Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Kategorie: theater

eislermaterial

endlich habe ich es ein­mal geschafft, hein­er goebbels eisler­ma­te­r­i­al auch ein­mal live zu sehen — das ensem­ble mod­ern und joseph bier­bich­ler sind ja erst acht jahre mit der pro­duk­tion unter­wegs. und ihre cd (bei ecm erschienen) gehört schon lange zu meinen lieb­sten und meist­ge­spiel­ten.

was mich unge­heuer beein­druckt hat: wie stark diese musik, mit­samt ihren min­i­mal­is­tis­chen szenis­chen ele­menten (der büh­ne­nauf­bau vor allem mit der kleinen, kaum erkennbaren eissler-stat­uette in der mitte, die im zum zuschauer­raum offe­nen u sitzen­den musik­er, weit verteil über die ganze büh­nen­rän­der, auf ein­fachen schwarzen bänken, mit beson­ders ein­fachen noten­stän­dern, die wech­sel­nden licht­stim­mungen — ganz unauf­dringlich, aber eben, typ­isch für goebbels-pro­duk­tio­nen, stim­mig bis ins let­zte detail) immer noch auf mich wirkt, auch wenn ich sie eigentlich schon tausend­mal gehört habe und wirk­lich sehr gut kenne.

befremdet hat mich ander­er­seits, wie lustig das pub­likum war, an welch unpassenden stellen es zu teils ziem­lich heftigem gelächter kam — die eissler-lieder sind in meinen augen eher tragis­che zeug­nisse als komisch. denn ger­ade mit ihrer unbändi­gen hoff­nung auf eine bessere (arbeiter-)welt, ihren glauben an die möglichkeit ein­er rev­o­lu­tion, sind sie, kon­fron­tiert man sie mit der unverän­dert bedrück­enden­den (glob­alen) wirk­lichkeit, eigentlich tragisch: nach so vie­len jahren sind sie immer noch kein schnee von gestern, nicht ver­gan­gen­heit — etwas schlim­meres kann ihnen, betra­chtet man sie von dem stand­punkt ihrer entste­hung aus, eigentlich gar nicht passieren. lustig sind dabei für mich allen­falls teile der bei­den hör­musiken, die goebbels aus ton­band­kon­ser­ven von äußerun­gen eisslers zusam­mengeschnit­ten hat. die waren ton­tech­nisch allerd­ings auch am wenig­sten überzeu­gend, sie fan­den keinen platz im raum des frank­furter schaus­piels. die musik dage­gen ist live um län­gen bess­er als die — eigentlich auch nicht schlechte — cd-ver­sion. mit einem kleinen manko: die stimme von bier­bich­ler, elek­tro­n­isch ver­stärkt, ist ziem­lich stark abge­hoben. aber das fügt sich nach weni­gen minuten auch. die musik an sich ist vor allem um ein vielfach­es plas­tis­ch­er und durch­hör­bar­er. die sam­pler-spur beispiel­sweise ist durch­weg erhe­blich deut­lich­er wahrzunehmen als auf der auf­nahme. auch son­st ist die große räum­lichkeit, die weit auseinan­derge­zo­ge­nen musik­er — es sind ja nur 15 leute, die über rund um die nicht ger­ade kleine bühne verteilt sind — live natür­lich erhe­blich drastis­ch­er und ein­drück­lich­er zu erleben.

die hohe kraft dieser musik auf mein gemüt hat aber vor allem eine quelle: joseph bier­bich­ler. ihn als sänger zu nutzen war ein­deutig ein geniestre­ich hein­er goebbels. denn ger­ade seine etwas zit­trige stimme, seine kleinen unsicher­heit­en — etwa sein nicht ger­ade seltenes leicht­es voraneilen — ver­lei­hen dem ganzen eine faszinierende, unge­heure authen­tiz­ität. wie er am ende der wiegen­lieder für arbeit­er­müt­ter die let­zten wörter sprechend leicht nach oben zieht und so das ganze gle­ich immer wieder in zweifel zieht, das ist ein­fach wahnsinn: so viel wirkung mit so wenig aufwand, so präzise geset­zt. daneben sind es aber auch, das ist mir hier beson­ders deut­lich gewor­den, die fan­tastis­chen arrange­ments goebbels, die dem ganzen nicht nur eine musikalis­che geschlossen­heit, son­dern auch überzeu­gungskraft und emo­tion­al­ität ver­lei­hen. also ein­fach ein wahnsin­nig gutes kunst­werk.

