wars das dann schon? stirbt die oper als kunstform und gattung jetzt nach 400 jahren oder so tatsächlich doch noch aus? und nur, weil keiner mehr hingeht? möglich ist das — und es scheint immer wahrscheinlicher zu werden. jens malte fischer hat im aktuellen merkur (heft 691, november 2006, s. 1067–1072) schon fast einen nachruf geschrieben. er ist nicht sehr zuversichtlich, was die zukunft des musiktheaters angeht — das zeigt schon der titel: oper wohin? schon im ersten absatz schreibt fischer, mit sicherheit alles andere als ein verächter der oper: wohin sie geht, ist unklarer denn je. akuteller anlass für die auslassungen fischers ist unter anderem der berliner wahlkampf, in dem die oper(nhäuser) ja wieder mal eine große rolle spielten — heute ist bekannt geworden, dass der kultursenator berlins in der neuen regierung nicht mehr existiert, seine aufgaben werden vom regierenden bürgermeister (dessen verhältnis zur kultur als bestenfalls ungeklärt zu bezeichnen ist (fischer)) übernommen.das grundlegende problem für fischer ist folgendes: oper ist aufwändig und teuer. die einnahmen der opernhäuser können aber nicht beliebig erhöht werden: opernkarten sind bereits überall in deutsdchland nicht ganz billig, wenn man nicht clever, student oder schüler, stehplatzkompatibel ist, am besten alles zusammen. daß die deutschen für urlaubsreisen unendlich viel mehr ausgeben als für kultur, wird man ihnen nicht mehr ausreden können, da das recht auf urlaubsreisen ja im grundgesetz verankert ist. trotzdem, es gibt sie ja immer (noch), die opernbesucher und ‑fans: es gilt weiterhin, daß pro jahr in deutschland mehr menschen die theater, konzerte und festspiele besuchen als die fußballstadien, aber es ist nun einmal so: 35,6 millionen besucher waren es in der spielzeit 2003/2004. und das alles fordert ja gerade mal einen relativ gesehen ausgesprochen lächerlichen anteil der öffentlichen ausgaben — bei großzügiger rechnung, also bei weitem nicht nur oper, sind es auf allen gliederungsebenen seit ewigkeiten ungefähr 0,2 prozent! die oper ist nur, wegen ihrer ausgesprochen hohen festen kosten (orchester, chor, etc. pp.) der problematischste ort der deutschen theaterlandschaft.
problematisch ist das vor allem, weil die oper rasant an publikum verliert: rasende überalterung etwa — gäbe es in den opernhäusern (auch international gesehen) nicht einen treuen stamm der schwulen opernfreak-kultur, [ ] wäre das bild noch desolater. denn woraus rekrutierte sich das opernpublikum: in erster linie aus dem (bildungs-)bürgertum. doch das zerfällt zu staub wie dracula in den alten hammer-filmen. — und dann wird es richtig düster: das publikum wächst einfach nicht mehr nach, und damit fehlen die verteidiger der kunstform oper, wenn sie gefährdet ist. der zur unkenntlichkeit minimiert musikunterricht in den schulen umgeht die oper weiträumig, an den universitäten kommt die oper so gut wie gar nicht vor. vor allem aber muss fischer (das ist weder neu noch besonders überraschend für jeden, der ab und an opern besucht ) feststellen: das opernpublikum in aller welt ist, man muß es leider so deutlich sagen, das reaktionärste und dümmste von allen theaterpublika (deswegen fühlen sich die sponsoren auch dort so wohl), liebt aber die komplizierteste, anspruchsvollste und anforderungsreichste kunstform überhaupt. — sehr schön und genau auf den punkt gebracht, diese ewige paradoxie, aus der es heute weniger denn je einen ausweg zu geben scheint. denn oper erfordert, um tiefenwirkung entfalten zu können, eine gewisse anstrengung des zuhörens, lesens, vor- und nachbereitens. begreifen, was einen ergreift, daß heißt gerade in der oper mehr zu investieren als die kurze lust des augenblicks, das opernhaus ist kein stundenhotel. aber genau das bräuchte der allergrößte teil des publikums heute und genau so verhält er sich auch in der oper die bestandsaufnahme der traurigen situation hat fischer damit schon ziemlich beendet — gut, oper wird es auch weiterhin geben, aber wohl nur in der schwundform der kulturindustriellen popularisierung, die ja schon deutlich zugenommen hat — lösungen weiß fischer halt auch keine. gibt es aber auch gar keine: denn nötig wäre einfach eine ästhetische erziehung des volkes im gesamten, ein bewusstsein für den wert solcher anstrengenden kultur, nicht nur ihrer festlichen äußerlichkeiten
ach ja, ein hübscher seitenhieb fehlt noch: der hirn- und maßstabslose rummel um eine stimmlich begabte, als künstlerin und interpretin unterentwickelte sopranistin namens anna netrebko zeigt, daß die kulturindustrie inzwischen auch im opernbereich alles durchsetzen kann, was ihr beliebt.
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