „mein gott, die­se nut­ten, dach­te er, die­se gott­ver­damm­ten nut­ten.“ (38) und so geht das dann die gan­ze zeit…

manch­mal immer­hin scheint noch etwas vom sozi­al­kri­ti­schen beob­ach­ter, dem ehe­ma­li­gen mit­glie­der der kom­mu­nis­ti­schen par­tei, in den tex­ten auf – sel­ten genug. etwa wenn er im letz­ten text „der ganz nor­mal super­mann“ das sze­na­rio einer öko­lo­gisch-ega­li­tä­ren gesell­schaft ent­wirft, in der alles, auch sex etc., streng limi­tiert sind, damit alle mal zum zuge kom­men.

lite­ra­risch ist das ein­fach mist: „schrei­ben kann doch heut­zu­ta­ge jeder depp, aber er war ein guter mann, und dar­auf kommts doch letzt­lich an!“ (79). das, was mich an sol­chen tex­ten immer wie­der am meis­ten anwi­dert, ist die tat­sa­che, dass ihr autor durch­aus zu wis­sen scheint, dass er nur mist, nur bil­li­ges geschwur­bel ohne künst­le­ri­schen wert, pro­du­ziert – und trotz­dem nichts dage­gen unter­nimmt, nichts bes­se­res schreibt oder wenigs­tens den dreck unver­öf­fent­lich lässt.

damit wäre kroetz also auch abge­hakt – es sei denn, er macht einen münch­hau­sen und holt sich selbst noch ein­mal aus dem sumpf sei­ner selbst­be­züg­li­chen, selbst­ver­lieb­ten (immer­hin mit dem obli­ga­to­ri­schen win­zi­gen schuss iro­nie), vor allem aber ein­fach schlech­ten pro­sa wie­der her­aus.

franz xaver kroetz: blut & bier. 15 unge­wa­sche­ne sto­ries. ham­burg, rot­buch 2006

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