oper — eine aussterbende kunst

war’s das dann schon? stirbt die oper als kun­st­form und gat­tung jet­zt nach 400 jahren oder so tat­säch­lich doch noch aus? und nur, weil kein­er mehr hinge­ht? möglich ist das — und es scheint immer wahrschein­lich­er zu wer­den. jens malte fis­ch­er hat im aktuellen merkur (heft 691, novem­ber 2006, s. 1067–1072) schon fast einen nachruf geschrieben. er ist nicht sehr zuver­sichtlich, was die zukun­ft des musik­the­aters ange­ht — das zeigt schon der titel: oper wohin? schon im ersten absatz schreibt fis­ch­er, mit sicher­heit alles andere als ein verächter der oper: “wohin sie geht, ist unklar­er denn je.” akuteller anlass für die aus­las­sun­gen fis­ch­ers ist unter anderem der berlin­er wahlkampf, in dem die oper(nhäuser) ja wieder mal eine große rolle spiel­ten — heute ist bekan­nt gewor­den, dass der kul­turse­n­a­tor berlins in der neuen regierung nicht mehr existiert, seine auf­gaben wer­den vom regieren­den bürg­er­meis­ter (”dessen ver­hält­nis zur kul­tur als besten­falls ungek­lärt zu beze­ich­nen ist” (fis­ch­er)) übernommen.das grundle­gende prob­lem für fis­ch­er ist fol­gen­des: oper ist aufwändig und teuer. die ein­nah­men der opern­häuser kön­nen aber nicht beliebig erhöht wer­den: “opernkarten sind bere­its über­all in deuts­d­ch­land nicht ganz bil­lig, wenn man nicht clever, stu­dent oder schüler, steh­platzkom­pat­i­bel ist, am besten alles zusam­men. daß die deutschen für urlaub­sreisen unendlich viel mehr aus­geben als für kul­tur, wird man ihnen nicht mehr ausre­den kön­nen, da das recht auf urlaub­sreisen ja im grundge­setz ver­ankert ist.” trotz­dem, es gibt sie ja immer (noch), die opernbe­such­er und ‑fans: es gilt weit­er­hin, “daß pro jahr in deutsch­land mehr men­schen die the­ater, konz­erte und fest­spiele besuchen als die fußball­sta­di­en, aber es ist nun ein­mal so: 35,6 mil­lio­nen besuch­er waren es in der spielzeit 2003/2004.” und das alles fordert ja ger­ade mal einen rel­a­tiv gese­hen aus­ge­sprochen lächer­lichen anteil der öffentlichen aus­gaben — bei großzügiger rech­nung, also bei weit­em nicht nur oper, sind es auf allen gliederungsebe­nen seit ewigkeit­en unge­fähr 0,2 prozent! die oper ist nur, wegen ihrer aus­ge­sprochen hohen fes­ten kosten (orch­ester, chor, etc. pp.) “der prob­lema­tis­chste ort der deutschen the­ater­land­schaft”.

