Björk, Utopia:
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Björk, Utopia:
Heute ein ganz besonderes Schmuckstück, der “Marche fatale” von Helmut Lachenmann:
So schreibt der Komponist im Programmheft der Uraufführung:
Marche fatale – ist eine unvorsichtig gewagte Eskapade, sie dürfte den Kenner
meiner Kompositionen mehr irritieren als meine früheren Werke, von denen
nicht wenige sich erst nach Skandalen bei ihrer Uraufführung durchgesetzt
haben. Meine Marche fatale hat allerdings stilistisch mit meinem bisherigen
kompositorischen Weg wenig zu tun, sie präsentiert sich hemmungslos wenn
nicht als Rückfall, so doch als Rückgriff auf jene Floskeln, an welche die
moderne Zivilisation in ihrer täglichen »Gebrauchsmusik« nach wie vor sich
klammert, während doch die Musik im 20. und 21. Jahrhundert längst zu
neuen, ungewohnten Klanglandschaften und Ausdrucksmöglichkeiten vorgedrungen
ist.
[…] Ist ein Marsch mit seinem kollektiv in kriegerische oder festliche
Stimmung zwingenden Anspruch nicht a priori lächerlich? Ist er überhaupt
»Musik«? Kann man marschieren und zugleich hören?
[…] Meine alte Forderung an mich und meine musikschaffende Umgebung,
eine »Nicht-Musik« zu schreiben, von wo aus der vertraute Musikbegriff
sich neu und immer wieder anders bestimmt, so dass der Konzertsaal statt
zur Zuflucht in trügerische Geborgenheiten zum Ort von geist-öffnenden
Abenteuern wird, ist hier – vielleicht? – auf verräterische Weise »entgleist«.
Wie konnte das passieren?
Der Rest ist – Denken.
Einen kleinen Kommentar zum Werk von Moritz Eggert gibt es auch beim Bad Blog of Musick: klick.
Zum Glück ist die Liebe im wahren Leben nicht ganz so ausgeglichen und harmonisch wie auf dem neuen Album der „King’s Men“ aus Cambridge – das wäre ja etwas langweilig (und es gebe wohl auch weniger Liebeslieder zu singen). In 14 Songs geht es hier nur um das Eine: „Love from King’s“. Schade ist allerdings, dass die jungen Männer das Risiko etwas scheuen. Denn die Möglichkeiten dazu hätten sie durchaus, das beweisen sie auch mit dieser Aufnahme immer wieder: Der formbare Klang, die Fülle des Tuttis, die Vielfalt der Stimmen, vor allem aber die organische Präzision bei Timing und Intonation – eigentlich sind alle Zutaten für eine großartige CD vorhanden. Aber großartig ist „Love from King’s“ leider nur in einigen Teilen. Denn vieles bleibt doch etwas arg brav und betulich.
Gleich die Eröffnung ist so ein Fall: Ganz klassisch und traditionell gesungen, bleibt „Is You Is or Is You Ain’t My Baby?“ erstaunlich belanglog und langweilig. Auch auf dem Rest der Scheibe erfinden die „King’s Men“ die Gattung nicht gerade neu. Behutsam, sehr vorsichtig fast, modernisieren sie den Kanon der Liebelieder in Close Harmony. Und zunächst denkt man noch, dass ihre Zurückhaltung auch an der tendenziell übermikrofonierten Aufnahme liegt, die es dem Klang unnötig schwer macht, sich wirklich zu entfalten. Aber dann hört man Michael Jacksons wunderbar feinsinnig arrangiertes „Billie Jean“ und ist begeistert von der eleganten Spritzigkeit des Ensembles. Auch das direkt anschließende „When she loved me“ von Randy Newman kann die Fähigkeiten der siebzehn Männer ausgezeichnet zur Geltung bringen: Wie die „King’s Men“ hier mit eher bescheidenen musikalischen Mitteln einen enormen akustischen und emotionalen Raum und eine geradezu überwältigende klangliche Fülle zaubern, das ist einfach wunderbar.
Das Muster setzt sich fort: Die Klassiker – unter anderem ein schläfriges „Wonderful Word“ und ein uninspiriertes „Scarborough Fair“ – sind auf „Love from King‘s“ eher eine Schwachstelle. Dass die neueren (Pop-)Songs, die eigentlich mit den gleichen Mitteln und typischen Ideen arrangiert wurden, so deutlich hervorstechen, mag an der Jugend der Sänger liegen. Aber eigentlich ist das auch egal, denn Songs wie „Isn’t she lovely“ sind echte Diamanten: Hier bringen die „King’s Men“ die Musik und den Stimmenklang immer wieder wirklich zum Funkeln und auch fast zum ekstatischen Tanzen – so wie man sich auch die Liebe wünscht.
The King’s Men: Love from King’s. The Recordings of King’s College Cambridge 2018. Spielzeit: 47:22.