prob­lema­tisch ist das vor allem, weil die oper ras­ant an pub­likum ver­liert: rasende über­al­terung etwa — “gäbe es in den opern­häusern (auch inter­na­tion­al gese­hen) nicht einen treuen stamm der schwulen opern­f­reak-kul­tur, […] wäre das bild noch des­o­later.” denn woraus rekru­tierte sich das opern­pub­likum: in erster lin­ie aus dem (bildungs-)bürgertum. doch das “zer­fällt zu staub wie drac­u­la in den alten ham­mer-fil­men”. — und dann wird es richtig düster: “das pub­likum wächst ein­fach nicht mehr nach, und damit fehlen die vertei­di­ger der kun­st­form oper, wenn sie gefährdet ist. der zur unken­ntlichkeit min­imiert musikun­ter­richt in den schulen umge­ht die oper weiträu­mig”, “an den uni­ver­sitäten kommt die oper so gut wie gar nicht vor.” vor allem aber muss fis­ch­er (das ist wed­er neu noch beson­ders über­raschend für jeden, der ab und an opern besucht…) fest­stellen: “das opern­pub­likum in aller welt ist, man muß es lei­der so deut­lich sagen, das reak­tionärste und dümm­ste von allen the­ater­pub­li­ka (deswe­gen fühlen sich die spon­soren auch dort so wohl), liebt aber die kom­plizierteste, anspruchsvoll­ste und anforderungsre­ich­ste kun­st­form über­haupt.” — sehr schön und genau auf den punkt gebracht, diese ewige para­dox­ie, aus der es heute weniger denn je einen ausweg zu geben scheint. denn “oper erfordert, um tiefen­wirkung ent­fal­ten zu kön­nen, eine gewisse anstren­gung des zuhörens, lesens, vor- und nach­bere­it­ens. begreifen, was einen ergreift, daß heißt ger­ade in der oper mehr zu investieren als die kurze lust des augen­blicks, das opern­haus ist kein stun­den­ho­tel.” aber genau das bräuchte der aller­größte teil des pub­likums heute und genau so ver­hält er sich auch in der oper… die bestand­sauf­nahme der trau­ri­gen sit­u­a­tion hat fis­ch­er damit schon ziem­lich been­det — gut, oper wird es auch weit­er­hin geben, aber wohl nur in der schwund­form der kul­turindus­triellen pop­u­lar­isierung, die ja schon deut­lich zugenom­men hat — lösun­gen weiß fis­ch­er halt auch keine. gibt es aber auch gar keine: denn nötig wäre ein­fach eine ästhetis­che erziehung des volkes im gesamten, ein bewusst­sein für den wert solch­er anstren­gen­den kul­tur, nicht nur ihrer fes­tlichen äußer­lichkeit­en…

ach ja, ein hüb­sch­er seit­en­hieb fehlt noch: “der hirn- und maßstab­slose rum­mel um eine stimm­lich begabte, als kün­st­lerin und inter­pretin unter­en­twick­elte sopranistin namens anna netre­bko zeigt, daß die kul­turindus­trie inzwis­chen auch im opern­bere­ich alles durch­set­zen kann, was ihr beliebt.”

die buschtrommelt wirbelt im patat herum

die buschtrom­mel ist nicht nur ein kom­mu­nika­tion­s­medi­um, son­dern macht auch eine menge krach. einen besseren namen kann sich ein kabarett-trio also eigentlich gar nicht geben. denn die drei män­ner, die da wieder ein­mal im patat auf der bühne ste­hen, hauen denn auch so richtig auf die pauke. sie tun dies schon seit fün­fzehn jahren – also noch länger als die michel­städter kleinkun­st­bühne. aber immer­hin kön­nen sie gemein­sam feiern. und dieses dop­pelte jubiläum­spro­gramm hat es in sich. denn die buschtrom­mel ist ein echter wirbel­sturm. die drei män­ner schlüpfen geschmei­dig von ein­er rolle in die näch­ste: schaus­pielerische ver­wand­lungskün­ste sind ohne zweifel das größte an diesem trio. wie etwa andreas brei­ing den engel adolf hitler gibt, der sich bei den deutschen entschuldigen möchte und dabei unun­ter­brochen unter auf­bi­etung absur­der zun­ge­nakro­batik damit zu kämpfen hat, sein falschen bärtchen am richti­gen platz zu hal­ten, ist wun­der­bar grotesk. oder wie jörg fab­riz­ius als auf­schwung­beauf­trager für die notwendi­ge pos­i­tive grund­hal­tung in der bevölkerung sorgt, indem er den ewigen nör­glern und pes­simis­ten serien­weise das lebenslicht aus­pustet – aber immer auf ganz indi­vidu­elle art! – das hat ein­fach klasse. und natür­lich ludger wil­helm, der bei sein­er geburt 15 minuten, nein 20, ach was, fast 30 minuten ohne sauer­stoff auskom­men musste. man merkt es aber fast gar nicht. ander­er­seits wäre son­st aber wohl nie so ein tre­f­flich­er assi aus dem ruhrpott aus ihm gewor­den, der unter auf­bi­etung aller sein­er beschei­d­nen kreativ­en kräfte ver­sucht, eine möglichst bil­lige beerdi­gung für seine oma zu organ­isieren– bei ihm wird das freilich schnell zu ein­er rechenauf­gabe und endet natür­lich in der total makabren entsorgung mit­ten auf der düs­sel­dor­fer kö.

so kalauern sich die drei mün­ster­an­er durch die „gefühlten höhep­unk­te“ ihre let­zten jahre. doch gefüh­le sind nicht immer die besten pro­gram­m­man­ag­er. vor allem nach der pause hat­te das trio näm­lich so einige durch­hänger: die witze über ulla schmidt – liebevoll als tode­sen­gel apos­tro­phiert – sind eben nicht mehr so ganz brand­neu. und auch zum restlichen berlin­er per­son­al fällt ihnen nicht allzu viel neues ein. die beobach­tung der „merkelsche unschär­fer­e­la­tion“ ist da noch ein echt­es high­light. bess­er sind die drei aber sowieso da, wo es nicht um gen­uin poli­tis­che, son­dern um gesellschaftliche phänomene geht. als zynis­che beobachter und kom­men­ta­toren des sozialen elends, die sich immer brav aus allem her­aushal­ten und munter wet­ten abschließen, wann der junkie von gegenüber wohl endlich aufhört, sich zu bewe­gen, sind sie nicht zu schla­gen. und ihre ulti­ma­tive lösung des schulden­prob­lems der brd hat auch einiges für sich: sie über­tra­gen die paar bil­lio­nen euro miese dem unternehmen „omer­ta“, das zwar auch nicht viel geld ein­treiben kann, mit don pasquale und der schlagkräfti­gen unter­stützung von lui­gi aber immer­hin den ernst der lage verdeut­lich ver­mag. von dort ist es dann auch nur noch ein klitzek­lein­er schritt zum inter­na­tionalen ter­ror. der beste­ht wahlweise aus dem ver­fas­sungss­chutz, der längst alle ehe­mals ter­ror­is­tis­chen zellen unter­wan­dert hat, der spd, die immer über­all ihre fäden zieht, oder der neuen cd von tokio hotel. sich selb­st hät­ten sie eigentlich auch gle­ich noch dazu zählen kön­nen. aber die buschtrom­mel singt doch wesentlich bess­er als die tee­nie-band. und ist auch erwach­sen­er. zumin­d­est ein biss­chen.

strauss und das musiktheater — ein weites, aber sehr verholztes und ausgelaugtes feld

sam­mel­bände zu besprechen ist meist keine beson­ders dankbare auf­gabe — das edi­tieren allerd­ings oft auch nicht. die regelmäßig über­große zahl der beiträge, ihre method­is­che und the­ma­tis­che vielfalt und oft auch noch ihre stark divergierende qual­ität machen ein ein­heitlich­es urteil fast unmöglich. das gilt auch für den band “richard strauss und das musik­the­ater”, der die vorträge der gle­ich­nami­gen inter­na­tionalen fachkon­ferenz in bochum 2001 ver­sam­melt. schon der titel zeigt ja an, wie umfassend das spek­trum sein wird. zwei dutzend beiträge unter­schiedlich­sten umfangs und erken­nt­nis­dichte füllen dann auch gut vier­hun­dert seit­en. und die her­aus­ge­berin julia lieb­sch­er betont auch aus­drück­lich, das richard strauss aus allen möglichen blick­winkeln betra­chtet wer­den soll, im vere­in mit the­ater- und filmwis­senschaft, mit der libret­to­forschung und der dra­maturgie. den angestrebten “method­ol­o­gis­chen plu­ral­is­mus” hebt sie zudem beson­ders her­vor.