(Zuerst erschienen in “Chorzeit — Das Vokalmagazin”, #48, April 2018)
What a shame: Der große und großartige Cecil Taylor ist gestern verstorben. Die Entdeckung seiner Musik hat nicht ganz unwesentlich dazu beigetragen, dass sich mir der Kosmos des Free Jazz und der Improvisierten Musik erschlossen hat. Und seine Aufnahmen — unter anderem “The Willisau Concert” (2000) — sind immer noch und immer wieder unter meinen Lieblingsplatten, die ich am öftesten und immer wieder mit Begeisterung hören kann. Beim Free Jazz Collective gibt es einen sympathischen Nachruf.
Niemand hat je bezweifelt, daß es um die Wahrheit in der Politik schlecht bestellt ist, niemand hat je die Wahrhaftigkeit zu den politischen Tugenden gerechnet. Lügen scheint zum Handwerk nicht nur der Demagogen, sondern auch des Politikers und sogar des Staatsmannes zu gehören. Hannah Arendt, Wahrheit und Politik (1963)
Ins Netz gegangen am 3.4.:
Und stets orientiert man sich dabei an der vermeintlich „schönen“ Vergangenheit. Zeitgenössisch-verbindliche Vorstellungen über das Schöne scheinen zu fehlen. Also das, was Immanuel Kant seinerzeit „Gemeinsinn“ nannte. Heute scheint das Vormoderne aus der Geschichte als einzige Norm für die Gegenwart als verbindlich. Und seltsamerweise wird – zumindest in ästhetischer Hinsicht – von den meisten das Frühere dem Heutigen vorgezogen. […] Retrospektive Ästhetik und Rekonstruktion von (Alt‑)Bauten und ganzer Stadträume bis hin zu Wiederauferstehung des abgerissenen Berliner Schlosses füllen die Leere, die der Verlust des Gemeinsinns für das Schöne in der Gegenwart mit sich gebracht hat.
Bei der Beschäftigung mit der Frage, warum sich einer wie ich mit Gedichten befasst und Rezensionen zu Gedichtbänden schreibt, gelangt man zu ähnlichen Einsichten, wie sie Nicolas Born 1970 formuliert hat: Es hat mit dem eigenen Existieren zu tun, mit dem Versuch, dem Rätsel des eigenen Daseins auf die Spur zu kommen. Beim Lesen von Gedichten ist man fast immer mit den Fragen nach den letzten Dingen konfrontiert, wir werden unmittelbar und ohne schützende Einleitung in medias res geworfen. Die Verse der Gedichte, die wir lesen, vermitteln uns das «punktuelle Zünden der Welt im Subjecte», wie es ein Schüler des Philosophen Hegel formulierte. […] Beim Lesen von Gedichten wird ein Riss sichtbar in dem Weltgebäude, das uns eben noch vertraut schien. Ein Riss wird sichtbar im Weltgebäude, und – so sagt es einmal der russische Weltpoet Ossip Mandelstam – die poetische Rede weckt uns mitten im Wort auf. Gedichte sprechen von dem skandalösen Faktum, dass wir geboren worden sind und dass wir in noch nicht vorstellbarer, aber doch nicht allzu ferner Zukunft sterben werden.
Denn unser Schulsystem hat so viele grundlegende Mängel, dass ich mir oft die Frage stelle, ob es das überhaupt geben kann: ein richtiges Lehrerleben im falschen Schulsystem. Im Laufe der Zeit habe ich einige (Über-)Lebensstrategien entwickelt.
Die Change-Management-Fachkraft einer großen Unternehmensberatung und ein Student im dunklen Kapuzenpulli legen in der Schlange nacheinander ihre Gürtel, die Geldbörsen und ihre Laptops in die Durchleuchtungs-Schalen auf das Band der Sicherheitskontrolle. Sie schauen sich kurz lächelnd an, weil beide dasselbe Laptop-Modell aus ihren Handgepäck-Reisetaschen nesteln.
Lieber über gute Radwege ohne Helm als über schlechte mit.
Insofern schließt die Rede von der „jüdisch-christlichen Prägung“ nicht nur den Islam aus – was ja der eigentliche Zweck dieser Behauptung ist. Auch Aufklärung und Atheismus, auch die, gerade in der deutschen Literaturgeschichte, so wichtige Sehnsucht nach jenem heitereren Himmel, in welchem die menschlicheren Götter der Griechen wohnen, werden von dieser Rede, wenn nicht ausgeschlossen, dann doch zu den Apokryphen einer Tradition, deren Kanon angeblich jüdisch-christlich ist (man möchte die Namen all derer, die diese Rede zu Fremden macht in der deutschen Kultur, gar nicht aufzählen müssen).
Ich würde für mich sagen: Es muss eine Störung der geläufigen Sprachstrukturen erfolgen, wir müssen beim Sprechen und Schreiben die Vertrautheit verlieren – auch in unserem Verstehen -, wir müssen ausgehebelt werden beim Lesen solcher Verse, sonst kann kein gutes Gedicht entstehen. […] Das poetische Selbstgespräch vermag manchmal eben doch andere zu erreichen. Und ob das nun 17 oder 97 oder 1.354 sind, spielt keine Rolle. Also, 1.354, diese berühmte Enzensbergersche Konstante, ist ja noch zu optimistisch angelegt. Nicht 1.354 Menschen pro Population, ob in Island oder den USA, greifen zu Gedichtbänden, sondern nur 135,4 Lyrikleser! Also die Enzensbergersche Konstante müsste durch 10 geteilt werden. 135,4 Rezipienten pro Gedichtband ist die neue Konstante für öffentliche Aufmerksamkeit auf Gedichte.