ein zweit­er leitgedanke, der die meis­ten arbeit­en prägt, ist die überzeu­gung von der moder­nität und fortschrit­tlichkeit sowie der “uni­ver­sal­ität” des strauss’schen oeu­vre: “zweifel­los ist strauss als let­zter musik­er der europäis­chen muikgeschichte zu würdi­gen, der jene uni­ver­sal­ität der musikalis­chen kul­tur repräsen­tierte, die in den plu­ralen kun­st­strö­mungen und spezial­isierun­gen des 20. jahrhun­derts endgültig zer­brochen ist” heißt es in der ein­führung von lieb­sch­er. den anhal­tenden ruhm strauss’ auf diese fak­toren zurück­zuführen, hat sich ja in den let­zten jahren — gegen etwa adornos früh­es verdikt — zunehmend durchge­set­zt.

der erste teil des ban­des ist “musikalis­che dra­maturgie” über­schrieben und wid­met sich vor allem den ver­schiede­nen for­men der über­führung des (theater-)textes in musik­the­ater. und obwohl er damit auf eine lange forschungstra­di­tion auf­bauen kann, ist er doch ins­ge­samt der schwäch­ste teil des ban­des. die meis­ten auf­sätze kauen näm­lich bloß — teil­weise sehr minu­tiös — die entste­hungs­geschicht­en, die prozesse der zusam­me­nar­beit zwis­chen libret­tist und kom­pon­ist, also die trans­for­ma­tio­nen von the­ater in oper bzw. musik­the­ater, durch. beson­dere erken­nt­nisse erwach­sen daraus nicht oder zumin­d­est arg sel­ten. eine deut­liche aus­nahme ist allerd­ings jür­gen mae­hders gekon­nte studie zur “klang­far­benkom­po­si­tion und drama­tis­chen instru­men­ta­tion­skun­st in den opern von richard strauss”. diese grundle­gende arbeit, eine instru­men­ta­tion­s­analyse in der nach­folge von egon wellesz, macht sich die “inter­de­pen­denz von klang­farbe und orch­ester­satz” mit der dra­matur­gis­chen aktion zu ihrem the­ma. und genau in dieser schnittmenge beg­ibt er sich auf die suche nach der werk­in­ten­tion — eine müh­same auf­gabe. vor allem die ein­führung neuer instru­mente, die erweiterung und verdich­tung des appa­rates lassen mae­hder dann strauss als nach­fol­ger und fort­set­zer der bemühun­gen richard wag­n­ers erken­nen — ein nach­fol­ger, der allerd­ings weit über seinen vorgänger hin­aus­re­icht. das vor­drin­gen in und aus­loten von grenzbere­ichen orches­traler klang­far­ben wie dem ton­höhen­losen akko­rd und dem über­gang zum geräusch, dem umschwung des ver­schmelzungsklanges in die ver­schleierung beto­nen die fortschrit­tlichkeit des opernkom­pon­is­ten: “durch wech­sel­seit­ige dena­turierung der einzel­nen töne erzeugte der kom­pon­ist das erste »syn­thetis­che geräusch« der musikgeschichte, den gren­z­fall extremen instru­men­ta­torischen raf­fine­ments.” und mit der hil­fe ein­er detail­lierten situ­ierung der strauss’schen tech­niken in der orches­tra­tionstech­nik des fin de siè­cle kann mae­hder zu dem schluss kom­men, dass mit strauss der abschied von der epig­o­nalen nach­folge des musik­dra­mas aus der “ein­sicht in das inner­ste sein­er musikalis­chen sprache” vol­l­zo­gen wor­den sei.

der zweite teil, “insze­nierung — darstel­lung — gesang” vesam­melt einige über­legun­gen zur auf­führung­sprax­is. joachim herz als prak­tik­er propagiert den begriff der “werkgerechtigkeit” anstelle der für ihn unmöglichen “werk­treue” und legt anhand der “frau ohne schat­ten” die beweg­gründe sein­er insze­nierung dar. dabei kreist er in erster lin­ie um das prob­lem der ver­ständlichkeit — eine insze­nierung solle, so herz, sich darum bemühen, text, musik und vor allem die bühne, d.h. let­ztlich die ganze insze­nierung beson­ders zur “exp­lika­tion der fabel” zu nutzen — im falle sein­er “frau ohne schat­ten” wäre das für ihn ein “hohe­lied von der verän­der­barkeit des men­schen”.

peter-michael fis­ch­er liefert eine sehr grundle­gende und tech­nisch solide arbeit zu den “anforderun­gen an die pro­fes­sionelle sänger­stimme” und reflek­tiert dabei vor allem das prob­lem des “opern­mu­se­ums”: jede zeit­epoche hat nicht nur ein anderes stim­mide­al, son­dern auch andere stimmtech­nis­chen fähigkeit­en und möglichkeit­en, die es heute sowohl bei der beset­zung als auch bei der inter­pre­ta­tion entsprechend zu berück­sichti­gen gilt. im falle strauss sieht er das beson­dere in der etablierung eines neuen, aus dem natür­lichen sprach­duk­tus entwick­el­ten gesangsstil durch den kom­pon­is­ten, der den bel­can­to um neue anforderun­gen — bed­ingt durch die erweit­erte ver­to­nung von sprache — ergänzt. thomas see­dorf ver­voll­ständigt diese aus­führun­gen mit seinem beitrag “kom­pos­i­torische rol­lenkonzep­tion und sän­gerische real­isierung” im wesentlich details. see­dorf kann näm­lich anhand der vor­bere­itung der urauf­führun­gen zeigen, dass strauss, immer der the­ater­re­al­ität verpflichtet, “im prag­ma­tis­chen umgang mit dem eige­nen werk” zu großen konzes­sio­nen hin­sichtlich der details der stimm­führung bere­it war, um aus darstel­lerisch und musikalis­chen grün­den gewün­scht­en sän­gerin­nen die entsprechen­den par­tien zu ermöglichen und fol­gert daraus: “strauss hat auf seinem ursprünglichen ide­al nicht bestanden, son­dern andere inter­pre­ta­tio­nen zuge­lassen.” eine solche, näm­lich die ari­adne-insze­nierung von jos­si wiel­er und ser­gio mora­bito, nimmt sich robert braun­müller zum gegen­stand. er liefert eine aus­führliche auf­führungs­analyse und ver­gle­icht dabei die konkrete insze­nierung­sprax­is mit den vor­gaben von strauss — mit ernüchtern­dem ergeb­nis. “seit jahren erschöpfen sich die meis­ten insze­nierun­gen in der kon­tinuier­lichen fort­führung ein­er tra­di­tion.”

von dort aus ist der weg nicht weit zur unter­suchung der rezeption(sgeschichte): die im drit­ten teil ver­sam­melten beiträge beto­nen durch­weg die flex­i­bil­ität des kom­pon­is­ten hin­sichtlich der werk­treue — solange die “inten­tion” gewahrt blieb oder ihr damit gar gedi­ent wurde, war strauss zu kürzun­gen und umstel­lun­gen, in guten augen­blick­en sog­ar zur umar­beitung fähig.