Am vergangenen Woche war ich für einen Besuchseinsatz in Traisa im Mühltal. Die dortige evangelische Kirche, Ende der 1950er Jahre im Wohngebiet erbaut, hat eine recht nette, erstaunlich vielfältig nutzbare Orgel. Die zwölfregistrige Orgel wurde von Karl Schuke (Berlin) gebaut. Bei zwei Manualen mit Pedal ist sie recht ansprechend disponiert und passt sehr gut in den schlichten Kirchenraum. Sie scheint auch gut gepflegt zu sein — bei meinem kurzen Gastspiel klappte jedenfalls alles problemlos wunderbar. Nur eine vernünftige, tragfähige 8′-Stimme fehlt leider auch hier, wie so oft bei kleineren Orgeln …
es ist an der zeit
sich zu radikalisieren
dafür muss ich aber erst einmal aufhören
die wollmäuse unter
dem bett
wegzufegen
[…] - Lütfiye Güzel, elle-rebelle (2017)
Ins Netz gegangen am 14.3.:
Ihre bisherigen Äußerungen lassen darauf schließen, dass sich Bär vor allem als Lobbyistin der Digitalwirtschaft und der Provider sieht. […] Bärs Ziel scheint es dagegen zu sein, die Datenschutzregeln für alle Nutzer aufzuweichen, damit deutsche Firmen mit der Datensammelwut der US-Konzerne konkurrieren können.
Wenn die öffentliche Hand Geld für Software-Entwicklung investiert, sollte sie es immer so tun, dass am Ende Open-Source-Software rauskommt. Dann können auch andere Behörden in Europa die Ergebnisse nutzen. Und wenn man sensibelste Daten einer Bundes- oder Landesbehörde abspeichert, dann doch bitte in einem System mit vollster Kontrolle — das geht nur mit Open Source. Eine Polizei, die sich auf Microsoft standardisiert, betreibt Daten-Harakiri.
Der wichtigere Grund für unsere Beschäftigung mit dem Account von Bolz ist jedoch, dass sich in ihm die Geschichte einer Radikalisierung abspielt. Und eben darin ist er wohl symptomatisch. Bolz gehört zu der Generation älterer Männer, aus deren Reihen seit dem Herbst 2015 vielfach scharfe Kritik an der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, namentlich an Angela Merkel geübt wird. Wie etwa auch Peter Sloterdijk, Rüdiger Safranski oder Jörg Baberowski steht Norbert Bolz damit auf einmal in der Nähe von Rechtspopulismus, AfD und Pegida. Seine Tweets erfahren von dort viel Zuspruch, der ihn offenbar nicht nur nicht stört, sondern sogar anspornt, noch polemischer zu formulieren und sich die Reiz- und Kampfvokabeln der rechten Szenen zu eigen zu machen. […] So sieht also die Twitter-Karriere von jemandem aus, der seine liberal-konservative Haltung einem Verfolgungswahn opfert. […] In Bolz‘ Tweets waltet der „Thymos“, also der von der Neuen Rechten beschworene „Zorn“ und „Stolz“, in Beamtengestalt. Aus komfortabler Distanz, umhegt von Väterchen Staat, gut abgesichert durch ein unkündbares Beschäftigungsverhältnis, das Bolz all seinen Klagen über das Elend der Universitäten zum Trotz aufrechterhält. Was das mit dem von ihm häufig beschworenen liberalen Geist und Mut zu tun haben soll, ist mir schleierhaft. Bolz zählt ja zu denjenigen Professoren, die auch in der Privatwirtschaft überleben könnten. Er ist in den Massenmedien präsent, er ist ein gefragter Redner und er verdient gut damit.
We are the poorer for her absence. Without knowing and understanding the work of female composers, we will always have a limited view on the history of composition. Why do we still differentiate between male and female composers? Surely gender has no bearing on the quality of the music.
ÖPP-Verträge bewirken, dass der Staat für Änderungen immer bezahlen muss.
Entschlage Dich des Bewußtseyns, Dir selbst zu gehören. Dann sey! Dann lebe! In aller Bedeutung! Fürchte nichts! Hoffe die Gegenwart! Erwarte nichts! Dann findest Du, daß Du Alles hast. Es zu erhalten, hast Du in dem Augenblick schon gelernt. Bist Du nun, was Du bist, so findet sich Dir was Du besitzen sollst. —Johann Wilhelm Ritter: Neun Briefe an Clemens Brentano aus dem Jahre 1802. Herausgegeben & mit einem Nachwort versehen von Rainer Niehoff. Berlin: blauwerke 2017 (splitter 13), 9 (18–3‑1802)
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