während roswitha schlöt­ter­er-traimer bei ihrer unter­suchung der “muster­auf­führun­gen” unter clemens krauss in münchen immer­hin noch so etwas wie eine grund­ten­denz der insze­nieren­den inter­pre­ta­tion, näm­lich das “streben nach größt­möglich­er deut­lichkeit” find­et, beg­nügt sich gün­ther lesnig gle­ich mit ein­er reinen daten­samm­lung zu den salome-auf­führun­gen in wien, mai­land und new york. son­st glänzt der dritte, mit “rezep­tion” über­schriebene teil vor allem durch seine glan­zlosigkeit. hans-ulrich fuss kann in sein­er unter­suchung ver­schied­ner auf­nah­men der salome immer­hin zeigen, dass es bei strauss nicht immer sin­nvoll ist, möglichst exakt zu spie­len: bes­timmte tex­turen fordern die undeut­lichkeit als eigen­ständi­ges ästhetis­ches attrib­ut über­haupt erst her­aus. und mar­tin elste macht sich einige gedanken über den unter­schied ein­er oper als tonauf­nahme oder als the­ater: grund­ver­schiedene tem­pi-notwendigkeit­en für entsprechende dra­matur­gis­che effek­te fordert er etwa. vor allem aber: “das bloße hören ein­er oper kommt dem ein­tauchen in eine traum‑, in eine schein­welt gle­ich” — und kon­stantiert dann noch wenig über­raschend: “oper von schallplat­te wird primär als absolute musik gehört.” das verbindet er — ein wenig para­dox — mit der qua­si-natür­lichen bevorzu­gung der sprache, d.h. der gesangsstim­men bei tonauf­nah­men. er sieht dann darin auch eine nahezu ide­ale rezep­tion­sweise der oper — befre­it von allen neben­säch­lichkeit­en, als pur­er akustis­ch­er traum. das scheint mir aber dann doch ein arg­er fehlschluss, der viel zu stark von der per­sön­lichen fasz­i­na­tion des autors durch oper­nauf­nah­men aus­ge­ht — es gibt ja dur­chaus auch rezip­i­en­ten, die opern mehr oder weniger auss­chließlich in der kom­bi­na­tion aus akustis­chen und visuellen reizen genießen kön­nen.

anderes schließlich sam­melt sich unter der rubrik “triv­ia”: richard strauss’ leben und werke sind ja nicht ganz uner­forscht. da kann man sich also auch dur­chaus mal auf neben­schau­plätzen tum­meln und dort nach inter­es­san­tem mate­r­i­al suchen. der ertrag lässt freilich wiederum meist zu wün­schen übrig. und den­noch, schließlich ist strauss’ werk auch noch nicht wirk­lich umfassend und detail­liert unter­sucht — da böten sich dur­chaus noch möglichkeit­en für inter­es­sante analy­sen — die allerd­ings auch zeit­gemäße meth­o­d­en erforderten. aber damit hat, und das zeigt dieser band in sein­er gesamtheit eben auch, die musik­wis­senschaft nicht immer die glück­lich­ste hand: das meiste hier vesam­melte ist in dieser hin­sicht vor allem hochgr­a­dig unspek­takulär, unbe­darft bis unre­flek­tiert und arbeit­et mit alt­modis­ch­er, teil­weise auch ein­fach unzure­ichen­der methodik. dass etwa die musik strauss “an der lebendi­gen auf­führung ori­en­tiert” und “auf unmit­tel­bar sinnliche gegen­wart” aus­gerichtet ist (hans-ulrich fuss), wird zwar wieder­holt ange­merkt, schlägt sich in den analy­sen aber erstaunlich wenig nieder. ver­mut­lich ist genau das ein­er gründe, warum die erforschung der musik­the­ater­pro­duk­tion richard strauss’, wie sie dieser band präsen­tiert, oft so bieder und alt­back­en wirkt.

julia lieb­sch­er (hrsg.): richard strauss und das musik­the­ater. bericht über die inter­na­tionale fachkon­feren­ze bochum, 14. bis 17. novem­ber 2001. berlin: hen­schel 2005.

parsifal (frankfurt)

richard wag­n­ers par­si­fal in der oper frank­furt, insze­nierung von christof nel, diri­gent pao­lo carig­nani (beset­zung hier)

die insze­nierung für einen par­si­fal gar nicht so schlecht — extrem zurück­hal­tend, aber selb­st in dem ewig dauern­den ersten akt auf der bühne nicht ganz und gar im still­stand ver­sunken. das liegt aber vor allem am genialen raumkonzept, das die bei­den frank­furter drehbüh­nen mit die gesamte büh­nen­höhe nutzen­den lat­ten­zäunen so geschickt voll­stellte, dass durch die kom­binierte drehung der bei­den büh­nen­teile immer wieder neue, sehr inspiri­erende räume ent­standen: “zum raum ward die zeit” heißt es im libret­to ja (was auch immer das heißen soll und wie das für das büh­nen­wei­h­fest­spiel über­haupt funk­tion­ieren kann und ern­stzunehmen ist) — hier hat­te man immer­hin eine ahnung davon. und carig­nani hat­te auch durch­weg akzept­able tem­pi, schöne klang­bilder, beson­ders im zweit­en akt die ja fast eksta­sis­chen, für den par­si­fal schon fast ras­an­ten hand­lun­gen, sehr genau aus­geleuchtet und doch den sängern noch genü­gend raum gelassen. das war im drit­ten akt nicht immer so: sowohl gurne­manz (den jan-hen­drik rooter­ing eigentlich sehr präzise und bewe­gend sang, auch wenn er mit sein­er fig­ur als gral­srit­ter nur noch bed­ingt glaub­würdig war…) als auch par­si­fal (stu­art skel­ton, der mich nicht so sehr begeis­terte, immer etwas nüchtern und blass wirk­te) waren inzwis­chen doch hör­bar erschöpft und angeschla­gen. da stach die kundry von michaela schus­ter immer wieder pos­i­tiv her­vor: nicht nur schaus­pielerisch (ein­deutig die beste leis­tung auf der bühne, wie sie immer mehr ins irre abdriftete, in sich selb­st ver­schlossen, über­haupt nix mehr kapierte), son­dern ger­ade auch sän­gerisch: beein­druck­end, wie sie trotz der großen anforderun­gen noch so präzise und vor allem aus­drucksstark sin­gen kann. der amfor­t­as von alexan­der mar­co-buhrmester ist ähn­lich gut, im gegen­satz zu dem grot­ti­gen titurel von mag­nus bald­vins­son, der nur rumeiert… das verbindet ihn übri­gens mit den chören, die erstaunlich schlecht intoniert waren.

was mich — neben so vielem anderen, was mich an par­si­fal ver­stört und unver­ständlich bleibt — rat­los zurück­lies, war nur die suche nach ein­er posi­tion des regis­seurs: was sollte das ganze eigentlich? gut, wir leben alle irgend­wie in einem gefäng­nis, um uns her­aum zäune und kein platz, die män­ner pressen blut und leben aus den frauen und lassen sie fast als abfall zurück (wenn man den fall kundry hier so ver­all­ge­mein­ern darf und kann), aber son­st? was soll das ganze mit der erlö­sung? ganz zu schweigen von den berüchtigten schluss­worten “erlö­sung dem erlös­er”? da bietet nel mir irgend­wie über­haupt keine antwort, das wird nicht wirk­lich klar, da ist er, wie seine ganze insze­nierung, viel zu zurück­hal­tend, fast posi­tion­s­los. zumin­d­est ich kann seinen stand­punkt nicht erken­nen.

aber eines muss man ihm zugute hal­ten: in sein­er insze­nierung wirkt das mon­ströse werk doch erhe­blich zugänglich­er als in der konz­er­tan­ten auf­führung der frank­furter oper — da war das nur ein gigan­tis­ch­er musikalis­ch­er brock­en. und doch bleibe ich dabei: par­si­fal ist das beste mit­tel, jeden anflug von wag­ner­is­mus zu heilen. das werk als solch­es ist ein­fach zu — wie soll ich sagen? — selt­sam, abar­tig auf eine mitunter fast hochsta­p­lerisch anmu­tende weise: kein­er kann mit bes­timmtheit sagen, was der par­si­fal als ganzes über­haupt soll, aber alle verehren ihn als hohe kun­st…

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